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Nicolaus Cusanus

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Kaum 27 Jahre vergingen, bis nach dem Tod Petrarcas 1374 ein anderer großer Geist der damaligen Zeit geboren wurde, ein Theologe und Philosoph, der die geistige Grundlage für eine Befreiung der Menschen aus den Fesseln kirchlichen scholastischen Denkens legen sollte: Nikolaus von Kues oder mit lateinischem Namen: Nicolaus Cusanus. 1401 in Castell-Kues an der Mosel geboren, Jurist, Philosoph, 1436 in den Dominikanerorden eingetreten, seit 1448 Kurienkardinal, schuf den philosophischen und theologischen Unterbau für das Denkgebäude der Renaissance. Der Gott als Ebenbild des Menschen sei nur eine Perspektive, verkündete er. Es gebe weitere Perspektiven. Doch jede der Perspektiven gleiche der anderen in ihrer Unvollkommenheit; der Mensch könne nicht anders als menschlich urteilen. Reichtum und Vielfalt von Perspektiven sei erforderlich; erst ihre Gesamtheit vermittle ein annähernd wirkliches Gottesbild.

Ihm kurze Zeit später nachfolgende Philosophen standen ihm mit ihren Theorien bei: Marsilius Ficinus aus Florenz fügte der Philosophie von Cusanus hinzu, die menschliche Seele sei ein Mikrokosmos, der sich dem Makrokosmos entgegen drehe. Wollen und Wirken der Seele steuere diese Bewegung. Der Mensch als Grenzwesen zwischen Makro- und Mikrokosmos stehe im Zentrum der Welt.

Rico de Mirandola, ebenfalls ein Mann der Florentiner Schule, fasste es in einer schnell berühmt gewordenen Rede über die Würde des Menschen so zusammen: Gott habe den Menschen weder als einen Himmlischen noch einen Irdischen geschaffen, sondern als eigenen vollkommenen freien Bildhauer, der seine Form selbst bestimme, in der er zu leben wünsche. Es stehe ihm frei, zum Vieh zu entarten, ebenso wie in die höhere Welt des Göttlichen sich zu erheben.

Statt einen ihm mehrmals angebotenen Lehrstuhl an der Universität Löwen anzunehmen, wurde Cusanus Anwalt in Trier und Sekretär des dortigen Erzbischofs. Dieser schickte ihn als Vertreter des Erzbistums Trier zum Konzil nach Basel. Cusanus nahm diese Aufgabe gerne wahr. Er misstraute der römischen Zentralgewalt, die mit ihrer Mehrheit jüngst auf dem Konzil von Konstanz den böhmischen Reformator Johannes Huss auf den Scheiterhaufen geschickt hatte. Wie konnte man in der Gewissheit der Richtigkeit des eigenen Glaubens jemanden verbrennen, der andere Ansichten hatte! Als auf dem Konzil ein Streit ausbrach, wer die höchste Instanz der Kirche sei, das Konzil oder der Papst, stand er zunächst auf der Seite der Konzilspartei. Im Laufe des Konzils änderte er jedoch seine Meinung. Ihm war an der Einheit der Kirche gelegen. Nur ein starker Papst könne diese gewährleisten, allerdings kein Papst im scholastischem Gewand, sondern ein Papst, der unter einer gewährten Vielfalt der Gedanken die Einheit gewährte. Cusanus wechselte die Fronten und trat der Papstpartei bei. Er glaubte, dass die Scholastik in Rom an Boden verlieren werde. Er sollte belohnt werden: Papst Nicolaus V. rief ihn nach Rom und ernannte ihn 1448 zum Kardinal. 1458 bestieg der Dichter und Humanist Enea Silvio Piccolomini, ein Freund von Cusanus, den Stuhl Petri. Cusanus wurde zum obersten Diplomaten des Papstes ernannt. Auf einer Reise nach Venedig, die der Vorbereitung eines Feldzuges gegen die Türken dienen sollte, starb er 1464 in Todi.

Cusanus war nicht nur einer der bekanntesten Kurienkardinäle und als solcher in Kirchenkreisen eine Größe, sondern in der geistigen Elite seiner Zeit bestens bekannt. Seine Werke wurden gelesen, seine Schrift „De docta irgnorantia“ war jedem Gelehrten und geistig Interessierten geläufig. Ihre Aussage, dass alle Metaphysik „gelehrte Unwissenheit“ und Gott als der Unbegreifbare auf begreifliche Weise nicht zugänglich sei, entzog der Scholastik, die von dem festen Gottesbild in Menschengestalt, einem allmächtigen gütigen Gott ausging, den Boden.

Die ersten, die das beherzigten, waren die Päpste. Sie zogen die größten Architekten, Bildhauer, Maler der Zeit an ihren Hof. Rom wurde neben dem Florenz der Mediceer das geistige und künstlerische Zentrum Europas. Die Begleiterscheinungen waren Vetternwirtschaft, Zügellosigkeit und Sittenlosigkeit. Erst das Konzil von Trient setzte diesen Auswüchsen ein Ende. Aber: Es hatte eine Befreiung stattgefunden.

Die Entfesselung der Abendländer

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