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Kapitel 1 • Der unsterbliche Tod Mozarts und • der vergessene Tod Leopolds

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Am 5. Dezember 1791 unserer abendländischen Zeitrechnung starb Wolfgang Amadeus Mozart. Der Tag war wie alle anderen, das Schicksal das eines jeden Sterblichen, und doch handelt es sich um alles andere als ein alltägliches Ereignis. Selten hat ein Todesfall so sehr auf die Imagination der nachkommenden Geschlechter gewirkt wie der dieses einen Mannes. Man weiß ja: Noch keine 36 Jahre war der Meister alt, als er mitten aus der Arbeit gerissen wurde, aus der Komposition einer Totenmesse für einen geheimnisvollen, anonymen Auftraggeber. Nicht einmal die eigene Frau war zugegen, als er zu Grabe getragen wurde und bis heute kennt niemand den genauen Ort, an dem seine sterblichen Überreste ruhen. Zahlreiche Legenden haben sich von Anfang an um die Todesursache gerankt. Noch im Todesmonat erschien in einer Berliner Zeitung die Meldung, dass in Wien Gerüchte zirkulierten, der Meister sei vergiftet worden. Jahrzehnte später geriet der Komponist Antonio Salieri in den Verdacht, Mozart ermordet zu haben. Noch später, in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, wurden die Freimaurer und ein betrogener Ehemann des Gleichen bezichtigt. Neuerdings sind sogar die Jesuiten als mögliche Todfeinde des Salzburger Meisters genannt worden. Gewissenhafte Forscher jedoch werden nicht müde, darauf hinzuweisen, dass es für einen Mordverdacht nicht den geringsten Anhaltspunkt gibt. Ihrer Darstellung nach ist das Krankheitsbild des Meisters hinreichend geklärt und der frühe Tod bewegt sich völlig innerhalb des Rahmens der damaligen Lebenserwartung. Auch die Komponisten Purcell, Pergolesi, Chopin, Schubert und Mendelssohn seien ja jung gestorben. Wie Mozart wären auch sie mit Hilfe der heutigen Medizin viel älter geworden. Welchen Sinn hat es, über Mozarts Tod zu spekulieren, wo doch sein Leben eine so reiche Ernte hervorgebracht hat? Ein gewisser Unmut schwingt unüberhörbar mit, wenn etablierte Musikwissenschaftler sich zu den Mordspekulationen äußern. Aber auch sie können nicht leugnen, dass dieser Tod wie kein anderer die Phantasie beflügeln konnte und in dem nun folgenden Buch unvermindert tun wird.

Am 1. März 1792, genau 77 Tage nach dem berühmten Komponisten, starb Mozarts Kaiser Leopold II. Ein größerer Gegensatz in der Art, wie der Komponist und sein oberster Dienstherr bestattet wurden, ist kaum denkbar. Auf der einen Seite stand die Anonymität, auf der anderen Seite die höchste Stufe von Öffentlichkeit. Der Kaiser wurde mit dem pompösen, fast erdrückenden Zeremoniell eines habsburgischen Begräbnisses zur letzten Ruhe gebettet. Seine Familie und der Hochadel begleiteten ihn vollzählig bis in die Kaisergruft, wo er bis heute unter Vorfahren und Nachkommen ruht.

Im Gegensatz zu Mozarts Tod, der wie eine unaufhörlich blutende Wunde immer wieder ins kollektive Gedächtnis zurückgerufen wird, wurde Leopolds Tod rasch vergessen. Kein einziger Gedenktag wurde ihm zu Ehren ins Leben gerufen und nicht einmal Leopolds ältester Sohn, der neue Kaiser, hat die Erinnerung an Leben und Tod des Vaters gepflegt, weder öffentlich, noch im Familienkreis.

Bei solchen krassen Gegensätzen nimmt es nicht Wunder, dass die tiefe Verwandtschaft der beiden Todesfälle der Welt verborgen geblieben ist. Kaum jemandem scheint die Schicksalsverbundenheit von Komponist und Kaiser aufgefallen zu sein. Jedenfalls wurde sie von keinem Autor beschrieben. Es lohnt sich, dieses Versäumnis nachzuholen, denn um die wahren Hintergründe von Mozarts Tod zu erkennen, ist es unerlässlich, beide Sterbefälle in ihrem Zusammenhang zu betrachten.

Bereits bei oberflächlicher Wahrnehmung fällt die zeitliche und räumliche Nähe der Ereignisse auf. Elf Wochen sind kein großes Zeitintervall und die Wiener Hofburg, wo der Kaiser starb, liegt nur wenige Straßen von Mozarts Sterbehaus in der Rauhensteingasse entfernt. Wie Mozart wurde auch Leopold im besten Alter aus intensivster Arbeit weggerissen. Beide Männer starben nach einer kurzen Krankheit, die in beiden Fällen nicht einwandfrei definiert werden konnte. Bei Mozart lautete die ärztliche Diagnose „hitziges Frieselfieber“, bei Leopold „akuter Rheumaanfall“.

Heute weiß man mit Sicherheit, dass beide Diagnosen falsch waren. Nicht nur im Falle Mozarts, auch bei Leopold gab es von Anfang an Gerüchte über eine Vergiftung. Auch wenn diese möglicherweise aus der Luft gegriffen sind, so stellt sich doch die Frage, mit welchem Ziel und von wem sie verbreitet wurden. Die Gerüchte besagten, dass der Kaiser von französischen Emigranten, Freimaurern oder Jesuiten umgebracht worden sei. Auch wurde kolportiert, dass Leopold sich selbst durch einen im eigenen Labor hergestellten Liebestrank vergiftet habe.

