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2.3 – Kriminalgeschichten

Bradburys frühe Kriminalgeschichten wurden fast alle in dem Band A Memory of Murder gesammelt. Im Vorwort zu diesem Buch schreibt er, dass er sich damals Mitte der 40er-Jahre jeden Sonntag mit der von ihm vergötterten Autorin Leigh Brackett am Muscle Beach von Santa Monica, Kalifornien, traf, um sich mit ihr zu unterhalten und ihr seine Geschichten zu zeigen. Brackett war zu dem Zeitpunkt bereits eine erfolgreiche und von den SF-Fans geliebte Autorin, die aber auch eine ganze Menge Kriminalgeschichten geschrieben hat. Brackett nahm sich die Zeit, dem jungen Bradbury zu helfen und einige Kniffe zu verraten, wie er seine Geschichten verbessern konnte. Und deshalb hat er ihr schließlich seinen Sammelband A Memory of Murder gewidmet, und zwar »In Liebe«.

Einige der nachfolgend besprochenen Geschichten haben von den Magazinherausgebern neue Titel erhalten, unter denen die Texte auch später nachgedruckt wurden. Die von Bradbury vorgesehenen Titel finden Sie in den bibliografischen Angaben.

»Killer, Come Back to Me!«

(Juli 1944 in DETECTIVE TALES, in keinem Sammelband; nicht auf Deutsch)

Ausgerechnet die erste von Bradburys Kriminalgeschichten ist nur ein Mal im Juli 1944 in dem Pulp DETECTIVE TALES erschienen und nie nachgedruckt worden. Zum Glück ist dies aber die einzige schwer zu findende Story, alle anderen sind in dem Band A Memory of Murder zusammengefasst.

»The Long Night«

(Juli 1944 in NEW DETECTIVE, enthalten in A Memory of Murder; dt. »Die lange Nacht«)

Bradbury selbst bezeichnete diese Erzählung als eine seiner besten Krimigeschichten, und tatsächlich ist sie viel atmosphärischer als die meisten anderen. Sie spielt in einem Mexikaner-Slum in einer nicht näher benannten Großstadt. Der Protagonist ist ein junger Mexikaner, der zwar viele Freunde hat, sich aber aus den Jugendbanden herauszuhalten versucht. Während der titelgebenden langen Nacht bricht ein Feuer aus, in dem ein Mann umkommt. Der Protagonist findet aber heraus, dass es sich hier um einen als Unfall getarnten Mord handeln muss. Es passieren weitere Todesfälle, bis der Held am Ende schließlich herausfindet, wer der Mörder ist und wer ihn für die Morde bezahlt hat. – Die Geschichte ist außergewöhnlich realistisch und schildert die Nöte der Jugendlichen in den Slums der 40er-Jahre.

»Yesterday I Lived!«

(Manuskripttitel »No Phones, Private Coffin«, August 1944 in FLYNN’S DETECTIVE FICTION, enthalten in A Memory of Murder; dt. »Gestern habe ich noch gelebt«)

Die Hollywood-Diva Diana Coyle stirbt während der Dreharbeiten zu ihrem neuesten Film; offenbar wurde sie vergiftet. Der Produzent versucht anhand von fehlerhaften Aufnahmen, die für den Film nicht verwendet werden können, den Täter zu ermitteln. Tatsächlich gibt es einige Szenen, in denen sich die Hauptdarsteller versprechen und anschließend mit drastischen Worten beschimpfen, wodurch der Mordverdacht auf Dianas Filmpartner Robert Denim fällt. Doch dieser wird entlastet, weil einer der Techniker ermordet wird, während Denim bereits im Gefängnis sitzt. Erst drei Jahre später findet der Produzent den tatsächlichen Mörder heraus: Diana hatte während der letzten Sekunden vor ihrem Tod nicht direkt in die Kamera geblickt, sondern dicht daneben. Der Kameramann war der Mörder. – Die Geschichte überzeugt durch ihre logische Pointe und vor allem durch das stimmungsvolle Umfeld der Filmproduktionsgesellschaft. Eine gute Idee ist es auch, den Täter hier anhand von Archivfilmaufnahmen zu überführen. Bradburys Begeisterung für Hollywood, die er seit seiner Kindheit hegte, schlägt sich in der Geschichte nieder.


