Читать книгу Der Aufstieg des Karl Ernst Schober - Hans Ulrich Süss - Страница 8
5. Kaufmännische Niederungen
ОглавлениеZertifizierung ist wichtig. Wer seine Arbeitsvorgänge gut kennt, kann sich ernsthafte Gedanken über Verbesserungen machen, deshalb ist die Beschreibung von Arbeitsabläufen und der zu fordernden Qualitätskriterien eine sinnvolle und notwendige Tätigkeit. Die Harmonisierung innerhalb der Europäischen Union führte zur Einführung der ISO Normung. Bei vielen Kundenkontakten wurde es üblich zu fragen: "Sind Sie schon zertifiziert?" Schober stieß bei seinen Reisen auf eine sehr unterschiedliche Geschwindigkeit bei der Einführung von ISO 9000. In Belgien sagte ein Einkäufer: "Sie sind noch nicht zertifiziert? Das macht nichts. Die englischen Unternehmen sind alle zertifiziert und versuchen das als Verkaufsargument zu nutzen. Aber wir kaufen trotzdem nicht, weil wir denen nicht trauen. Die hatten früher oft schlechte Qualität, warum soll das ein Stück Papier besser machen?"
Trotzdem machte Schober Druck, denn der Vorstand hatte die Zertifizierung des Unternehmens zu einem wichtigen Jahresziel erklärt: "Das geht einfach nicht, dass wir da so lange brauchen. Wie stehen wir denn beim Kunden da? Wie ein lahmer Haufen, der nichts gebacken kriegt!"
Sauerstein erklärte ihm, er könne bei Anfragen nach ISO 9000 getrost sagen 'wir sind dabei': "Solange keiner Genaues wissen will, sagen Sie einfach, wir haben schon ISO 9002 und sind auf dem Weg zu ISO 9000. Das ist nicht falsch. Jeder der ernsthaft 9000 will, hat damit automatisch 9002. Das ist so simpel, wir haben das gerade im ISO-Seminar gelernt."
Schober wollte trotzdem eine rasche Zertifizierung: "Das kann ich verlangen, dass das hier schneller geht. Wir sind nach unserem Verständnis besser als andere Abteilungen und werden lange vor der deadline des Vorstandes schon Vollzug melden. Das sind wir unserem Ruf als progressive Abteilung einfach schuldig!"
"So einfach ist das nicht", meinte Sauerstein, "alles sorgfältig zu beschreiben und zu überprüfen kostet Zeit und mit unserem geschrumpften Mitarbeiterstab haben wir schon alle Hände voll zu tun, die Aufgaben unserer Kunden nach deren Zeitvorstellungen durchzuführen. Zu lange will keiner warten."
"Na da reden Sie doch mit denen, und erklären Sie, dass Sie einfach noch Zeit brauchen, bis sie denen helfen können. Diese Vollzugmeldung intern ist einfach wichtiger, als solche Kundenwünsche! Kunden sind manchmal einfach lästig!" Schober wollte bei seinen Zeitvorstellungen keine Konzession machen.
Als Sauerstein antwortete: "Die Kunden zahlen doch unsere Gehälter", zuckte Schober nur mit den Achseln, "erzählen Sie denen halt irgendwas."
Sauerstein erzählte seinen Kunden dann etwas über Personaleinsparung wegen des Kostendrucks als Folge des niedrigen Preises, den der 'gute' Einkäufer des Kunden erreicht hatte. Es war nicht wirklich wahr, aber auch nicht komplett falsch.
'So werden unsere Prioritäten gesetzt', dachte Sauerstein. Zum Glück hatte Funzelmaier eine Riesenfreude am ISO-Thema. Da dürfte er in den letzten Monaten nach Herzenslust Daten sammeln, sortieren und wieder große excel-Tabellen erstellen. Die Sekretärin druckte aus, Funzelmaier klebte persönlich. Er bestellte die Laborleiter zu einer ISO-Sitzung und erklärte: "Wir müssen umgehend mit der Durchführung beginnen. Der Dr. Schober hat mir klar zu verstehen gegeben, wie wichtig das ist. Bei unserer letzten HauptabteilungsleiterSitzung hat Dr. Hellbach über den Stand in seiner Abteilung sehr positiv berichtet. Man ist schon mitten drin in der Vermessung der Glasgeräte."
"Der was?" fragte Dreher, der seinen Ohren nicht traute: "Sie wollen doch nicht sagen, der Dr. Hellbach lässt seine Laboranten Büretten oder Standzylinder nachmessen?"
"Doch, doch, so habe ich das verstanden. Bechergläser, Messpipetten, das gesamte Glasgerät mit aufgedruckten Skalen wird nachgemessen und überprüft", Funzelmaier war sich sicher.
Dreher konnte diese Nachricht nicht glauben: "Da hat aber jemand nicht wirklich aufgepasst. Erstens sind wir kein Eichamt, was bedeutet, wir können und dürfen das überhaupt nicht gültig prüfen und zweitens dient die Zertifizierung dazu, Aufwand zu vermeiden. Alles was wir brauchen, ist eine Bestätigung des Herstellers über Garantiewerte und die Grenzen der Genauigkeit. Das ist genau wie bei Chemikalien, da steht auch eine Analyse auf dem Etikett, die wir glauben. Wenn Sie einem Hersteller nicht trauen, sollten Sie dort nicht kaufen."
Funzelmaier war irritiert, da drohte eine schöne Beschäftigung zu schrumpfen. "Also ich habe das anders in Erinnerung", meinte er. Doch Sauerstein unterstützte Dreher: "Wir müssen unsere Vorgehensweise bei Analysen beschreiben und Aussagen zur Genauigkeit machen. Es ist sinnlos beim Ergebnis fünf Stellen hinter dem Komma anzugeben, wenn wir am Anfang mit der Kartoffelwaage begonnen haben. Das war zwar schon immer so, aber durch ISO 9000 denken ein paar mehr Leute darüber nach."
Wie geplant war Schober in der Lage, für seinen Bereich den vorzeitigen Abschluss der Zertifizierung an den Vorstand zu melden. Prof. Unterholzer war sehr zufrieden und erklärte dem Bereichsleiter Pfleiderer: "Diesen Schober müssen wir im Auge behalten. Da ist ein guter Mann, fix und schwungvoll. Da wächst ein Talent für Größeres heran!" Der gab das positive statement an Schober weiter: "Herr Unterholzer ist mit dem vorzeitigen Abschluss der Zertifizierung in ihrem Bereich sehr zufrieden. Machen Sie weiter so!" Pfleiderer sagte sich, so lange der so neu in dieser Abteilung ist, besteht für mich keine Gefahr. Im Gegenteil, mit dieser Dynamik unterstützt er mich, der soll ruhig so weitermachen. Junge, hungrige Mitarbeiter brauchen wir. Die sind nicht müde oder von Skrupeln geplagt.
Elsbeth wurde selbstverständlich von Schober über diese Erfolge unterrichtet. "Stell Dir vor, die Aktion mit dem beschleunigten Abschluss der ISO-Zertifizierung hat sogar bei Unterholzer wieder zu 'ner positiven Reaktion über meine Leistung geführt!"
"Wieso Leistung?" Elsbeth war von diesem Selbstlob nicht begeistert. Karl redete fast nur noch über sich und seine Aktionen für die Firma: "Mir hast Du gesagt, Du schiebt die Untergebenen nur an, damit es endlich schneller geht. Was ist Dein eigener Beitrag zur Beschleunigung?"
"Also so darfst Du das nicht sehen. Erstens bin ich der Stellvertreter des Chefs, deshalb muss ich Anweisungen geben. Und zweitens kann ich diesen Anwendungstechnikern und selbst unseren Kaufleuten doch nicht wirklich helfen bei der Beschreibung ihrer Tätigkeit. Dazu kenne ich die viel zu wenig."
Elsbeth war gnadenlos. Sie fasste zusammen: "Also besteht Dein Verdienst nur im nachdrücklichen Fordern, oder? Das musst Du zugeben, Karl! "
Da sie Karl gesagt hatte, war es kein großes Problem ganz schlicht mit 'Ja' zu antworten.
Zur Belohnung dürfte Schober zum Gedanken- und Faktenaustausch in die USA. Er berichtete selbst und hörte sich an, wie die Kollegen dort mit dem Thema umgingen. Offensichtlich ziemlich locker. Das ISO meeting war ein lockeres Treffen bei coffee and doughnuts. Drei Probleme bei der Kundenbetreuung und der Abwicklung wurden angesprochen. Alle waren sich einig, da könnte einiges besser laufen. Man aß seine doughnuts auf, trank aus und ging. Der Boss, Dr. McLeod, fand die Veranstaltung sehr gelungen. Schober war etwas überrascht, denn in Europa hätte man jetzt lange und breit diskutiert, wie man es besser macht und danach Maßnahmen eingeleitet. Den US-Kollegen reichte es, darüber gesprochen zu haben. Nur keinen Perfektionismus. Schober dachte kurz daran, das zu bemängeln, aber dann fragte er sich, wozu? Hier mache ich keine Karriere, hier will ich Freunde haben.
