Читать книгу Die Entfesselung der Abendländer - Hans Scholten - Страница 7
Francesco Petrarca
ОглавлениеVierundzwanzig Jahre nach dem Tod von Albertus Magnus wurde im toskanischen Arezzo 1304 Francesco Petraca geboren, von den meisten als der Begründer des Humanismus und damit der Renaissance angesehen, wie man diese Zeit später bezeichnete. Er schuf Gedichte in toskanischer Sprache, die als Begründung des Petrarkismus galten, einer Dichtung mit metaphorischen Umschreibungen, mythologischen Hinweisen in einer platonischen Gedankenwelt, in der die Macht der Liebe im Mittelpunkt steht. Der Petrarkismus hat die abendländische Dichtung bis ins 18. Jahrhundert beeinflusst.
Seine für die Renaissance wohl bedeutsamste Tat jedoch ist die Wiederentdeckung und -belebung der Antike. Er wurde zum eifrigen Sammler antiker Schriften. Die Wiederentdeckung der antiken Dichter Vergil und Ovid ist auf seinen Namen zurückzuführen. Und: Er machte das klassische Latein des Altertums wieder populär. Dieses hatte sich bis zum 14. Jahrhundert zu einer Umgangssprache gewandelt, die mit dem klassischen Latein nicht mehr viel zu tun hatte. Petrarca schrieb Briefe und Abhandlungen in klassischem Latein. Er fand viele Nachahmer. Gehobene Kreise versuchten sich nun in klassischem Latein. Ein Lateinfieber griff um sich. Es führte dazu, dass Bürger, die etwas auf sich hielten, ihren Namen latinisierten.
Auf Kriegsfuß stand Petrarca mit den Naturwissenschaften. Das ist überraschend, war doch der Humanismus Auslöser einer Explosion auch des Wissens, nicht nur der Kunst. Es würden Männer kommen wie Leonardo da Vinci, Nikolaus Kopernikus und Andreas Vesalius. Männer, durch die eine neue Welt der Mechanik, der Sternkunde und Medizin geschaffen wurde. Petrarca konnte jedoch nicht ahnen, welche Lawine er lostreten würde, was sich in der Wissenschaft entwickeln würde, auch vieles, das seinen Intentionen völlig zuwider lief.
„Die Erforschung der Natur ist sinnlos, weil der Mensch in seiner naturgegebenen Begrenztheit Gottes Werk niemals durchschauen kann.“ Der dies sagte, war der florentinische Philosoph Colucci Salutati, ein Zeitgenosse Francesco Petrarcas. Der Satz spiegelt die Vorbehalte wieder, die frühe Humanisten noch gegenüber den Wissenschaftlern, besonders auch der Medizin hegten. Auch Petrarca gehörte zu den Verächtern der Medizin. Er bedachte Ärzte mit den übelsten Injurien, nannte sie „Dummköpfe“, „unverschämte Handwerker“, „lächerliche Zensoren“, „notorische Lügner“, „käufliche Denker“, „Söldner“. Ein Arzt wird beschimpft: „Nichts hindert Dich, wohne nur dort, wo Dich allmorgendlich ein Schwarm Dirnen besucht. Als Ritter kannst du dann, mit zusammengekniffenen weißen Lippen, die runzlige Stirn hochgezogen, unter Seufzern überprüfen, was jemand uriniert hat und schließlich kopfwiegend das Urteil fällen: Jene stirbt, diese wird gesund.“
Die Abneigung Petrarcas gegen die Ärzte rührte wohl daher: Der Arztberuf war kein angesehener Beruf; er wurde meistens von Badern ausgeübt, das waren Leute, die ein Bad betrieben und Zähne zogen. Petrarca, von seiner Größe überzeugt wie kaum ein anderer seiner Zeit, wollte wohl mit solchen Leuten nichts zu tun haben; Krankheiten begegnete man mit Gebet. Dass er dabei in die Schuhe der von ihm gehassten Scholastiker schlüpfte, die das Gleiche lehrten, dürfte ihm, der sich fast ständig im Zustand der Nabelschau befand, entgangen sein.
Sein Groll könnte aber auch Ausdruck des tiefen Schmerzes darüber gewesen sein, dass Rom, nachdem es nicht mehr Hauptstadt eines Imperiums war, nun auch den Papstsitz hatte an das französische Avignon abgeben müssen, und nicht nur das: Der Hauptsitz der Wissenschaft war Paris geworden, die Macht an das Heilige Römische Reich übergegangen. Diese „translatio“ empfand er als Ausdruck geschichtlicher Unrechtmäßigkeit.
