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Kapitel 8

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Bernard, Freund und Kompagnon von Henri Dupont, frühstückte mit seiner Frau Caroline und seinem zweijährigen Söhnchen Paul im morgendlichen Sonnenschein auf der Terrasse seines Hauses. Nachdenklich legte er sein Handy auf den Tisch. Henri hatte ihn eben vom Parkplatz des Museums aus angerufen und von dem neuen Auftrag für sie berichtet. Caroline sah neugierig zu ihm hinüber und rührte in ihrem Kaffee:

„Ich hab’ nicht alles mitgekriegt. Was ist das für eine Geschichte mit Marius Barre?“

Bernard freute sich über ihr Interesse, sonst lag ihr nur noch etwas am Wohlergehen des Sprösslings. Bernard ging das ständige Gerede über Kinderpflege und -erziehung auf die Nerven. Neben Caroline beteiligten sich noch eine Hausangestellte, die Köchin und die neue Angetraute seines Vaters an der unablässigen Diskussion über jegliche Gemüts- und Darmregung des Kindes. Hatte man auch um ihn soviel Wesens gemacht? Er konnte sich nicht daran erinnern. Väter, das hatte er kurz nach der Geburt Pauls gemerkt, waren wie die Drohnen im Bienenstock, nach der Zeugung wurden sie abgeschafft, sie waren überflüssig geworden.

Ihm gegenüber saß Paul auf dem Kinderstühlchen. Er zappelte herum, warf sein Baguettestück auf den Boden und den Yogurthbecher hinterher, das trug ihm eine milde Rüge von Caroline ein, während ihn Bernard am liebsten übers Knie gelegt hätte.

Er begnügte sich aber mit einem Lächeln und stillte ihre Neugier, um nicht wieder in ein ermüdendes Streitgespräch über die richtige Art und Weise, aus quakenden Kröten Menschen zu machen, hineingezogen zu werden.

„Merkwürdige Geschichte“, sann sie und wischte mit einer Serviette Yogurthspuren von Mund, Nase, Kinn, Händen und Haaren ihres Abgotts.

„Kann man wohl sagen“, bestätigte ihr Mann, „und das Schönste kommt noch. Das Ganze sieht nach einem Komplott gegen Barre aus. Henri und Alida haben vom oberen Stock des Hauses von Cellier das Gespräch der Kriminalbeamten belauscht: da war die Rede davon, sie hätten die Pistole gefunden, mit der der Lokalreporter umgebracht worden sei und rate mal, wessen Fingerabdrücke auf der Waffe sein sollen?“

„Die von Barre etwa?“

„Richtig“, sagte er, ohne ihre Ironie zu monieren, „aber sie haben noch eine Spur: Allergie.“

„Allergie?“

„Ja, da staunst du, was! Smarte Gesetzeshüter, Geistesgrößen, Kombinationsgenies! Barre hat zu Protokoll gegeben, dass er gestern früh die ganze Zeit im Redaktionsbüro war, außer während eines Kurzbesuchs auf der Toilette. ‚Kurzbesuch’ höhnten sie, Barres Dauersitzungen seien notorisch, zu viel Fleisch, zu wenig Ballaststoffe. Konstipation als Dauerleiden. Und um aus dem Klofenster aufs Dach zu schlüpfen, von da aus in den Dienstbotenaufgang, wo fast niemand vom Haus sich aufhält, von dort in den Archivtrakt, Cellier abmurksen, zurück zum Klo und dann hocherhobenen Hauptes wieder ins Büro schlendern, dafür brauche man, wenn es hoch kommt, sogar weniger als die üblichen zwanzig Minuten.“

„Ja, ja“, Caroline hübsches Gesicht verzog sich irritiert, „aber was ist das mit der Allergie?“

„Leopold! Sagt dir der Name etwas?“ Es machte ihm Spaß, sie auf die Folter zu spannen.

„Leopold? Der Name ist mir neu.“

„Es ist die Katze von Frau Makoulian, der Archivarin der Zeitung. Sie bringt sie jeden Morgen mit, damit sie zu Hause nicht wegen der Einsamkeit neurotisch wird und lässt sie im Archiv herumlaufen.“

„Aha“, Carolines Züge hellten sich auf, „und Barre hatte eine Allergie und die Polizei behauptet, er habe sie sich bei seinem mörderischen Besuch im Archiv geholt.“

„Sie schließen messerscharf, er habe eine Allergie auf Katzenhaare und das sei ein weiterer Beweis, dass er dort gewesen sei.“

