Читать книгу Erotisches Rokoko. Literatur der Sinnlichkeit - Hansjürgen Blinn - Страница 29
Das Jahrfest des ersten Kusses
ОглавлениеSchön, wie die blühende Natur jetzt ist,
Da sie der Frühling lächelnd grüßt,
So schön warst Du, mein Mädchen, an dem Tage,
Als mir Dein Kuss auf meines Kusses Frage
Die schönste Antwort gab. – Dort schlägt die Nachtigall
Im Weidenbusch im bachdurchschlungnen Tal:
Ihr unnachahmlich Lied singt Freude und Entzücken
Ins Herz, und doch dringt keiner Nachtigall Gesang
So tief ins Herz, wie der Kuss drang.
Verschämt, um einer Saat von Küssen auszuweichen,
Bogst du, für mich zum größern Glück,
Mit Mädchenheuchelei den Nacken schlau zurück –
Doch konnten gleich den Mund die Küsse nicht erreichen,
So fiel doch keiner auf ein undankbares Feld –
Sie trafen in das Tal, wo Venus Courtag hält,
Und auf die Hügel, die der Liebe Segen schwellt.
Ein mächtiges Entzücken
Durchschau’rte mich, als ich in deinen Blicken
Ein ›Auch ich lieb Dich‹ schmeichelnd las.
Ha! Mädchen, Deine Wangen blühten
Rot, wie die Lippen, die vom Kusse glühten,
Der Perlenreihen traf, die, wenn Dein Mund mir lacht
Und Amor Dir ins Kinn ein Grübchen macht,
Der Lippen Purpur sanft erheben
Und Deinem Lächeln neue Reize geben.
Schön ist der Mai in seinem Veilchenkranze,
Wenn er für Grazien zum Reihentanze
Gefilde schmückt, warm die mondhelle Nacht
Und liederreich den Morgen macht!
Doch himmlischer, wenn er in Mädchenbusen
Den Keim der Liebe streut, zum Aufblühn treibt,
Und wenn des Jünglings Aug an diesem Busen,
So wie sein Herz gefesselt bleibt,
Wenn er die weiße Brust dann wallen
Und sympathetisch fühlen lehrt
Und bei dem Brautgesang der Nachtigallen
Des Jünglings Mut, des Mädchens Sehnsucht mehrt.
Hör’, wie er träufeld rauscht, der Frühlingsregen,
Sanft zittert unter ihm der Büsche neues Kleid;
So, Mädchen, zittern Deine Locken, wenn der Segen
Entzückender wollüst’ger Zärtlichkeit
Das Balsammoos des Rosentals erfrischet
Und mit dem eignen Tau des Rosentals sich mischet.
Wenn mild der Wolken Schoß die Hügel übergießt,
Dann wird der Rand der Täler blumenreicher
Und auf dem Klee, der dichter sprießt,
Ruht dann der Wanderer erquickender und weicher:
Wenn auf den kleinen Höh’n in Deines Tales Schoß
Der Regen Amors fällt, dann wächst das Moos
Duftreicher, krauser um die heilge Grotte
Und wird zum netten schatt’gen Myrtenhain,
Wo nackte Grazien dem Liebesgotte
Um seinen Altar Blumen streun,
Und wo die ganze Schar, wenn sie sich satt gegaukelt,
Und wo Cytherens loser Sohn,
Wenn ihn in seiner Mutter Phaeton
Die muntern Spatzen müd geschaukelt,
Viel sanfter schläft und sich zum neuen Spiel
Viel eh’r erholt als auf dem weichsten Atlaspfühl.
Himmelvolle Augenblicke,
Wenn die Sonne heitrer Blicke,
Jüngling, Deine Adern schwellt!
Himmelvollre, wenn der Segen
Amors wie ein Perlenregen
Aufs gespaltne Erdreich fällt.
Wie aus dem tiefsten Schlaf und süß’tem Traumgesicht
Des Jünglings Kuss sein Mädchen wecket,
Wie dann, wenn ‘s schönste Aug halb Schlaf, halb Wollust bricht,
Er ihr den Arm sanft um den Nacken flicht,
Das Nachtgewand verschiebt und Schönheiten entdecket,
Die einst Romanos Kunst so lebhaft traf,
So küsst der Frühling aus dem Winterschlaf
Jetzt die Natur. Den dichten weißen Schleier
Hat er ihr längst vom Busen abgestreift,
Er atmet jetzt im blumigen Gewande freier.
Der Mai, der sie mit Küssen überhäuft,
Spielt mit dem Reiz, der ihm entgegen blühet,
Und Zephyr, den ein gleich Gefühl
Magnetisch stark zur Blumengöttin ziehet,
Mischt tändelnd sich mit in ihr Spiel.
Steht denn der Natur und dem Mai
Nur allein das Tändeln frei?
Darf nur dies Paar zärtlich küssen,
Busen sanft an Busen schließen
Und in Zärtlichkeit zerfließen?
Mädchen, nein, die Tändelei
Holder Glut steht uns auch frei,
Auch wir dürfen zärtlich küssen,
Busen sanft an Busen schließen
Und in Zärtlichkeit zerfließen.
Hurtig komm in meinen Arm,
Schlüpf sie ab, die Nachtgewänder,
Schleif sie auf die seidnen Bänder,
Komm und werd in meinem Arm
Wie die Sommerlüfte warm,
Und lass uns ganz in Zärtlichkeit zerfließen.
Ich bin Dein Lenz, ich bin Dein Mai,
Du mein Gefild und meine Maienblume,
In Deinem Grottenheiligtume,
Auf Deinen Marmorhöh’n steht jede Tändelei
Und jede Art des zärtlichsten Genusses
Mir heut am Fest des ersten Kusses
Unwidersprechlich frei.
Hurtig komm in meinen Arm,
Schlüpf sie ab, die Nachtgewänder,
Schleif sie auf die seidnen Bänder,
Komm und werd in meinem Arm
Wie die Sommerlüfte warm,
Und lass uns ganz in Zärtlichkeit zerfließen.
Johann Georg Scheffner