Auf der Toilette fand er den Beweis dafür, dass der Aufwand von den US-Kollegen schon für hoch genug gehalten wurde. Kollege Steve hatte eine Anweisung im ISO-Stil verfasst:
ISO 9000 PROCEDURE FOR MEN'S ROOM USAGE
PART I: THE URINAL
1. Stand in front of urinal
2. Turn until face the urinal
3. Open fly
4. Extract johnson (NO pocket pool, please)
5. Urinate (INTO urinal, please)
6. Shake three (3) times only
Shaking more than three (3) times may give rise to pleasure, which is NOT PERMITTED during business hours
7. Replace johnson (NO pocket pool here either)
8. Close fly while leaning on LEFT leg and shaking RIGHT leg
9. Wipe hands on pants (if necessary)
10. Flush urinal and leave men's room
This procedure is subject to periodic review and un-announced observation. Non-performances will not be tolerated.
The ISO 9000 team will accept any suggestions for urinal procedure improvements provided they are submitted in writing and through the proper channels.
Kaum war Schober zurück, da erzählte ihm Lübmüller von einem wirklich großen Problem. Vorstand Hohlenberger war auf dem Flug von Frankfurt nach Klagenfurt Ohrenzeuge einer Unterhaltung von Mitarbeitern Lübmüllers und Funzelmaiers geworden. Seeberger, Dreher und Höpfner sollten Probleme des Vertriebs mit der Produktqualität mit dem herstellenden Betrieb in Kärnten besprechen und mit Hilfe der Techniker eine bezahlbare Lösung finden. Leider hatten sie sich im Flugzeug offenbar despektierlich über die Geschäftspolitik des Vorstandes und die Kooperationsbereitschaft der – juristisch eigenständigen – österreichischen Kollegen geäußert.
Lübmüller war einbestellt worden und dürfte sich Hohlenbergers Tirade anhören. Hohlenberger, selbst österreichischer Staatsbürger, beklagte gegenüber Lübmüller besonders die Verschwendung von Firmengeld für diese Flüge, die man preiswerter im Auto hätte durchführen können: "Stellen Sie sich das mal vor, drei Tickets, kein Wunder, wenn uns die Kosten aus dem Runder laufen!" Lübmüller versprach eine detaillierte Recherche zur Frage, warum gleich drei Mitarbeiter den teuren Flug genommen hatten. Da Hohlenbergers Anwesenheit im Flugzeug den Subalternen nicht aufgefallen war, konnte in seiner demarche auch Ärger über diese Missachtung mitschwingen.
Lübmüller hatte die Reiseanträge persönlich unterschrieben, daher konnte er eine Woche später nicht viel zur Aufklärung beitragen. Denn es war logisch gewesen, zu fliegen. Alternativ hätten drei Mitarbeiter zwei Arbeitstage im Auto gesessen, das war erkennbar unproduktiv. Der Zeitaufwand und die Kosten für zwei Übernachtungen rechtfertigten das Fliegen. Lubmüllers Problem war, Hohlenberger wollte so etwas nicht hören. Lübmüller blieb nichts anderes übrig, als zu versprechen, seine Mitarbeiter zur Ordnung zu rufen und künftig für kostenorientiertes Reisen Sorge zu tragen. "Es wird keine Reise mehr genehmigt, ohne eine genaue Prüfung der kostengünstigsten Alternativen", versprach er im erforderlichen, unterwürfigen Ton.
Lübmüller erklärte Schober das Problem im Hintergrund. Hohlenberger war für das Geschäft in Österreich zuständig und das lief unabhängig von allen Entscheidungen in Deutschland. Formal gehörten die österreichische Firma einer Schweizer Holding mit eigenem Vorstand und da sich dort der Hohlenberger selbst kontrollierte, agierte er ziemlich uneingeschränkt.
Lübmüller meinte: "Deshalb sind wir auf die Kooperation der Herren in Wien und anderswo in Österreich angewiesen, Weisungsbefugt sind wir nicht. Das ist immer ein Eiertanz mit denen. Die versprechen immer alles, tun dann nur die Hälfte, aber wenn ich mich beklage, rennen sie zu ihrem Hohlenberger und bekommen dort Rückendeckung gegen die bösen Piefkes. Schon der Vorgänger von Spitzlmoser hatte eigene Kunden in Übersee, obwohl das Geschäft dort eigentlich nur von hier bearbeitet werden soll. Der Spitzlmoser hat diese gute Gelegenheit Reisen auf Geschäftskosten durchzuführen von Prochaska geerbt. Es sind zwar nur ein paar hundert Tonnen Ware in Kanistern, die er vertreibt, aber eine jährliche Tour nach Thailand und New York kann er machen. Weil der Hohlenberger das gut findet, können wir nichts dagegen unternehmen."
Schober fragte nach: "Und den anderen Vorstandsmitgliedern ist das auch egal?"
"Na, die haben doch auch jeder sein eigenes Revier, ihre Spielwiese. Da werden sie dem Hohlenberger nicht in seinen Kram reinreden! Ich denke dieses österreichische Eigenleben bekommen wir erst in den Griff, wenn der Hohlenberger in einigen Jahren in den Ruhestand wechselt", war Lübmüllers Antwort. Er ergänzte: "Sehen Sie sich seine Spielwiese doch mal selbst an und fahren Sie nach Wien zu Spitzlmoser, unserem österreichischen Kollegen."
Spitzlmoser war erfreut über Schobers Interesse an seiner Tätigkeit, er beeilte sich einen passenden Termin zum Zusammentreffen zu finden. Schober nahm die Nachmittagsmaschine nach Wien, man traf sich zum Abendessen. Das von Spitzlmoser gewählte Restaurant hatte sehr schmackhaften Tafelspitz, der Wein, ein Grüner Veltliner, war gut, das Ambiente angenehm. Schober fand spät Gelegenheit, konkrete Fragen zum Geschäft zu stellen. Er stellte sich erst mal unwissend, er wollte sehen, was ihm Spitzlmoser freiwillig erzählte: "Was ist der Hintergrund Ihrer Unabhängigkeit von der Zentrale?" wollte er wissen.
"Wir gehören einer Gesellschaft in der Schweiz, nicht direkt zu Deutschland", war die Antwort, "das hat historische Ursachen, wegen der Enteignungen nach den Kriegen früher."
Schober fragte nach: "Und das wird jetzt nicht korrigiert?"
"Das ist juristisch sehr schwierig, da ist es einfacher, man belässt die Struktur, so wie sie ist. Wir erfüllen das Miteinander ja mit Leben und kooperieren auf freiwilliger Basis sehr gut!" Spitzlmoser wurde etwas geheimnisvoll: "Die Schweizer Holding macht einmal im Jahr einfach nur eine Aufsichtsratssitzung, wo alles abgenickt wird, mehr bedeutet das nicht. Aber so ein wenig Aufsichtsratstantieme ist da natürlich drin, Sie verstehen?" Er fuhr fort: "Wenn man das ändert, ist die doch futsch, und wer will das schon?" Schober fragte natürlich nach: "Wer sitzt denn dort im Aussichtsrat? Lassen Sie mich raten: Zum Beispiel der Dr. Hohlenberger?"
"Ja, der auch", sagte Spitzlmoser und schaute sich verstohlen um. "Da kann man nicht dran rühren, das geht nicht. Das ist so wie mit der Polyglas. Die macht heuer auch wieder Verluste, aber weil der Hohlenberger persönlich sie bei der Umstrukturierung vor zehn Jahren so aufgestellt hat, darf man da nichts mehr ändern, dort ist alles sakrosankt. Wenn man das anspricht, dann wird der Hohlenberger richtig unangenehm." Spitzlmoser drehte sich schon wieder um und sah auf die Gäste am Nebentisch. "Man weiß nie", sagte er, "nicht, dass ich etwas Negatives gesagt habe, aber man bekommt so schnell etwas Schlechtes unterstellt."
Schober fragte sich, 'hat der nun eine Schraube locker oder ist das hier wirklich so, jeder kennt jeden und überwacht jeden?' Er wechselte das Thema und fragte nach der Jagd: "Ich hab unser Vorstandsmitglied, den Herrn Hohlenberger, schon in Paris getroffen. Da hat er mir von einer Jagd erzählt, die zum Werk in Kärnten gehört. Nehmen Sie an solchen Ereignissen teil?"
