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Ich sah auf die Uhr. Es war schon zu spät, um mit der Suche nach meinem Personal zu beginnen. Bald war es dunkel, und da hatten alle bekanntlich etwas Privates vor. Es wäre ungehörig gewesen, meine zukünftigen Minister dabei zu stören. Ich überlegte, wie es nun weitergehen sollte. Da teilte der Geheimdienst mir über die Fernsehnachrichten mit, dass morgen auch noch ein Tag wäre. Ich freute mich über diese überraschend genaue Neuigkeit. Ob mein flüchtiges Personal sich aber darüber freuen würde, bezweifelte ich. Sie wussten ja, wer hinter ihnen her war und dass die Vereidigung im Möbelmuseum ihr Schicksal war. Tot oder lebendig.

Als die Nachtigall endlich aufhörte mit ihrem rücksichtslosen, nächtlichen Radau, brach ich auf, um meine Mission zu erfüllen, so wie es geschrieben stand in meinem Wahlprogramm. Doch ich kam nicht weit, denn der einbeinige Briefträger hielt mich an. Er trug einen Brief in seinem Schnabel. Er war an den Ministerpräsidenten persönlich gerichtet, und der war ja ich. Ich öffnete also den Umschlag. Er roch deutlich und unüberhörbar nach Wahlvolk. Ich zog eine Unterschriftenliste hervor. Sie war ziemlich lang, und Namen wie Unterschriften waren alle unleserlich. Formal stimmte also alles. Was ich aber immer schon bedauert hatte und auch in diesem Fall wieder bedauern musste, war der leidige Umstand, dass man Unterschriftenlisten nicht als Klopapier benutzen konnte wegen ihrer glatten und somit für diesen Zweck ungeeigneten Materialbeschaffenheit. Das musste ein Ende haben, allein schon wegen der ganzen Umwelt aber auch sonst rein menschlich gesehen. Sobald meine Regierung regierte, würde ich mich sogleich um eine Gesetzesänderung in dieser Angelegenheit kümmern. Unterschriftenlisten mussten dann grundsätzlich auf Klopapier geschrieben werden. Weil ich im Augenblick wegen meiner Mission wenig Zeit zu verlieren hatte, trat ich in aller Kürze auf meinen Balkon und verkündete die frohe Botschaft. Das Wahlvolk überlegte lange, in welcher Art und Weise es seiner Freude Ausdruck verleihen sollte. Für mich war es eindeutig zu lange. Überlegen konnte man ja vor der Wahl, aber hinterher war das einfach kontrapositiv. Ich winkte der Regie zu. Sofort griff sie zu einer bekannten Geheimwaffe. Sie spielte eine original muttersprachliche Musik ein, so dass alle bald in ihre Einzelteile zerlegt waren. Zufrieden verließ ich den Ort. Ich hatte ein wichtiges Zeichen gesetzt. Auf mich konnte ich mich verlassen.

Der mir vom Geheimdienst geweissagte neue Tag war nun da, und ich dachte unwillkürlich an die unzähligen Tage, die nicht da waren und vielleicht sogar niemals da sein würden. Aber ich wischte diese Gedanken einfach beiseite wie eine lästige Schmeißfliege von einem Wurstbrot. Natürlich war das für sie nicht schön, ebenso wenig wie für die Schmeißfliege, aber zum Wohle des Großen und Ganzen mussten sie sich daran gewöhnen. Der Wind wehte nun mal aus meiner Richtung, und am Ende hatte ich schließlich die Verantwortung ebenso für alle unzähligen Schmeißfliegen wie für alle unzähligen Tage. Und die Verantwortung hieß: Regieren. Für einen Ministerpräsidenten wie mich war das ohne Zweifel nach der Freundschaft die zweitschönste Nebenabsprache der Welt.

Trilogie der reinen Unvernunft Bd. 2

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