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3. Ausland light

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Heumann fand den Schober langsam unheimlich. 'Den muss ich wegloben, sonst falle ich dem auch bald zum Opfer, der geht über Leichen', dachte er. Als er von einer freien Stelle bei der Tochtergesellschaft in Paris hörte, suchte er nach einem Vorwand, um die Idee des Transfers von Schober nach Frankreich bei Unterholzer zu lancieren.

"Man könnte sagen, es sei zu früh", begann er, "andererseits hat die Effektivität von Schober gerade in Personaldingen gezeigt, er ist zu Führungsaufgaben prädestiniert. Da Auslandserfahrung ja eine Voraussetzung für die interne Karriere ist, denke ich, man sollte die Gelegenheit dieser Vakanz in Paris nutzen…." er senkte die Stimme und wartete auf eine Reaktion Unterholzers.

Der war in Gedanken gerade ganz anders beschäftigt, er dachte an seinen nächsten Firmenwagen, es gab da den neuen Siebener, mal was anderes als immer nur Benz, deshalb antwortete er eher uninteressiert: "Ja, Auslandsaufenthalt, mhh, ja, nicht schlecht."

"Dann kann ich davon ausgehen, Sie sind einverstanden?"

Jetzt wurde Unterholzer wieder wach: "Was meinten Sie präzise?" fragte er nach.

"Es erscheint mir eine gute Gelegenheit den Dr. Schober auf der freien Position in Paris Auslandserfahrung sammeln zu lassen, Sie haben doch eben positiv reagiert, oder nicht?"

Unterholzer hatte schon einen anderen Kandidaten ins Auge gefasst, daran dachte er kurz. Gegenüber Heumann wollte er sich aber weder unkonzentriert, noch sich selbst widersprechend zeigen – das wäre ja noch schöner – deshalb stimmte er Heumann zu. "Ja, das ist ein guter Vorschlag, ich sagte ja selbst schon, der Schober hat das Zeug für höhere Aufgaben!"

Schober war nicht sehr überrascht, als er von Heumann über die mögliche Versetzung informiert wurde, er hatte ja oft genug sein Interesse an einer Karriere außerhalb der Forschung laut geäußert. Die Aufgabe bei Krauth war sichtlich kaum geeignet sich zu profilieren, denn ohne das Geld vom BMFT wäre das Thema vermutlich schon als ziemlich aussichtslos beerdigt worden. Es war sinnvoll, zeitig die Kurve zu kratzen, denn es bestand die Gefahr, mit dem Misserfolg direkt in Verbindung gebracht zu werden. Überrascht war Schober nur über den Ort und die Aufgabe.

"Paris ist nicht unbedingt der ideale Standort für mich. Ich hatte eher an die USA gedacht, dort haben wir Werke und eine Vertrieb, der könnte ich meine Englischkenntnisse weiter ausbauen. Französisch kann ich nicht. Das gab es bei uns in der Schule nicht", sagte er entschuldigend zu Heumann. Er hatte es abgewählt, um präzise zu sein. Sein Vater hatte ihm ein paar französische Zeilen vorgelesen und der Unterschied zwischen Schreibweise und Aussprache war ernüchternd groß. So etwas lernen, das ist eine Zumutung, hatte er gedacht.

"Ach, das kann man lernen", meinte Heumann, "Außerdem, so wie ich es verstanden habe, ist Ihre Position wäre in erster Line eine Verbindungsaufgabe. Sie wissen, wir haben den Laden gerade übernommen und es ist wichtig, Verfahren und Qualitäten abzugleichen und die Analysenstandards zu vereinheitlichen. Ein wenig französisch müssen Sie reden, aber nichts schreiben. Sie haben dafür zu sorgen, dass die entsprechenden Kollegen zusammenkommen und das Prozedere dazu sich nicht allzu lange hinzieht. Gerade da sehe ich Sie hervorragend positioniert. Ihre rasche Auffassungsgabe und Ihre Dynamik werden dort gebraucht, um das Personal zu aktivieren!" Heumann war sich sicher, das hörte der Schober gern.

Trotzdem sprach Schober sofort auch das Thema Umzug an: "Es gibt da ein kleines Problem. Wir haben gerade ein passendes Haus gekauft, um aus der Mietwohnung heraus zu kommen. Eingezogen sind wir noch nicht, es wird erst in fünf Monaten frei sein. So Anfang November. Meine Frau hätte sicher ein Problem mit dem Wechsel zu diesem Zeitpunkt."

"Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie umziehen müssen, Paris ist doch um die Ecke. Sie können sicher alle zwei Wochen über das Wochenende heimfliegen. Ganz abgesehen davon, Ihre Koordinierungsaufgabe führt vermutlich sowieso zu vielen Reisen zwischen Paris und Frankfurt. Ich kann mir sehr gut vorstellen, Sie sind nahezu jedes Wochenende zuhause. Sie müssen doch nur Ihre Termine entsprechend legen." Heumann gab sich alle Mühe, die neue Aufgabe gut aussehen zu lassen. Er fuhr fort: "Sie sollten zunächst mal einen Kurs französisch belegen, fragen Sie mal bei unserer Mitarbeiterförderung nach. Die bieten Kurse mit drei oder vier Wochen Aufenthaltsdauer an der Côte d'Azur an. Das wird sicher sehr schön für Sie! Holen Sie zur letzten Woche doch Ihre Familie nach!"

Schober fuhr in Gedanken nach Hause. Beinahe hätte er eine rote Fußgängerampel überfahren. Zum Glück trug die alte Schachtel, die ihr Fahrrad schob, so auffällig bunte Klamotten, dass sie ihm gerade noch auffiel. Als er mit quietschenden Reifen zum Stehen kam rief sie: "Rowdy!" Er war so perplex, er hob sogar entschuldigend die Hand. Nicht wie sonst, dachte er. Normalerweise hätte er zurückgeschimpft. 'Mit meinen wachsenden sozialen Status, kann ich in solchen kleinen Dingen jetzt hin und wieder Großzügigkeit zeigen', dachte er.

Zu Elsbeth sagte er "Ich habe zwei interessante Nachrichten, welche willst Du zuerst hören?"

"Die interessantere, natürlich", antwortete sie.

"Das hängt jetzt davon ab, was Du für interessant hältst", Schober versuchte abzuwägen. Dann entschied er sich für seine Karriere und gegen den Umzug ins neue Haus in seiner Abwesenheit: "Also, ich mache den nächsten Sprung nach oben auf meiner Karriereleiter, ich gehe nach Paris in unsere neue Filiale."

Elsbeth blieb die Spucke weg. "Willst Du mich aufziehen? Was soll denn das?"

Schober sah sich genötigt, doch etwas mehr zu erklären: "Du wirst demnächst unter der Woche mit Jasmin öfter alleine sein. Ich mache den für meine Karriere unbedingt erforderlichen Auslandsaufenthalt nämlich in Paris. Deshalb kann ich jedes Wochenende zuhause sein."

Elsbeth begann zu protestieren: "Wieso kommt das jetzt? Genau dann, wenn wir eigentlich ins eigene Haus ziehen wollen? Wer denkt sich denn so was aus?"

Schober dachte, 'mein Gott, sieht sie denn nicht, das ist unumgänglich für meinen Aufstieg? Diese Frau ist einfach egozentrisch! Immer muss es nur um sie gehen. Wenn ich aufsteige, dann geht sie doch mit, sie steht direkt neben mir mit im Licht!'

Er begann zu erklären: "Jetzt beruhig Dich erst mal. Das wird alles ganz toll. Es ist ein Kick für meine Karriere schon jetzt, nach nicht mal vier Jahren, ins Ausland zu gehen. Und Ausland heißt in diesem Fall nur Paris, das ist doch ganz nah. Ich soll im Oktober dort anfangen, das gibt uns viel Zeit noch etwas vorzubereiten. Wir können in unser Haus einziehen, wie geplant."

"Ich finde trotzdem, das ist ein Witz. Warum sagt Dir das keiner vorher? Die haben eine Planung in Deiner Firma, unter aller Kanone!"

"Also selbst in einer so großen Firma gibt es plötzliche Vakanzen. Da musste ich einfach zugreifen. Forschung ist etwas, das lass ich jetzt hinter mir, jetzt geht es voran mit den Dingen, die wirklich zählen. Stell Dir vor: Ich soll zwischen den französischen und den deutschen Kollegen vermitteln. Was mit Menschen, verstehst Du. Und da bin ich doch wirklich gut! Ich kann mit Menschen!" Er sah seine Frau fordern an.

Elsbeth sah zweifelnd zurück. Aber da das nicht das Thema war, dies war eindeutig der geplante Umzug, beschränkte sie ihre Äußerungen auf dieses Gebiet: "Jetzt ist mir das neue Haus aber wirklich zu groß. Ich hatte ja schon immer das Gefühl, es sei zu groß für uns. Stell dir mal vor, 250 Quadratmeter für mich und Jasmin, das ist einfach zu viel!"