Petrarca wurde im toskanischen Arezzo als Sohn eines Notars geboren. Sein Vater war, wie der mit ihm befreundete Dichter Dante Allighieri, verwickelt in florentinische Kabalen und 1302 aus der Stadt gewiesen worden. Er siedelte in das französische Avignon über, in dem der Papst regierte; ein Notar hatte dort gute Aussichten.
1316, Francesco Petrarca war 12 Jahre alt, schickte sein Vater ihn zum Studium der Rechtswissenschaft zur Universität im französischen Montpellier. Von dort wechselte er 1320 an die Universität Bologna. Als 1326 sein Vater starb, brach er das Jura-Studium ab und widmete sich ausschließlich der lateinischen Literatur. Sein Vater hatte ihm bedeutende finanzielle Mittel hinterlassen, sodass sein Lebensunterhalt vorerst gesichert war.
Die Leidenschaft an lateinischer Literatur hatte sich bei Petrarca schon während seines Jura-Studiums entwickelt. In Montpellier gehörte das Studium der lateinischen Schriftsteller Aesop, Livius und Cicero zu seinem Studienplan. Er las dort die Hauptwerke Vergils, die „Georgica“ und die „Bucolica“.
Petrarca war ein Mann, der die Einsamkeit liebte, weil nur die Stille ihm den Genuss an den Lateinstudien gewährte, den er sich wünschte und regelmäßig erlangte. Aber er war auch ein Mann der Selbstdarstellung und -inszenierung. Avignon war durchaus ein geeignetes Pflaster für diese Neigung. Am Sitz des Papstes trafen sich Diplomaten, Geistliche, Philosophen, Wissenschaftler aus aller Welt; dort verkehrte die geistige Elite. Petrarca stürzte sich in die Szene. In Briefen aus späteren Jahren an seinen Bruder pflegte er von diesen Jahren zu schwärmen, in denen man miteinander um die prachtvollste Kleidung wetteiferte, um das schönste Gesicht mit und ohne Bart.
In den Zeitabschnitten der Stille, die er trotz des ansonsten aufregenden Lebens zu gewinnen wusste, entstand sein erstes großes Werk, die erste Rekonstruktion von Livius' „Ab urbe condita libri“ in klassischer lateinischer Sprache. Bis dahin lag sie nur in der Sprache von mittelalterlichem Gebrauchslatein vor.
Schon als die Familie Petrarca noch in Arezzo weilte, war Giacomo Colonna, der zweitgeborene Sohn der mächtigen römischen Adelsfamilie Colonna, mit der sein Vater befreundet war, auf den drei Jahre jüngeren Francesco Petrarca aufmerksam geworden. Als Giacomo Colonna mit 29 Jahren zum Bischof von Lombez in Südfrankreich ernannt wurde, nahm er Petrarca mit. Dieser, auf kirchliche Pfründe bedacht, empfing die niederen Weihen und wurde zum „capellanus continuus“ an Giacomos Bruder Giovanni Colonna weitergereicht, der am Hofe des Papstes in Avignon residierte. Seine Existenz war nun nicht seinem Selbstwertgefühl entsprechend, aber doch ausreichend abgesichert. Später sollten einige Kanonikate an verschiedenen Orten hinzukommen, die ein Leben entsprechend seinen Ansprüchen ermöglichten.
Giovanni ließ seinem Capellan ausreichend Zeit für Bildungsreisen. Seine erste Reise führte ihn in den Norden, nach Paris, dem Ort der von ihm als ungerecht empfundenen „translatio studii“. Er hielt sich hier nur kurz auf, reiste alsbald weiter nach Lüttich. Der unermüdliche Sucher nach antikem Schriftgut entdeckte hier in der Bibliothek eines Klosters Ciceros Werk „Pro Archaia“ und dessen Rede „Ad equites romanos“. Weiter ging seine Reise nach Köln, über das seine Worte des Lobes voll waren. Besonders gefielen ihm die vielen schönen waschenden Mädchen am Rhein, die vielen großen romanischen Kirchen und vor allem das schon fertiggestellte Ostchor des Domes, dessen gotische Architektur den die Antike Verehrenden wohl mehr erstaunt als entzückt haben dürfte.
