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Kapitel 7

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Julio hatte im schweren Schlaf der Erschöpfung einen jener vielversprechenden Träume, die normalerweise nicht den gewünschten Verlauf nehmen und in Enttäuschung enden. Viele sanfte Frauenhände schienen damit beschäftigt, ihn seiner lästigen Kleidung zu entledigen, seine Haut zu streicheln, seiner Männlichkeit zu schmeicheln; er badete in weichen Busen, Armen und Schenkeln wie in fließenden Gewässern, und am Ende löste sich alles in einem Milchmeer auf: „Unbewußt, höchste Lust!“ seufzte er und versank in noch tieferer Tiefe, aber es war wahrhaftig nicht die bittere Flut der Ernüchterung, sondern die süßeste Erfüllung aller Wünsche, die auf sein Gesicht die Seligkeit eines satten Säuglings zauberte.

Irgendwann in der Nacht jedoch schreckte er auf, er fühlte, dass sein Rücken kalten Zug abbekam, zog die Decke zurecht, hörte im Dämmerschlaf Knistern und Flüstern, öffnete die Augen einen Spaltweit und sah die nackte Danielle auf dem Boden neben dem Kleiderschrank sitzen. Die halb geöffnete Tür zum Badezimmer beleuchtete sie von einer Seite, modellierte ihre kleinen Brüste und vergoldete ihr Haar. Sie hockte mit verschränkten Beinen da, in ihrem Schoß hatte sie Julios Geldbündel aufgehäuft und während sie mit der Linken damit spielte, hielt sie ein Mobiltelefon ans rechte Ohr. Julio konnte nur einige Worte des schnellen Zischelns verstehen, das unaufhaltsam ihrem süßen Mund entströmte: „Si, argent, millions, Alain, étudiant, non, Marc, attaque, papa, fuite, oui, Monmartre, écoute, dettes, poil, carottes, si, si, anizza ...“

In Julios Kopf begann es zu klopfen und plötzlich explodierte ein scharfer Schmerz unter der Schädeldecke, er langte mit der Hand an die Bandage und stöhnte. Danielle fuhr auf, die Geldbündel glitten aus ihrem Schoß, sie flüsterte noch zwei Worte ins Handy, legte es auf eine Kommode, trat näher, kniete sich neben Julio und ergriff seine aus dem Bett hängende Rechte.

Wie ein Schneesturm wirbelten Gedanken durch seinen Kopf. Plötzlich begriff er: Sie stand nicht auf seiner Seite, ihre Liebe war nur vorgetäuscht, in Wirklichkeit war sie die Konkubine von Marc Barrault oder vielleicht von Moroni, genannt Poil de carotte wegen seiner roten Haare. Sie hatten das Mädchen auf ihn, Julio, angesetzt, und die angebliche Rettung aus den Händen der oder des Angreifers - wahrscheinlich war es der Rotkopf gewesen, ihm traute Julio alles zu - am Tor des Waldes von Gersaint war allein deswegen geschehen, weil er nur einen Teil des Geldes bei sich hatte, auf das sie scharf waren. Danielle sollte ihn dazu bringen, ihr das Versteck der übrigen Millionen zu verraten. Die Verfolger, die, wie sie behauptet hatte, auf der Straße vor dem Hotel standen, hatte er nicht sehen können. In Wahrheit war es nur einer gewesen, der junge Mann in der Lederjacke, der sie beinahe erwischt hätte, als sie ins Taxi stiegen, und der war wahrscheinlich ein unbekannter Freund oder Komplize von Danielle und ihrer Studentenbande!

Er stöhnte noch ein wenig, warf sich hin und her, entzog dabei seinen Arm den Händen Danielles und vergrub seinen Kopf im Kissen, als läge er noch im Tiefschlaf. Er spähte unter den Wimpern hervor und sah, wie sie sich von ihm abwandte, hinkniete, das Geld zögernd in die Plastiktüte steckte und diese in den Kleiderschrank zurücklegte. Dann ergriff sie das Handy, ging ins Badezimmer und riegelte von innen ab.

Julios Kopfschmerzen hatten in dem Maße nachgelassen, in dem ihn die Erleuchtung überfallen hatte. Er verließ das Bett, stieg über die auf dem Boden verstreuten Kleidungsstücke und drückte das Ohr an die Badezimmertür. Aber er hörte buchstäblich nichts, entweder war sie zu dick oder Danielle sprach mit niemandem.

Er legte sich wieder hin, schloss die Augen und dachte verzweifelt nach, während sie aus dem Badezimmer trat, das Licht löschte und sich neben ihn legte. Und dann geschah etwas, was ihn in erneute Verwirrung stürzte: sie hob seine Bettdecke an und drängte ihren nackten Leib an seinen. Ihre feuchte Wärme und der zarte Duft von parfümierter Seife überwältigten ihn auf der Stelle. Er tat so, als wache er nur allmählich auf, dann aber erwiderte er ihre scheuen Küsse gieriger und gieriger, während das Chaos in seinem Kopf immer bedenklichere Formen annahm.