"Das siehst Du falsch", Schober wollte die Diskussion über die Größe des Hauses nicht schon wieder begonnen. "Du weißt doch genau, das war ein Schnäppchen, dieses Haus. Wir brauchen etwas Repräsentatives. Etwas, mit dem wir auch in Zukunft noch zufrieden sind und das uns nicht zu klein vorkommt. Jasmin wird in wenigen Jahren", Schober wusste, hier übertrieb er etwas, "sehr froh sein, die Einliegerwohnung zu beziehen. Und uns ist der schöne Platz vor dem offenen Kamin doch etwas wert, das sagst Du doch auch immer!"

Das Haus hatte lange zum Verkauf gestanden. Es war ein Objekt zum Herzeigen, es war das Haus eines inzwischen bankrotten Bauunternehmers, der wusste, was grossartig wirkt. Groß war nicht nur die Wohnfläche, groß war auch der Garten. Der Nachteil des Grundstücks war gleichzeitig ein Vorteil, es lag an der Bahn, der Bahnhof um die Ecke. Gut, es gab auch nachts Zugverkehr, es konnte schon laut werden. Dem konnte man aber positive Seiten abgewinnen, denn der Weg zur Arbeit in der Zentrale wurde dadurch prinzipiell erleichert. Schober war sicher, er würde bald in der Zentrale arbeiten. Das war der nächste Schritt nach dem Auslandsaufenthalt! Außerdem hatte das Haus einen riesigen, leeren Dachboden, hervorragend geeignet für sein Hobby, die Modelleisenbahn. Die war im Moment eingemottet, aber er würde zu gerne wieder Platz zum Gestalten einer neuen Anlage haben. Er fuhr fort: "Selbstverständlich werden ich den Rasen mähen, wenn ich am Wochenende komme. Du wirst nicht ständig allein sein!" Elsbeths Begeisterung hielt sich in Grenzen. Sie sah aber ein, das Anwesen war eindrucksvoll. Angst vor dem Alleinsein hatte sie nicht, es gab immer etwas zu tun.

Schober fand Südfrankreich im Juni sehr schön, nicht aber den Sprachkurs, diese Sprache war doch kompliziert. Jedenfalls schwieriger, als er gedacht hatte. Da er etwas lernen sollte, blieb er komplette vier Wochen, um dann im Sommer seine Zeit bei Krauth zu beenden. Er war froh diesen Herrn und das unbefriedigende Thema hinter sich zu lassen. Die letzten Wochen in der Forschung wurden zusätzlich durch Urlaub verkürzt. Das war aber auch anstrengend, fand er. Ein Familienmensch war er wohl nicht. Das nervte, dieses Herumwandern am Strand. Sylt musste sein, obwohl er nicht wirklich flüssig war. Elsbeth hatte bei der Innenausstattung der Bäder und Küche einfach einen zu kostspieligen Geschmack. Er würde eben mehr Geld verdienen und die Steuerersparnis durch die Tätigkeit im Ausland wurde kurzerhand im Bau verplant.

Als er Anfang Oktober in Paris seine neue Aufgabe antrat, zeigte sich bald, wirklich viel Französisch reden musste er nicht. Seine Sekretärin, Mme. d'Aubigné sprach gut Deutsch und die Kollegen wurden zu Englisch als Kommunikationssprache verpflichtet. Mit den Kollegen kam er gut aus, die Arbeit brauchte nur richtig delegiert werden, da er von den Details nichts verstand, genügte es ihm, von Zeit zu Zeit mehr Geschwindigkeit anzumahnen und die deutsche Seite gegen die französische – und umgekehrt – auszuspielen. Wenn es zu sichtbaren leichten Problemen kam, konnte er dann gut den Moderator spielen und Wogen glätten. Letztlich ging es nur darum Standards zu vereinheitlichen und Qualitätskriterien zuerst zu definieren und dann zu garantieren.

Im November durfte er zum Umzug Urlaub nehmen. Spaß war das keiner, überall stand etwas Zeug herum, zum Glück war das Haus ja wirklich riesig. Schober war als Handwerker gefordert. Lampen aufhängen ging ja noch, da konnte er auf der Leiter stehen. Schränke aufbauen war nicht schön, wenn man zu klein war, um Seitenteile und Oberteil eines Möbelstücks gleichzeitig zu halten. Aber es war notwendig, das selbst zu machen, er war nicht so liquide, um sich einen Umzugsservice zu leisten.