"Gott bewahre", antwortete Spitzlmoser, "das ist mir viel zu blutig und anstrengend. Da läuft man stundenlang im Gebirge herum, selbst wenn man einen Allradjeep hat. Nein, dieses Töten ist nichts für mich."
"Nun mich würde das schon reizen, da einmal mit dabei zu sein", meinte Schober, "ich hab natürlich zurzeit kein Jagdgewehr, aber jagen finde ich nicht schlecht."
"Ja, wenn Sie den Herrn Hohlenberger kennen, nachher ergibt sich vielleicht mal eine Chance im Herbst dabei zu sein. Auf alle Fälle ist der Standortchef Humanic die richtige Adresse, wenn sie wissen wollen, wann es eine Jagd gibt."
Schober wechselte das Thema und sprach Spitzlmoser auf seine Geschäfte in Übersee an. Spitzlmoser erklärte bereitwillig: "Das sind sehr interessante Märkte in den USA und in Thailand. Das Wachstum in Asien zeigt uns mögliche Standorte für neue Anlagen, schon deshalb müssen wir dort dabei sein. Asien hat so viel Potential!"
"Und wie bearbeiten Sie das Land und pflegen die Kunden?"
"Das macht unser Händler vor Ort. Dazu haben wir doch nicht die Kapazität. Es ist natürlich eine Information aus zweiter Hand, die wir da erhalten. Aber der Thumuk ist ein sehr guter Händler, der kennt sich aus."
Spitzlmoser war sich sicher, das war ein gutes Geschäft. "Es ist leider ja nun bald das Einzige das übrig geblieben ist. Mein Vorgänger, der Prochaska, dürfte ja auch noch nach New York. Jetzt hat der Dr. Merckle uns ja praktisch verboten, uns um unser angestammtes Geschäft zu kümmern." Seine Stimme zitterte etwas, Spitzlmoser war leicht zu erschüttern. Schober fragte sich, wie der wohl reagiert, wenn ihn ein Einkäufer unter Druck setzt? Besser er malte sich das nicht aus, er wollte es sowieso nicht ändern.
"Aber das ist doch verständlich", antwortete Schober. "Merckle hat den Prof. Unterholzer hinter sich und die Verantwortung für den Aufbau des Geschäftes in den USA. Da ist doch klar, da ist es nicht sinnvoll, sich im Chemikaliengeschäft mit Kleinmengen gegenseitig zu stören. Der Merckle hat mit Unterholzer darüber gesprochen, wie sehr Ihre Aktivitäten die Preisbildung beeinflussen und der hat es Hohlenberger erklärt."
"Es ist trotzdem nicht schön, zu sehen, wie unser Exportmarkt schrumpft. Ich bin gerne jedes Jahr nach New York geflogen." meinte Spitzlmoser traurig und naiv zugleich: "Stellen Sie sich vor, der Sauerstein von der Technik hat mir doch ganz frech Nigeria als Alternative vorgeschlagen! Dabei ist das doch so ein schreckliches Land, nach allem was in der Zeitung steht! Und der Sauerstein meinte, dort könnte ich lernen, Märkte zu erschließen und Exportgeschäfte zu machen."
"Der Osten Europas ist ihnen jetzt nicht mehr verschlossen. Da haben Sie doch auch früher schon hin und wieder einige Mengen geliefert", Schober wollte zurück zum Geschäft.
Spitzlmoser war durch diesen Themenwechsel nicht wirklich beruhigt. "Osteuropa ist ein schwieriger Markt, und das Reisen ist auch kein Spaß", erklärte er. "Ich hab jetzt einen neuen Mitarbeiter, den Ingenieur Stainzl, der soll das alles abdecken, von der Tschechei bis Bulgarien. Nach Jugoslawien klappt das Geschäft ja schon ganz gut, nur die Gelder, die unter dem Tisch laufen müssen, sind so schwer zu verbuchen."
Schober wehrte ab: "Darüber erzählen Sie mir besser gar nichts, was ich nicht weiß, kann auch nicht zum Problem werden."
Spitzlmoser seufzte: "Ich hoffe sehr, der Stainzl nimmt mir das alles ab. Im Osten ist das Essen nicht angenehm, die Hotels sind ein Graus und die Eisenbahnen sind alt und langsam, so macht Reisen wirklich keinen Spaß. Über die Straßen trau ich mich eh' nicht, die sind voller Löcher. Der Herr Utnig hat mir nach seiner letzten Reise erzählt, man müsse inzwischen höllisch aufpassen, wegen der Gendarmen. Die verlangen schon fast Wegezoll."
"Das ist aber in Österreich auch nicht unüblich", konterte Schober, "mir hat der Sauerstein berichtet, von ihm habe ein Gendarm eine Strafe wegen zu schnellem Fahren kassiert, ohne jede Messung. Der Gendarm sagte dem Sauerstein, er hat es gehört, dass der Sauerstein zu schnell fuhr."
"Na ja", erwiderte da Spitzlmoser, "dahier hat ein Gendarm schon die Autorität so etwas festzustellen, da kann man nix machen."
Nach so viel schlechten Nachrichten und einem so guten Abendessen dachte Schober er müsse mit etwas Positivem abschließen: "Also ich bin da ganz sicher, Sie mit Ihrer Mannschaft und Wien im Rücken sind doch unser bester Vertreter in Osteuropa. Das ist doch schon historisch so. Von Wien aus kann man nicht nur den Balkan, sondern auch ganz Osteuropa bestens bedienen! Und dafür sind Sie doch unser Mann!" Spitzlmoser schien nicht überzeugt. Schon auf dem Weg ins Hotel fragte sich Schober, ob dieses Weichei überhaupt geeignet sei, mit einem trinkfesten Einkäufer richtige Verhandlungen zu führen. Na, jetzt hatte er ja einen Neuen, den Stainzl. Der müsste wohl das Wodka-Saufen übernehmen.
Elsbeth wurde von Schober auf dem Laufenden gehalten. "Du glaubst nicht, welche verrückten Dinge laufen, ohne dass sich jemand wirklich daran stört. Da haben Leute eine Position, der sie kaum gewachsen sind und keiner tut etwas dagegen."
Elsbeth hatte eine Vorschlag: "Nachdem Du doch immer so tolle und rasche Lösungen und Änderung durchführst, ist das wahrscheinlich der nächste Streich für Dich? Da kannst Du Dich doch bei Unterholzer wieder profilieren!"
Schober war über so viel Naivität entsetzt: "Ich glaube, Du hörst mir nicht zu. In Österreich werde ich überhaupt nichts ändern. Um Himmels Willen, da hab ich bei der geringsten Kleinigkeit den Hohlenberger am Hals. Ich bin doch nicht verrückt!"
"Aber es gibt doch Probleme dort? Ist es nicht Deine Aufgabe, Probleme zu lösen?"
"Wir können von Glück sagen, dass Du nicht meinen job machst. Wir würden am Ende verhungern. Es gibt Probleme, die löst man gern für den Chef. Aber es gibt auch Probleme die nur gegen einen anderen Chef in Ordnung zu bringen sind. Wenn der wichtiger ist, als der eigene, dann ist es einfach klüger, das Problem nicht zu erkennen! "
"Das ist mir alles zu kompliziert, Karl", Elsbeth verlor die Lust am Gespräch über die Firma, "denkst Du mein neuer Fitnesskurs zeigt schon Wirkung? Ich glaube ich habe schon etwas abgenommen."
Schober war guter Stimmung, Elsbeth hatte gerade seine Überlegenheit akzeptiert. Er sah Elsbeth an und meinte: "Ja, das sehe ich. Du hast schon abgenommen. Sichtbar. Jetzt noch weitere zehn Kilo und Du siehst fast wieder so aus, wie vor der Schwangerschaft."
Elsbeth zog ein schiefes Gesicht. Das war wohl zu deutlich gewesen, dachte er. Der Vorteil war, sie würde ihn heute wohl in Ruhe einschlafen lassen.
Gemäß Lübmüllers Vorgabe sollte Schober das Geschäft gründlich kennenlernen. Deshalb bat er Sauerstein bei einer der Reisen zur technischen Beratung der Kunden dabei zu sein. "Wenn Sie das nächste Mal auf Tour sind, will ich mit. Da lerne ich aus erster Hand, was Sie tun und wie Sie es tun", meinte er, "wir können ja bei gemeinsamen Vorgehen von Kaufmann und Technik nur besser werden."