Eine zweite Reise führte nach Rom. Die Streitigkeiten unter den Adelsfamilien waren so groß, dass er die Stadt nur in Begleitung einer bewaffneten Eskorte eines Schwagers seines Gönners Giacomo Colonna erreichen konnte. Er ist von den Ruinen, den Zeugen vergangener imperialer Größe, ergriffen und berichtet darüber in einem öffentlichen Brief. Die Ruinen werden ihm zu einer Erfahrung der Überlieferung, die zu bewältigen der geschichtlichen Erinnerung aufgetragen sei, die aber ihrerseits ganz vom Interesse und dem Vermögen des Wanderers abhängig sei. Der Brief gilt als literarisches Meisterwerk.
Zurück am Hofe von Giovanni Colonna in Avignon stürzte er sich wieder in seine liegen gebliebene literarische Arbeit. Es entstehen seine wichtigsten Werke: „De viris illustribus“, „Rerum morandum libri“, „Epistole metrice“, „De vita soloria“, „De otio religioso“, das „Secretum“ sowie zahlreiche Liebesgedichte, die „Rerum vulgaria fragmenta“. Es waren seine literarisch fruchtbarsten Jahre.
Petrarcas überbordendem Selbststilisierungsbedürfnis mochte der Gedanke entstammen, dass die Zeit reif sei, zum Dichterkönig gekrönt zu werden. Es sei sein Wunsch von Jugend an gewesen, bekannte er später. Es sollte eine Dichterkrönung nach antikem Vorbild werden, wie er sie bei Statius gelesen hatte.
37 Jahre alt, betrieb er die Krönung mit Plan. Der König von Neapel, Robert von Anjou, musste für das Vorhaben gewonnen werden. Der ihm in Avignon zum Freund gewordene Augustinermönch da Bargo arbeitete nun am Hof in Neapel. Ihn bat er, dem König das Projekt schmackhaft zu machen. Die Prozedur sollte eine für den König einfache sein. Der hochgebildete Monarch sollte Petrarca drei Tage lang examinieren, das heißt, im Garten seines Palastes mit ihm umhergehen, sich mit ihm unterhalten und, so wie es genehm war, Gedichte vortragen lassen. Selbstverständlich waren die drei Tage reine Formsache; so viel Zeit für eine Nebensache hat ein König nicht. Aber eine dreitägige Prüfung durch einen sachkundigen König statt durch ein Gremium von Dichtern, eine Wahl nach Prüfung durch einen König war einem Dichter vom Kaliber Petrarcas angemessen; er hatte sich noch nie gering eingeschätzt. Dass es keine Konkurrenz gab, spielte überhaupt keine Rolle.
Nach der Prüfung sollte die Verleihung des Lorbeers erfolgen. Petrarca bestand darauf, dass diese Zeremonie auf dem Kapitol in Rom erfolge. Die Zustimmung des römischen Senats wurde als sicher vorausgesetzt, da mit der Unterstützung des Colonna-Clans zu rechnen sei. Die Prozedur lief planmäßig ab. Petrarca reiste nach Neapel, besuchte König Robert, nicht ohne nachher dessen Kenntnis von Literatur und Dichtung zu loben. Der Senator Orso del l'Aguillara, ein Verwandter der Colonna, setzte ihm auf dem Kapitol in Rom den Lorbeer aufs Haupt. Anschließend begab sich Petrarca zur Peterskirche, um den Lorbeer auf dem Altar der Hauptkirche der Christenheit niederzulegen.
Die Farce war nicht nur dem Bedürfnis Petrarcas nach Bestätigung seiner Dichtkunst angemessen, sondern diente auch seiner Existenzsicherung. Er wurde zum römischen Bürger ernannt, erhielt den Magistertitel, wurde mit den Professoren der Artistenfakultät gleichgestellt. Er war fortan, wo immer er sich aufhielt, Gast in höchsten Adelskreisen. Sein Ruhm war in ungeahnte Höhen gestiegen. Wie wichtig, aber auch wie gefährlich dieser Ruhm war, sollte sich bald erweisen.
In Rom zeichnete sich 1342 eine Entwicklung ab, die es möglich erscheinen ließ, die Träume Petrarcas von der Wiederherstellung römischer Vorherrschaft Wirklichkeit werden zu lassen. Ein junger Jurist, Cola di Rienzo, war dort mit Geschick an die Macht gekommen. Er hatte die nichtadeligen Gruppen der Stadt hinter sich versammelt. Als der alteingesessene Adel, gewohnt die Stadt zu regieren, eine Delegation zum neuen Papst in Avignon sandte, um von ihm als Bischof und Herrn von Rom die Bestätigung seiner angestammten Vorrechte zu erlangen, ließ sich Cola di Rienzo von den nichtadeligen Gruppen gleichfalls nach Avignon entsenden, um dem Papst mitzuteilen, dass der Anspruch des Adels bestritten werde. Der Papst nahm es zur Kenntnis, bestätigte aber den Adel in seinen Rechten.