„Es juckte ihn an dem Morgen tatsächlich?“

„Muss wohl so gewesen sein.“

„Das braucht aber nicht unbedingt von Katzenhaaren zu kommen“, wandte sie ein, „es gibt bestimmt tausend andere Ursachen: Nebenwirkungen von Medikamenten, Krabben, Erdbeeren, wer weiß was alles. An seiner Stelle würde ich einfach unter gerichtlicher Aufsicht zu einem Hautarzt gehen und mich auf eine Katzenhaar-Allergie testen lassen. Wird sie nicht bestätigt, ist er sofort aus dem Schneider.“

„Und wenn nicht?“

„Einem guten Anwalt wird schon etwas einfallen. Eine Anklage auf Grund eines solchen Beweises ist dermaßen wackelig...“ Sie konnte das zu Recht sagen, denn bevor sie etwas überstürzt geheiratet hatte, wie sie später zugab, hatte sie eine Zeitlang Jura studiert.

„Es kommt aber noch besser“, fuhr ihr Gatte fort, „angeblich haben sie bei der Durchsuchung der Räume Celliers ein Dossier gefunden, das dieser angelegt hat. Darin soll Cellier geheime Unterlagen gesammelt haben, die Barres Beteiligung an verschiedenen halb- bzw. ganzkriminellen Aktionen bewiesen. Die Bullen vermuten, dass Barre von Celliers Treiben Wind bekommen und ihn deshalb ermordet habe.“

„Ich mag Barre zwar nicht besonders“, gestand die Kindsmutter, „aber das traue ich ihm nicht zu.“

Paulchen schlug mit dem Löffel auf seinen Teller und schrie: „Mami, du auch.“ Sie gehorchte und als auch Papi mittrommeln musste, sagte eine Männerstimme hinter ihnen: „Was für ein Heidenlärm, damit könnt ihr ja Tote aufwecken.“

„Opa“, rief Paulchen, „Opa, mach mit!“

Alain Grandville ließ sich in einen freien Sessel fallen, hielt sich die Ohren zu, nachdem er einen Brief auf den Tisch gelegt hatte, und klagte: „Kinder, wollt ihr mir das bisschen Gehör rauben, das ich noch habe?“

„Schluss jetzt!“ meinte Bernard, legte sein Lärminstrument beiseite und nahm Paul den Löffel aus der Hand. Sohnemann brüllte wie am Spieß. Caroline verstand eine Geste ihres Gemahls, hob den strampelnden Abgott aus seinem Stühlchen und verschwand mit ihm im Inneren des Hauses. Türen klappten, und das Geschrei war weg.

„Guten Morgen, mein Alter“, sagte Bernard, beugte sich hinüber und küsste seinen Vater auf die noch unrasierte Wange, „was führt dich zu einer solch unchristlichen Zeit schon zu uns.“

Alain Grandville nahm den Brief, der noch unadressiert war, und klopfte mit einer Ecke des Umschlags auf den Frühstückstisch, „Caroline hat mir gestern Abend erzählt, dass du heute früh nach Paris fliegst.“

„Stimmt, zu einem Vortrag an der Université catholique.“

„Und, worum geht’s?“

„Um einen italienischen Aufklärer, Algarotti, der Name wird dir nichts sagen.“

„Aber ja doch, ein Freund von Voltaire und der Madame du Deffand.“

„Nein, nicht du Deffand, Emilie de Châtelet.“

„Soso!“ meinte Opa zerstreut: „Na ja, all diese Dämchen. Also à propos: Kannst du diesen Brief mitnehmen und einer Frau bringen? Aber bitte persönlich abgeben!“

„Natürlich, ich könnte das allerdings erst morgen machen, ich bin heute den ganzen Tag besetzt. Warum gibst du ihn nicht zur Post?“

„Das ist ja gerade der Haken“, der große Politiker und Wirtschaftsfachmann, der gerade erst mit viel Aufwand und großer Anteilnahme der Öffentlichkeit seinen achtzigsten Geburtstag gefeiert hatte, wand sich sichtlich, „frag nicht lange, es gibt da bestimmte Hindernisse, sonst würde ich dich nicht bitten. Und die Sache ist wichtig.“

„Also gut, meinetwegen, das bedeutet natürlich, dass ich noch einen Tag dranhängen muss, sonst hätte ich den Nachtflug zurück genommen.“

„Ich übernehme selbstverständlich die Hotelkosten“, versicherte sein Vater.

Bernard war empört: „Aber hör mal, Papa, rede keinen Unsinn. Ich mach das doch gern für dich. Wie heißt denn diese Frau und wo wohnt sie?“

„Mme. Louise Granier, 33, Rue Dalayrac.“

„Kannst du die Adresse nicht auf den Briefumschlag schreiben? Ich kann mir im Augenblick nichts merken, ich habe den Kopf so voll.“

Sein Vater vergrub eine Hand in der linken Innentasche seines Jacketts, zog einen Schreibblock, in dessen Rücken ein kleiner Stift steckte, heraus und notierte die Adresse auf einer herausgerissenen Seite.