Die Lösung mit dem Heimflug am Wochenende funktionierte gut. In den ersten Monaten, es war Winter, gab es einige Verspätungen, aber das ließ sich verschmerzen. Er hatte bald so viele Flüge, dass es für die lounge reichte, dort war Warten angenehm. Das Wetter war auch in Paris im Winter nicht besser als in Frankfurt. Er schaffte es, viele Sitzungen ans Wochenende anzulehnen. Dann musste er erst Dienstag oder Mittwoch wieder nach Paris oder flog schon am Donnerstag zurück. Das Appartement in Paris war nicht toll, nur toll teuer, aber das zahlte die Firma. Es war eine einfache Lösung, spät ins Büro zu kommen und lange zu bleiben. Es sah nach großer Arbeitsbereitschaft aus, aber erhatte ja am Abend nichts zu tun, außer alleine vor dem Fernseher zu sitzen.

Besucher aus der Zentrale oder von den Standorten waren eine sehr willkommende Abwechslung. Als es Frühling wurde, konnte er sie auf Firmenkosten auf den bateaux-mouches bewirten. Das machte networking einfach, Schober lud einfach jeden ein, der Interesse zeigte und fragte. Es war eine gute Möglichkeit in der Firma bekannt zu werden und Bekannte zu machen.

Da Paris ja eine Reise wert ist, gab es viel Besuch aus der eigenen Firma. Beim Standortchef traf er eines Tages Dr. Hohlenberger, Mitglied des Vorstandes. Esging in erster Linie darum, vor dem Mittagessen etwas small talk zu machen, das heißt die Zeit totzuschlagen, bis man endlich nach dem Rundgang durch den Betrieb zum Essen gehen konnte. Schober erkannte, er wurde nicht eingeladen, damit er sich vorstellen konnte, sondern weil es dem Chef darum ging, die Zeit zu füllen. Er begann von seinen Kundenkontakten in Frankreich zu berichten, viele hatte er ja nicht gehabt. Allerdings war ein ziemlich großer Konzern darunter, den Hohlenberger offenbar nicht kannte. Schober versuchte zu erklären: "Das ist ein breit aufgestellter Mischkonzern mit sehr unterschiedlichen Bereichen. Chemie, Metalle bis hin zur Bauindustrie. Deshalb ist das auch eine große Firma mit sehr vielen Mitarbeitern. Insgesamt arbeiten für die fast 20.000 Menschen."

Hohlenberger war nicht wirklich beeindruckt: "Sie meinen, die zahlen 20.000 Gehälter, wie viele dort arbeiten, das weiß man doch nicht genau!" Und er lachte herzhaft über sein bonmot. Schober lachte pflichtschuldig mit und dachte: 'Also eines wird mir erneut klar, der Vorstand kocht wirklich nur normales Wasser. Was der kann, das kann ich auch!'

Das Mittagessen verstärkte Schobers Eindruck. Hohlenberger war nach Paris gekommen, um 'nach dem Rechten zu sehen' und sich bestätigen zu lassen, alles sei in bester Ordnung. Von Dingen, die ernsthaft über die sightseeing tour hinausgingen, war nichts zu bemerken. 'Wer erst mal so hoch gekommen ist, hat es wirklich geschafft', dachte Schober. 'Der muss nur noch Ziele vorgeben und andere müssen sie erreichen. Dafür gibt's dann auch noch Bonus. Toll, da will ich hin!' Klar war ihm, auf dem Weg nach oben war es wichtig, positiv aufzufallen. Hohlenberger machte ein paar Bemerkungen über einen nicht näher bezeichnete Manager, der ihn 'enttäuscht' hätte.

"Stellen Sie sich vor", sagte Hohlenberger zwischen Vorspeise und Hauptgang, "da sagt der mir doch glatt, das für seinen Bereich geplante Ergebnis sei nicht erreichbar und der vorgesehene Personalabbau nicht realistisch!" Er blickte um Zustimmung heischend in die Runde: "Es sieht leider so aus, als hätten wir mit dieser Beförderung eine weniger glückliche Entscheidung getroffen. Nun, vielleicht war die Aufgabe doch zu groß für ihn. Die Versetzung in ein anderes Geschäftsgebiet mit einer Aufbauarbeit in Übersee ist die sinnvolle Lösung dieses Problems." Die allgemeine Zustimmung der Runde war ihm sicher. Schober merkte, es war weitaus wichtiger, nicht negativ aufzufallen, als Erfolge vorzuweisen. Gute Ergebnisse sind normal, deshalb werden sie erwartet, wer schlechte Nachrichten bringt, muss dafür bestraft werden.