»The Trunk Lady«

(September 1944 in DETECTIVE TALES, enthalten in A Memory of Murder; dt. »Die Frau in der Truhe«)

Johnny ist das einzige Kind der Familie, und weil er keine Spielkameraden hat, durchstöbert er oft aus Langeweile das Haus. Während die Erwachsenen unten im Haus eine Party feiern, findet Johnny auf dem Dachboden in einer Truhe die Leiche einer schönen, schwarzhaarigen Frau. Aufgeregt will Johnny alle Erwachsenen informieren, doch niemand scheint ihm zu glauben. Aufgebracht schleppt der Junge wenig später die Truhe zur Treppe und stößt sie hinunter, doch nun befindet sich darin nur eine Kleiderpuppe. Auch ein Polizist, den Johnny trifft, schenkt ihm keinen Glauben, sondern ist davon überzeugt, dass der Junge zu viel Phantasie hat und weniger Comics lesen sollte. Doch Johnny gibt keine Ruhe, bis er herausfindet, wer der Mörder und vor allem wer die Leiche ist. Und beinahe verliert er dabei selbst das Leben …

Neben der Krimihandlung konzentriert sich Bradbury in dieser eher mittelmäßigen Geschichte auf die Einsamkeit und das Gerechtigkeitsempfinden des Jungen, der schließlich ein Familiendrama aufdeckt, das die Erwachsenen vor dem Kind verheimlicht hatten.


»Half-Pint Homicide«

(Manuskripttitel »Enter the Douser«, November 1944 in DETECTIVE TALES, enthalten in A Memory of Murder; dt. »Ein Abend für zwei«)

Douser Mulligan ist ein ehemaliger Polizist und macht nun als Privatdetektiv auf eigene Faust Jagd auf Verbrecher. Er hat es auf Mr. Schabold abgesehen und bereits einige von dessen Gorillas ausgeschaltet. In Gegenwart einiger Polizisten steigt Douser nun in Mr. Schabolds Wagen – dabei handelt es sich um eine List, denn wenn Schabold ihn jetzt tötet, dann wissen die Polizisten, dass er der Täter ist, und können ihn verhaften. Douser seinerseits hat gar nicht die Absicht, Schabold umzubringen, er will ihn nur hinter Gitter bringen. Also macht er ihn so verrückt, dass sich Schabold am Ende stellt und seine Verbrechen zugibt.

Eine schwache Geschichte, deren Pointe leider nicht unbedingt logisch und nur darauf angelegt ist, Douser als ausgebufften Helden dastehen zu lassen. Zumindest ist Douser eine außergewöhnliche Figur, da er nicht den Verbrecher überführt, sondern vielmehr dafür sorgt, dass dieser sich selbst stellt.


»It Burns Me Up!«

(November 1944 in DIME MYSTERY, enthalten in A Memory of Murder; dt. »Kleine Flocken grauer Asche«)

Der Erzähler dieser kurzen Geschichte ist der Ermordete selbst. Er schildert, was um ihn herum vorgeht, während die Polizei den Tatort sichert und der Leichenbeschauer seine Arbeit verrichtet. Die Ehefrau des Ermordeten ist auch zugegen, bei der Vernehmung ist sie jedoch widerspenstig.

Es gibt keine Aufklärung des Mordfalls, wobei der Verdacht des Lesers auf die Gattin fällt. Die Geschichte endet damit, dass der Protagonist darüber nachdenkt, dass er in circa einer Woche bereits verbrannt sein wird und nur noch aus kleinen Flocken grauer Asche besteht.

»Four-Way Funeral«

(Manuskripttitel »The Very Bewildered Corpses«, Dezember 1944 in DETECTIVE TALES, enthalten in A Memory of Murder; dt. »Begräbnis für vier«)

In dieser Geschichte ist die Hauptfigur wiederum der Privatdetektiv Douser Mulligan, den der Leser bereits aus der im Monat zuvor im gleichen Magazin erschienenen Geschichte »Half-Pint Homicide« kennt. Diesmal ist Douser gleich an vier Verbrechern dran und spielt sie so geschickt gegeneinander aus, dass sie sich gegenseitig umbringen und die Polizei gar nicht erst eingeschaltet werden muss.

