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Zur falschen Zeit am falschen Ort in Flensburg

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So fühlte Frank Reuter sich, während er an Bord des Salondampfers den Vernehmungen lauschte. Er hatte seine Tochter zum alljährlichen ›Dampfrundum‹ nach Flensburg eingeladen. Jasmin war anfangs eher skeptisch gewesen, doch sehr schnell nahm sie die tolle Atmosphäre an und auf der Förde gefangen. Dann auf einmal drehte der Raddampfer bei und Frank verfolgte überrascht, wie ein Polizeiboot längsseits ging. Zuerst dachte er an einen weniger spektakulären Zwischenfall, bis er Hauptkommissarin Martenson entdeckte. Die Kollegin reagierte verblüfft auf seine Anwesenheit, bevor sie Frank in die Ermittlungen einweihte.

»Ein gewisser Arthur Häfner wurde schwer verletzt. Jemand hat ihn mit einem Messer angegriffen und mehrfach zugestochen«, erklärte sie. Häfner war der Inhaber eine bekannten Designfirma, die Industrieprodukten neben ihrem praktischen Wert noch eine künstlerische Note verpasste. Zusammen mit seiner Belegschaft befand der Unternehmer sich an Bord, um den Zusammenhalt zu festigen.

Die Gäste des Salondampfers hatten sich gerade noch über die Anwesenheit der Polizei gewundert, als ein Rettungshubschrauber über ihnen kreiste und kurz darauf den schwer verletzten Häfner auf einer Trage nach oben zog und dann sofort den Flug zur Universitäts-Klinik nach Kiel antrat. »Wir vernehmen die Mitarbeiter hier, um den Schock auszunutzen. Du kannst gerne zuhören und mir sagen, falls dir etwas auffällt«, bot Martenson ihrem Kollegen vom LKA Kiel an.

Seitdem schlenderte Frank Reuter von einer Vernehmung zur nächsten, lauschte und versuchte sich bei der Suche nach dem Täter auf sein Bauchgefühl zu verlassen. Seine Tochter hatte offenbar Anschluss gefunden, Jasmin war in ein angeregtes Gespräch mit einer der Auszubildenden des Designers vertieft. Frank trat zu einem Hünen mit Glatzkopf, der ihn an seinen Freund Holly erinnerte. Der Oberkommissar lehnte sich gerade zufrieden zurück und hörte einer rothaarigen Frau mit einem gewaltigen Busen sowie funkelnden, grünen Augen zu.

»Arthur ist ein Despot, aber fair. Wenn er jemanden den Auftrag entzog, dann zu Recht. Himmel, was glaubt dieses Küken eigentlich«, wetterte sie. Als Frank ihrem Blick folgte, fiel er auf eine zierliche Blondine. Sie wurde soeben von Helga Thoms, einer weiteren Mitarbeiterin von Hauptkommissarin Martenson befragt.

Nach einem weiteren Redeschwall ging Frank weiter und blieb neben Thoms stehen, um den Ausführungen der Blondine zuzuhören. Sie hatte gerötete Augen und zerknüllte ein Taschentuch in ihrer Linken. Die Finger ihrer rechten Hand spielten mit der Schnalle ihrer moosgrünen Jacke, die auf ihrem Schoß lag.

»Ja, er hat mir den Auftrag entzogen. Dabei hatte ich mir dafür die ganzen teuren Geräte angeschafft. Jetzt habe ich große Schulden und muss dringend einen neuen Auftrag finden. Deswegen steche ich aber niemanden einfach ab«, räumte Elke Harbeck ein. Ihr flehender Blick schaffte es nicht, die Oberkommissarin länger zu fixieren. Harbeck senkte den Kopf. Helga Thoms notierte sich die Aussage.

Frank setzte seinen Weg fort und winkte Jasmin im Vorbeigehen zu. Seine Tochter löste sich aus der Unterhaltung und hielt ihn auf. »Dieser Arthur war kein guter Chef. Er hat doch tatsächlich versucht, bei der Franziska zu landen. Immer wieder hat er sie angefasst und wollte sie sogar auf seine Segeljacht einladen. Der Typ ist doch mindestens so alt wie du«, empörte Jasmin sich. Sie schüttelte sich vor Ekel und beschrieb dann, wie souverän die junge Auszubildende ihrem Chef entgegengetreten war.

»Danach war Schluss. Die Franzi weiß sich zu wehren. Wenn mich einmal so ein alter Kerl anpacken will, zerkratze ich ihm sein Gesicht«, schwor Jasmin. Anschließend kehrte sie zu ihrer neuen Freundin zurück, sodass Frank Reuter seinen Weg fortsetzen konnte. Er gesellte sich zu Kommissar Fechner, der einen der beiden männlichen Angestellten befragte.

»Häfner konnte wirklich ein Arsch sein. Er hat regelmäßig Ideen seiner Mitarbeiter als die eigenen ausgegeben und dafür sogar Preise eingeheimst«, erzählte Rüdiger Kornberg. Er war der älteste aller Kollegen, die ausnahmslos als freiberufliche Designer arbeiteten. Nur die Sekretärin von Häfner bezog ein festes Gehalt als Angestellte.

»Zuletzt traf es Sie, nicht wahr?«, fragte Fechner. Sein forschender Blick heftete am geröteten Gesicht Kornbergs. Der presste seine Handflächen so heftig auf die Tischplatte, dass die Knöchel weiß hervorstachen. »Ja, verflucht! Deswegen schlage ich dem Schwein doch nicht den Schädel ein«, gab er zu. Rüdiger Kornberg war ein Mensch, der seinen Jähzorn nur schwer unter Kontrolle halten konnte.