Jedoch: Er ernannte Cola di Rienzo zum kapitolinischen Notar. Dessen Aufgabe war es, alle amtlichen Schriftstücke, deren wichtigste die Senatsprotokolle waren, von Staatswegen zu bestätigen. Der Papst unterwarf auf diese Weise die Tätigkeit des regierenden Adels der Kontrolle der nichtadeligen Gruppen. Dem Papst waren die Machenschaften des Adels offensichtlich suspekt.
Cola di Rienzo war diese Aufgabe nicht genug. Er arbeitete daran, die „lex de imperio“ wiederherzustellen, die Verfassung des antiken römischen Reiches, die eine gemeinsame Macht des Senates und des Volkes von Rom sowie Volkstribune vorsah.
Am 20. Mai 1347, als ein Heer des Adels unter Führung von Stefano Collonna vor den Toren der Stadt lagerte, versammelte Rienzo das Volk von Rom auf dem Kapitol, um die neue Verfassung bestätigen zu lassen. Der Coup gelang: Die Verfassung wurde per Akklamation gebilligt, Cola di Rienzo wurde zum Volkstribun gewählt und die Herrschaft über die Stadt übertragen. Der anwesende päpstliche Vikar stimmte zu. Dem überrumpelten Adel fiel nichts anderes ein, als ebenfalls zuzustimmen. Cola di Rienzo begann sofort umfangreiche Reformen durchzuführen. Sie betrafen die Justiz, die Finanzverwaltung, die öffentliche Ordnung und die Heeresverwaltung.
Petrarca, von dieser Entwicklung in Kenntnis gesetzt, war berauscht. Er richtete einen begeisterten Aufruf an Cola di Rienzo und das Volk von Rom. Er bezeichnete Rienzo als einen Erneuerer der Sitten und Retter des Volkes, der das Staatswesen von seinen Unterdrückern befreit habe. Adelsfamilien, mehrere wurden wörtlich genannt, darunter die Colonna, wurden als unrömische Barbaren, als Quell aller Missstände und allen Unfriedens tituliert. Er rief das Volk auf, sich hinter Cola di Rienzo zu stellen; dann werde Rom gesunden und ein vereinigtes Italien unter Führung Roms entstehen.
Petrarca, auch bei dieser Gelegenheit auf seinen Ruhm bedacht, stellte für den Fall des Gelingens des Projektes Rienzo di Cola selbstbewusst eine Verewigung in seiner Dichtung in Aussicht.
1347 lud Rienzo Gesandte italienischer Städte nach Rom ein, um den Plan einer Einigung Italiens zu besprechen. Gleichzeitig ließ er sich auf dem Platz vor der Kirche Santa Maria Maggiore zum „Tribunus Augustus“ ernennen.
Das ging dem Papst zu weit; er fürchtete um die Herrschaft über den Kirchenbesitz. Wer sich als Tribun des Namens „Augustus“ bemächtigte, des größten römischen Caesaren nach Caesar, erhob Anspruch, nicht nur über Rom, sondern über ganz Italien zu herrschen und damit selbstverständlich auch über den in der Mitte Italiens liegenden Kirchenstaat. Außerdem hatte der König von Ungarn Erbschaftsansprüche auf das Königreich Neapel angemeldet und drohte, mit einem Heer nach Italien und durch den Kirchenstaat zu marschieren. Der Papst monierte die Erhebung Cola di Rienzos zum Tribunus Augustus. Er entsandte einen Legaten nach Rom, der von Rienzo forderte, die Entscheidung rückgängig zu machen. Doch der widersetzte sich.
Der Adel sah seine Stunde als gekommen an. Er rüstete ein Heer gegen Rienzo, der sich in die Stadt zurückgezogen hatte. Vor der Porta San Lorenzo kam es zur Schlacht. Der Adel erlitt eine bittere Niederlage. Mehrere Colonna verloren ihr Leben.
Doch Rienzo gewann trotz des Sieges nicht die Unterstützung des Papstes zurück. Die Folge war, dass auch die Städte und Fürsten Italiens außerhalb des Kirchenstaates ihm die Gefolgschaft kündigten. Rienzo verfiel in Endzeitstimmung und dankte ab.