"Die Zusammenarbeit könnte schon besser werden", war die Antwort, "wir haben zu oft Aufwand für den Kunden betrieben, dessen Anlage optimiert und modifiziert, ohne dann den neu geschaffenen Umsatz auch wirklich zu wollen. Dabei haben wir immer brav unsere Besuchsberichte geschrieben, informiert war die kaufmännische Seite eigentlich schon."
"Was meinen Sie mit 'eigentlich'? fragte Schober nach.
"Nun, entweder werden die Berichte nicht gelesen oder wir nicht informiert, was man wirklich möchte. Da passte plötzlich die Preisvorstellung des Einkäufers nicht mehr, oder wir wurden mit dem Beschluss konfrontiert, dieser Markt sei uninteressant geworden, oder für jenen Ort seien die Transportkosten zu hoch. Wenn wir diese Haltung früher wüssten, könnten wir unseren Aufwand rechtzeitig reduzieren."
hober schenkte sich jeden Kommentar. Er beschloss, bei der nächsten Sitzung darauf zu bestehen, dass künftig Techniker erst dann mit Kunden reden dürften, wenn die kaufmännische Seite grünes Licht gegeben hatte. Er würde hier organisatorische Weichen stellen müssen!
Sauerstein bot Schober die Teilnahme an einer Reise nach Österreich an: "Da können Sie sich bei drei Firmen ansehen, wie wir agieren. Den Kollegen Utnig lernen Sie dann auch gleich kennen. Der besteht immer darauf, dabei zu sein, weil Wien ja beschlossen hat, man brauche einen Österreicher für Österreich, der sei schneller vor Ort. Für uns macht er bequemerweise den Fahrer." Jetzt klang Sauerstein etwas sarkastisch: "In Österreich wird eben genug verdient, die können sich den Utnig und weitere Kollegen leisten! Sogar in diesen schlechten Zeiten fördern wir an der Uni die Grundlagenforschung."
"Was meinen Sie denn damit?" wollte Schober wissen.
"Bei unserem letzten Besuch der Papiertagung in Graz, wir hatten uns zur Kostendämpfung zu viert ins Auto gequetscht, saß plötzlich Ihr Kollege Kammerl im Gastgarten unseres Hotels. Der fragte erstaunt, ob Herr Lübmüller wüsste, dass wir zu viert unterwegs seien. Wir haben es ihm dann erklärt. Ein Vortrag bei der Tagung, Kundenkontakte zur Besprechung von Labortests und der Vorbereitung eines Betriebsversuchs sowie weitere Besuche auf dem Rückweg, rechtfertigen den Aufwand. Wenn man während einer Reise von fünf Tagen elf Kunden betreut und die Weichen für drei Versuchsserien stellt, ist das ziemlich effektiv."
Schober zeigte Zurückhaltung, er murmelte: "Wenn Sie das sagen, scheint das so zu sein."
"Der Kammerl war natürlich mit dem Flugzeug gekommen. Er hatte einen Termin mit einem Prof von der Uni. Der hat Geld von unserem Werk zur Erforschung der Perkohlensäure bekommen. Als wir ihm sagten, das sei kaum zu rechtfertigen, für sowas Geld auszugeben, hat der Kammerl uns mit den Worten beruhigt: 'Das zahlen doch nicht sie, das zahlt eine sehr liquide Firma, unsere österreichische Tochter!' Nur so wirklich beruhigt hat uns das nicht. Perkohlensäure wird man nie in Flaschen zum Verkaufen füllen können, die ist so instabil, die zerfällt fast so schnell, wie sie sich bildet. Wir haben das untersucht und publiziert, jetzt steht es scon im Lehrbuch. Was der Kammerl da macht, ist Geld rausschmeißen."
Sauerstein dachte kurz daran, dem Schober noch mehr zu erzählen. Er war so sauer gewesen auf Kammerl, wegen dessen dummen Spruchs über die Reisekosten, dass er ihm – als Klammerl zur Toilette verschwunden war und der Kellner ewig nicht kam – zur Erheiterung seiner Mitfahrer das Krügerl Wein fast komplett weggetrunken hatte. Aber diesen Teil der Begegnung behielt er dann doch für sich. "Offensichtlich läuft das schon 'ne Weile, der Klammerl hat erzählt, er sei öfter in Graz."
"Dazu hat er aber doch sicher Lübmüllers Segen?" überlegte Schober laut.
"ich denke schon, aber Lübmüller kann dazu keine Meinung äußern, woher soll er wissen, dass es Perkohlensäure nicht gibt. Schließlich ist er Kaufmann und kein Chemiker, wie der Kammerl", war Sauersteins Antwort, "Da scheint wieder der Hohlenberger mit eingebunden zu sein, und da in Österreich jeder jeden kennt, weiß auch jeder, wer großzügig Hilfe gibt, dem wird wieder geholfen!"
"Da tun sich ja Abgründe auf", kommentierte Schober laut und dachte für sich, 'wer Karriere machen will, stellt hier keine Fragen. Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen, das ist für mich in Österreich das Beste!'
Sauerstein bot Schober an ihn am Morgen vor dem Flug nach Salzburg abzuholen: "Ich wohne nur einen Ort weiter und ob ich die erste oder die zweite Autobahnauffahrt nehme, ist mir egal."
"Nein, das geht leider nicht", befand Schober, "Ich hab noch etwas wichtiges in unserem Büro in Frankfurt zu erledigen. Ich fahre dann direkt von dort zum Flughafen." "Erstaunlich, dachte Sauerstein, wir fliegen um 8:30 Uhr und der geht vorher nochmal ins Büro! Das muss ja wirklich wichtig sein.
Man traf sich am gate, in Salzburg wartete mit dem Firmenwagen schon Ingenieur Miroslav Utnig, lokal verantwortlich für die technische Betreuung der Kunden. Sah lustig aus, fand Schober. Trachtenanzug mit Gürtel und Hosenträgern. Ein Hinterwäldler und Rückversicherer? Oder einfach nur typisch für die Gegend? Ein bisschen rundlich war er schon, aber Untersetzte wirkten nicht grösser als er selbst, eher kleiner, das war gut. Zuvorkommend war der Utnig auch. "Grüß Gott, Herr Doktor", waren seine ersten Worte. Schober grinste innerlich, es hat sich, seit Hans Moser, doch noch nicht viel geändert in Österreich. Ein Titel wird immer noch betont. In Deutschland wird man kaum noch mit 'Herr Doktor' und Verbeugung begrüßt.
Auf der Fahrt zum ersten Kunden erzählte Utnig stolz von seinen jüngsten Aktivitäten. Er hatte am Produktionsstandort für seine anwendungstechnische Tätigkeit ein Labor und drei Laboranten, die ihn bei der Arbeit für die Kundschaft unterstützen sollten. "Das ist sehr schön aufwendig", erklärte er, "wenn ich am Montag ins Labor komme und möchte meine Reise von der Vorwoche aufarbeiten, da stehen die drei Laboranten mit ihrem Laborjournal und den Resultaten und wollen wissen, wie es weitergehen soll!" Offenbar gab es sehr viel zu tun, es war schwer, beim Zuhören herauszufinden, wo Utnig ein großes oder sehr großes Geschäft betreute. Alle Aktivitäten hatten eine identische Wichtigkeit. Es dauerte eine Weile, bis Schober nach einer Rückfrage von Sauerstein merkte, da wurde auch winziges Geschäft sehr ernsthaft betreut.
"Das Enthaaren von Hirschkalbfellen betreibt der Kunde nur mit unserem Produkt. Das ist eine ganz neue Anwendung", erklärte Utnig ohne Vorbehalt, "die erreicht jetzt schon einen Umsatz von etwa fünftausend im Jahr."
Sauerstein fragte nach: "Kilogramm oder Tonnen?"
Utnigs Antwort: "Schillinge."
"Na, viel Service kann man mit diesem Umsatz wohl nicht finanzieren. Ich geh’ mal davon aus, dass die Zahl der Hirschkalbshäute nicht sehr hoch ist. Oder werden die in Österreich bald zu Tausenden gezüchtet?"
Utnig fand das unproblematisch: "Das ist doch zunächst ganz egal, es ist neu und das zählt. Da kann sicher noch viel daraus werden", Utnig war optimistisch und nachrechnen war auch nicht seine Aufgabe. Er sagte dies ganz offen: "Das Wirtschaftliche muss der Spitzlmoser machen."
Schober hatte noch eine Frage: "Haltet ihr auf eurer Hochalm Hirsche und gebt sie im Herbst zur Jagd frei? Da würde ich schon gerne mal dazu kommen."
