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Die Unschuld

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Mutter:

Ja, liebes Kind, bisher hab ich dich selbst bewacht:

Nun bist du sechzehn Jahr, nun nimm dich selbst in Acht!

Flieh aller falschen Schäfer List:

Sie sagen dir, wie schön du bist,

Wie sehr ihr Herz von dir entzündet ist!

Doch darfst du ihnen niemals traun,

Und schwören sie, auf ihren Schwur nicht baun;

Denn wenn man ihnen nur den mind’sten Kuss erlaubt,

So ist uns schon die Unschuld halb geraubt!

Tochter:

So, Mutter? gings euch so? ei warum sagtet ihr

Mir dieses nicht schon längst: was kann ich nun dafür,

Dass sie mir halb geraubet ist?

Denn Damon hat mich, welche List!

Zehnmal, ja hundertmal geküsst.

Schön ist ‘s: o wär es doch erlaubt!

Wie schön muss es erst sein, wenn man sie ganz uns raubt!

Sagt Mutter, wie man ‘s macht; sonst schweig ich etwa still,

Wenn Damon kömmt, und mir sie rauben will.

Christian Felix Weisse

Erotisches Rokoko. Literatur der Sinnlichkeit

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