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Kapitel 9

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Kommissar Renard schaute aus dem Fenster seines Büros auf die träge dahinfließende Seine und trommelte mit den Fingern an das Glas; er erwartete Inspektor Lafitte, der sich für zehn Uhr angesagt hatte. Auf den Schnellstraßen entlang den Quais rasten in endloser Folge Automobile daher, auf dem Fluß glitt indessen majestätisch ein schwerer Lastkahn vorbei, ihn ließ die Hektik der Großstadt kalt; eine Frau stand hinter dem Führerhaus und hängte Wäsche an die Leine, Laken, Hemden, Handtücher, Unterhosen, Büstenhalter. Rauch stieg aus dem Ofenrohr über den Wohnkabinen, da kochte wohl schon ein leckeres Süppchen, während der Kapitänsgemahl hinter blinkenden Scheiben besinnlich am Steuerrad drehte.

Renard sah mit leiser Wehmut auf die Szene hinunter, er erinnerte sich daran, dass er als Junge einmal in der Picardie bei seinem Onkel zu Besuch gewesen war, der dort als Schleusenwärter am Verbindungskanal zwischen der Oise und der Marne wohnte. Damals hatte er davon geträumt, auch ein Schiff zu lenken, natürlich nicht nur durch gemütliche französische und belgische Kanäle, sondern hinaus aufs Weltmeer bis zu den Fidji-Inseln. Die Bilder von Gauguin hatten es ihm angetan. Diese wunderbaren braunen Frauen in ihren roten und blauen Sarongs, die Fabelblumen und exotischen Tiere....

Aber ehe er sich weiteren Erinnerungen hingeben konnte, klopfte es, er rief „Herein!“ und Lafitte erschien, geschäftig wie immer, und begann schon, ehe er ihn erreicht hatte, zu reden:

„Chef...“

„Guten Morgen übrigens“, unterbrach ihn Renard lächelnd.

„Tschuldigung, guten Morgen natürlich, ich wollte nur sagen...“

„Setzen wir uns erst mal“, stoppte ihn der Kommissar erneut, „wie wär’s mit einem Schluck Kaffee?“

„Da sag’ ich nicht nein.“ Lafitte ließ sich neben ihm an einem Tischchen vor dem Fenster nieder, Renard goß aus einer Thermoskanne heißen Kaffee in zwei bereitstehende Tassen und lehnte sich in seinen Sessel zurück:

„So, jetzt kann’s losgehen.“

„Also, Chef, ich habe mich in Müllologie vertieft.“

„Was soll das denn sein?“

„Den Begriff habe ich geprägt: er bedeutet die Wissenschaft der Abfallbeseitigung, speziell der von Paris.“

„Na, hoffentlich haben Sie sich nicht so intensiv in die Materie hineingekniet wie Victor Hugo in die Pariser Kloaken. Sie riechen tatsächlich ein wenig streng.“

„Aber Chef, das kann nicht sein, gestern Abend habe ich mich geduscht, heute früh die Kleider gewechselt und danach hing ich nur am Telefon.“

„War nur Spaß“, beruhigte ihn Renard.

„Also ich habe mich gefragt, ob sich feststellen lässt, welches Fahrzeug den alten Schrank mit der Leiche und den Schreinereiabfällen transportiert hat und wo es ihn aufgeladen haben kann.“

„Richtig, das war die Preisfrage und wie ist die Lösung?“

Lafitte trank seine Tasse leer, setzte sie zurück und fuhr fort:

„Die war nicht ganz einfach herauszukriegen, am besten erzähle ich Ihnen die Sache chronologisch, denn wenn ich Ihnen die Lösung sage, wollen Sie bestimmt wissen, welche Beweise ich dafür habe.“

„Also gut, dann schießen Sie mal los.“

„Der Mann auf dem betreffenden Amt sagte mir, dass die Deponie in Montreuil Hauhaltsabfälle, Schutt, Sperrmüll usw. aus allen umgebenden Städten und Dörfern aufnimmt, deshalb müsste man zuerst einmal ‚eruieren’, aus welchem speziellen Ort das ‚Abfallgut’ stamme.“

„Eruieren“, Renard schüttelte den Kopf, „wissen Sie, was das heißen soll?“

Lafitte grinste: „Das habe ich den Beamten auch gefragt. Eruieren bedeutet ‚herauskriegen’. Ich denke, die vornehme Sprache soll das schmutzige Geschäft veredeln.“

