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„Guten Tag, Herr Ministerpräsident“, sprach mich eine Stimme an.

Bremsen quietschten. Neben oder, besser gesagt, halb unter mir und meinem mit Obst und Gemüse getarnten Fahrrad kam ein auffällig unverdächtiger Fahrradfahrer zum Stehen. Sein Fahrrad war vollkommen ungetarnt. Weil ich mehr darüber wissen wollte, sah ich mir den Fahrradfahrer genauer an. Er war ein Wellensittich. Es war Hansi.

„Guten Tag, Hansi“, sagte ich väterlich wie ein Landesvater.

Er saß auf einem sehr kleinen Fahrrad, ein Fahrrad für noch sehr kleine Wellensittiche und sang schamlose Ministerlieder. Ich hörte ihm eine Weile zu und wippte mit meinen Füßen im Takt.

„Woher kennst du die schamlosen Ministerlieder?“ fragte ich ihn.

„Von den Ministern“, sagte er.

„Wo sind denn die Minister?“ forschte ich ihn aus.

„In der Damentoilette und singen schamlose Ministerlieder“, antwortete er ohne zu zögern.

„Das ist ja interessant“ lachte ich ein besonders harmloses Elfenlachen, um mir nichts anmerken zu lassen. Denn ich hatte sofort kapiert, was Sache war. Es sah aus, als wäre ich auf eine vielversprechende Spur gestoßen. Und das musste ich ja nicht jedem Hansi auf den Schnabel binden.

„Sing nur weiter!“ ermunterte ich Hansi.

Und er sang und sang und sang, und so erfuhr ich alles, was ich niemals hatte erfahren wollen. Danach schickte ich Hansi schnell wieder in seinen Käfig. Er brauchte Urlaub. Ich dagegen konnte mich nicht so verwöhnen lassen. Ich musste handeln. Nach einem anstrengenden Sommerurlaub mit Hansis Mutter im schönen Emmental, packte ich alles, was ich erfahren hatte, aber niemals hatte wissen wollen, in ein großes Paket, umhüllte es mit einer undurchdringlichen Schicht von gut durchgekautem, dünn ausgewalztem Kaugummi und brachte es in einen speziell dafür in Auftrag gegebenen Banktresor. Er war ganz tief unten im Keller. Eigentlich noch unter dem Keller. Sogar tiefer als die tiefste bekannte Latrine. Er war unter Latrinenniveau. Da konnte das gefährliche Paket bestimmt nicht raus und Schaden anrichten. Und wenn es doch einen Weg herausfinden würde, würde ich es mit endlosen, diplomatischen Zeremonien zum Tee in meine Staatskanzlei einladen, natürlich mit feinstem manturinischen Gebäck.

Es war ein genialer Plan, gesponnen aus allerfeinster Theorie, der aus jeder nur denkbaren Praxis ein braves Lämmchen machen würde. Als ich auch noch feststellte, dass er von mir selbst war, rieb ich mir zufrieden meine geruchsneutralen Hände. Dann ging ich zu meinem Friseur und informierte ihn über alles, was im Paket drin war. Die Wirkung auf ihn war verheerend. Von Stund an schwieg er wie ein Grab. Er war übrigens der einzige Friseur der Welt, der diese schwierige Übung beherrschte. Er wurde von seinen staunenden Kollegen und auch Kolleginnen seitdem verehrt wie ein Heiliger.

Ich war nun so weit und nahm Kurs auf die Damentoilette. Aber ich kam nicht rein, weil sie vollkommen überfüllt war. Ich konnte die Damen gut verstehen. Ich versprach, später noch einmal wieder zu kommen. Die Damen konnten mich auch gut verstehen. Und das, obwohl es drinnen ziemlich laut zuging. Natürlich hatte ich gelogen. Ich wollte gar nicht wieder kommen. Ich wollte warten, bis die Minister müde waren und von selbst wieder rauskamen.

Vorsichtshalber ließ ich mir noch einen Vollbart wachsen, damit sie mich nicht gleich erkannten und wieder flüchteten, wenn sie den lärmigen Raum verließen. Alle Vorbereitungen waren abgeschlossen, alle Vorkehrungen getroffen für den entscheidenden Moment. Auch die vier starken Burschen mit der Sänfte standen bereit, breitbeinig und in ihren lustigen, luftigen Baströckchen als Meister der Exotik unverkennbar erkennbar. Nervös und in angespannter Erwartung des kommenden Ereignisses zogen sie an ihren Zigaretten, da erreichte mich ein Hilferuf. Für einen Ministerpräsidenten war so etwas natürlich immer ein gefundenes Fressen. Es war Hansis Mutter, die um Hilfe rief. Hansi war nicht nach Hause gekommen. Sein Käfig war leer, seine Körner von der Katze aufgefressen. Ich eilte zum Tatort. Zunächst begab ich mich mit Hansis Mutter in die Badewanne. Dort erklärte sie mir alles ganz genau. Nun wusste ich Bescheid. Der Fotograf machte noch schnell ein Foto von uns, steckte es in die Flaschenpost, und ab ging die Fahndung. Hilferufe erledigte ich immer sofort. Montags bis freitags von 28 -33 und sonst natürlich auch.

Als ich wieder bei der Damentoilette ankam, waren die Damen weg und alle Minister auch. Sie hatten wohl die Gnade meiner Abwesenheit dazu genutzt, um zu verschwinden. Danach zu urteilen waren sie wirklich ganz ausgezeichnete Leute und wie geschaffen für meine Regierung. Noch lange stand ich da, starrte in den verlassenen Sanitärbereich und machte mir überflüssige Gedanken über alle möglichen unrealistischen, privaten Sachen.

Trilogie der reinen Unvernunft Bd. 2

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