Utnig verneinte: "Hirsche gibt es da heroben keine. Da gibt es Gemsen. Und die Jagd ist eine Veranstaltung für Großkopfete. Da lädt der Hohlenberger ein und der Humanic darf es organisieren. Ich bin da nicht dabei, ich mag keine blutigen Rituale." Schober erkannte die Notwendigkeit eines Besuchs im Werk. Anders würde er den Humanic nicht kennen lernen und per Anruf nach einem Jagdtermin fragen, das ging nicht. Er würde schon einen Reisegrund finden, da war er sicher!
In einer Papierfabrik mit Holzstoffproduktion wurden Kontinuität und Stabilität der vor kurzem durchgeführten Optimierung des Chemikalieneinsatzes diskutiert. Die verbrauchten Mengen waren zufriedenstellend niedriger geblieben, daher waren weitere Aktivitäten nicht zwingend. Utnig war darüber nicht erfreut. Er bot zusätzliche Betriebstests an. Zwischen ihm und Sauerstein kam es zu einer gedämpften Auseinandersetzung – man war ja schließlich beim Kunden – über den Sinn von weiteren Versuchen bei laufendem Betrieb. Man einigte sich auf weitere Experimente durch die Mitarbeiter von Utnig in dessen Labor.
Der zweite Besuch verlief ähnlich. Utnig suchte nach Aufgaben und Arbeit für seine Laboranten, um dem Kunden etwas zu bieten, waren ihm selbst Randthemen nicht zu schade. Dieser Kunde hatte zwar eigentlich keinen Bedarf, aber da Utnig drängte und die Versuche umsonst erfolgten, nahm er Utnigs Angebot an, den Effekt unterschiedlicher Wasserhärte zu analysieren. Diese ist im Betrieb zwar durch den Wasserkreislauf und den Rohstoff vorgegeben, aber grundlegende Untersuchungen kann man selbstverständlich auch ohne praktischen Bezug durchführen. Sauerstein verdrehte seine Augen, der liebe Kollege wollte nicht das Geschäft fördern, sondern Arbeit für seine Laboranten beschaffen. Das war aber noch nicht genug der Arbeitsbeschaffung, zum Füllen seines Terminkalenders bot Utnig noch die Inspektion der Chemikalientanks an, auch dies wurde vom Kunden akzeptiert. Im Auto sagte Utnig: "Meine Laboranten sollen nicht glauben, es gibt nichts zu tun. I halt die schon beim Arbeiten!"
Sauerstein fragte sich, ob der Kunde annahm, man verdiene sich dumm und blöde oder habe endlose Ressourcen. Er erinnerte sich an seine letzte Reise zu einer Zellstofffabrik in der Steiermark. Der verantwortliche Leiter der Abteilung Technologie hatte dringend um einen Besuch gebeten, die neue Bleichanlage könne nicht angefahren werden, ohne die 'Klärung' wichtiger Sicherheitsfragen. Es stellte sich dann heraus, das Vorlesen aus der Broschüre der Berufsgenossenschaft zum Umgang mit der Chemikalie reichte aus zur Beantwortung der 'offenen Fragen'. Obwohl der dadurch ermöglichte Chemikalienverkauf sicher die Reise rechtfertigte, war trotzdem die Frage erlaubt, warum der arme Ingenieur nicht alleine lesen konnte. Diese Frage wurde zum Teil beantwortet durch ein wichtiges Telefonat, das Vorlesen musste unterbrochen werden. Des Ingenieurs Schatzi rief an und fragte nach Anweisungen zum Kofferpacken. Als der Herr Inscheniör dabei die einzupackende Bärenbüchse erwähnte und eine Wochenendjagd in Slowenien als Erläuterung für den Besucher nachschob, wurde die Sachlage klarer. Der kleine Mann – Körpergröße etwa eins fünfundsechzig – hatte einen großen Bedarf beim Ego! Da darf es dann schon mal eine Bärenbüchse sein oder das Zitieren des Lieferanten zum Vorlesen. Der Kunde ist König und manche Könige brauchen die rituelle Bestätigung ihres Status durch die Untertanen!
Am Abend erzählte Utnig von seinen jüngsten Besuchen mit Stainzl in Polen und der Tschechischen Republik. Er war begeistert vom Potential, das war riesengroß. Da allerdings alle potentiellen Kunden zuerst einen liquiden Investor finden mussten, war es offensichtlich fraglich, ob die Berechnung dieses theoretischen Bedarfs einen Bezug zur Realität hatte. Das war aber nicht Utnigs Problem, sondern auch wieder das von Spitzlmoser. Zu Utnigs Ärger hatte sich die böse Konkurrenz schon etabliert und war wohl schwer zu verdrängen. Trotzdem war Utnig optimistisch, er hatte viele Einladungen zum Besuch der eigenen Produktionsanlage in Kärnten ausgesprochen, auf Kosten des Unternehmens, denn die Kaufleute und Techniker aus den jungen, aber armen Republiken mussten verwöhnt werden. Wenn das gut gelang, dann kämen Techniker und Einkäufer nicht nur gerne, sondern würden auch bereitwillig Lieferverträge abschließen, da war Utnig ganz sicher.
Das Reisen im Ostblock war allerdings ein Problem. Das wichtigste bei einem Hotel sei der bewachte Parkplatz. Sonst könnte es sein, dass am Morgen das Auto verschwunden war. Im Auto dürfte man auch nichts liegen lassen, alle Klappen im Armaturenbrett sollten offen bleiben, damit nicht jemand überflüssigerweise doch eine Scheibe einschlägt. Utnig war sehr zufrieden mit seinem Leintuchschlafsack, seitdem habe er keinen Hautausschlag mehr, von der Bettwäsche.
Spontan revidierte Schober seinen ursprünglichen Plan zur großen Osteuropa-Rundreise mit Stainzl und Utnig zu potentiellen Kunden: "Ich sehe schon, mein lieber Utnig, Sie und Stainzl haben das voll im Griff. Das soll auch alles in Ihren guten Händen bleiben, das ist sicher. Vielleicht können Sie ja mal den Sauerstein zu einer Tagung mitnehmen und den einen Vortrag halten lassen, das machte der gerne!" Utnigs Gesicht war anzusehen, der erste Teil der Ausführungen Schobers fand seinen Beifall, der zweite weniger.
Der dritte Kundenbesuch sollte ausloten, ob bei der Bleiche von Marktzellstoff die Chancen für eine Verdopplung des Chemikalieneinsatzes gestiegen waren. Eine Serie von Laborversuche war mit positivem Resultat abgeschlossen worden, es fehlte der Wille zur Umsetzungen in der Anlage. Die Änderung wäre kostenneutral, könnte allerdings die Qualität verbessern. Man wurde auf höchster Ebene empfangen.
Der technische Vorstand, Dr. Hallhuber, war gut aufgelegt: "Ihr habt's da einen lustigen Kaufmann in Wien sitzen", erzählte er zur Einführung, "der Spitzlmoser hat uns letzt' zu Preisverhandlungen besucht. Anschließend wollt' er unsere Produktion sehen. Na, der hatte so einen feinen Zwirn an, dunkelblau, wie es sich für euch Kaufleute gehört." Er sah Schober an, der auch so gekleidet war."Ihr wollt halt immer solide wirken, ha, ha. Seid's des aa? Ha, ha."
"Ja, was I sagn' wollt, der Spitzlmoser is’ mit mir durch die Fabrik. Da warn die üblichen Pfützn. Nimmt der Spitzlmoser doch seine Hosenbeina mit dena Händn hoch und sagt 'Huch, hier ist es ja schmutzig!! Sagt der 'schmutzig' zwegn so a bissl Zellstoff am Bodn." Hallhuber stand auf und marschierte auf den Zehenspitzen, mit den Händen die Hosenbeine hochziehend, um seinen Schreibtisch. "So ist er glaufa der Spitzl! I hab mir denkt, I werd nimmer. Wo glaubt der, wo er is? Nacha samma beinhart mittn durch die Sortierung, da war's dann recht, der Stoff is' gschwomma und I bin durch! Da hat er gschaut euer Spitzl! Der musst ja hinterher. Seine Hosnbeina warn nit mehr ganz so rein, da hab I scho für gsorgt." Er schüttelte sich vor Lachen.
Neben den Anekdoten wurde auch noch über das Geschäft geredet. Die Optionen zum veränderten Chemikalieneinsatz wurden von Sauerstein vorgestellt. Hallhuber wollte das bestehende System allerdings erst ändern, wenn die geplante Produktionssteigerung zu einem Engpass bei der on site Herstellung anderer Chemikalien führen würde, die Qualitätsverbesserung brauchte er jetzt nicht, seine Kunden würden das nicht anfragen: "Später, gerne, jetzt nicht. Ich weiß, das geht schnell zu installieren, wenn wir's brauchen. Jetzt hab ich andere wichtigere Dinge oben auf der Liste!"
