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Flensburger Leiche auf Reisen

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Er stand auf dem kleinen Balkon und schaute hinunter auf die Boote. Es wohnte sich schön in Flensburg Sonwik, so unmittelbar am Wasser. Jedes Appartement hatte einen privaten Liegeplatz für ein Segelboot oder eine Motorjacht. Hauptkommissar Reuter wunderte es nicht, dass sich Einbrecherbanden von dieser exklusiven Umgebung angelockt fühlten.

»Sie glauben den Aussagen also?«, fragte er Kommissar Fechner von der Kripo Flensburg.

»Allerdings. Die Angaben wurden unabhängig voneinander gemacht und mir leuchtet nicht ein, welchen Vorteil die Einbrecher bei einer Lüge erwarten sollten«, antwortete Fechner.

Im Grunde teilte Reuter die Einschätzung seines Flensburger Kollegen. Auf der anderen Seite war es dem Ermittler vom LKA aus Kiel in seiner Laufbahn noch nicht untergekommen, dass eine Leiche aufgestanden und vom Tatort verschwunden war. Die jungen Einbrecher berichteten von einer toten Frau, die sie in dem Appartement gefunden haben wollten.

»Trotzdem erscheint es mir erstaunlich, dass bereits beim Eintreffen der Streife keine entsprechenden Hinweise mehr zu entdecken waren«, stellte Reuter fest.

Kommissar Fechner hatte zwei uniformierte Kollegen mit der Überprüfung des angeblichen Leichenfundes beauftragt. Die Eigentümer des Appartements befanden sich zurzeit auf einem Segeltörn auf der Ostsee und konnten nur über Funk erreicht werden. Der Hausmeister öffnete die Wohnungstür mit einem Zweitschlüssel, damit die Beamten sich umsehen konnten. Sie fanden keine Anzeichen eines Kampfes, weder Blutspuren noch den Leichnam einer jungen Frau. Als Fechner die Einbrecher damit konfrontierte, fielen sie aus allen Wolken und blieben beharrlich bei ihrer Aussage. Der Flensburger Ermittler bat daher um Unterstützung des LKA, die ihm in Person des Hauptkommissars Reuter zur Seite gestellt worden war.

»Die Überprüfung der Eigentümer hat keine Hinweise ergeben, dass irgendwelche Ungereimtheiten vorliegen?«, fragte der seinen Kollegen.

Kommissar Fechner streckte Reuter eine dünne Mappe hin, in der er alle bislang zusammengetragenen Informationen zu Helene und Robert Fleischer gesammelt hatte. Sie waren beide als Immobilienmakler tätig und nutzten das Appartement lediglich sporadisch. Normalerweise lebten sie in Berlin und Hamburg, wo sie ihre Büros unterhielten. Es gab keine Vorstrafen und die finanzielle Situation der gemeinsamen Firma war ausgezeichnet. Ein Streifenboot der Bundespolizei hatte das Segelboot mit dem Ehepaar angesteuert. Die Kollegen befragten Helene und Robert Fleischer.

»Sie haben dem Ehepaar sicherlich die Phantomzeichnung gezeigt. Wie waren die Reaktionen darauf?«, fragte Reuter.

Fechner hatte der Bundespolizei die nach den Angaben der Einbrecher angefertigte Skizze zugeschickt, damit die Beamten auf den Streifenboot es dem Ehepaar vorlegen konnten.

Während er auf Fechners Antwort wartete, studierte er die Zeichnung. Sie zeigte eine ausgesprochen hübsche Blondine, von etwa Mitte 20. Ihre kleine Nase war von Sommersprossen bedeckt. Auf der Zeichnung wirkte sie fröhlich.

»Beide schwören, diese Frau niemals gesehen zu haben«, erwiderte der Kommissar.

Hauptkommissar Reuter war erst vor zehn Minuten in Sonwik eingetroffen, weshalb er sich auf dem Balkon in den Stand der Ermittlungen einweisen ließ. Die Septembersonne strahlte von einem blauen Himmel auf ihn nieder, der nur von einigen Schleierwolken bedeckt war. Von den Bootsstegen erklangen laute Stimmen und irgendwo summte ein Staubsauger. Die Atmosphäre wirkte entspannt und schien allein dadurch die Aussagen der Einbrecher zu widerlegen. Nachdenklich rieb Reuter sich über den Nasenrücken. Schließlich fasste er einen Entschluss und wandte sich um. Im weitläufigen Wohnzimmer saß Frau Fleischer in einem Sessel und nippte an einem Longdrink. Sie trug immer noch die Kleidung, mit der sie auf dem Segelboot unterwegs gewesen war. Weiße Jeans, einen blau-weiß geringelten Pullover mit rundem Halsausschnitt. Ihre kleinen Füße steckten in weichen Slippers aus weißem Leinenstoff. Sie hob den Blick und schaute Reuter fragend aus flaschengrünen Augen an, die perfekt zu dem brünetten Pagenschnitt passten.