Während Kommissar Fechner sich die jüngsten Vorkommnisse ausführlich schildern ließ, wandte Reuter sich um. Er setzte bereits einen Fuß auf die Treppe, die ihn zurück aufs Oberdeck führen sollte, als er die Schnalle bemerkte. Sie lag unter der ersten Stufe und wäre ihm kaum aufgefallen, wenn sich nicht just in diesem Augenblick ein Sonnenstrahl im Messing gespiegelt hätte. Frank bückte sich und wickelte die Schnalle vorsichtig in ein Taschentuch. Er kehrte zurück zu Fechner und übergab sie dem Kommissar. Anschließend verließ er den Raum. Frank ging hinüber zum Bug, wo Hauptkommissarin Martenson sich mittlerweile mit Andrea Ohm unterhielt. Die Sekretärin von Arthur Häfner wirkte äußerlich gefasst. Lediglich ein Streifen gelöster Schminke unter dem rechten Auge verriet Frank, dass sie vor kurzer Zeit geweint hatte. In den braunen Haaren blitzte es bereits an vielen Stellen im Sonnenlicht grau auf. Andrea Ohm hatte vermutlich nur noch wenige Jahre, bevor sie aus dem Arbeitsleben ausscheiden würde.

»Seit 22 Jahren arbeite ich für Häfner. Er ist kein leichter Chef, aber ein fähiger Unternehmer«, sagte sie gerade. Ohm schilderte den Designer als sprunghaften Charakter, der öfter zu Überreaktionen neigte.

Martenson führte das Gespräch geschickt auf eine finanzielle Schieflage der Firma, da es offenbar seit über sechs Monaten keine Zahlungen an die Sozialkassen mehr gegeben hatte.

»Solche Engpässe gab es immer wieder. Kein Grund, sich übermäßige Sorgen zu machen«, wehrte Ohm ab.

»Ach, nein? Dieses Mal scheint es aber doch schlimmer zu sein. Die Krankenkasse strebt bereits eine Zwangsinsolvenz an, und dann wären Sie arbeitslos. Es träfe Sie am härtesten, oder?«, hakte die Hauptkommissarin nach.

Frau Ohm seufzte schwer und rang sichtlich mit sich. »Ja, schon. Aber das wäre nicht passiert, Frau Martenson. Arthur hat noch genügend Geld. Er sieht nur nicht ein, warum er alle diese – in seinen Augen – überflüssigen Sozialabgaben leisten soll«, gestand sie.

Erst als Sonja Martenson die Sekretärin auf eine Zeugenaussage aufmerksam machte, erkannte Frank, in welche Richtung die Vernehmung sich bewegte.

»Sie hatten kurz vor dem Angriff auf Herrn Häfner einen heftigen Streit mit ihm. Ging es dabei um das Geld und die drohende Insolvenz?«, fragte die Hauptkommissarin und belehrte Andrea Ohm über die Folgen einer möglichen Falschaussage.

»Nein«, erwiderte sie und fuhr gleich fort. »Arthur wollte Manfred Vogler keine neuen Aufträge geben, nur weil er zwischendurch für die Konkurrenz gearbeitet hat. Wie hätte Vogler denn sonst über die Runden kommen sollen? Er hat eine kranke Frau und drei halbwüchsige Kinder, die auf sein Einkommen angewiesen sind. Darüber haben wir uns gestritten!«

Das war Franks Stichwort, sich der Vernehmung des noch verbleibenden Mitarbeiters von Arthur Häfner zuzuwenden. Ihn befragte mittlerweile Bastian Kraft, ein Hüne mit blank polierter Glatze. Gerade als Frank zu ihnen trat, dröhnten mehrere Dampfhörner. Ihre Blicke gingen automatisch hinüber zur Ziellinie, wo aus den Schornsteinen der dampfgetriebenen Schiffe dichter Rauch quoll. Der Salondampfer hatte dieses Jahr nicht mit um das blaue Band kämpfen können. Der heimtückische Angriff auf Arthur Häfner hatte sie zum vorzeitigen Ausstieg aus der Wettfahrt gezwungen.

»Sie wollten ihn also heute zur Rede stellen?«, wiederholte der Oberkommissar seine Frage, die in dem Lärm untergegangen war. Auf seiner Glatze glitzerten Schweißperlen.

»Er konnte echt widerlich sein. Arthur kennt meine familiäre Situation und genoss es, mir zuzusetzen. Er wollte mich erniedrigen. So etwas gefiel ihm«, stieß Vogler hervor. Sein Blick ging ins Leere. Vermutlich erinnerten die Fragen ihn an unschöne Szenen.

»Ihre Auseinandersetzung wurde handgreiflich. Haben Sie die Nerven verloren?«, bohrte Kraft weiter.

»Häfner hat sich abfällig über die Krankheit meiner Frau geäußert. Es war das Wort zu viel und deswegen habe ich ihm ins Gesicht geschlagen. Einmal! Nicht mehr! Und davon stirbt kein Mensch«, gab Vogler zu und beschrieb einen kurzen, nicht allzu heftigen Kampf.

Als Frank hörte, wie der wütende Designer anschließend ans Oberdeck gestürmt und dabei mit Elke Harbeck zusammengestoßen war, wusste er genug. Die Vernehmungen vermittelten Reuter das Bild, um sich den Ablauf des Angriffs vor Augen zu führen. Er ging zurück zu Hauptkommissarin Martenson, die soeben das Gespräch mit der Sekretärin beendet hatte. Sie schaute ihn erwartungsvoll an.

»Ich weiß jetzt, was unten passiert ist und wer Häfner das Messer in den Leib gerammt hat«, erklärte Reuter. Ein winziges Detail hatte den Angreifer verraten.

Wissen Sie, welches es war?

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