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Maasholmer Fischerkrieg

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Am Vormittag war ein Regengebiet über Maasholm hinaus auf die Ostsee gezogen. Den Touristen bot die kleine Gemeinde zum Glück reichlich Unterhaltungsmöglichkeiten wie etwa das Handwerkerhuus. Für Frank Reuter war es jedoch kein Ausflug an die Schleimündung, um sich vom Berufsstress als Hauptkommissar im Landeskriminalamt Kiel zu erholen. Vielmehr hatten die Ermittler vor Ort um Unterstützung bei dem sich ausweiteten Krieg unter den Fischern gebeten.

Angefangen hatte alles mit dem dreisten Diebstahl eines Farbecholotgerätes. Dieses moderne Hilfsmittel hatte Arne Knudsen auf seinem Fischkutter installieren wollen, doch so weit war es gar nicht erst gekommen.

»Das noch verpackte Gerät wurde aus dem Steuerhaus entwendet. Einige Anspielungen haben Knudsen am Tag darauf dazu verleitet, Harm Boysen, einen anderen Fischer, zu beschuldigen«, hatte Polizeiobermeister Petersen dem Hauptkommissar berichtet.

Jetzt standen die beiden Ermittler im Fischereihafen und Frank musterte die Bronzestatue ›Peter Aal‹.

»Wenn er reden könnte, wüssten wir jetzt mehr«, kommentierte Petersen mit dem typischen staubtrockenen Humor der Menschen in dieser Ecke des Landes.

»Der Wert des Gerätes wird mit gut tausend Euro beziffert. Wer würde so etwas stehlen? Könnte Boysen tatsächlich der Dieb sein?«, fragte Reuter. Sein Blick löste sich von der Statue, um zu den ankernden Fischkuttern hinüberzusehen. Das Schiff von Knudsen lag unmittelbar neben dem von Harm Boysen. Ein Diebstahl während der Nacht wäre durchaus möglich und unbemerkt durchführbar gewesen.

»Nö, eigentlich nicht. Harm ist nicht weniger anständig als alle anderen Fischer hier. Außerdem verfügt sein Kutter auch über ein Echolot, wenn auch nicht ganz so neu«, antwortete Obermeister Petersen.

Gründe, warum die Ermittlungen nicht voranschritten, waren sowohl der eher geringe Wert des Gerätes wie auch die als seriös geltenden Fischer. Allerdings führten die Verdächtigungen zu einem Kleinkrieg unter den Fischern, die sich mittlerweile in zwei Lager gespalten hatten. Die Medien griffen begehrlich die Geschichte auf, um das Sommerloch zu füllen. Das wiederum schadete dem Tourismus in Maasholm, weshalb man Frank Reuter zur Aufklärung an die Schleimündung geschickt hatte. Er seufzte leise auf. »Na, schön. Fahren wir zu Knudsen und hören uns an, was er zu sagen hat«, entschied der Hauptkommissar, wobei er sich innerlich auf schwierige Gespräche einstellte. Liebend gern hätte er mit den Surfern getauscht, die den kräftigen Südwestwind für eine Fahrt auf dem Wormshöfter Noor nutzten.

Während Obermeister Petersen den Streifenwagen steuerte, warf Frank Reuter einen sehnsüchtigen Blick zu den Männer und Frauen auf ihren Boards. Doch dann bog der Kollege in den Oeher Weg ein und stoppte den Passat in der Auffahrt eines weißen Einfamilienhauses mit Reetdach. Bevor Petersen ausstieg, deutete er auf ein ganz ähnliches Haus keine 50 Meter entfernt.

»Dort wohnt Harm Boysen. Die Familien waren bis zu diesem Streit eng befreundet und heute grüßen sie einander nicht einmal mehr. Verrückt, oder?«, erklärte der Obermeister und schüttelte betrübt den Kopf.

Fünf Minuten später bot ihnen Arne Knudsen einen frischen Kaffee ein, nachdem er die beiden Ermittler hinaus in einen Wintergarten geführt hatte. Frank musterte den mittelgroßen Fischer, dessen kompakte Figur ihn an ein langes, körperlich hartes Arbeitsleben denken ließ. Selbst in der heutigen Zeit verlangte der Beruf des Fischers immer noch körperliche Strapazen und formte entsprechend den Charakter dieser Menschen. Im von Wind und Wetter gegerbten Gesicht leuchteten zwei blaue Augen unter borstigen, blonden Haaren.

»Harm ist ein krummer Hund«, schimpfte Arne Knudsen.

Er redete sich schnell in Rage und lieferte keine brauchbaren Hinweise, die Frank Reuter bei der Aufklärung hätten helfen können. Die Frau des Fischers forderte ihren Mann mehrfach auf, sich nicht im Ton zu vergreifen.

»Das dumme Ding ist den ganzen Ärger überhaupt nicht wert«, stellte sie zu Reuters Erstaunen fest. Sein Blick erfasste eine Reihe von Fotografien an der Wand. Darauf war die ganze Familie Knudsen zu unterschiedlichen Zeiten abgebildet. Es gab eine Tochter von etwa zwölf oder 13 Jahren sowie einen drei bis vier Jahre älteren Bruder. Insgesamt schien es sich um eine harmonische Familie zu handeln.

»Ihr Sohn wird bestimmt den Betrieb übernehmen, oder?«, fragte Frank, um den störrischen Fischer von seinem einseitigen Zorn abzulenken.