»I’m Not So Dumb!«

(Februar 1945 in DETECTIVE TALES, enthalten in A Memory of Murder; dt. »Ich bin doch nicht blöd!«)

In einem Dorf wurde ein Farmer namens Simmons ermordet. Der Sheriff und einige Dorfbewohner sind schnell zur Stelle. Erzähler der Geschichte ist der Dorftrottel Peter, der zusammen mit dem Sheriff den Fall aufklären soll, weil das alle für eine amüsante Idee halten. Und tatsächlich schafft es Peter, anhand von Indizien den Mörder herauszufinden. Peter gewinnt an Ansehen im Ort und wird sogar Hilfssheriff. Und am Ende stellt sich heraus, dass Peter gar nicht so blöd ist, wie alle anderen dachten, denn alles war nur ein Trick, um Peters eigene Tat zu verschleiern.

Die Geschichte besticht durch die Erzählperspektive und die überraschende Pointe. Auf nur zehn Seiten überzeugt Bradbury hier mit einer raffinierten Detektivgeschichte.

»Hell’s Half-Hour«

(Manuskripttitel »Mr Priory Meets Mr Caldwell«, März 1945 in NEW DETECTIVE, enthalten in A Memory of Murder; dt. »Eine halbe Stunde in der Hölle«)

Ein blinder Mann namens Caldwell ist umgebracht worden, wobei das ganze Zimmer verwüstet wurde. Nun erfahren die Polizisten von Caldwells Vermieterin, die bettlägerig ist, dass der Lärm und der Kampf eine halbe Stunde gedauert haben. Man rätselt herum, warum der Kampf mit einem Blinden so lange dauert, doch der leitende Ermittler hat die Idee und stellt den Täter noch am nächsten Tag: Der Mörder ist ebenfalls blind.

Bradbury hat mit dieser Geschichte eine sehr klassische Krimi-Short-Story geschrieben, in der alles stimmig ist, sowohl die Proportion zwischen Inhalt und Länge des Textes als auch die Motive der Protagonisten und die überraschende Pointe.

»Dead Men Rise Up Never«

(Juli 1945 in DIME MYSTERY, enthalten in A Memory of Murder; dt. »Tote stehen nie mehr auf«)

Diese Geschichte spielt im Gangstermilieu. Der Boss einer Bande hat ein junges Mädchen namens Sherry entführt, vorgeblich weil er Lösegeld erpressen will. Tatsächlich hat er sich aber in das Mädchen verliebt und hofft, sie für sich gewinnen zu können. Doch es kommt anders: Auf der Flucht stirbt Sherry, und nach einigen Intrigen und Auseinandersetzungen mit Rivalen ist schließlich auch der Gangsterboss tot.

Diese Geschichte zeigt sehr anschaulich, dass Hard-Boiled-Storys nicht Bradburys Stärke sind. Die Handlung schwankt unentschlossen zwischen einem brutalen Gangsterplot und romantischen Anwandlungen des Bosses. Bradbury hat hier sicher versucht, den Stil seiner Pulp-Kollegen in den Mystery-Magazinen zu kopieren, dabei aber nicht seinen eigenen Ton getroffen.


»Corpse Carnival«

(Pseudonym D. R. Banat; Manuskripttitel »One Minus One«, Juli 1945 in DIME MYSTERY, enthalten in A Memory of Murder; dt. »Ein Zirkus voller Leichen«)

Eine sehr absurde Idee: In einem Zirkus wird einer der beiden siamesischen Zwillinge erstochen. In einer Notoperation trennt der anwesende Arzt die beiden, und der überlebende Zwilling begibt sich auf die Suche nach dem Mörder. Dabei müssen auch noch weitere Leute aus dem Zirkus sterben, weil der Mörder seine Tat vertuschen will. Am Ende stellt sich heraus, dass die Geliebte des überlebenden Zwillings ihn für sich allein haben wollte, ohne dass der störende zweite immer dabei ist.

Die Pointe ist tatsächlich überraschend, doch allein die schnell ausgeführte Operation und das klischeehafte Verhalten der Zirkusmitglieder lassen ahnen, dass die Geschichte hastig für ein Pulpmagazin geschrieben wurde. Da Bradbury in der gleichen Ausgabe von DIME MYSTERY bereits die Geschichte »Dead Men Rise Up Forever« hatte, erschien »Corpse Carnival« unter dem Pseudonym D. R. Banat.

