Читать книгу Trilogie der reinen Unvernunft Bd. 2 - Harald Hartmann - Страница 6
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ОглавлениеIch war sehr stolz auf mich, denn ich beherrschte sie also noch, die alte Kunst des Regierens. So konnte ich mir die überteuerten, schamanischen Wochenendkurse zu ihrer Auffrischung sparen. Es hätte, was mich anging, somit gleich losgehen können mit der praktischen Regierungsarbeit, aber die Minister waren noch nicht da. Ich ließ mich mit dem Engländer verbinden. Er saß gerade bei meinem Friseur und ließ sich über den letzten Stand der Dinge informieren. Ich war zufrieden. Auf den Engländer konnte ich mich verlassen. Eines Tages, bevor ich ihn feuern würde, würde ich ihm noch den „Großen Spürhundorden im Schuhkarton“ leihen. So wie ich ihn kannte, würde er ihn aber niemals wieder zurück bringen. Er war mein bester Mann, doch das durfte ich nicht so laut sagen. Denn diese Information war top secret. Und damit war er ein ebenso überzeugendes As in meinem Ärmel wie die Sau es gewesen wäre, die aber leider dem Sarg den Vorzug vor meinem Ärmel gegeben hatte. Ich war mir sicher, dass die beiden sich dort nicht nur sehr gut verstanden hätten sondern auch ergänzt. Oder sogar noch mehr.
Nach und nach trudelten alle, die sich für Minister oder Staatssekretäre hielten, in meinem Hobbykeller ein. Es waren lauter alte Freunde und Bekannte. Jeden Tag diese ganze Rasselbande mit ihren ungesunden, rotbackigen Gesichtern am Kabinettstisch mit offenen Augen schnarchen zu hören, das wäre eine schöne Sache gewesen, aber noch schöner wäre es natürlich für meine überstrapazierten Ohren gewesen, wenn sie alle weit weg auf dem Mond gesessen hätten. Ich entschied mich daher sofort für die noch schönere Sache und schickte sie alle auf den Mond zu meinem alten Freund MiM, der bekanntlich einst dahin ausgewandert war. (Vergleiche auch die nicht vorhandene Fußnote). Der würde sich sicher über ihre Gesellschaft freuen. Natürlich vergaß ich nicht, ihnen einen Kühlschrank mitzugeben, vollgestopft mit Bierdosen, und eine tägliche Neubefüllung auf Kosten der Firma zu garantieren, um ihre Rotbackigkeit nicht zu gefährden. Das hieß: Dauerparty auf dem Mond. Und wenn die einer verdient hatte, dann der MiM.
Mir gab das endlich freie Hand, und zwar von hier bis ganz nach da. Denn meine Mission hieß nicht Party, meine Mission hieß Mission. Das versicherte mir auch der einbeinige Briefträger. Aus leicht heraus zu findenden Gründen wusste er immer alles. Ich nahm ihn sofort gefangen, damit er es nicht ausplauderte und steckte ihn in meinen Harem, wo er bis heute lebte, zumindest bis heute morgen. Danach hatte er sich von ein paar Brieftauben abholen lassen und war seitdem verschwunden. Ob er das überlebt hatte, wurde noch vom Geheimdienst ermittelt. Aber das interessierte im Moment weniger. Für mich kam es jetzt darauf an, mit der freien Hand irgendetwas zu machen. Weil es praktischer war, befreite ich auch noch die andere Hand aus der engen Hosentasche und hatte augenblicklich eine Zunahme des Handlungsvolumens um 100%. Das war nicht schlecht für einen Ministerpräsidenten, der gerade erst angefangen hatte, und für das Wahlvolk bedeutete es natürlich viel Arbeit. Denn 100% auf einen Schlag, das musste erst einmal verkraftet werden, auch seelisch. Ich machte ihm den Vorschlag, eine Abordnung zum Rat der fünf Weisen zu schicken, und so lange, bis diese mit den Ratschlägen zurück kamen, lieber nicht mehr zu denken. In dieser Zeit konnte ich mich dann mit meinen freien Händen um mein Wohlergehen kümmern.
Gerade, als es richtig schön zu werden versprach, kam überraschend der Polizist, der mich damals nicht erschossen hatte, weil er aus Versehen absichtlich daneben gezielt hatte. Aber heute kam er ausnahmsweise nicht, um es noch einmal zu versuchen, sondern weil wir Freunde waren. Er brachte mir ohne Vorwarnung einen Hut, einen neuen, nicht den, den er mir einst angeboten hatte und den ich zuerst nicht haben wollte später aber doch, weil es mich plötzlich juckte, ein Hutträger zu werden.
„Hier kommt dein neuer Hut“, sagte er zu mir.
„Vielen Dank, das ging ja schneller, als ich ihn anfordern konnte“, antwortete ich und setzte ihn sogleich auf.
„Das liegt an der modernen Zeit“, sagte er, „da ist das Tempo um 1000% höher als in der unmodernen Zeit.“
„Das hört sich gefährlich an“, meinte ich.
„Ja“, sagte er „Mathematik ist schon eine gefährliche Sache.“
„Verstehe“, sagte ich und nickte hoch erfreut. „Mathematik ist Action!“
„Genau“, sagte er, „ich habe dir aber noch etwas anderes mitgebracht.“
„Da bin ich aber neugierig“, sagte ich, „aber nicht wieder schießen, bitte!“
„Nein, Wiederholungen sind polizeilich verboten“, beruhigte er mich.
Damit griff er mit einer seiner freien Hände hinter seinen Nacken ins Polizeihemd und zog einen Spazierstock heraus. Ohne diesen im Rücken sah er sofort viel menschlicher aus. Feierlich überreichte er ihn mir. Er war aus purem Holz.
„Vielen Dank“, sagte ich wieder zu ihm, „ich freue mich schon auf den Tag, an dem ich heraus kriege, was ich damit anfangen soll.“
Dieser Tag kam schneller als erwartet. Der Tag hieß Heute. Ein Stock, ein Hut und plötzlich wusste ich, was zu tun war. Ich marschierte los in die weite Welt hinein. Ich würde diese ganzen versteckten Minister und Staatssekretäre schon finden, egal, wo sie sich verkrochen hatten und sie am Schlafittchen zu einer Vereidigungsorgie ins Möbelmuseum schleifen. Danach würden sie so fest auf ihren Stühlen und Sesseln sitzen, als wären sie angeschweißt. An ihrem eigenen Fleisch würden sie erfahren, dass meine Mission jedenfalls keine billige Mathematik war.