Die am stärksten auffallende Übereinstimmung in den Schicksalen von Kaiser und Komponist besteht jedoch darin, dass beide im eigenen Bett gestorben sind, ohne die letzten Sakramente zu empfangen, obwohl sie von prominenten Ärzten betreut wurden, die den Tod rechtzeitig hätten vorhersehen müssen. Nicht genug damit: Die ärztliche Behandlung von Seiten dieser exzellenten Heilkünstler soll nach Meinung kundiger Beobachter von der Art gewesen sein, dass sie den Exitus ihrer Patienten erheblich beschleunigt, ja vielleicht sogar verursacht habe.

Schon Mozarts Ehefrau Konstanze hat in aller Öffentlichkeit die Qualität der medizinischen Betreuung ihres Mannes angezweifelt. Da sie und ihre Schwester Sophie Haibl am Sterbebett zugegen waren, kann man ihre Bedenken ruhigen Gewissens ernst nehmen. Die Verarztung Mozarts mit ausgiebigen Aderlässen, Brechmitteln und eiskalten Umschlägen muss auf die Umstehenden brutal gewirkt haben. Carl Bär, selber Arzt, sagt dazu:

Dass die Aderlässe Mozarts Tod unmittelbar verschuldet haben können, ist eine bisher übersehene, aber in erster Linie in Betracht zu ziehende Möglichkeit.

(Mozart. Krankheit – Tod – Begräbnis. Salzburg 1970)

Wohl gemerkt: „in erster Linie“! Wolfgang Hildesheimer äußert sich in seinem berühmten Mozartbuch kaum weniger eindeutig:

Deshalb erscheint uns diese, anscheinend spontane Anweisung ”kalte Umschläge über seinem glühenden Kopfe” auch so unverständlich. Heute würde jedem Laien einleuchten, dass ein solcher Schock nicht nur dem Sterbenden nichts mehr nütze, sondern den Sterbensakt durch eine radikale Erschütterung beschleunigen müsse, was er auch tat, und zwar so, „dass er nicht mehr zu sich kam, bis er verschieden“ (Sophie Haibl).

Dem Kaiser ist es kaum besser ergangen. Sein Schwager Ferdinand, König von Neapel-Sizilien, sagt es unverblümt:

wie ist es denn nur möglich, dass die Ärzte wirklich solche Esel gewesen sind, dass sie die Krankheit nicht erkannt haben, die, wenn man ihren Bericht liest, ein Kind erkannt hätte, und ihn sterben zu lassen wie einen Hund, ohne Sakramente und ohne sein Testament gemacht zu haben?

(Brief an Graf Gallo, Ferdinands Botschafter in Wien)

Auch Erzherzog Johann, einer der Söhne Leopolds, lässt in seinen Memoiren durchblicken, dass sein Vater keineswegs ernsthaft erkrankt war und sich bereits auf dem Wege der Besserung befand, als der Tod ihn plötzlich dahinraffte. Obwohl er den Namen des Arztes nicht nennt, wirft sein Zeugnis kein günstiges Licht auf dessen Behandlungsmethode. Für die Ärzte selbst blieb der Tod ihrer Patienten ohne Konsequenzen. Mozarts Arzt brauchte nicht einmal den sonst üblichen Rechenschaftsbericht vorzulegen und Leopolds Arzt wurde vom Thronfolger Franz sofort als Leibarzt übernommen.

Bis jetzt hat man angenommen, dass die Mediziner nach bestem Wissen und Gewissen handelten und treu den Richtlinien der damaligen Wissenschaft gehorchten. Für diese Annahme gibt es jedoch nicht den geringsten Beweis. Es kann ebenso gut sein, dass die Heilkünstler in voller Absicht handelten, als sie ihre Patienten ins Jenseits beförderten. Zwar lassen sich solche Absichten ebenso wenig beweisen wie ihre angebliche Absichtslosigkeit, aber nichts spricht dagegen, sie als Arbeitshypothese zu unterstellen. Immerhin ist es reichlich naiv, zu glauben, die betreffenden Ärzte hätten mit ihrer fachmännischen Sterbehilfe nur das Beste für ihre Patienten gewollt, es sei denn, man meinte damit, das Beste in einer anderen Welt. Wenn sie es wirklich gut gemeint haben, warum hat man dann kein einziges Wörtchen des Bedauerns von ihnen vernommen?

Als Ausgangspunkt des nun folgenden Buchs wird also die Schuld der beiden Ärzte vorausgesetzt. Zweifellos wird man sich bei dieser Darstellung manchmal fragen, ob sie auch den tatsächlichen Begebenheiten entspricht oder eher ersonnen ist. Vor allem wird man wissen wollen, wo die Wahrheit aufhört und die Mär anfängt.

Die Antwort auf diese Frage ist nicht ermittelbar, nicht einmal vom Autor selbst. Denn beim Übergang von der so genannten Realität zur Fiktion handelt es sich um eine Grenze, deren Verlauf niemals ganz erkennbar ist, weder in den echten Märchen, noch in den präzisesten Abhandlungen der Geschichtswissenschaft. Deshalb ist es in unserem Fall am sichersten, den Inhalt dieses Buches von vornherein als Sage aus längst vergangenen Zeiten zu nehmen, sozusagen als Überlieferung. Nur eines wollen wir dabei nicht aus den Augen verlieren: Diese Zeiten sind, auch wenn sie tausendmal besungen wurden, noch immer aktuell. Sie sind, um nur ein dummes Wort zu gebrauchen, noch lange nicht „vorbei“.

Das Wunder Mozart

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