Etwas anderes wurde ihm auch klar, es war falsch zu kreativ zu sein. Hohlenberger erklärte das während des Espresso: "Das sage ich Ihnen jetzt mal ganz im Vertrauen: Da hat doch vor kurzem der Kisch aus der Forschung einen Anspruch auf die Nachfolge von Heumann angedeutet. Keine Frage, erfolgreich als Forscher ist der Kisch schon, klasse Ideen, gute Patente. Aber der ist schon etwas durchgeknallt, der fährt mit dem Fahrrad zur Arbeit, trägt keine Krawatte, kein Jackett, sondern Pullover und vertritt esoterische Ideen. Den können wir uns doch nicht als Aushängeschild unserer Forschung leisten!" Er lachte empört auf: "Stellen sie sich so einen Typen mal als Vertreter unseres Unternehmens bei einer Veranstaltung des VCI vor. Nein, das geht gar nicht. Da kann ich mir eher den Prof. Krauth vorstellen, der hat Auftreten, der kann darstellen, der repräsentiert uns bei einer GDCh-Tagung."

Schober wurde deutlich, es ging darum, wie man rüberkommt und welche Erwartungen die oben haben. Wer schon oben ist, findet sich selbst gut und wenn dann ein Anderer so komplett unterschiedlich ist, dann ist das schon irritierend, oder schlicht weniger gut. Wenn man den befördern würde, dann könnte der zu einem Problem werden! Das Risiko ist hoch, vielleicht zu hoch? Menschen wie Hohlenberger wollen nicht irritiert werden! Schober hatte verstanden! Bemerkungen der Chefs über ihre Bereitschaft Ungewöhnliches zu fördern, oder sogar zu suchen, sind reine Lippenbekenntnisse.


Zur Frage von Frauen in Führungspositionen hatte Hohlenberger eine ebenso erleuchtende Aussage: "Selbstverständlich wollen wir mehr Frauen in Führungspositionen. Es ist der klare Anspruch unseres Konzerns, mehr Frauen in Führungspositionen zu sehen. Stellen Sie sich doch nur mal vor, wie ein schönes décoleté oder ein derrière eine Veranstaltung schmückt." Zur Erläuterung dieses Standpunktes lachte er breit.

Beim Abendessen erzählte Hohlenberger von seinem Hobby, der Jagd. Er meinte: "Leider bleibt mir zu wenig Zeit für ein eigenes Revier. Das erfordert viel Pflege und damit Präsenz."

Schober war sehr interessiert, jagen fand er einen spannenden Zeitvertreib. Leider brauchte man dazu nicht nur, wie Hohlenberger sagte, viel Zeit, sondern auch einiges Geld. Er war bisher nur ab und zu eingeladen worden. Einer seiner Kameraden aus der Zeit bei der Bundeswehr kam aus einer Gegend mit einer Jagdgenossenschaft, da konnte man mit etwas Glück bei einer Treibjagd dabei sein. Als Jäger selbstverständlich. Schober sprach das vorsichtig an: "Ich hatte schon Gelegenheit zur Jagd auf Wildschweine, in Oberfranken. Das war sehr spannend. Eines hab ich erlegen können, ein glatter Blattschuss, auf 50 Meter Entfernung. Aber ich habe ja auch bei der Bundeswehr die goldene Schützenschnur problemlos erhalten!"

"Nun, das hört sich ja nicht schlecht an, mein Lieber", war Hohlenbergers Reaktion, "Sie sollten mal nach Kärnten in unser Werk kommen. Zum dem gehört nämlich eine Jagd, oben im Gebirge. Dort sitzt man nicht einfach herum und wartet auf Wildschweine, die einem vors Gewehr getrieben werden. Nein, man steigt stundenlang auf und sucht sich die Gams!"

"Das Werk besitzt eine Jagd?" Schobers Erstaunen war groß und ungeheuchelt.

"Selbstverständlich ist das ein wenig der Historie geschuldet", erläuterte Hohlenberger. "früher brauchten wir Elektrizität und dazu Wasserkraft. Da war es sinnvoll, auch das Land zu erwerben, das die Bäche versorgt. Heute ist das eine Sache, die wir weiterhin betreiben, zuerst für unsere guten Kunden. Es ist etwas Besonderes für viele Einkäufer, wenn wir sie zur Jagd einladen können und dürfen."

Hohlenberger lachte und ergänzte: "Natürlich darf deshalb nicht jeder Piefke aus der Zentrale bei uns auf die Hochalm zum Jagen, da sind wir schon besorgt um Qualität."