»Ich möchte mir gerne Ihr Boot ansehen. Würden Sie es mir zeigen?«, fragte er.

Für einen kurzen Augenblick umwölkte sich der Blick von Frau Fleischer, doch dann erwiderte sie das Lächeln des Ermittlers. Reuter registrierte, wie empfänglich sie für die Aufmerksamkeit eines Mannes war. Robert Fleischer lehnte lässig gegen den Tresen der offenen Küche und sprach leise in sein Handy. Seine Frau warf ihm einen kurzen Seitenblick zu, bevor sie sich erhob und nach der Sonnenbrille auf dem Couchtisch griff. Sie schob sie sich ins Haar und ging dann zur Tür. Reuter und Fechner folgten der zierlichen Frau, die sie zu einem Segelboot von gut zwölf Metern Länge führte.

»Bitte, das ist unser Boot«, sagte sie.

Die beiden Ermittler gingen an Bord. Reuter kannte sich mit Booten gut aus, da seine Exfrau eine begeisterte Seglerin war. Er schaute sich im Cockpit und im Salon sowie in den beiden Schlafkammern um. In der Eckbank entdeckte er eine Umhängetasche, an deren Reißverschluss ein Anhänger mit dem Wappen von Bremen festgemacht war. Reuter warf einen Blick auf den Inhalt der Tasche, in der sich eine leichte Sommerbluse sowie ein Bikinioberteil befanden. Die mit orangenen Blüten bedruckte Bluse trug das Etikett einer Nobelmarke, auf dem der Hauptkommissar die Konfektionsgröße 44 ablas. In der Tasche war jedoch keine Brieftasche zu finden, lediglich ein Brillenetui mit einer Gleitsichtbrille. Reuter nahm die Tasche mit an Deck und hob sie hoch.

»Ist das Ihre Tasche, Frau Fleischer?«, fragte er.

Sie kniff die Lider zusammen, da ihr die tief stehende Sonne ins Gesicht schien. Frau Fleischer nahm die Sonnenbrille aus dem Haar und setzte sie auf, nur um sie gleich darauf mit einer irritierten Geste zurück ins Haar zu schieben. Dann nickte sie zustimmend.

»Ja, natürlich. Ich muss sie in der Aufregung vorhin völlig vergessen haben«, antwortete Helene Fleischer.

Reuter nickte knapp und wandte sich dann an seinen Flensburger Kollegen.

»Sie sollten die Kriminaltechniker auf das Boot schicken. Es könnte interessant sein, welche Fingerabdrücke dort zu finden sind«, raunte er ihm zu.

Kommissar Fechner wirkte überrascht, kam der Empfehlung seines Kollegen jedoch unverzüglich nach. Hauptkommissar Reuter ging unterdessen mit Frau Fleischer zurück ins Appartement. Dort trafen sie auf Robert Fleischer, der sein Telefonat beendet hatte und mit einem Glas Whisky in der Hand auf der Couch saß.

»Trägt einer von Ihnen normalerweise eine Sehhilfe oder Kontaktlinsen?«, fragte Reuter.

Beide verneinten es sofort.

»Unterhalten Sie private oder geschäftliche Beziehungen in Bremen?«, fragte Reuter weiter.

Mittlerweile war auch Kommissar Fechner wieder eingetroffen und verfolgte die Befragung mit wachsender Neugier. Helene und Robert Fleischer tauschten einen Seitenblick aus.

»Wir haben auch Kunden in Bremen. Warum interessiert Sie das alles, Herr Reuter? Das hat doch nichts mit der angeblichen Frauenleiche zu tun«, antwortete der Immobilienmakler.

»Ich denke doch. Eine der Kunden ist vermutlich weiblich und wollte nicht auf das vorgeschlagene Geschäft eingehen. Jedenfalls befand sich eine weitere Frau auf Ihrem Boot, obwohl Sie doch angeblich allein auf dem Segeltörn waren. Die Kollegen der Spurensicherung werden entsprechende Spuren finden und die führen uns dann sicherlich zu der Leiche, die Sie vermutlich in der Ostsee entsorgt haben«, erklärte Frank Reuter.

Helene Fleischer erbleichte, während sich das Gesicht ihres Ehemanns rötlich verfärbte. Kommissar Fechner verfolgte die jähe Veränderung der Befragung mit Staunen.

»Woher wollen Sie denn wissen, dass eine andere Frau mit uns an Bord gewesen ist?«, fragte Helene Fleischer mit leiser Stimme.

»Oh, nicht nur an Bord. Die Frau war vorher auch in diesem Appartement«, erwiderte Reuter.

Was hat Hauptkommissar Reuter auf die richtige Spur gebracht?

Reuter ermittelt an der Ostsee

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