»Claas? Habe ich bis vor Kurzem jedenfalls angenommen. In den letzten Wochen hat der Bengel auf einmal keine Zeit mehr oder ist zu müde. Keine Ahnung, was er so treibt«, erwiderte Knudsen.

Die Ablenkung war misslungen. Mehrfach wählte der Hauptkommissar einen neuen Ansatz, um nicht immer wieder den gleichen Verdacht aus dem Mund des Fischers zu hören. Doch Arne Knudsen blieb stur bei seiner Meinung. »Am Morgen danach hat er mich gefragt, ob ich vielleicht ein wenig die Orientierung verloren hätte. Das beweist doch alles! Der blöde Hund war neidisch und hat mir deswegen das Farbecholot geklaut«, wiederholte er die Anschuldigung.

Erneut mahnte ihn seine Frau zur Mäßigung. Reuter erkannte, dass er hier nichts erreichen würde. Er verabschiedete sich und ignorierte eine gemurmelte Bemerkung des Fischers, wonach der Städter ihnen lediglich die Zeit gestohlen hätte. Vor dem Haus hielt Frank Reuter seinen Kollegen davon ab, in den Streifenwagen zu steigen.

»Wenn wir schon einmal hier sind, können wir auch gleich mit Harm Boysen sprechen«, erklärte er.

Für einen kurzen Augenblick schaute er einem jungen Paar auf einem Motorroller hinterher. Sie hatten sich beide umgeblickt und den Hauptkommissar zur Kenntnis genommen. Frank Reuter folgte dem Obermeister zur Haustür. Dort öffnete ihnen eine Frau, die im gleichen Alter wie Silke Knudsen sein musste. Anne Boysen war jedoch dunkelhaarig und begrüßte die Männer mit einem offenen Lächeln. Offenbar machte sie sich wenig Sorgen über den Besuch zweier Polizisten, obwohl sie natürlich den Grund bereits ahnte.

»Hauptkommissar Reuter vom LKA. Wir hätten einige Fragen an Ihren Mann. Dürfen wir hineinkommen?«, fragte Frank und zeigte seinen Ausweis vor.

»Moin, Herr Reuter. Moin, Petersen. Kommt ruhig rein. Harm ist aber bei einem Kunden und liefert Fisch aus«, erwiderte Anne Boysen und trat zurück in den Flur.

Das Reetdachhaus war fast ein perfektes Gegenstück zum Haus der Knudsens. Die Hausherrin führte die beiden Männer in ein Wohn- und Esszimmer, von dem aus eine offene Küche abging. An einer Wand hingen diverse Schnappschüsse, auf denen Anne Boysen mit ihrem Mann sowie einem bildhübschen Mädchen im Teenageralter zu sehen war. Frank erkannte sie sofort wieder als die junge Frau auf dem Sozius des Rollers.

»Ihre Tochter trifft sich mit Claas Knudsen? Gibt es da nicht Ärger mit dem Vater?«, fragte er.

Polizeiobermeister Petersen setzte seinen Becher mit Kaffee ruckartig ab und schaute verblüfft zu Anne Boysen. Sie lächelte leicht gequält. »Nina lässt sich nicht so leicht einschüchtern. Sie geht in Flensburg in die Lehre zur Hotelfachfrau. Sie und Claas sind schon seit Monaten ein Liebespaar«, antwortete sie und zuckte mit den Schultern.

»Von Maasholm nach Flensburg. Wie verkraftet die junge Liebe die räumliche Trennung?«, hakte Reuter nach.

Dieses Mal blitzte ein erleichtertes Lächeln im Gesicht von Anne Boysen auf und verstärkte dabei die Ähnlichkeit mit ihrer Tochter. »Seitdem Claas sich den Roller gekauft hat, gibt es kein Problem mehr. Vorher war er zu Tode betrübt und Nina hatte Schwierigkeiten in der Ausbildung. Zum Glück ist er ein fleißiger Kerl und verdient sich auf dem Kutter seines Vaters das erforderliche Taschengeld hinzu«, schwärmte sie.

Gleich darauf erschien Harm Boysen und machte ein finsteres Gesicht, als seine Frau ihm Frank Reuter als Hauptkommissar vorstellte.

»Hört das denn nie auf? Knudsen hat doch einen Knall! Ich habe dieses verfluchte Farbecholot nicht gestohlen«, schimpfte er und ließ sich kaum von seiner Frau besänftigen.

Frank Reuter wartete den Ausbruch gelassen ab. Dann trank er seinen Kaffee aus und erhob sich.

»Wie? Kein weiteres Verhör?«, staunte der Fischer.

Auch seine Frau und Polizeiobermeister Petersen wirkten überrascht von dem frühen Aufbruch des Hauptkommissars. »Nein. Ich weiß jetzt, wer der Dieb ist. Sie sind es nicht, Herr Boysen, und das werden wir Ihrem Freund und Nachbarn auch gleich erzählen. Vermutlich wird er sich noch heute bei Ihnen entschuldigen«, erklärte Frank Reuter und schmunzelte leicht.

Die beiden Familien würden in nächster Zeit noch einige Überraschungen erleben. Doch Reuter war sich sicher, dass der unschöne Fischerkrieg in Maasholm an diesem Nachmittag sein Ende fand. Der Täter hatte ein gutes Motiv für seinen Diebstahl gehabt, würde sich aber trotzdem der Verantwortung stellen müssen.

Wissen Sie, was der Hauptkommissar entdeckt hat?

Reuter ermittelt an der Ostsee

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