Nach dem dîner verabschiedete sich Hohlenberger, er habe noch etwas vor, bei dem er keine Begleiter benötige, war seine knappe Erläuterung. Schober war erfreut, seine letzte Erfahrung mit zusätzlichem entertainment nach dem Abendessen hatte er in nicht sehr guter Erinnerung. Damals hatten ihn seine französischen Kollegen überrumpelt. Sie luden ihn ein, als Begleitung zum Abendessen mitzugehen, der Einkäufer eines amerikanischen Unternehmens sei zur Unterschrift unter den Jahresliefervertrag gekommen. Das hörte sich ganz gut an, jedenfalls besser als im Appartement zu sitzen. Schober fragte, wie viele Personen am Essen teilnehmen würden und hörte 'cinq'. Schober war etwas überrascht, über die junge, stark dekolletierte Begleiterin von John Bishop. Bei der Vorstellung sagte sie nur 'Jeanette'. Er hielt sie zunächst für dessen sehr junge Ehefrau. Erst langsam reifte der Verdacht, dies könne eine Hostess sein. Gleich nach dem desert verabschiedeten sich seine beiden französischen Kollegen mit der Aussage, sie hätten am kommenden Tag eine Reise und müssten deshalb leider früh gehen. Sie wünschten Bishop und Schober noch einen schönen Abend.

Bishops gute Laune steigerte sich als Folge des Weingenusses und der Nähe seiner Begleitung, Jeanette. Er forderte Schober auf, mit in eine Bar zu gehen, 'to have more fun'. Zu Jeanette äußerte er die Bitte: "Couldn't you organize a friend of yours for our lonely companion? He really looks left out." Sie konnte. Die dunkelhäutige junge Dame, Charléne, erschien in der Bar und setzte sich ohne Umschweife zu Schober. Man sprach Englisch, trank champagne und hatte Spaß. Bishop verschwand mit seiner Begleitung in einem Séparée und winkte Schober, das Gleiche zu tun.

Schober war eher verschreckt, er ließ sich mitziehen und wurde noch verschreckter, als Charléne begann sich zu entkleiden. Sie war rasch fertig und stand, sich präsentierend, im String-Tanga vor ihm. Schober wusste nicht, wo er hinsehen sollte, er begann zu stottern. Das störte Charléne nicht, sie ergriff die Initiative, zog ihm Schlips und Jackett aus, lockerte den Gürtel und öffnete den Knopf. Die Hose fiel zu Boden, Schober kam sich sehr blöde vor, mit heruntergelassener Hose im Raum zu stehen, war weder elegant noch erotisch. Für Charléne war das kein Problem. Sie schob Schober in Richtung des Bettes und fragte: "Do you like a blow job?" Schobers Gefühl der Peinlichkeit schwand, als Charléne zugriff und ihm ein Kompliment machte: "Oh, that's a real big one", erklärte sie und begann ihn zu massieren. Schober kam ziemlich schnell, seine Erregung war zu stark. Charléne blieb professionell, sie lobte ihn für seine 'performance'.

Es gab mehr champagne, auch John tauchte wieder auf. Die Rechnung war beachtlich, Schober wurde erst mal blass. Na gut, erst mal die Firmenkreditkarte nutzen, dann mit cash den Rest erledigen. Man schickte die Damen nach Hause, im Taxi bedankte sich John: "It's always a pleasure doing business with you guys. I am very pleased with the service. We should try to organize meetings like this more frequently, not just once a year!" Schober stimmte zu, nicht ohne ein dummes Gefühl im Magen.

Am folgenden Tag ging er mit seiner Abrechnung zur Sekretärin, Madame d'Aubigné. Die sagte: "Oh la, la." Und dann "Sie 'atten Spaß Charles, oui? Wenn der Umsatz hoch genug ist, bestellen wir für unsere guten Kunden gerne hostesses bilingual!"

Schober war die Geschichte immer noch peinlich. Erst als er erkannte, bei ihr gab es keine Kritik an seinem Verhalten, solche Rechnungen waren offenbar nicht ungewöhnlich, begann er sich zu beruhigen. Trotzdem suchte er im Wörterbuch nach passenden Übersetzungen und ging zur Beichte. Das wollte er hinter sich haben, denn zuhause ging das überhaupt nicht! Dieses Erlebnis konnte er seinem Beichtvater im Dorf nicht erzählen. Der wäre sowas von geschockt, nein, unmöglich war das. Tabula rasa musste schon in Paris geschaffen werden. Es beruhigte ihn dann doch, der Priester sah kein wirkliches Problem. Ehebruch war es nicht, so ein blow job!