»The Long Way Home«

(Manuskripttitel »The Long Way Around«, November 1945 in DIME MYSTERY, enthalten in A Memory of Murder; dt. »Ein langer Weg nach Hause«)

Charley Guidney ist ein kleiner Angestellter und angeödet von seiner täglichen Arbeit. Er träumt davon, aus dem Trott auszubrechen und vielleicht sogar seine Frau Lydia, die ihn zu hassen scheint, zu verlassen. Als er nach Hause kommt, keift sie ihn in gewohnter Weise an. Da behauptet er, auf dem Heimweg einen Mann erschossen zu haben. Er hält das für eine großartige Idee, denn so muss er fliehen. Er schickt seine Frau los, um Busfahrkarten zu kaufen, und packt unterdessen die Koffer. Sie braucht sehr lange, und als sie zurückkehrt, wollen die Eheleute so schnell wie möglich aufbrechen, treffen aber auf den Polizisten Kelly. Lydia verliert die Nerven und verrät Charley. Es stellt sich heraus, dass tatsächlich jemand erschossen wurde. Charley schlägt in Panik den Polizisten nieder und flieht. Schließlich findet er heraus, was tatsächlich passiert ist: Seine Frau hat sich auf dem Weg zum Fahrkartenkauf eine Waffe besorgt und einen Obdachlosen erschossen, damit der Verdacht auf Charley fällt und sie ihn so loswerden kann. Charley konfrontiert Lydia mit der Erkenntnis. Sie gibt es auch zu, nur ist sie überzeugt, dass Charley niemand glauben wird. Klugerweise hat Charley vorher den Polizisten Kelly informiert, der das Geständnis aus einem Versteck angehört hat.

Trotz kleinerer Logikschwächen ist dies eine der raffiniertesten Krimigeschichten, die Bradbury je geschrieben hat. Es gibt am Ende drei überraschende Wendungen, von denen die letzte hier nicht verraten werden soll.


»The Small Assassin«

(November 1946 in DIME MYSTERY, enthalten in Dark Carnival, The Small Assassin, The Vintage Bradbury, The Stories of Ray Bradbury und A Memory of Murder; dt. »Ein kleiner Mörder« bzw. »Baby«)

Diese Erzählung ist die populärste Krimigeschichte Bradburys aus den 40er-Jahren und wurde am häufigsten nachgedruckt.

Die junge Mutter Alice Leiber ist davon überzeugt, dass ihr Baby sie umbringen will. Sie fürchtet, dass man sie für verrückt hält, denn niemand will ihr glauben. Als das Baby vier Monate alt ist, wird die Angst immer größer, und es ereignen sich Unfälle im Haus, die nicht erklärbar sind. So rutscht David Leiber, der Vater des Kindes, nachts auf einem Spielzeug aus und fällt beinahe die Treppe hinunter. Als David für einige Tage wegen einer Dienstreise von zu Hause wegbleibt, findet er seine Frau nach seiner Rückkehr mit gebrochenem Genick am Fuß der Treppe. Endlich glaubt auch David daran, dass das Kind schuld am Tod seiner Mutter ist. Doch bereits in der nächsten Nacht stirbt auch David.

Der Hausarzt der Familie, der in die Sorgen und Ängste der Eltern eingeweiht ist, findet Indizien, dass nur das Kind die Unfälle verursacht haben kann, und beschließt zu handeln. Schließlich hat er sein Skalpell immer bei sich …

Die Handlung ist aufgebaut wie ein Psychothriller, wobei die Pointe nicht allzu überraschend ist. Lediglich dass ein Kleinkind der Mörder ist, dürfte die Geschichte zu etwas ganz Besonderem machen, gerade in den Pulp-Magazinen der 40er-Jahre.

Bradbury selbst schrieb im Vorwort des Sammelbandes A Memory of Murder, dass ihm »The Small Assassin« als eine der besten Geschichten überhaupt erscheint, die er jemals geschrieben hat, egal in welchem Genre. Zitat: »Sie war immerhin so erfolgreich, dass sie ein Dutzend Romane und Filme beeinflusste, die in den letzten zehn Jahren geschrieben und produziert worden sind.«

Diese Geschichte wurde als 12. Episode der Fernsehserie RAY BRADBURY THEATER verfilmt und im April 1988 zum ersten Mal ausgestrahlt, wobei diese Folge ganz außerordentlich stimmungsvoll geraten ist. Außerdem wurde die Story von Al Feldstein und George Evans zu einem Comic adaptiert, der in SHOCK SUSPENSTORIES #7 (Februar/März 1953) bei EC erschienen ist.