Utnig bot weitere Versuche an, sein Laborant sei verfügbar, man könne doch die Vorteile nochmal in Experimenten verdeutlichen. Sauerstein verdrehte wieder die Augen und Hallhuber fasste zusammen: "Ja, wenn's nix besseres zu tun habt, kommt's halt vorbei! Zellstoff gibt’s hier genug zum Üben. Ihr werd's mir die Ausbeute schon net versau'n mit den Mengen, die ihr braucht!"
Schober übte nach dem Treffen Kritik: "Sauerstein, Sie haben um den Mehrbedarf nicht gekämpft!"
Der war erstaunt: "Also erklärt hab ich die Möglichkeiten schon, denke ich. Wenn Hallhuber noch nicht will, was kann ich mehr tun? Soll ich den Kunden niederringen? Ich will doch wiederkommen, unbeliebt muss ich mich nicht machen. Als Piefke muss man hierzulande höllisch vorsichtig sein. Ich weiß schon, warum ich hierzulande immer betone, dass meine hessischen Vorfahren in Königgrätz mit Österreich gegen Preußen verloren haben! Der neue Bedarf hier ist nur eine Frage der Geduld, der Hallhuber braucht bald mehr Produkt."
"Ich finde trotzdem, Sie hätte mehr Druck ausüben müssen", antwortete Schober, "Wir brauchen Biss bei unseren Aktionen, jedermanns Liebling sein, bringt uns kein Geschäft!"
Sauerstein fand es nicht sinnvoll, als Service-Leistender auf den Kunden Druck auszuüben, aber Schober ließ sich von seiner Position nicht abbringen. Er meinte: "Man darf Kunden nicht wirklich entgegenkommen, die sollen nur das Gefühl haben, es wäre so."
Utnig setzte sie in Klagenfurt am Flugplatz ab. Nach Lübmüllers jüngsten Erfahrungen hielten sie vorsichtshalber Ausschau, ob Hohlenberger auftauchen würde. Der hatte aber wohl andere Termine, er blieb unsichtbar.
Die Zeit bis zum Abflug verbrachten Schober und Sauerstein mit small talk. Schober erzählte von seiner neuen Freizeitbeschäftigung. "Wir haben viel Platz auf unserem Grundstück. Da hat der Vorbesitzer eine Reihe von Pappeln gepflanzt. Eigentlich ist das ganz schön, wenn man mal von der Blütezeit absieht. Es hält den Wind ab, und gibt Schatten. Leider sind die Bäume jetzt sehr groß und alt. Deshalb werden einige innen faul und müssen gefällt werden. Da bin ich jetzt aktiv! "
"Sie fällen Bäume?" fragte Sauerstein mit Erstaunen in der Stimme.
"Nun, nicht direkt. Ich lasse die fällen, sowas selbst zu machen, wäre zu gefährlich, weil die unkontrolliert umfallen können. Aber ich zerkleinere die Bäume mit Kettensäge und Axt. Das gibt ganz tolles Holz für unseren offenen Kamin. So schlage ich zwei Fliegen mit einer Klappe, ich ernte Holz und mache Sport. Das ist ganz schön anstrengend und wird mich noch länger beschäftigen, weil es noch über 20 Pappeln gibt!"
Sauerstein fiel ein, bis vor kurzem hatte es ganz in der Nähe eine weitere Zellstoffabrik gegeben. Er sagte zu Schober: "Wenn Sie das Treiben hierzulande interessiert, kann ich Ihnen eine hübsche Geschichte erzählen, wie hier Geschäfte laufen. Die reden unsere Sprache, wenn man mal von einigen wenigen besonderen Ausdrücken wie Paradeiser, Erdäpfel, Marillen, Kren und Begriffsverschiebungen wie Sessel für Stuhl absieht. Aber bei Geschäften geht es hier schon sehr Balkanesisch zu."
Da man Zeit zu vertrödeln hatte, war Schober nicht uninteressiert: "Na, dann erzählen Sie mal," erwiderte er.
"Hier gab es über Jahrzehnte Zellstofferzeugung, die Anlage hat zuletzt einem skandinavischen Konzern gehört hat. Es wurde wenig investiert, die Entwicklung ist hier ziemlich vorbeigelaufen. Am Ende war die Anlage zu klein, ohne Abwasserbehandlung, ohne Integration mit einer Papiermaschine. Wenn man mehrere Jahre fast nichts investiert, hat man bald keine Chance wirtschaftlich zu überleben. Die zur Erneuerung erforderlichen Investitionen waren dem Besitzer zu hoch. Also wurde die Stillegung, die Demontage und für die Mitarbeiter ein Sozialplan beschlossen. Alle Zeichen standen auf ein Ende der Produktion. Auch der Werksleiter hatte schon einen neuen Job, nämlich in der Fabrik, die wir gerade besucht haben."
"Da gab es plötzlich ein menschliches Problem. Der Werksleiter hatte ein Verhältnis mit seiner Sekretärin und forderte auch für sie eine Anstellung beim neuen Arbeitgeber. Leider konnte er entweder nicht überzeugend darlegen, dass er sie brauchte, oder ihre Qualifikation entsprach nicht den moralischen Vorstellungen von Hallhuber und dessen Kollegen, dieses Arbeitsverhältnis kam nicht zustande."
"In vielen Ländern wär's das gewesen. Aber nicht in Österreich. Der Werksleiter hatte plötzlich überhaupt keinen Drang mehr zum Wechseln, im Gegenteil, er zeigte großes Interesse am Fortbestand der alten Fabrik. Und siehe, es fand sich ein Freund mit guten Freunden in der Politik, der Landeshauptmann war bereit, sich den Erhalt der Arbeitsplätze und den Neubau einer Weltklassefabrik etwas kosten zu lassen. Die Kostenrechnung der Skandinavier wurde wiederholt, aber jetzt mit einer anderen Priorität. Plötzlich – ein kleines Wunder – war der Neubau äußerst preiswert und die Anlage künftig ganz einfach wirtschaftlich zu betreiben. Auch der Absatz des Zellstoffs war überhaupt kein Problem. Wie man überraschend feststellte, liegt Österreich sehr zentral mitten in Europa. Das machte die Logistik kinderleicht und billig. Selbst die zuvor als unzureichend bezeichnete Qualität stellte kein Hindernis dar, man war sicher, das Produkt aus der neuen Anlage würde Spitzenpreise bringen. Der neue, lokale Investor hatte seine eigene Ingenieurfirma. Diese wurde mit der Projektleitung beauftragt und man begann zu planen, natürlich gegen Entgelt. Viel Geld wurde verplant, weniger Geld verbaut."
"Ganz umsonst war eine neue Fabrik allerdings nicht zu bekommen. Man baute um die alten, maroden Teile herum etwas Neues, aber es passte nicht so ganz. Die Anlage kam nicht wirklich richtig zustande, es fehlte hier ein Teil und da etwas, obwohl so ungefähr 750 Millionen Schillinge verbraten, oder korrekter, ausgegeben wurden. Überraschenderweise war der gute Freund des Landeshauptmanns plötzlich außer Landes. Er verlegte sein Domizil wegen des besseren Klimas an die Côte d' Azur. Wie viel Geld tatsächlich investiert wurde und was in den Händen der Planer verblieb, versuchte später der Konkursrichter aufzuklären."
"Mir ist nicht klar geworden, ob die vielen guten Freunde die Ermittlungen verschleppten oder der Richter einfach nichts finden wollte, oder konnte. Nur den früheren Werksleiter haben sie wegen Betrug dran gekriegt. Der hatte nachweislich Beton umgeleitet, um sein privates Haus zu bauen. Im Vergleich zu dem Gesamtschaden waren das zwar peanuts, aber man brauchte wohl einen Schuldigen. Wobei, unschuldig war der auch nicht wirklich, der hatte es schon Faustdick hinter den Ohren. Mich hat er mal zum Schmuggeln gebracht."
"Wie geht denn sowas?" fragte Schober erstaunt.
"Das ist schon ein paar Jahre her, da war Österreich noch in der EFTA. Da hat er darum gebeten, zum Abendessen nach Tarvisio eingeladen zu werden, er kenne da ein nettes Restaurant. Nach dem Essen bat er dann ganz überraschend darum, vor Rückfahrt nach Österreich seine eigenen Einkäufe in meinen Kofferraum zu legen. Das Argument war, 'die österreichischen Zöllner kontrollieren nur ihre Landsleute und Sie haben doch ein deutsches Nummernschild.' Na ja, was sollte ich da machen? Der Kunde kauft vielleicht nicht mehr, wenn ich ablehne. Das wollte ich dem Spitzlmoser nicht erklären müssen", erklärte Sauerstein, "aber ich hab den Typ danach einfach nicht mehr zum Essen eingeladen."
