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Misstrauen

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Regelmäßig wache ich mitten in der Nacht auf. Schweißgebadet natürlich, weil man mitten in der Nacht meistens schweißgebadet aufwacht oder von einem unerklärlichen Geräusch. Ich höre aber kein Geräusche, wenn ich welche gehört hätte, dann wären es Beißgeräusche gewesen. Die wären von den Gewissensbissen gekommen, die ich seit einigen Wochen habe. Ich weiß gar nicht mehr, wann es angefangen hat, ich schenkte der Sache nämlich zunächst keine Beachtung. Wahrscheinlich fing es so an: Immer wenn ich meine Emails aufrief, tauchte ein Banner auf: »Kein Scherz, Sie haben gewonnen. Schauen Sie sofort nach, um welches dieser Cabrios es sich handelt: Audi TT Roadster, BMW 3, Opel GT.«

Niemals habe ich auch nur den Versuch unternommen, diese Benachrichtigungen anzuklicken, weil ich dem Internet grundsätzlich misstraue, aber bestimmt erschienen sie über tausendmal. Ich rufe nämlich sehr häufig meine Mails auf, weil ich hoffe, verlockende Angebote von Verlegern, Filmproduzenten oder wenigstens Frauen zu bekommen. Meistens werde ich nur darüber informiert, dass ein neuer Film anläuft, dass bei Amazon CDs der Bee Gees billiger geworden sind oder dass ich mein Geschlechtsorgan in zwei Wochen um 40 Prozent verlängern könnte. Ich habe aber nur ein sehr kleines Arbeitszimmer, deshalb mache ich von diesem Angebot lieber keinen Gebrauch. Genau wie ich niemals nachgucke, welches der drei Cabrios ich gewonnen habe. Tausendmal hat man mir ein Cabrio angeboten und tausendmal habe ich es ausgeschlagen. Jetzt stehen irgendwo tausend Cabrios herum oder vielmehr dreitausend, denn die Gewinnspielveranstalter konnten ja nicht wissen, welches ich mir aussuchen würde. Bestimmt bin ich nicht der einzige, der ein Cabrio gewonnen hat und nicht nachguckt. Nehmen wir nur an, es sind in ganz Deutschland 1000 Menschen, dann stehen jetzt irgendwo drei Millionen Cabrios und warten, dass man mal nachguckt. Es werden täglich, stündlich mehr. Sie nehmen mit Sicherheit schon eine Fläche ein, die so groß wie das Saarland ist, wahrscheinlich ist längst das ganze Saarland von Cabrios bedeckt, ich weiß es nicht, ich war länger nicht mehr dort.

Warum bringe ich einfach nicht den Mut auf und schaue mal nach? Natürlich ist es Blödsinn, im November mit dem Cabrio durch die Gegend zu fahren, das wirkt lächerlich, vor allem im Saarland. Ich hätte trotzdem längst mal nachgucken müssen, sie schreiben ja extra es wäre »kein Scherz«. Wenn es ein Scherz wäre, dann hätten sie geschrieben »Ein Scherz: Sie haben gewonnen«. Aber das haben sie nicht geschrieben und deshalb muss es stimmen.

Wenn ich aber jetzt anfange, nachzugucken und es stellt sich raus, dass ich ein Opel Cabrio gewonnen habe, dann muss ich ins Saarland fahren, um mir meinen Gewinn abzuholen. Da führt man mich auf eine sehr hohe Aussichtsplattform und zeigt mir bis zum Horizont Cabrios. In allen Farben. Und hinter dem Horizont geht es weiter. Die Gewinnspielveranstalter sehen mich strafend an. »Und welcher ist meiner?«, frage ich schnell, um ihren Blicken zu entgehen. Sie deuten nach hinten, ganz weit nach hinten, ans Ende des Saarlands. Da steht mein Cabrio. Dann händigen sie mir meinen Wagenschlüssel aus und dazu noch drei Millionen andere Zündschlüssel, von den Cabrios, die vor meinem Cabrio stehen. Bevor ich an mein Cabrio herankomme, muss ich die erst alle wegfahren. Und das ist dann der Moment, wo ich schweißgebadet aufwache.

Die 55 beliebtesten Krankheiten der Deutschen

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