Bernard, der seit einiger Zeit in der Detektei Dupont, einer Schule des Misstrauens, arbeitete, runzelte die Stirn: „Warum schreibst du die Adresse nicht auf den Brief, mon vieux?“

„Oh je, du fragst so viel. Ich habe dir doch gesagt, ich habe meine Gründe.“

„Klar doch, aber wäre es nicht gut für mich, einige dieser Gründe zu kennen, ehe ich heikle Aufträge übernehme.“

„Wieso heikel“, der Alte tat unschuldig, „ich habe nichts von heikel gesagt.“

„Rede nicht um den heißen Brei herum“, insistierte der Meisterdetektiv, „warum steht keine Adresse auf den Brief?“

„Es könnte sein, dass dir der Brief abhanden kommt.“ Auguste wiegte bedächtig das weiße Haupt.

„Du spinnst, ich garantiere dir die persönliche Zustellung. Aber warum rufst du die Frau nicht einfach an?“

„Da hören zu viele mit.“

„Wie ist es mit E-Mail, Fax ..?“

„Das Gleiche!“

„Warum fährst du nicht selbst zu ihr?“

„Mich erkennt man sofort überall. Und dann redet man rum. Aber ich denke, dass du ohne große Umstände zu der betreffenden Person kommen wirst, du musst dir dazu nur noch den Namen Carulli merken. Das ist so eine Art Passwort.“

„Warum, um Himmels Willen?“

Auguste setzte sich gemütlich im Gartensessel zurecht: „Das dient dazu, eine Eventualität auszuschließen: nämlich dass Frau Granier dich nicht vorlässt, bzw. dass du nicht zu ihr vorgelassen wirst. Lass' dann einfließen, Herr Carulli habe dich geschickt oder etwas Ähnliches, und sie kommt sofort selbst an die Tür.“

Der große Politiker lehnte sich in den Sessel zurück und schaute zufrieden umher.

Bernard starrte ihn entwaffnet an, schrieb das Wort Carulli zu der Adresse auf dem Zettel, nahm den Brief vom Tisch, wog ihn in der Hand und meinte:

„Eins muss man dir lassen, du hast es wirklich raus, einen neugierig zu machen.“

„Ich setze noch eins drauf“, der alte Grandville lachte, „auf dich wartet eine Überraschung. Wundere dich nicht, wenn dir dort jemand seltsam bekannt vorkommen sollte.“

Er erhob sich zum Abschied ein wenig mühsam von seinem Sitz, doch als Bernard ihm eine Hand reichen wollte, winkte er ab:

„Schon gut, mein Junge. So schlapp bin ich noch nicht.“ Er wandte sich im Davongehen noch einmal um und sagte: „Jetzt bist du dank deines neuen Berufs bestimmt neugierig auf das, was in dem Brief steht.“

„Aber nun hör mal, Papa, du kannst doch nicht im Ernst denken, dass ich den Brief öffnen will.“

„Der Umschlag ist vollkommen neutral, du könntest ihn durch einen anderen ersetzen und niemand würde etwas merken.“

Bernard setzte sich in Positur: „Papa, nun langt’s. Provozier’ es nicht.“

„Was denn?“ fragte der Alte listig.

„Dass ich es wirklich tue.“

„Es ist deine Entscheidung“, sagte sein Vater über die Schulter und schritt gemächlich auf seine Villa zu, die jenseits eines begrasten Hügels am anderen Ende des Grundstücks lag.

Alter Fuchs, dachte Bernard amüsiert, während er ihm nachsah, es geschähe ihm recht, wenn ich den Brief tatsächlich lesen würde. Als er ins Haus ging, um sich für die Reise umzuziehen, überfielen ihn doch Skrupel. Beim Packen seiner Aktenmappe im Arbeitszimmer kam er darauf, wie er das Problem lösen konnte. Er öffnete den Umschlag, legte den Brief, ohne seine Vorderseite zu lesen – die Rückseite war leer – auf den Kopierer, machte einen Abzug, den er zusammengefaltet in seinen Tresor legte, und steckte das Original in ein neues Kuvert. Wenn ihm etwas nach dem Besuch bei der mysteriösen Madame Granier nicht koscher vorkommen sollte, würde er die Kopie lesen. Wäre das nicht der Fall, würde er sie ungelesen vernichten.

In die Geschäfte seines Vaters verwickelt zu werden, konnte zuweilen unabsehbare Folgen haben das wusste er aus leidvoller Erfahrung. Dem musste er vorbauen.

Der Diplomatenkoffer

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