Da der Flieger immer noch nicht bereit stand, versuchte Sauerstein die Wartezeit zu nutzen, um seinem Unverständnis über Utnigs Aktivitäten Ausdruck zu geben: "Da werden ständig alle Regeln zur Betreuung von kleinen und kleinsten Kunden ignoriert. Der Utnig leistet gute Arbeit, er müsste nur endlich mal zwischen wichtig und unwichtig unterscheiden lernen. Das kostet uns unnötig viel Geld. Seine Laborarbeiten sind nicht wirklich produktiv, wir kämen hervorragend ohne aus. Wenn er die Lagertanks inspizieren will, ist mir das Recht, aber was sein Labor vollführt, ist weitgehend rausgeschmissenes Geld. Was für Kunden wirklich wichtig ist, machen wir, schon deshalb, weil ihm viele Geräte fehlen. Hier fällt jedes Jahr ein schönes Einsparpotential einfach in den Gully. Es heißt doch immer 'wir müssen sparen.' Hier könnten wir es und tun's nicht. Kann man das nicht besser organisieren?" Er sah Schober fragend an.
Schober dachte nicht daran, an diesem Thema zu rühren, er würde zu viel riskieren, wenn er Hohlenberger mit dem Wunsch nach Abbau oder direkter Unterstellung der österreichischen Mannschaft verärgern würde. Deshalb beließ er es bei einem: "Ist das wirklich so schlimm? Es ist doch nicht ihr Geld. Man könnte sich ja mal andere, sinnvollere Aufgaben für Utnig ausdenken." Das war unverbindlich genug. Er dachte: 'ich bin doch nicht der Zorro und rette die Welt. Ich muss an mich denken!'
Im Flieger fragte Sauerstein, ob er Schober nach Hause bringen könne, aber der lehnte ab. Stolz sagte er: "Ich hab mir gestern am Morgen meinen Firmenwagen abholen können. Der steht mir jetzt in meiner Position zu. Einen A 6! Deshalb war ich auch so früh schon unterwegs."
Sauerstein war entgeistert: "Sie sind gestern Morgen nach Frankfurt reingefahren und dann mit dem Dienstwagen zum Flughafen?
"Ja", meinte Schober, "das war doch eine tolle Gelegenheit gleich die erste Dienstfahrt zu machen! Jetzt kann ich direkt nach Hause damit und ihn meiner Frau vorführen!"
Sauerstein dachte an überflüssige Parkgebühren und die österreichischen Kollegen ohne sinnvolle Aufgaben und erkannte: Sparen ist etwas sehr Relatives. Hier ging es ja nur um peanuts. So wie bei Hohlenbergers Bleistiften.
In der causa Utnig wurde Schober doch aktiv. Er rief Spitzlmoser, den nominellen Chef von Utnig, in Wien an und mahnte zu mehr Kontrolle. Spitzlmoser war verschreckt: "Was soll ich denn von hier aus machen, der Utnig sitzt weit weg im Werk. Wenn er mich anruft und sagt, er muss verreisen, der Kunde wünscht das so, dann muss ich das glauben. Da kann ich doch nicht zur Kontrolle den Kunden auch anrufen und fragen, ist das wahr? Wie sieht denn das aus?" Das war eine durchaus erlaubte Sicht, die Organisation gab mehr Kontrolle nicht her, sie war schlecht.
Schober fand Spitzlmosers Argumente dennoch unpassend: "Ihrer Führungsaufgabe müssen Sie nachkommen, das werden Sie doch verstehen? Ihr Gehalt ist schließlich auch deshalb so hoch, weil Sie diese Funktion übernommen haben", war Schobers Reaktion, "sorgen Sie selbst für Aufgaben, die wichtig sind, dann kommt der Utnig nicht mehr auf dumme Gedanken und agiert so völlig losgelöst vom Vertrieb wie zurzeit! Das geht einfach nicht!"
Spitzlmoser versprach zögernd eine Veränderung, obwohl er wusste, das wird kaum gehen. Er sollte für Utnig wichtigere Arbeit suchen und unwichtige aussortieren? Das konnte nicht funktionieren, da ging es um technische Probleme, von denen er zu wenig verstand, um zu priorisieren und zudem war er selbst im Wiener Büro weit weg.
Schober war das egal, er freute sich, denn er hatte am Problem gearbeitet. Jetzt konnte keiner sagen, er habe sich nicht gekümmert. Wenn jemand Ärger mit Hohlenberger bekam, dann definitiv nicht er. Da musste der Spitzlmoser sich schon um sich selbst kümmern. Wahrscheinlich würde sich überhaupt nichts ändern, aber das war eindeutig Spitzlmosers Problem.
Schober klärte Elsbeth über seine Strategie auf: "Hier kannst Du sehen, wie wichtig es ist, zu wissen, wer den längeren Hebel in der Hand hat. Ich werde mich selbstverständlich nicht gegen Hohlenberger stellen. Das verstehst Du doch? Es wäre schlicht sehr unklug. Aber wenn Spitzlmoser meine Vorschläge wider Erwarten doch erfolgreich umsetzt, dann werde ich meinen Anteil an der Reorganisation allen zur Kenntnis bringen. Ich war schließlich der Auslöser!"
Elsbeth meinte: "Du lässt den Spitzlmoser mal ausprobieren was geht, oder? Hast Du keine Angst, der bekommt Ärger mit Hohlenberger?"
"Nicht doch. Das kann nicht passieren und wenn es passiert, dann war der Spitzlmoser zu unvorsichtig. Also die Hand kann ich ihm nicht die ganze Zeit halten, der muss schon alleine agieren. Schließlich ist er erwachsen! Wenn er überhaupt nichts tut, dann bekommt er ein Problem mit mir."
Schober war zufrieden, es wurde immer klarer, je weiter man aufstieg, umso weniger konnte man mit lästiger Drecksarbeit belästigt werden. Wenn er erst mal auf Hohlenbergers Niveau angekommen war, würde er auch nur noch fordern und alle anderen mussten machen!
Als er in der Zentrale Hohlenberger 'zufällig' auf dem Gang traf, er dort hatte nur zehn Minuten mit Fengel über Nichtigkeiten gesprochen, schickt er sofort Fengel weg und wand sich Hohlenberger zu. Er machte er ihm ein Kompliment: "Herr Dr. Hohlenberger, ich hatte kürzlich Gelegenheit mit meinen Kollegen in Wien zu reden. Die Staaten östlich von Wien sind ja nicht nur eine sehr zukunftsträchtige Region, was Wachstum angeht, wir haben dort auch eine hervorragend aufgestellte Struktur. Ich bin sehr zuversichtlich, was die Umsatzzahlen der kommenden Jahre angeht."
Hohlenberger schien zuerst überrascht: "Nun, die letzten Zahlen waren aber nicht so überzeugend", erklärte er.
Schober beeilte sich, eine Erklärung nachzuschieben: "Aber die Basis wurde in der Vergangenheit hervorragend bereitet, da sind die augenblicklichen Zahlen nur die Momentaufnahme eines schwachen Quartals. Wir haben uns abgestimmt zwischen Wien und Frankfurt die Kooperation zu intensivieren und so den Ertrag zu verbessern."
Das beruhigte Hohlenberger, er bemerkte nur noch: "Sie müssen den Spitzlmoser ab und zu anschieben, der erscheint mir ein wenig entscheidungsschwach. Aber Recht haben Sie, die Struktur ist absolut in Ordnung. Jetzt muss man nur noch wollen!"
"Über das Kärtner Jagdrevier haben wir uns auch unterhalten", Schober wollte das Gespräch noch nicht beenden, "dort zu jagen ist wohl eine sehr elitäre Veranstaltung."
"Nun, Krethi und Plethi sind sicher nicht dabei. Aber wenn Sie wichtige Kunden haben, denen ein Jagdausflug gefällt, dann melden Sie mir dies!" Hohlenberger war gut aufgelegt, "wir werden dann sehen, ob es sich ergibt!"
Schober kam begeistert zu den Technikern: " Ich hab in der Zeitung gelesen, da gibt es ein neues Verfahren zur Herstellung von Zellstoff. Das ist ja wohl was ganz Attraktives, eine Pilotanlage steht schon in Bayern, das Verfahren soll sehr bald weltweit vermarktet werden. Die Aktionäre erwartet eine tolle Rendite. Ich hab mit unserem Verkaufschef für Europa, dem Müller y Gonzales über diese Firma gesprochen, da sagt der, wir liefern dort nicht! Warum liefern wir dort keine Chemikalien? Bei diesem tollen, neuen Verfahren muss unsere Technik doch gleich am Anfang dabei sein, um später weltweit den Erfolg zu begleiten!"