Im Frühsommer traf Schober bei einem Besuch in der Zentral zufällig vor dem Paternoster auf Seeberger. Der Paternoster war ein enges Gefährt, das rasche Reaktionen beim Ein- und Aussteigen verlangte, deshalb blieben beide erst mal zum small talk stehen. Er erfuhr, Seeberger würde auf dem Weg zu einem Kunden durch Paris kommen. Man kam überein, sich dort am Abend zu treffen, das gab Gelegenheit zum Gespräch, oder wie man heute sagt, zum networking.

Es wurde ein lockeres Abendessen. Seeberger hatte ein paar Abenteuer erlebt in Chile, Bolivien und Peru. Er war mit dem Auto in der Atacama liegen geblieben, aber das war weniger interessant, als sein Bericht von einer Taxifahrt in Argentinien. Seebergers Taxi hatte in einer Kleinstadt, weit weg von Buenos Aires, an einer Ampel vorschriftsmäßig gestoppt. Der nachfolgende Autofahrer hatte damit nicht gerechnet und war aufgefahren. Auf der Polizeiwache stellte sich heraus, der Taxifahrer hatte keinen Führerschein. Weiterfahren war erst mal unmöglich. Seeberger musste zur Toilette. Die war direkt neben den Zellen für irgendwelche Gefangenen. Da gerade Besuchstag war, standen alle Zellentüren weit offen und Besucher und Insassen ununterscheidbar durcheinander. Seeberger meinte: "Ich hab mich geeilt, da wieder raus zu kommen. Ich dachte, am Ende muss ich noch beweisen, ich bin keiner der Insassen! Mit hundert US$ haben wir unseren Taxifahrer wieder frei bekommen und konnten weiter zum Kunden fahren."

Schober erzählte von den Problemen bei den Synthesen in Krauths Truppe und von Krauths Desinteresse an fast allem, ausgenommen natürlich seiner Scheinkarriere an der Würzburger Uni. "Stellen Sie sich mal vor", sagte er, "da gibt es ein dringendes Problem zu lösen beim Personal, und der verschwindet einfach, nur um seine Vorlesung zu halten. Zum Glück konnte ich einspringen und die Schwierigkeiten beseitigen. Mit Personalproblemen und Menschen, da kann ich gut. Das ist eine meiner Stärken."

"Das bringt mich auf eine Position, die bei uns bald besetzt werden soll", sagte Seeberger zu diesem statement Schobers, "wie ich gehört habe, möchten der Unterholzer vom Vorstand und der Geschäftsgebietsleiter Pfleiderer die Nachfolge von meinem obersten Chef sehr frühzeitig regeln. Dem Unterholzer ist aufgefallen, allzu dick ist die Personaldecke nach den Abbauaktionen nicht mehr und strategisch ist unser Bereich ganz wichtig."

"Also eigentlich bin ich ja mindestens zwei Jahre hier", antwortete Schober, "ich bin nicht sicher, ob das sinnvoll ist, jetzt schon nach etwas anderem zu suchen?"

"Vielleicht sollten Sie sich trotzdem bewerben", schlug Seeberger vor, "wenn Sie gerne mit Personal arbeiten und strategisch planen wollen, dann wäre das vielleicht etwas."

Wegen seines noch schlechten Gewissens lud Schober Elsbeth nach Paris ein. Der Frühsommer war passend, Töchterchen Jasmin durfte mitkommen. Er begann mit den üblichen Besichtigungen, nur um rasch zu erkennen, der Louvre und die Tullerien waren nicht sehr spannend für Kindergartenbesucher. Elsbeth schlug als bessere Alternative für den nächsten Tag den Besuch von Disney World vor. Für Jasmin war das genau richtig, sie amüsierte sich hervorragend. Schober langweilte sich mächtig. Nach einem guten halben Tag schützte er einen wichtigen Anruf vor und verschwand ins Büro. Elsbeth war darüber sogar glücklich, denn sein langes Gesicht drückte mächtig auf die Stimmung.

Am Abend kam es zu einer unerwarteten Begegnung. Schober hatte für Elsbeth und Jasmin eine Überraschung fürs Abendessen, man fuhr mit dem Schiff, einem der bateaux-mouches, auf der Seine. Es war eine gelungene Bootsfahrt bis ihm zwei Tische weiter Jeanette ins Auge fiel, die dort mit einem Herrn saß, der ihm den Rücken zuwendete. Zum Glück schien sie ihn nicht zu beachten. Im wurde heiß und kalt und er sah etwas zu oft hinüber, Jasmin fiel es auf.

