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Hundstage in Kappeln
ОглавлениеAuf dem Weg nach Kappeln war Reuter an einem Feld vorbeigefahren, auf dem sich Mensch und Tier in der beliebten Sportart Agility übten. Die weißen Schäfchenwolken verstärkten den Eindruck, dass es sich bei Kappeln um ein idyllisches Städtchen an der Ostsee handelte. Im Prinzip hätte Hauptkommissar Reuter dem nicht widersprochen, aber am diesem Mittwoch im Juli war er dienstlich in dem Küstenort.
»Wir stehen vor einem echten Rätsel, Herr Reuter«, teilte ihm der Bürgermeister voller Verzweiflung mit.
Die örtliche Polizeistation hatte reichlich Arbeit mit den täglichen Problemen in der kleinen Stadt. Taschendiebe machten dem Bürgermeister jedoch so sehr zu schaffen, dass er seine Beziehungen hatte spielen lassen. Aus diesem Grund musste sich Hauptkommissar Reuter nun dieser leidigen Angelegenheit annehmen.
»Überall schlagen diese Banditen zu. Anfangs haben wir ja gedacht, dass es eine durchziehende Truppe von Dieben sein müsste, aber so sieht es jetzt nicht mehr aus«, erklärte Bürgermeister Steffens.
Reuter blätterte lustlos durch die Akten der Kollegen, in denen alle Opfer akribisch aufgelistet worden waren. Etwas stach ihm dabei ins Auge.
»Es macht nicht den Eindruck, als wenn wir es mit Profis zu tun hätten«, stellte er halblaut fest.
Heiner Steffens versteifte sich in seinem Sessel hinter dem Schreibtisch im Rathaus. »Wie bitte? Also, wie wollen Sie das denn nach einem reinen Aktenstudium feststellen können?«, protestierte der Bürgermeister entschieden.
Während Reuter ihm die Liste mit den gestohlenen Gegenständen über den Schreibtisch zuschob, wischte Steffens sich seinen Stiernacken mit einem Tuch trocken. Trotz der weit geöffneten Fenster war es brütend heiß im Arbeitszimmer des Bürgermeisters.
»Die Auswahl zeigt es mir. Offenbar werden wahllos Gegenstände entwendet, ohne dass die Diebe sich sonderlich um den Wert kümmern. Das würde kein Profi machen«, erklärte der Hauptkommissar.
Während Steffens sich mit gefurchter Stirn die Aufstellung durchlas, gingen Reuters Gedanken auf Wanderschaft. Er stand auf und schlenderte hinüber zum Fenster, von wo aus man den nahen Kirchturm sehen konnte.
»Alle Diebstähle wurden in der Nähe der Kirche verübt«, dachte Reuter laut nach.
»Ja und? Die liegt schließlich mitten im Zentrum, von dem die Einkaufsstraßen abgehen«, warf Steffens ein.
Für Reuter stand fest, dass er näher an den Ort des Verbrechens musste. Er wandte sich ab und erklärte dem Bürgermeister, dass er zur Fußgängerzone gehen wollte. Heiner Steffens kam erstaunlich flink auf die Beine und schlüpfte in sein lindgrünes Jackett.
»Da komme ich mit. Sie sollen ein echtes Ass sein, wie mein Freund mir verraten hat. Jetzt können Sie einmal unter Beweis stellen, dass Sie Ihrem Ruf auch gerecht werden«, trompetete Steffens und eilte an Reuter vorbei.
Der Hauptkommissar wäre zwar lieber allein auf seine Erkundung gegangen, aber er schluckte seinen Protest hinunter und folgte dem rundlichen Bürgermeister. Eine halbe Stunde später blieb Steffens schwer schnaufend im Schatten des Kirchengebäudes stehen und wischte sich zum wiederholten Male den Schweiß aus Nacken und Gesicht.
»Was soll uns diese Rennerei eigentlich einbringen?«, fragte er.
Ein schwarz-weißer Border Collie trabte zu ihnen, umkreiste erst Reuter und dann den Bürgermeister. Während der Hauptkommissar dem Hund lediglich knapp über den Kopf strich, erwies sich Steffens als Tierliebhaber. Er ging in die Hocke und kraulte den gutmütigen Hund. Der Collie schob seine lange Schnauze unter das Sakko des Bürgermeisters, der es lachend zuließ.
»Na, so was?«, staunte er wenige Augenblicke später.
Der Hund hatte offenkundig genug Streicheleinheiten kassiert, denn er wandte sich urplötzlich ab und rannte davon. Reuter sah noch, wie er sich zu zwei Artgenossen gesellte. Das Pärchen bei den beiden Collies schienen die Besitzer der Hunde zu sein.
»Was halten Sie davon, wenn wir uns eine kleine Erfrischung gönnen?«, schlug Frank Reuter vor.
Der Bürgermeister war sofort einverstanden und so setzten die beiden Männer sich an einen freien Tisch, der zu einem Café gehörte. Ein Teil der Plätze lag im Schlagschatten des Kirchturms. Aber auch die restlichen Tische befanden sich im Schatten, die von riesigen Sonnenschirmen erzeugt wurden. Nachdem Reuter und Steffens bei einer freundlichen Kellnerin ihre Bestellung aufgegeben hatten, streckte der Ermittler seine Beine lang aus. Fünf Minuten später löffelte der Bürgermeister zufrieden sein Eis und sprach diesen oder jeden Passanten an. Heiner Steffens war völlig in seinem Element und reagierte daher auch weniger impulsiv, als einer der Border Collies zwischen den Tischen umherlief und kurz bei ihm anhielt. Frank Reuter hielt sein Smartphone in der Hand und schien Textnachrichten zu studieren.
»Meine Kamera ist weg?«, rief eine Frau erschrocken aus.
Schlagartig verlor Steffens seine entspannte Haltung und ließ den Löffel klirrend ins Glas fallen. Der Mann am Tisch der Frau versuchte sie zu beruhigen und half ihr beim Suchen. Doch die Filmkamera blieb verschwunden.
»So unternehmen Sie endlich etwas, Herr Reuter!«, schimpfte Steffens.
Sein verärgerter Blick ruhte auf dem hoch gewachsenen Ermittler des LKA, der äußerlich gelassen auf den Tumult um ihn herum reagierte. Frank Reuter zückte seine Brieftasche und legte genügend Geld auf den Tisch, um seinen Kaffee und auch den Eisbecher des Bürgermeisters zu bezahlen. Heiner Steffens winkte energisch ab.
»Nein, nein. Ich bezahle natürlich selbst und auch wenn Ihr Einsatz nicht den gewünschten Erfolg hatte, sind Sie mein Gast«, protestierte er entschieden.
Mit einem verschmitzten Lächeln beobachtete der Hauptkommissar, wie der Bürgermeister alle seine Taschen durchsuchte.
»Ihre Brieftasche wurde ebenfalls ein Opfer dieser Diebesbande. Aber keine Sorge, Herr Steffens. Ich weiß jetzt, wer sie sind, und habe Beweisfotos angefertigt«, warf Hauptkommissar Reuter ein.
Der Bürgermeister gab die Suche nach seiner Brieftasche auf und starrte den Ermittler ungläubig an. »Wie, Sie wissen jetzt, wer die Diebe sind? Sie sitzen doch die ganze Zeit entspannt im Schatten und lesen Ihre Textnachrichten?«, staunte Heiner Steffens.
Was ist Reuter aufgefallen und wie konnte er die Diebe bei einer ihrer Raubzüge fotografieren?