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Pioggio Braccolino
ОглавлениеEiner der von Petrarcas Antikenfieber Angesteckten war der Florentiner Francesco Pioggio Braccolino. Wie Petraca wurde er zum Jäger antiker Schriften. Unter den vielen Skripten des römischen Altertums, die er entdeckte, war eines von ganz besonderer Bedeutung. Es war das Werk „De rerum natura“ des Titus Lukretius Carus, heute bekannt als Lukrez. Entdeckt hat Pioggio es in einem Kloster in Fulda im Jahre 1417.
Wegen der Faszination des Papiers sei sein Inhalt vorangestellt:
Alles auf dieser Welt ist aus Teilchen zusammengesetzt. Lukrez nennt sie Keime.
Die Teilchen sind ewig.
Die Teilchen sind unendlich an der Zahl, aber jedes einzelne Teil in Gestalt und Größe begrenzt.
Die Teilchen bewegen sich in unendlicher Leere. Das Universum hat keinen Schöpfer oder Designer.
Alle Dinge entstehen infolge geringer Abweichungen.
Die Natur experimentiert unaufhörlich.
Das Universum wurde weder wegen des Menschen noch für ihn geschaffen.
Der Mensch ist nicht der Pol, um den sich alles dreht.
Der Mensch ist nicht einzigartig.
Der Mensch hat begonnen mit dem Kampf um sein Überleben.
Die Seele ist sterblich.
Es gibt kein Leben nach dem Tod.
Alle Religionen sind organisierte Täuschungen.
Religionen sind allesamt grausam.
Es gibt keine Dämonen, Engel oder Geister.
Das höchste Ziel des Menschen ist die Vermeidung von Leiden.
Nicht Leid ist das größte Hindernis für ein angenehmes Leben, sondern Täuschung und Enttäuschung.
Das Verstehen der Dinge weckt großes Staunen.
Es kann Götter geben. Aber wenn sie denn wirklich Götter sind, leben sie in himmlischen Sphären unter sich und kümmern sich nicht um den Menschen.
So einfach und doch so viele Fragen. Das Buch „Über die Natur der Dinge“ ist siebentausendvierhundert Verse lang, enthält Betrachtungen über Religion, Freud, Leid und Tod, Theorien zur natürlichen Welt, zur menschlichen Gesellschaft. Es stellt ein großes Werk der Philosophie und der Dichtung dar.
Ihr Verfasser Lukrez lebte von 97 bis 55 v. Chr.. in Italien, eine kurze Lebensspanne von 42 Jahren. Dann verfiel er dem Wahnsinn.
Der Entdecker seines Werkes Pioggio wurde 1380 in Arezzo geboren, er starb 1459 in Florenz. Er sah sich als führenden Humanisten, war von 1453 bis 1458 Kanzler von Florenz, Verfasser moralphilosophischer Traktate in lateinischer Sprache. Aber sein wirkungsmächtigstes Werk war ohne Zweifel die Wiederentdeckung von Lukrez' Werk „De rerum natura“.
1415 verlor er auf dem Konzil zu Konstanz seinen Posten als Berater des Papstes Johannes XXIII., nachdem dieser, aus dem Seeräubergeschlecht Gossa stammend, als Kirchenoberhaupt abgewählt und mit Schimpf und Schande fortgejagt worden war. Aber der nun arbeitslose Pioggio besaß Gönner, die ihm finanziell ermöglichten, seine berufliche Freistellung dazu zu nutzen, in den Bibliotheken von Klöstern nördlich der Alpen nach antiken Schriften zu fahnden.
Die Mönche in Fulda weigerten sich, das von Pioggio entdeckte Werk des Lukrez herauszugeben. Pioggio musste einen deutschen Kalligraphen finden, der es für ihn abschrieb. Das abgeschriebene Werk schickte er an einen Freund, den Florentiner Nicolo Nicoli, der es ein weiteres Mal abschrieb. Die beiden Abschriften waren Grundlage weiterer Abschriften, von denen etwa 50 bis heute erhalten sind. Nach Erfindung der Buchdruckerkunst 1444 verbreitete sich das Werk schnell in ganz Europa.
Die Kirche verbot es zunächst nicht. Seine Brisanz wurde nicht erkannt. Das Werk wurde als großartige Dichtung wahrgenommen, deren Inhalt fremdartig oder kurios erschien, für keinen vernünftigen Christen akzeptabel. Der Verfasser sei dem Wahnsinn verfallen gewesen, verbreitete sie. Aber das Werk weckte in philosophischen, schriftstellerischen Kreisen, unter Mathematikern und Physikern Interesse und wurde diskutiert.
1419 nahm Pioggio eine Stelle beim Bischof von Winchester, Henry Beaufort, an. Dieser hatte die englische Delegation auf dem Konzil von Konstanz geleitet. Dort hatte er Pioggio kennengelernt.
Auch in England machte sich Pioggio auf die Suche nach antiken Schriften, wurde aber nicht fündig. Nach vier Jahren kehrte er zurück auf den Kontinent, um dort weiter solchen Schriften hinterherzujagen. Mit Erfolg. Als er 1459 starb, galt er als der erfolgreichste Sammler antiker Schriften.