Der Eintrag in der amerikanischen Wikipedia zu dieser Geschichte hält es für möglich, dass die Figur des Stewie Griffin aus der Fernsehserie FAMILY GUY, der immer wieder seine Mutter umbringen will, von »The Small Assassin« inspiriert wurde.

»A Careful Man Dies«

(November 1946 in NEW DETECTIVE, enthalten in A Memory of Murder und The Cat’s Pajamas; dt. »Der Tod eines vorsichtigen Mannes« bzw. »Ein vorsichtiger Mann stirbt« bzw. »Blut«)

Als Erstes fällt an dieser Geschichte auf, dass sie in der zweiten Person Singular verfasst ist. Das ist ein stilistischer Trick, der den Leser dichter an die Geschichte rückt und normalerweise mit einbezieht. In diesem Fall funktioniert es nicht ganz so gut, weil eine eher konventionelle Story erzählt wird.

Der Protagonist ist ein Schriftsteller namens Robert Douglas, der sich von seiner Freundin getrennt hat, weil sie sich zu sehr dem Drogenkonsum in Gesellschaft anderer Leute hingegeben hat. Nun schreibt er einen Roman über diese Leute, weil er sie nicht bei der Polizei anzeigen kann. Dummerweise wissen die Betreffenden von Douglas Arbeit. Hinzu kommt, dass Douglas Bluter ist und sich daher bei jeder Verletzung sehr vorsehen muss. Jemand schickt ihm mit der Post eine Art Falle mit einem scharfkantigen Gegenstand, und so ist Douglas gewarnt, dass man ihm nach dem Leben trachtet. Am Ende jedoch fällt er auf seine ehemalige Freundin herein, die vorgibt, sich wieder mit ihm versöhnen zu wollen.

Der Titel verrät leider bereits das Ende der Geschichte, sodass die Spannung sich nur darauf bezieht, auf welche Weise der Schriftsteller wohl sterben wird …


»Wake for the Living«

(September 1947 in DIME MYSTERY, enthalten in A Memory of Murder, unter dem Titel »The Coffin« in: Dark Carnival und The Stories of Ray Bradbury; dt. »Totenwache für einen Lebenden«)

Der Erfinder Charles Braling ist ein alter Mann und hat aufgrund einer Krankheit nicht mehr lange zu leben. Dennoch stellt er seine letzte Erfindung fertig, bevor er stirbt, nämlich einen modernen Sarg, der angeblich viel Geld sparen soll. Charles’ verschwenderischer und hartherziger Bruder Richard lässt jedoch die Leiche des Verstorbenen einfach abholen und ganz normal beerdigen. Die neue Erfindung will er für sich selbst, weil er hofft, damit eine Menge Geld zu verdienen. Kaum ist er mit dem Sarg allein, probiert er ihn aus, indem er sich selbst hineinlegt. Der Deckel verschließt sich automatisch, dann spielt Musik und die Stimme seines Bruders hält eine Beerdigungsrede – und zwar für Richard! Er muss wohl geahnt haben, wie sein Bruder reagiert, und nimmt so seine späte Rache. Der automatische Sarg trifft alle notwendigen Vorkehrungen und setzt sich schließlich Richtung Friedhof in Bewegung, wo er auch selbst das Grab aushebt.

Die Geschichte liest sich zwar amüsant, wirkt insgesamt aber oberflächlich und konstruiert. Selbst für ein Pulpmagazin wie DIME MYSTERY war sie eher Durchschnitt. Sie wurde für die Fernsehserie THE RAY BRADBURY THEATER verfilmt.


