Читать книгу Ray Bradbury - Poet des Raketenzeitalters - Hardy Kettlitz - Страница 10
Оглавление3.2 – Erzählungen 1947
»The Handler«
(Januar 1947 in WEIRD TALES, enthalten in Dark Carnival, Bradbury Stories: 100 of His Most Celebrated Tales und The Small Assassin; dt. »Ausgleichende Gerechtigkeit« bzw. »Mr. Benedicts Ende«)
Mr. Benedict ist Bestattungsunternehmer und ein sehr zurückgezogen lebender Mann. Wenn er anderen aus seiner Stadt begegnet, versucht er so zurückhaltend und unsichtbar wie möglich zu sein, gibt anderen immer recht und wird deshalb oft auf unverschämte Art behandelt. Doch wenn er in seinem Bestattungsunternehmen mit den Leichen der Verstorbenen allein ist, dann zeigt er ihnen, was er tatsächlich von ihnen hält. Der dicken Mrs. Shellmund, die ihm gegenüber immer besonders herablassend war, nimmt er das Gehirn heraus und füllt ihren Kopf mit Süßigkeiten. Dem rassistischen Mr. Wren pumpt er das Blut aus dem Körper und füllt die Adern mit schwarzer Tinte, sodass sein ganzer Körper schwarz wird. Und dem unglaublich gut aussehenden Mr. Worth trennt er den Kopf ab und friert den Körper gesondert ein, um später selbst mit diesem schönen Körper begraben zu werden, weil Mr. Benedict ziemlich unattraktiv ist.
Mr. Blythe hingegen, der bereits zweimal für scheintot gehalten wurde, erwacht in der Leichenhalle und wird Zeuge von Mr. Benedicts Untaten. Das kann Benedict nicht zulassen und tötet Blythe mit einer Spritze. Doch bevor Blythe verstirbt, stößt er einen Hilferuf an die anderen Toten aus, die von Benedict geschändet wurden.
In der Nacht hören die Nachbarn des Bestattungsunternehmens einen markerschütternden Schrei, und am nächsten Tag ist Benedict verschwunden. Dafür steht auf jedem Grabstein des Friedhofes mit zittrigen Fingernägeln in das Moos geritzt der Name ›Mr. Benedict‹.
Die Erzählung ist sehr drastisch und plakativ. Gerade deshalb eignete sie sich für die Verfilmung in der Serie THE RAY BRADBURY THEATER, in der Hauptrolle mit einem überragend guten Michael J. Pollard, der vielen sicherlich für seine Oscar-gekrönte Nebenrolle in Bonnie and Clyde in Erinnerung ist.
»The Man Upstairs«
(März 1947 in HARPER’S, enthalten in Dark Carnival, The Small Assassin und The Stories of Ray Bradbury; dt. »Der Mann oben« bzw. »Der Mann droben« bzw. »Der Untermieter«)
Die Geschichte spielt 1927, und der elfjährige Douglas lebt bei seinen Großeltern, die einzelne Zimmer des großen Hauses vermieten. Eines Tages zieht ein Mann namens Koberman ein, der Douglas unheimlich ist. Koberman ist immer sehr ernst, und er isst mit seinem eigenen Holzbesteck, nicht mit dem Silberbesteck der Großeltern. Außerdem schläft Koberman den ganzen Tag und geht erst nach Sonnenuntergang aus. Beim Abendbrot unterhalten sich die Erwachsenen darüber, dass mehrere junge Frauen verschwunden sind oder tot aufgefunden wurden. Douglas glaubt, dass Koberman ein Vampir ist, und am Ende schafft er es mithilfe seiner ersparten Silbermünzen, den unheimlichen Mann zur Strecke zu bringen.
Für die Verfilmung als Folge der Serie THE RAY BRADBURY THEATER wurde die Handlung ins Paris der 1980er-Jahre verlegt.
»Rocket Summer« (Frühjahr 1947 in PLANET STORIES) ist ein anderer Text als die gleichnamige Einleitung zu The Martian Chronicles. Die hier so benannte Geschichte wurde allerdings später nicht nachgedruckt und auch nicht übersetzt. Das gilt ebenfalls für »Tomorrow and Tomorrow« (gemeinsam mit Leigh Brackett [ungenannt]; Mai 1947 in FANTASTIC ADVENTURES), »Interim« (Juli 1947 in WEIRD TALES, enthalten in Dark Carnival) und »The Irritated People« (Dezember 1947 in THRILLING WONDER STORIES).
»The Cistern«
(Mai 1947 in MADEMOISELLE, enthalten in Bradbury Stories: 100 of His Most Celebrated Tales, Dark Carnival und The Small Assassin; dt. »Die Zisterne«)
Die beiden älteren Schwestern Anna und Juliet sitzen an einem dunklen Regennachmittag in ihrem Wohnzimmer. Anna betrachtet die Straße und fragt ihre Schwester, ob es nicht schön wäre, unter der Stadt in der Zisterne zu sein. Juliet hält ihre Schwester für verrückt, aber da erzählt Anna von einem Traum den sie hatte: Ein Liebespaar, beide tot, treibt durch die Zisterne; das Regenwasser spült die beiden zueinander, gemeinsam treiben sie durch die Kanalisation und unter der Stadt hinaus Richtung Meer. Am Ende der Geschichte wird Anna klar, dass der tote Mann unter der Stadt ihr ehemaliger Freund Frank sein muss, der vor fünf Jahren verschwunden ist und mit dem sie nicht zusammenkam, weil Franks Mutter etwas gegen die Verbindung hatte. Da verlässt Anna das Haus, als ihre Schwester kurz eingenickt ist, und man hört nur noch das Klappen eines Gullydeckels.