Er sagte nichts, seufzte nur, während er dachte: Nun gut, sie mag eine Ratte sein, aber sie ist eine bezaubernde Ratte. Und zu seiner Verwunderung hörte er, wie sie, auf ihm sitzend und ihn zu immer neuen Luststürmen aufstachelnd, seufzte: „Julio, je t’aime, je t’aime. Jamais dans ma vie j’ai aimé un homme tant que toi, ...sauf...“ sie zögerte.

„Außer“, unterstützte sie Julio und starrte bezaubert auf ihre nackten Brüste.

“Sauf mon papa“, gestand sie lachend.

Das war doch...., Julio war vollkommen perplex, einem ausgesprochenen Elektra-Komplex war er nie begegnet. Zu allem, was ihm passiert war, musste auch das noch kommen, er verstand gar nichts mehr.

„Also du liebst deinen Vater mehr als mich!“ stellte er nüchtern fest. Doch er musste sich gestehen, dass es mit der Nüchternheit nicht weit her war.

„Nun hör mal, beweise ich dir nicht gerade das Gegenteil!“ rief sie mit gespielter Empörung und verdoppelte ihre Anstrengungen.

„Erzähl mal“, sagte er mit gepresster Stimme, „ich weiß überhaupt nichts von deiner Familie. Was macht dein Papa denn so?“

Er stellte verwundert fest, dass es ihm ein spezielles Vergnügen machte, bei der Liebe small talk zu pflegen, und sie ging amüsiert darauf ein.

„Er betreibt eine Go-Cart-Bahn auf dem Land bei Nizza“, sagte sie mit leichter Betrübnis.

„Und die geht schlecht“,schloss er aus ihrer Miene.

Sie nickte heftig mit dem Kopf und die blonden Locken flogen um ihre Stirn.

„Er hat Schulden?“ wagte sich Julio vor.

„Eine Menge...“ bestätigte sie, schob ihr Becken auf und ab und presste ihre Lippen zusammen.

Mit einem Mal überkam Julios Unterleib Kälte und Gefühllosigkeit, sie bemerkte es erstaunt.

„Was hast du? Tut dir wieder der Kopf weh?“

„Ja, ja“, stöhnte er und zog das verschrumpelte Etwas unter ihren Schenkeln hervor.

Das war also ein neuer Versuch, ihn zu schröpfen. Sie musste bemerkt haben, dass er ihr Gespräch gehört hatte, also fuhr sie mit einer neuen Strategie auf. Ein geliebter Vater mit Schulden musste her. Und weil man sie so liebte, musste auch er vom Reibach etwas abkriegen. Aber es gab gar keinen Papa und keine Go-Cart-Bahn, da war Julio sich sicher. Er stöhnte lauter, diesmal aus psychischen Gründen. Sie war eine Lügnerin und eine Betrügerin, aber er war hoffnungslos und rasend in sie verliebt. Wie sie neben ihm kauerte, mit dem unglücklichen Engelsgesicht über dem schönsten Hals, den wunderbarsten Schultern und dem berückendsten Busen, den er je liebkost hatte, da wusste er, dass er (außer Cleo?) nie jemand so begehren würde, wie sie.

„Wie viel?“ fragte er mit stockender Stimme.

„Was meinst du?’“

„Wie hoch sind seine Schulden?“

Sie verstand, warf sich über ihn, fasste seinen Kopf in beide Hände, küsste ihn auf Mund, Wangen und Stirn und seufzte:

„Neunzigtausend Euro!“

Kalt und gefasst gelang es ihm noch zu flüstern: „O.K. Du kannst sie haben. Bediene dich. Sie sind im Schrank.“

Dann raubten ihm Qual und Wut die Stimme, er stieß sie von sich, gurgelte, krächzte, schrie: „Und dann pack dich, verschwinde aus meinem Leben!“

„Um Gottes Willen! Julio, was ist in dich gefahren?“ rief sie entgeistert und krallte sich in seine Schultern. Er schüttelte sie ab, wälzte sich aus dem Bett, trat nackt wie er war, auf ihre Nacktheit zu und schlug sie mit dem Handrücken auf die Wange.

Sie warf sich mit dem Gesicht aufs Bett und schluchzte verzweifelt.

„Lügnerin“, entfuhr es ihm, dann aber, von ihren zuckenden Schultern erschüttert und gerührt, wisperte er in ihr wohlgeformtes Ohr: „Liebling, was habe ich nur getan, es tut mir leid.“

Er packte sie von hinten, drehte sie um und bedeckte sie mit Küssen.

„Du bist verrückt“, murmelte sie und erwiderte seine Liebkosungen.

„Ja,“ gestand er, „verrückt nach dir.“

Mit nassen Augen sah sie zu ihm hinauf:

„Du hast ja recht. Meine Eltern sind längst tot. Mein Onkel ist pleite. Meine Ersparnisse sind aufgefressen, ich habe kein Geld fürs Studium übrig. Ich weiß nicht, wovon ich nächsten Monat leben soll.“

„Mach’ dir keine Sorgen“, beruhigte er sie und strich ihr übers Haar, „du wirst nicht darben, dafür werde ich sorgen.“

Was sagst du da? fragte eine Stimme in ihm, und was ist mit Cleo? Wolltest Du nicht ihre Schulden bezahlen? Und eine andere Stimme dröhnte: Geizkragen! Was willst du? Es ist genug für alle da.

Der Diplomatenkoffer

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