Sie fragte: "Papa, kennst Du die Frau da drüben?" Daraufhin drehte sich Elsbeth um und blickte in die Richtung: "Welche Frau meinst Du, Jasmin?"

Jasmin meinte: "Na, die da drüber mit der komischen Frisur und dem kurzen Kleid! Die hat ganz hohe Schuhe an."

Elsbeth versuchte unauffällig über ihre Schulter zu sehen, was ihr nicht gelang.

Schober wollte schon heftig verneinen. Dann besann er sich und versuchte eine Vorwärtsstrategie: "Ich kenne sie nicht, aber sie erinnert mich an die Frau eines unserer amerikanischen Kunden, die von Mr. Bishop. Deshalb hab ich immer wieder hingesehen und überlegt, ob sie es ist der nicht. Aber das kann ja überhaupt nicht sein, der Bishop ist schon wieder in den USA!" Zum Glück wollte Jasmin ein großes Eis zum Nachtisch, das genügte um Elsbeth abzulenken.

Da das Bewirten und Bootfahren auf Dauer ziemlich langweilig wurde, erschien Schober die Zeit in Paris bald mehr als Leerzeit, denn als Lehrzeit. Schober brütete nicht lange über die Option sich für die Stelle in Seebergers Bereich zu bewerben. Erstens hatte er bei Unterholzer vermutlich einen guten Ruf als Folge seiner schnellen Aufräumaktion beim Personalabbau und zweitens wurde ihm die Vermittlung beim Einführen neuer, einheitlicher Standards langweilig. Das Ende war abzusehen, viel gab es nicht mehr zu tun. Er beschloss, sich mit dem Argument zu bewerben: 'Arbeit erledigt, möchte mich nicht auf Kosten der Firma langweilen, suche deshalb neue Aufgabe mit Herausforderung'.

Er lernte Details zur der offenen Stelle beim Gespräch mit Pfleiderer und Lübmüller. Es war nicht wirkliche eine vakante Stelle, eher eine weitere Warteposition. Für die Karriere war es wichtig, seinen Auslandsaufenthalt in der Personalakte dokumentiert zu haben. Der war kein Wert an sich, es genügte eine Position durchlaufen zu haben. Schober war sich sicher, in der Zentrale hatte er jede Menge Gelegenheit die gewonnenen Kontakte, zum Beispiel zu Unterholzer oder Hohlenberger, zu nutzen und weiter auszubauen.

Elsbeth erklärte er die Vorteile: "In der Zentrale, da treffen sich alle, besonders, wenn es um Entscheidungen für Karrieren und für Investitionen geht. Wer dort zur richtigen Zeit gesehen wird, ist fast schon befördert."

"Aber dafür hast Du dann einen deutlich weiteren Weg von zuhause zur Arbeit", Elsbeth erkannte die Nachteile.

"Das spielt überhaupt keine Rolle. Du musste das Positive sehen, ich werde nicht mehr nur am Wochenende zuhause sein, sondern praktisch jede Nacht! Schließlich kann ich mit der Bahn fahren. Wenn ich erst meinen Firmenwagen hab, sind die paar Kilometer sind mit dem Auto doch ein Klacks!"

Schober dachte an die vielen internen Veranstaltungen, bei denen er Präsenz zeigen konnte. In der ersten oder zweiten Reihe konnte er sitzen, gesehen werden und durch klug gestellte Fragen auffallen. So wie früher, bei den Seminaren der Forschung. Nicht zuletzt konnte er versuchen, Hohlenberger auf den Gängen des Vorstandsbereiches 'zufällig' begegnen. Den Aufhänger 'Jagd' konnte er immer einsetzen, um selbst auf der Treppe ein gutes Gespräch zur Profilierung zu starten. Es war völlig sekundär, welche Aufgabe er in der Zentrale wahrnahm, Hauptsache war, seine Anwesenheit wurde registriert.

Eines aber änderte er noch, bevor er spät im Herbst in der Zentrale begann. Er kaufte sich neue Schuhe mit dicken Sohlen und neue Anzüge. Mit den nunmehr über 1,70 Metern startete er in die neue Aufgabe mit einem deutlich gehobenen Selbstwertgefühl! Für neue Anzüge gab es einen weiteren guten Grund, die alten spannten über dem Bauch. Sal appétit vorace!

Der Aufstieg des Karl Ernst Schober

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