Die Schilderung der Leichen in der Kanalisation erfolgt keineswegs grauenhaft, sondern sehr romantisch und mit poetischen Bildern durchsetzt, was sicher auch dem Medium angemessen ist, in dem die Erzählung erschien. Vielleicht hätte Bradbury andere Formulierungen gewählt, wenn der Text in WEIRD TALES erschienen wäre.
»El Dia de Muerte«
(Herbst 1947 in TOUCHSTONE, enthalten in The Machineries of Joy; dt. »El Dia de Muerte«)
Der kleine Junge Raimundo erlebt voller Aufregung den berühmten und etwas unheimlichen mexikanischen Feiertag der Toten. Alle Menschen sind auf der Straße, es gibt eine große Prozession, Stierkämpfe und Süßigkeiten in Form von Zuckerschädeln. Eine Handlung hat dieser Text nicht, stattdessen schildert der Autor farbig und kraftvoll das lebenslustige Fest der Toten.
Nur ein Jahr später griff Bradbury das Thema in »The Candy Skull« neu auf und schrieb damit einen Krimi für das Magazin DIME MYSTERY. Viele Motive finden sich auch in der Erzählung »The Next in Line«, die ebenfalls 1947 in Dark Carnival erschienen ist. Bradbury verarbeitete in all diesen Mexiko-Geschichten seine eigenen Erlebnisse während seiner Reise durch das Nachbarland.
»Time Intervening«
(Erstveröffentlichung als »Interim«, Herbst 1947 in EPOCH, enthalten in Bradbury Stories: 100 of His Most Celebrated Tales und One More for the Road; nicht auf Deutsch)
Mitten in der Nacht betritt ein alter Mann sein Haus, doch kurz darauf kommt ein junges Paar ebenfalls ins Haus und setzt den Alten vor die Tür. Der alte Mann ist verwirrt, wieso ihn jemand aus seinem eigenen Haus wirft. Er beobachtet zwei Jungen beim Spielen und stößt mit einem Halbwüchsigen zusammen. In der zweiten Hälfte der Geschichte wird klar, dass es sich bei allen Personen, mit denen er zusammenstößt, um ihn selbst handelt, in unterschiedlichen Jahren und Jahrzehnten.
Die Geschichte ist sehr poetisch, allerdings wird vom Autor nicht erklärt, wie es zu den seltsamen Zeitsprüngen gekommen ist oder welche Konsequenzen daraus erwachsen – aber schließlich geht es um die Begegnungen in der Geschichte, nicht um Logik.
»Zero Hour«
(Herbst 1947 in PLANET STORIES, enthalten in Bradbury Stories: 100 of His Most Celebrated Tales, S is for Space und The Illustrated Man; dt. »Stunde Null« bzw. »Die Stunde Null«)
Die neunjährige Mink spielt mit ihren Freunden das Spiel ›Invasion‹ und erzählt ihrer Mutter, Mrs. Morris, beim Essen davon. Mitspielen dürfen nur Kinder, die jünger als elf Jahre sind, denn angeblich können nur so junge Kinder die anderen Dimensionen sehen. Die Mutter hört dem Geschwätz ihrer Tochter nur halbherzig zu, auch als Mink erzählt, dass um fünf Uhr die Stunde Null kommen wird. Als es dann so weit ist, ertönen erschreckende Geräusche, und Mrs. Morris ahnt, dass irgendetwas ganz und gar nicht in Ordnung ist. Sie versteckt sich auf dem Dachboden und überredet ihren Mann, sich ebenfalls zu verstecken. Doch es ist zu spät: Die Kinder kommen sie schon suchen, und hinter ihnen folgen düstere Gestalten mit schweren Schritten.
Die Invasoren selbst treten in der Geschichte nicht in Erscheinung, man erfährt nur durch die Erzählung der Kinder von ihnen. Gerade deshalb ist das Ende der Geschichte so erschreckend und grauenvoll. Ein sehr gelungener Text. – Die Geschichte wurde für die Serie THE RAY BRADBURY THEATER verfilmt.
»I See You Never«
(8. November 1947 in THE NEW YORKER, enthalten in Bradbury Stories: 100 of His Most Celebrated Tales, The Golden Apples of the Sun und Twice 22; dt. »Ich sehe Sie nie« bzw. »Ich sehe Sie nie wieder« bzw. »Ich Sie nie sehen«)
Diese Geschichte erzählt von dem Mexikaner Mr. Ramirez, dessen Aufenthaltsgenehmigung für die USA abgelaufen ist. Die Polizei holt ihn in der Pension von Mrs. O’Brian ab, in der er die ganze Zeit gewohnt hat. Mrs. O’Brian hat sich inzwischen an den freundlichen Mann gewöhnt und ihr wird erst am Ende der Geschichte klar, dass sie ihn nie wiedersehen wird.
Die kurze, nur vier Seiten lange Geschichte ist ungewöhnlich für Bradbury in den 40er-Jahren, da sie keinerlei phantastische Elemente enthält, aber sie sorgte für die entsprechende Aufmerksamkeit in literarischen Kreisen.