Für Petrarca bedeutete die enthusiastische Unterstützung Rienzos das Ende seiner Beziehung zu Giovanni Colonna. Petrarca kündigte dem Kardinal seinen Dienst. Er teilte ihm mit, er müsse nach Italien zurück. In Stunden der Not müsse er Rom beistehen. Er ging jedoch nicht nach Rom, sondern zunächst nach Mailand, dann nach Venedig und landete schließlich in Arquà bei Padua.
„Ich bemühe mich in jeder Hinsicht darum, dass sich nichts mit meinen wichtigen Angelegenheiten überkreuzt, abgesehen von den Bedürfnissen meiner herrischen Natur, das heißt: Schlafen, Essen, eine kurze bescheidene Erholung, die dazu dient, den Körper zu stärken und den Geist zu erfrischen. Bei der Zeitknappheit folge ich Augustus und pflege, während ich mich kämme oder rasiere, zu lesen oder zu schreiben. Manchmal jedoch rebelliert der Geist, meutern die Augen, die mir einstmals in meiner Eitelkeit gefallen haben. Wenn ich mich dann vom häufigen Nachtwachen angestrengt und mit schwarzen Ringen unter den Augen im Spiegel betrachte, wundere ich mich, und frage mich, ob ich das bin.“
Petrarca hatte das 68ste Lebensjahr erreicht und lebte in einem Landhaus in Arquà bei Padua. Er hatte eine Zeitlang in Mailand gewohnt, wo er für den Herrscher der Stadt, den Erzbischof Giovanni Visconti, einige diplomatische Missionen erledigte. Eine solche führte ihn nach Paris zum französischen König, eine andere nach Prag zum Kaiser, wieder eine andere zum Dogen von Venedig. Bei dieser Gelegenheit hatte er ein Abkommen getroffen, dass dem Dom von San Marco die Sammlung seiner Bücher und sein Schatz antiker Schriften vermacht werden sollte. In die Nähe des vor den Toren Venedigs liegenden Padua hatte es ihn verschlagen, weil er sich wegen einer Krankheit in die Behandlung von Ärzten der dortigen Universität begeben musste, zu denen er Vertrauen gefasst hatte. Ein weiterer Grund war, dass zwischen Padua und Arquà der Ort Abano lag, dessen Bäder er gern besuchte. Bei ihm im Haus lebte seine älteste Tochter mit ihrer Familie, er fühlte sich behütet und dem Alter entsprechend wohl. Trotz wegen Krankheit erzwungener Kontaktaufnahme zu Ärzten und Vertrauen zu den ihn behandelnden Ärzten hielt er von diesem Berufsstand immer noch nichts:
„Sie wissen, wie viel Haare der Löwe auf dem Kopf, wie viel Federn der Falke am Schwanz hat. Wenn es dann schließlich wahr wäre, trüge es nichts zu einem glücklichen Leben bei.“
Zu der vielfältigen dichterischen Arbeit, der er sich auch jetzt noch den ganzen Tag widmet, gehört auch die Überarbeitung seiner zahllosen Gedichte, insbesondere auch jene an die Adresse einer Dame namens Laura, die seine Liebe nicht erwiderte, an die er aber bis zu ihrem Tod 263 und nach ihrem Tod 102 Canzonette schrieb. Da es immer eine Laura war, an die er seine hoffnungslosen Liebeshymnen richtete, eine imaginäre Person, die niemand kannte, ging das Gerücht, es gäbe sie gar nicht. Gleich ob es sie gab oder nicht, es waren ergreifende Gedichte, die stilprägend für folgende Jahrhunderte und für die Etablierung des Humanismus wurden. Hier zwei Beispiele:
Gepriesen sei der Tag, der Mond, das Jahr,
die Jahreszeit, der Augenblick,
das schöne Land, der Ort, da mein Geschick
sich unterwarf ein schönes Augenpaar.
Gepriesen sei die erste süße Qual,
die Strahlen ihrer Blicke, die mich bezwangen,
die Pfeile Amors, die mein Herz durchdrangen,
die Herzenswunden, tief ohne Zahl.
Gepriesen seien die Stimmen, die im Leeren
verhallen, nach ihr rufend, dort und hier
das Seufzen, Weinen, Bitten und Begehren.
Gepriesen seien Federn und Papier
die ihren Ruhm verkünden und die schweren
Gedanken, die ihr nah sind, einzig ihr.
