Читать книгу Trilogie der reinen Unvernunft Bd. 2 - Harald Hartmann - Страница 16
14
ОглавлениеNatürlich ging ich jetzt nicht ins Café zu der Kellnerin mit dem kurzen Rock. Das wäre einfach zu realistisch gewesen. Ich wusste, dass meinen Wählern die Einfachheit der Realität zu kompliziert war. Besser, ich nahm Rücksicht auf mich, dann brauchte ich auch hinterher keine kunstvollen Erklärungen abzugeben, die dann doch keiner glaubte. Mein Weg war ein anderer. Ich beschloss, die 105 Stufen des legendären Docktor Unikum zu erklimmen. Wenn ich sie erstiege, würde mein Blick so weit werden, dass ich ihn manchmal sogar aus dem Blick verlieren konnte. Dann war ich endlich angelangt an der Grenze zwischen irgendwo und nirgendwo, da wo ich widerstandslos auf jede noch so plumpe Verführung herein fallen durfte. Und das würde jeder dann auch leicht verstehen können, und ich würde verschmelzen mit meinen Anhängern und Gegnern zu einem harmonischen, symbiotischen Lebewesen, umhüllt von einer rosafarbenen Gleichheit mit einem Schmelzpunkt weit hinter den großen Bergen. Und wenn die Geiger dann nicht gerade Mittagspause hätten, würde sogar Geigenmusik erklingen. Ja, Politik war schon eine große Kunst. Mit schlechter Technik kam man da nicht weit. Viele sind bei solchen Versuchen schon abgestürzt und mussten dann für viel Geld was anderes machen. Die Verkomplizierung der Einfachheit mit Hilfe der Realität war nämlich gar nicht so einfach, und die Leistung eines schönen Affentheaters wurde im allgemeinen weit unterschätzt. Aber nun war ich ja da, und ich war ihrer beider Prophet.
Was keiner ahnte, war, dass ich der bestaussehende Prophet von überall war, und außerdem das schärfste Prophetengehör jemals hatte. Das lag sowohl an der Zahl meiner Ohren als auch an ihrer besonderen beidseitigen Anordnung. So konnte mir nichts entgehen, nicht mal das Geringste. Aber so gering war das, was ich in diesem Augenblick hörte, nun auch wieder nicht. Es war eher laut, ein lautes Schmatzen. Ich wendete meinen Kopf diesem Geräusch zu. Neben mir stand das Okapi, auf dem ein Affe saß und eine Banane aß. Man lernte einfach nie aus.
„Du darfst nicht Äpfel mit Birnen verwechseln“, redete der Affe mich an.
„Genau“, meinte das Okapi.
Sofort war ich der Meinung, dass jemand es bestochen hatte. Denn normalerweise hatte es eine andere Meinung, mehr in Richtung keine Meinung.
„So ein haarsträubender Sinn!“ antwortete ich dem ununterbrochen weiter essenden Affendarsteller.
Ich sah ihm tief in seine unglaublich riesigen Augen. Jetzt merkte ich erst, dass er eine Brille mit sehr starken Gläsern trug. Darum hatte er also auf mich gleich einen so intelligenten Eindruck gemacht, wenn auch wahrscheinlich einen nicht so intelligenten, wie er eigentlich war hinter seiner dicken Brille.
„Hier, nimm eine Banane zum besseren Verständnis“, lachte der Affe höchstpersönlich und reichte mir eine gut abgehangene.
„Danke“ sagte ich, „Vitamine sind so wichtig“.
Ich besorgte mir ein Mittelgebirge und stellte es neben dem Okapi auf. Dann begann ich meinen langen Aufstieg. Keiner hielt mich auf. Als ich oben war, kletterte ich auf das Okapi und setzte mich neben den Affen. Das Okapi sagte dazu nichts, weil ich es ebenfalls bestochen hatte, damit es deswegen kein Affentheater machte. So saßen wir eine ganze Zeit schweigend nebeneinander da oben und kauten. Ich versank mehr und mehr in dem schmackhaften zu Brei zerkauten Bananensumpf, denn ich hatte vergessen, das ganze Zeug zwischendurch auch mal herunter zu schlucken. Im letzten Moment fiel es mir aber wieder ein. Es war wie ein Happy End, als ich schließlich ein Bäuerchen machte. Jetzt war ich wieder ganz beim Affen. Er war mir noch eine Erklärung schuldig.