»The Candy Skull«

(Januar 1948 in DIME MYSTERY, enthalten in A Memory of Murder; dt. »Der Tod kommt schnell in Mexico« bzw. »Ein Totenschädel aus Zucker«)

Der US-amerikanische Schriftsteller Roby Cibber befindet sich in Mexiko, und zwar ausgerechnet am ›Día de Muertos‹, dem Tag der Toten, an dem die Mexikaner ihre Verstorbenen ehren. Er ist auf der Suche nach einem verschollenen Schriftstellerkollegen namens Douglas McClure, der vor drei Jahren spurlos verschollen ist. Cibber kommt auf die morbide Idee, in den Katakomben zu suchen, in denen die Mumien der Verstorbenen mit Draht an den Wänden befestigt sind und ein grausiges Spalier bilden. Tatsächlich entdeckt er dort McClures Mumie mit einem seltsamen Loch in der Stirn und versucht nun herauszufinden, wer der Mörder gewesen ist. Der Verdacht fällt auf die schöne Celia, die Cibber oft begleitet und die auch McClure gut kannte. Doch am Ende stellt sich heraus, dass der gealterte Torero Tomás der Mörder ist und nicht nur McClure umgebracht hat, sondern auch Cibber aus Eifersucht nach dem Leben trachtet, weil er Celia für sich haben will.

Die Geschichte überzeugt durch ihre Stimmung und das Setting und ähnelt weniger Bradburys Kriminalgeschichten als seinen phantastischen Erzählungen, obwohl der Text keine phantastischen Elemente enthält.

In der Erzählung »The Next in Line«, die kurz zuvor (1947) in seinem Erzählungsband Dark Carnival erschien, nutzte Bradbury ebenfalls die mexikanische Kulisse mit ihren Katakomben und Mumien (siehe Kapitel 3.3).

»The Fruit at the Bottom of the Bowl«

(Erstpublikation als »Touch and Go«, November 1948 in DETECTIVE BOOK, enthalten in The Golden Apples of the Sun, Bradbury Stories: 100 of His Most Celebrated Tales, The Vintage Bradbury und Twice 22; dt. »Die Früchte ganz unten in der Schale« bzw. »Die Früchte am Grund der Schale«)

Der Erzähler der Geschichte hat aus Eifersucht einen Rivalen in dessen eigenem Haus erwürgt. Nun steht er vor der Leiche und überlegt, dass er Spuren hinterlassen haben könnte. Er beginnt, alle Gegenstände im Zimmer abzuwischen, von denen er glaubt, auf ihnen Fingerabdrücke hinterlassen zu haben. Kurz darauf wird ihm klar, dass er von dem Ermordeten durch mehrere Räume geführt wurde und sich nicht mehr erinnern kann, was er alles berührt hat. Und so wird sein Putzen zur Besessenheit. Der Titel der Geschichte bezieht sich darauf, dass der Mann sogar die Wachsfrüchte ganz unten in einer Zierschale putzt, obwohl er diese unmöglich berührt haben kann. Im Laufe der Erzählung putzt er diese Früchte, die als Symbol für seine wachsende Besessenheit stehen, noch dreimal. Schließlich putzt er auch alle Wände und Möbelstücke.

Die Geschichte endet damit, dass er am nächsten Morgen von der Polizei auf dem Dachboden gefunden wird, als er gerade damit fertig geworden ist, alte Koffer und Gerümpel zu putzen.

Die Erzählung ist beeindruckend, obwohl man die Pointe bereits im Verlauf der Geschichte ahnt. Bradbury muss sie selbst sehr gut gefallen haben, denn sie wurde bereits 1953 in seinen Erzählungsband The Golden Apples of the Sun aufgenommen. Außerdem wurde sie 1988 für THE RAY BRADBURY THEATER verfilmt. Die Hauptrolle spielte der sehr überzeugende Michael Ironside, den man sonst aus Dutzenden Action- und Horrorfilmen sowie den Fernsehserien V – DIE AUSSERIRDISCHEN BESUCHER KOMMEN, SEAQUEST, ANDROMEDA und SMALLVILLE kennt. Den Ermordeten spielt Robert Vaughn, ebenfalls ein sehr bekanntes Hollywood-Gesicht, das in Dutzenden Spielfilmen und Serien zu sehen war.

Bradbury hat auch später noch Kriminalgeschichten und sogar einige Kriminalromane wie Death is a Lonely Business (1985), A Graveyard for Lunatics (1990) und Let’s All Kill Constance (2002) geschrieben, sein Schaffen für die Mystery-Pulps endete jedoch 1948. Als er ab 1950 seinen Durchbruch als Bestsellerautor erlebte, konnte er seine Erzählungen an besser zahlende Magazine verkaufen.

Ray Bradbury - Poet des Raketenzeitalters

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