Nach seinem Tod erfuhr die Welt, dass er in einer intimen Beziehung zwei Töchter gezeugt hatte. Die Dame Laura lebte doch nicht nur in seiner Phantasie, sondern besaß Fleisch und Blut. Als sie starb, schrieb er folgendes ebenso schöne Gedicht:
Zerbrochene Säule, Lorbeer schwarz vom Frost,
sie gaben Schatten meinen müden Sinnen.
Verloren, ach, was nie mehr zu gewinnen,
in Nord und Süd nicht, nicht in Ost und West.
Weg reißt der Tod mir, was mir doppelt hold,
was mich beglückt hat und mein Herz erhoben.
Nichts kann mir retten, was mir so zerstoben,
kein Mächtiger dieser Welt noch Stein und Gold.
Doch will das Schicksal mir noch gütig sein
so will ich meiner Trauer ganz gehören,
mit Augen, die nicht trocknen, schwerem Blick.
Oh unser Leben, allzu schöner Schein,
wie leicht kann schon ein Augenblick zerstören
das schwer in langer Zeit erworbene Glück.
Petrarca war ein Dichter und Schwärmer für das antike Rom. Ohne ihn wären Humanismus und Renaissance nicht denkbar.
Petrarca gilt als der Begründer des Humanismus, nicht im Sinne ethischer Menschlichkeit, sondern der Betonung menschlichen Selbstbewusstseins, der Hervorhebung der Persönlichkeit, der Eigenverantwortlichkeit seines Handelns entsprechend dem antiken Vorbild unter Abstreifung katholisch-scholastischer Stringens. Zeitgenossen Petrarcas waren die Dichter Dante Alighiere (1265 – 1321) und Giovanni Bocaccio (1313 - 1375). Beide waren Dichter seines Formates, jedoch von geringerem Eifer in der Wiederbelebung der Antike. In ihrem Selbstbewusstsein, mit dem sie ihre Umgebung wirklichkeitsnah zum Gegenstand ihrer Werke machten, zeigten sie sich jedoch als Gestalter der neuen Zeit.
Die heidnischen Gedanken der drei Dichter erschienen zunächst als Gegensatz zum Christentum. Niccolo Machiavelli, der Dichter, der zu den Zeiten der Hochrenaissance, ein Jahrhundert später, den reichlich rücksichtslosen Fürsten als Vorbild für den Renaissanceherrscher empfahl, hatte diese drei Dichter gewiss gelesen. Ihre Dichtung galt ihm als Vorbild, aber nur teilweise. Ihre christlichen Gedanken der Nächstenliebe und Barmherzigkeit, die andere Seite der Medaille des Humanismus, wird ihm nicht gefallen haben, das Credo der drei Dichter, dass der Wert des Menschen entsprechend dem Vorbild der antiken Griechen in der freien, aber maßvollen Entfaltung der Persönlichkeit liege, dagegen sehr. Dieses Ideal führte zu einem Umdenken in Glaubensdingen, in der Wissenschaft, Kunst und Literatur.
Was geschah, glich einer Explosion menschlicher Kreativität. Die Begeisterung für das neue Denken fegte wie ein Sturm über Europa. Von Italien gelangte es zunächst nach Frankreich. Im Heiligen Römischen Reich wurde es zunächst am heftigsten in Südtirol und am Hofe Ludwigs des Bayern diskutiert. Auch am Kaiserhof in Prag entstand ein entsprechender Gesprächskreis. Ihm gehörten Johann von Neumarkt an, der mit Petrarca befreundet war, und Johannes Tepl, der den „Ackermann aus Böhmen“ verfasste, ein im ganzen Reich vielbeachtetes Buch, ein Dialog zwischen dem Ackermann und dem Tod. Der Ackermann streitet für sein Leben, der Tod für seine Aufgabe, das Tor zum Paradies zu öffnen. Das Buch stellte eine Wiederbelebung der Dialoge des Sokrates dar. Und die Aufnahme des Fehdehandschuhs gegen die Scholastik, für die der Tod ein nicht zu diskutierendes Heil war.
Das neue Denken gelangte im Norden des Reiches in die Niederlande. Es hielt Einzug in England, Schottland, Dänemark und Schweden.
Große Denker machten sich das humanistische Denken zu eigen, in Holland Erasmus von Rotterdam, in England Thomas Morus.
In Deutschland traute sich ein Augustinermönch aus Wittenberg Rom zu trotzen und eine neue Glaubensrichtung zu etablieren, die sich nicht auf Anweisungen des Vatikans stützte, sondern auf die Bibel, die er in die deutsche Sprache übersetzte: Martin Luther.