„Und womit darf ich Äpfel verwechseln?“ wollte ich von dem schlauen Affen wissen.
„Mit Bananen“, sagte er, „nur mit Bananen!“
Ich bedankte mich bei der Banane, schüttelte dem Affen die Affenhand und heirate ihn spontan und noch auf dem Okapi sitzend. Ein schwieriges Problem war wieder einmal ganz einfach gelöst. Nun konnte ich endlich gefahrlos ins Café gehen zu der Kellnerin mit dem kurzen Rock. Hier bekam ich immer die besten Ideen. Der Rückmarsch durch das Mittelgebirge begann. Er endete im Café. Ich bestellte eine dieser besten Ideen mit Milch und Zucker und extra Sahne.
„Gute Idee“, sagte die Kellnerin, während sie die Bestellung notierte.
Ich ging darauf nicht ein. Ich wollte sie nicht unnötig reizen. Stattdessen zog ich einen Steckbrief aus einem meiner beiden Ohren und entrollte ihn so lange, bis er ein Bild des geflohenen Finanzministers preisgab. Sie zuckte kurz zurück mit dem Kopf.
„Erschreckt?“ fragte ich ebenso kurz und undurchsichtig provinziell.
Sie nickte. Ich wusste, dass sie gerne nickte.
„Warum?“ bohrte ich nach.
„Der Geruch“, sagte sie nur.
Jetzt nickte ich, denn auch ich nickte gerne. Außerdem tat ich es, weil ich ihr nicht alleine dieses wichtige Feld überlassen wollte. Als Ministerpräsident musste ich selbstverständlich meine Nickdominanz erhalten.
„Ich weiß“, sagte ich, „ er mag Gerüche, besonders seine eigenen.“
„Was ist mit dem Bild?“ fragte sie.
„Hast du den hier schon einmal gesehen in letzter Zeit?“
„Ja, ich habe ihn in meinem Zimmer versteckt, er ist auf der Flucht vor dir“ meinte sie.
„Bravo“, sagte ich. „Das trifft sich gut, das soll auch so bleiben. Ich brauche nämlich übergangsweise eine Ministerdeponie, bis ich alle eingefangen habe. Kann ich dir noch mehr schicken?“
„Minister kannst du mir so viele schicken, wie du willst, auch Staatssekretäre“, sagte sie und lächelte dabei so kooperativ, dass es mir kalt den Rücken herunter lief.
Bei mir klingelten alle Tassen im Schrank. Ich musste unbedingt daran denken, sie und ihre Ministerdeponie ab jetzt im Auge zu behalten, auch und gerade während ich die anderen Minister verfolgte. Es war gut, dass ich 1000 Augen hatte, so wie einer meiner mir noch bestens bekannten Vorfahren.
„Deal?“ fragte ich und zeigte ihr dabei den gesamten Lattenzaun meiner viereckigen, frisch geputzten Zähne, um ihr jeden Weg in butterweiche Ausflüchte abzuschneiden.
„Deal!“ antwortete sie, und wir legten zur Bekräftigung unsere leeren Hände straff ineinander ohne jede Schüttelbewegung, während wir uns dabei unverwandt in unsere unterschiedlich vielen Augen blickten und nicht einmal dabei blinzelten oder gar vertraulich zwinkerten. „Und wann holst du sie wieder bei mir ab?“ fragte sie.
„Wann ich sie abhole, steht in der Zeitung. Jetzt muss ich los, viel ist noch zu tun", rief ich ihr schnell beim Abgang diese geheime Information zu, um sie vor ihren vorhersehbaren, sonst unweigerlich eintretenden, realistischen Spekulationen zu schützen, die leicht zu vernünftigen Irrtümern führen konnten.
Nun begann der umgekehrte Rückmarsch durch das Mittelgebirge. Es war eine ausgesprochen freundschaftliche Zeit. Lauter alkoholisierte Pilger prosteten mir zu und ich prostete zurück. Wieder und wieder tauschte ich Nummern aus. Mit entspannter Verspätung traf ich wieder auf dem Rücken des Okapis ein. Es hatte geduldig gewartet, ebenso der Affe. Nur die Bananen waren weg. Wir brauchten also schnellstens neue. Ich ging in den verschärften Sporensitz und gab dem Okapi unverzüglich die blanken Sporen der heiligen Eile.