'Das sieht unseren Kaufleuten wieder ähnlich', dachte Sauerstein, nicht zuhören, wenn wir etwas berichten, denn es ist nicht der Rede wert. Wenn aber einer mit der eigenen Nase darauf fällt, dann hängt plötzlich das Firmenheil davon ab. Laut sagte er: "Wir haben bei unserem letzten Gespräch über den Markt und unsere Kunden, bei unserem jour fixé, auch über dieses neue Verfahren berichtet. Es gab eine Anfrage von Organopulp mit der Bitte um Unterstützung bei der Bleiche. Das steht auch im Protokoll. Sie haben das doch sicher gelesen? Es wurde beschlossen, erst mal zurückhaltend zu bleiben, weil diese Firma in der Vergangenheit mit unserer Konkurrenz sehr eng zusammengearbeitet hat."
Schober ignorierte den Unterton in Sauersteins Antwort, er war viel zu begierig mehr zu erfahren: "Werden wir mit unseren Chemikalien dabei sein? Noch schöner wäre es, wenn wir bei der Entwicklung entscheidend dabei sind! Das wäre nämlich eine tolle Geschichte für den Vorstand. 'Wir sind der wichtige Partner beim innovativsten Projekt zur Zellstofferzeugung der letzten fünfzig Jahre!" Schober sah die Schlagzeile in der Hauspostille und im Wirtschaftsteil der Zeitungen schon vor sich.
Sauerstein war weniger begeistert: "Wir haben uns den Zellstoff schon angesehen, gut zu bleichen ist der nicht. Das Verfahren hat ziemliche Mängel und die Verantwortlichen scheinen nicht zu wissen, was sie tun." Er stand auf.
Schober fand diese Aussage sehr unpassend, er sah seine Pläne entschwinden: "Das müssen Sie mir jetzt aber erklären, das ist doch eine ganz tolle Technologie." Da stellte dieser Sauerstein sich mit seinen eins-paar-und-achtzig vor ihm auf und dozierte, der Angeber. Was aus Schobers Plan für den Vorstand wurde, war dem egal. Diese Techniker wusste zwar vielleicht etwas von Verfahren, aber von hausinterner Politik hatten sie keine Ahnung!
Sauerstein begann: "Zuerst ein kurze Bemerkung zum Wort 'Technologie'. Auf Deutsch heißt das 'Wissen über Technik', zur Beschreibung des neuen Verfahrens ist im Deutschen das kurze Wort 'Technik' komplett ausreichend. 'Technology' ist der englische Begriff für Technik. Das neue Verfahren ist also nur eine modifizierte Technik. So, jetzt wird es chemisch, aber sie sind doch Chemiker, oder?" Da war schon wieder ein wenig Provokation zu hören, dachte Schober, reagierte aber nicht, denn er ärgerte sich schon über den Hinweis auf seine falsche Nutzung des Begriffes technology.
Sauerstein fuhr fort: "Das Organopulp-Projekt hat ein paar Macken. Der Aufschluss erfolgt unter stark alkalischen Bedingungen, da ist eine Kondensation des Lignins im Holz unvermeidbar. Daher gibt es relativ viel Restlignin, und schlecht entfernbar ist es auch noch. Das organische Lösungsmittel Methanol hilft da wenig bis nichts. Der Gehalt an Restlignin bleibt hoch und das erfordert große Mengen eines sehr reaktiven Bleichmittels. Und hier wird es richtig problematisch. Dieses Projekt hat einfach zu lange gebraucht, Realität zu werden. Es gab mal ein Problem mit saurem Regen. Erinnern Sie sich? Da war jede Industrieanlage mit saurem Abgas ein teuflischer Umweltverschmutzer. Das hat sich aber bei der Herstellung von Sulfitzellstoff mit dem Einführen von besseren Absorptionsanlagen erledigt. Spätestens seitdem die DDR tot ist und auch dort die Kohlekraftwerke umgerüstet wurden, gibt es kein Problem mehr mit sauren Regen. Das haben die bei Organopulp nicht kapiert. Die werben immer noch damit 'unser Prozess ist schwefelfrei' aber wer braucht das? Schwefel ist per se kein Problem."
"Jetzt lassen Sie doch mal diese Chemie sein, die darf ich inzwischen zum Glück in meiner Position komplett vergessen", warf Schober ein, er lächelte bei der Aussage 'zum Glück'.
"Ich hab's gleich. Also, eigentlich arbeiten die seit Jahren mit unserer Konkurrenz zusammen, denn deren Produktionsanlage steht fast vor der Haustür von Organopulp. Das hat aber offensichtlich zu nichts geführt. Deshalb hatte uns der Forschungsleiter von Organopulp um Hilfe gebeten."
"Das ist doch toll", meinte Schober, "also doch Hilfe und Geschäft für uns! Wie viele Tausend Tonnen werden wir absetzen können?"
"Leider eher nichts", sagte Sauerstein resigniert: "der Zellstoff ist extrem schlecht bleichbar, das sagte ich ja schon. Zudem ist der Schwermetallanteil des Holzes noch komplett im Zellstoff gebunden. Da ist eine saure Waschstufe der wichtige erste Schritt, um überhaupt bleichen zu können."
"Ja, und?" Schober wurde wieder ungeduldig.
"Wir habe Bleichversuche gemacht und gezeigt, die Bleiche funktioniert nach saurer Wäsche, nicht toll, aber sie geht. Das Problem ist nur, die wollen keine Schwefelsäure einsetzten, weil sie doch so stolz sind auf ihr schwefelfreies Verfahren. Der Direktor hat mich angesehen, als wäre ich der Beelzebub, als ich ihm sagte, er brauche eine saure Waschstufe, um die im Holz befindlichen Schwermetalle zu lösen. Der sagte tatsächlich: 'Bei uns ist Schwefel ein verbotenes Element!' Ehrlich, Herr Schober, diese Firma können Sie grad' vergessen, das sitzt eine Ansammlung von Ignoranten und Dilettanten. Deren letzte krude Idee ist es, hochviskosen Chemiezellstoff zu produzieren, weil dafür höhere Marktpreise gezahlt werden. Dabei erlauben die Bedingungen des Verfahrens nichts anderes als die Herstellung von Zellstoff mit niedriger Viskosität."
Schober war nicht überzeugt: "Sie sind immer so negativ mit Ihrem Urteil", sagte er, "Hinter diesem Projekt steht Thyssen, die wollen das neue Verfahren weltweit vermarkten!"
"Das wird fast unmöglich, wenn man nicht grundlegende Änderungen am Konzept durchführt. Es ist aber nicht zu erkennen, dass die Verantwortlichen verstehen, was möglich und was unmöglich ist!"
"Das kann nicht sein. Thyssen ist ein Weltkonzern, die machen keine Fehler!" war Schobers zusammenfassendes Urteil. Dieser Sauerstein ist ein Besserwisser, ich muss auch hier meine eigenen Wege gehen.
Er versuchte über den Einkauf bei Organopulp ins Geschäft zu kommen und stieß auf geringes Interesse. Sein Einstieg ins Telefonat: "Wir haben die Lösung für Ihr Problem!" war wohl nicht hilfreich, denn offiziell gab es kein Problem. Daraufhin setzte er Seeberger an, der sollte Kontakt zur Geschäftsleitung schaffen. Die Vorgespräche zogen sich hin und bevor sie zu etwas führen konnten wurde nach 'intensivem Probebetrieb' die Einstellung der Produktion verkündet. Da auch ziemliche Mengen an öffentlichen Mitteln ins das 'Zukunftsprojekt' geflossen waren, versuchte die bayrische Staatsregierung noch etwas von der Investition in 'Zukunftstechnologie' zu retten. Interessenten aus fernen Ländern, wie Indonesien, wurden als Kandidaten für den Kauf der Anlage präsentiert. Deshalb zahlte die bayrische Staatsregierung noch zwei Jahre den Warmhaltebetrieb, damit Anlagenteile nicht durch Frost zerstört wurden. Es gab aber dann doch nur noch den Schrottpreis für die Anlagenteile, für den Steuerzahler blieben die Kosten des Rückbaus und der Bodensanierung. Offenbar können Weltkonzerne doch irren.
Schober sah es positiv. Er freute sich darüber, dass er nur Lübmüller und Müller y Gonzales aber weder Bereichsleiter Pfleiderer noch den Vorstand über die Pläne zur Kooperation informiert hatte, er braucht schließlich gute Nachrichten, beim Bankrott dieses Hoffnungsträgers dabei gewesen zu sein, wäre schlecht fürs image gewesen. Zum Glück gab es neue Themen.