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Krebs

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Vor einigen Wochen hatte ich Krebs. Keine großartige Geschichte, das kommt bei mir öfter vor. Tropft die Nase, schmerzt das Knie oder der Ellenbogen, immer denke ich zuerst an Krebs. Gehe ich zum Zahnarzt, bin ich innerlich schon darauf gefasst, dass er einen kindskopfgroßen Tumor in der Mundhöhle entdecken wird. Ich überlege mir, ob ich nach einer Kieferamputation noch in der Öffentlichkeit auftreten könnte. Oder ob ich es vielleicht sogar sollte. »Der erste Roman eines kieferlosen Schrift­stellers« würde mein Verlag stolz auf den Buch­umschlag drucken lassen. Natürlich nur, wenn ich einen Roman schriebe, aber was soll man auch sonst tun ohne Kiefer. Der Zahnarzt schaute lange und konzentriert in meiner Mundhöhle umher, aber er konnte den Tumor nicht finden. Er stellte jedoch fest, ich hätte »das Zahnfleisch eines starken Rauchers«. Das war keineswegs als Lob gemeint. Da ich nie geraucht habe, vermutete er die Ursache für meine Parodontose im Magen-Darmbereich und empfahl mir den Besuch einer Reihe von Kollegen anderer Fachgebiete. Unter anderem sollte ich unbedingt in eine Schlauchschluckerei gehen, um eine Magenspiegelung zu machen. Da in meinem beruflichen Umfeld in letzter Zeit auffällig viele Personen an Krebs gestorben sind, war mir klar, was man bei mir finden würde. Ich dachte daran, dass ich ohne Haare sicher noch viel unvorteilhafter wirken dürfte, was meine Kinder wohl mit meiner Plattensamm­lung machen und wie wohl der Neue aussehen könnte, den meine Frau nach meiner Einäscherung kennenlernen würde.

Eine Schlauchschluckerei wird von einem sogenannten Internisten geleitet, der über gewisse Überredungskünste verfügen sollte. Meiner erklärte mir, es gebe zwei Methoden des Schlauchschluckens. Bei der einen würde er mir eine Beruhigungsspritze verpassen, ich würde augenblicklich in einen ganz angenehmen Dämmerzustand verfallen und den Schlauch ohne jeden Widerstand schlucken. Viele Patienten sagen, so erzählte er geradezu begeistert, sie hätten schon lange nicht mehr so gut geschlafen. Allerdings sei ich dann für etwa vier Stunden außer Gefecht gesetzt und müsse mit dem Taxi nach Hause fahren. Ich hatte aber noch zu arbeiten und war außerdem mit dem Fahrrad zur Schlauchschluckerei gefahren. Deshalb musste ich die zweite Methode in Erwägung ziehen, die er eher ruppig erklärte. Er würde meinen Rachenraum mit einem Spray betäuben, dann den Schlauch immer weiter in meinen Rachenraum einführen, bis der Schluckreflex einsetzte und ich das Ding praktisch ganz automatisch bis in den Zwölffingerdarm versenken würde. Die Prozedur sei natürlich von allerlei unschönen Würgereizen begleitet. Der Internist hatte selber noch nie einen Schlauch verschluckt, aber wenn er es müsste, so sagte er, würde er es wohl ohne Beruhigungsspritze tun. Das gab den endgültigen Ausschlag. Auf keinen Fall wollte ich mich vor diesem Mann als sediertes Weichei bloßstellen und sagte mannhaft: »Keine Spritze.«

Daraufhin führte er mich aus seinem gemütlich und geschmackvoll eingerichteten Sprechzimmer in einen anderen Raum. Zwei Assistentinnen warteten bereits auf mich, ich sah deutlich, wie sie den Mund verzogen, als sie hörten, ich wolle es »ohne« tun. Plötzlich hatten alle grüne Kittel sowie einen Mundschutz an und ich lag in unstabiler Seitenlage auf einem OP-Tisch. Dann sah ich zum ersten Mal den Schlauch. Er war schwarz wie eine Lakritzstange und hatte beinahe den Durchmesser eines handelsüblichen Gartenschlauchs. Es war ein kluger Schachzug des Internisten mich erst jetzt mit dem Ding zu konfrontieren, denn ich konnte nicht mehr weg. Eine Assistentin steckte mir ein Mundstück aus Plastik zwischen die Zähne, damit ich den Schlauch, der bestimmt teuer war, nicht zerbeißen konnte, und dann drückten mich beide mit aller Kraft auf die Liege. Weitere Einzelheiten will ich aussparen, ich kann nur sagen, dass zwei Assistentinnen ziemlich knapp bemessen sind, um einen konvulsivisch zuckenden und eruptiv würgenden Hypochonder ruhig zu stellen, aber es gelang ihnen irgendwie. Der Internist entnahm zwei Proben aus meinem Inneren, schaute sich gründlich im Zwölffingerdarm um und nach weniger als fünf Minuten war alles vorbei. Ich wurde für meinen Mut gelobt, die beiden Assistentinnen mussten ihre schweißnasse Kleidung wechseln. Der Internist teilte mir mit, es sei alles in Ordnung und gab den Schlauch in die Reinigung. Ich hatte den Krebs besiegt.

Warum ich das Zahnfleisch eines starken Rauchers habe, ist damit immer noch nicht geklärt. Vielleicht habe ich in meiner Jugend zuviele Folgen der Serie »Rauchende Colts« gesehen.

Die 55 beliebtesten Krankheiten der Deutschen

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