„Aha!“

„Also habe ich mir die Fotos und den Bericht über den Fundort noch einmal vorgenommen und mir fielen die vielen bunten Stofflumpen auf, die neben den Tischlerabfällen lagen. Sie mussten von der gleichen Ladung stammen. Ich fragte Ihre Sekretärin, Frau Marchand, was sie zu den Fetzen sagen könnte.“

„Ja, der Personalmangel! Jetzt brauchen wir auch schon die Tippsen für die Ermittlungen.“

„Chef, lassen Sie die ironischen Bemerkungen! Frauen sind in puncto Kleidung nun mal beschlagener als wir Männer. Was sie sagte, war so gut wie das Urteil eines Experten. Sie meinte, es handele sich um Stoffabfälle aus einer Näherei der Haute Couture. Die Farben seien die Modefarben der Herbst-Winter-Kollektion des letzten Jahres; weil jetzt die neue Palette herausgekommen sei, würden die alten Muster weggeworfen. Sie kann sich nicht denken, dass die Nähereien an einem anderen Ort als Paris sind, denn sie müssen immer im unmittelbaren Kontakt zu dem betreffenden Modeschöpfer stehen. Aus Vorsicht habe ich mich übers Internet schlau gemacht, es gibt tatsächlich in keinem Ort um Paris Schneidereien, die dafür in Frage kommen. In Paris selbst gibt es wiederum zu viele. Um mir zu ersparen, zu all diesen Geschäften zu laufen und ihnen die Stoffproben zu zeigen, habe ich mich zuerst einmal gefragt, was mit den Tischlereien ist. Denn, das sagte mir der vornehme Beamte, solcher Abfall werde in Container gesteckt, die dann von der Abfallbeseitigung aufgeladen und abgefahren werden. Das erleichtert uns die Suche. Wo gibt es eine Schreinerei und eine Näherei, die in unmittelbarer Nachbarschaft sind und den gleichen Container benutzen? Ich habe mir das auf dem Stadtplan angesehen, nachdem ich die Tischlereien markiert habe und bin auf zwei Orte gestoßen, wo das der Fall ist. Jetzt bleibt nur noch übrig, dass wir uns dort persönlich ein Bild davon machen.“

„Bravo, gute Arbeit!“ Renard klopfte dem bescheiden lächelnden Assistenten anerkennend auf die Schulter: „Na, dann sehen wir mal zu, ob wir den Laden finden können.“

Während sie sich die Mäntel anzogen, fragte der Kommissar: „Hat die Obduktion Neues ergeben?“

„Nicht viel. Er muss an einer leichten Form von Diabetes gelitten haben. Außerdem hatte er einen großen Nierenstein, der ihm aber keine Beschwerden gemacht haben kann, sagt Mirefleur. Mit seinen zwei Kronen und einem implantierten Schneidezahn hat man gute Chancen, den Zahnarzt zu finden, der ihn behandelt hat. Im Magen fand man Reste von Kalbfleisch mit Oliven, eher ein griechisches Gericht. Wenn er es sich nicht selbst gekocht hat, hat er vielleicht ein griechisches Restaurant besucht. Das müsste man doch finden können. Er stammt aus guten Verhältnissen, seine Hände sind glatt, die Haut ist gepflegt, nur, wie gesagt, er war trotzdem ein Säufer.“

„Das sind alles verwertbare Indizien“, stellte Renard fest. „Warten wir die Vermisstenmeldungen ab.“

Er stützte das Kinn in die Hand: „Da war doch noch was? Ach ja, der Teppich. Hat sich Desailly damit beschäftigt?“

„Also er bestätigt, was ich mir schon dachte. Der Kerman ist von ausgezeichneter Qualität. Allerdings ist er zerschlissen, er muss also sehr alt sein. Desailly schätzt ihn auf über hundert Jahre. Es wird wohl nicht festzustellen sein, wo er herkommt, aber da er viel gekostet haben muss, stammt er gewiss aus dem Haus einer vermögenden Familie mit altem Erbe. Das ist doch auch ein guter Anhaltspunkt.“

„Auf jeden Fall. Butler und Putzfrauen werden sich sicher an so ein Stück erinnern“, bestätigte Renard, nahm seinen Assistenten am Arm und zog ihn in den Gang hinaus.

Der Diplomatenkoffer

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