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Kapitel 2 • Die Ärzte

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Dr. Thomas Franz Closset, so lesen wir bei Carl Bär, wurde am 16. März 1754 in einer deutschen Enklave in Frankreich geboren. Er war also zwei Jahre älter als sein Patient Mozart. Bereits als Zwanzigjähriger erwarb er an der Kölner Universität die philosophische Doktorwürde. Anschließend widmete er sich zwei Jahre lang der Theologie, was möglicherweise bedeutete, dass er „illegal“ zum Jesuiten ausgebildet wurde, denn zu diesem Zeitpunkt war der Jesuitenorden verboten. Dann wechselte er zur Medizin und siedelte 1777 nach Wien über; dort wurde er Schüler des weltberühmten Maximilian Stoll. Closset trat in enge Beziehung zu seinem Lehrer, der vor seiner medizinischen Laufbahn humanistischer Lehrer an einem Jesuitenkolleg gewesen war. Bald stieg er auf zu seinem Assistenten und vertrat den Lehrer bei dessen Privatpatienten, zu denen die einflussreichsten Persönlichkeiten Wiens gehörten.

Nach dem Tod Stolls am 23. Mai 1787 eröffnete Closset eine eigene Praxis und übernahm die meisten Privatpatienten seines Lehrmeisters, wie zum Beispiel die Feldmarschälle Hadik und Laudon. Bereits ein Jahr später wurde er zum Leibarzt des Staatskanzlers Fürst Wenzel Anton Kaunitz-Rietberg ernannt mit nicht weniger als 1000 Gulden Gehalt im Jahr. Der Hausarzt des angeblich verarmten Mozart war somit Leibarzt des zweitmächtigsten Mannes des Vielvölkerstaates!

Nicht genug damit! Wörtlich steht im Nekrolog des Joseph Andreas Stift (1760-1836):

Ihm (Closset) und seiner Kunst ward auch die hohe Ehre erwiesen, den Consultationen bey der kaiserlichen Familie zugezogen zu werden.

Aus dieser Bemerkung wird klar, dass zwischen Mozarts Hausarzt und den Ärzten, die den Kaiser betreuten, eine enge Verbindung bestanden haben muss. Darin zeigt sich ein möglicher Zusammenhang zwischen den Schicksalen von Kaiser und Komponist.

Closset war nicht der einzige Arzt am Sterbebett Mozarts. Ihm assistierte ein jüngerer Kollege, dem er einstmals das Leben gerettet hatte. Dieser jüngere Kollege hieß Matthias von Sallaba und war ein anerkannter Giftspezialist.

Wie bereits erwähnt, hat Dr. Closset keinen Rechenschaftsbericht abliefern müssen. Die einzige von ihm überlieferte Äußerung über den Krankheitsverlauf seines Patienten bestand darin, dass er sich im Nachhinein damit gebrüstet hat, die Todesstunde Mozarts exakt vorhergesagt zu haben, was wir ihm auch ohne Weiteres glauben.

Der Todesarzt Leopolds hieß ursprünglich Dr. Johann Georg Hasenöhrl. Später ließ er seinen Namen in Lagusius verändern. Lagusius war Schüler des berühmten Erneuerers des österreichischen Gesundheitswesens, Gerhard van Swieten. Dieser Professor, selbst Boerhaave-Schüler aus Leiden, war Leibarzt und persönlicher Berater von Kaiserin Maria Theresia.

Kurz nachdem Lagusius mit einer Dissertation über Fehlgeburten zum Doktor promoviert worden war, wurde er im Jahre 1765 von Maria Theresia zum Leibarzt Leopolds ernannt. Der frisch vermählte Leopold war in diesem Jahr als Regent der Toskana eingesetzt worden. Aus diesem Anlass wurde Lagusius als einer der besten jungen Ärzte dem 18-jährigen Erzherzog auf Lebenszeit zugesellt.

Der große Wiener Historiker und Leopold-Biograph Adam Wandruszka weiß aber zu erzählen, dass Leopold und seine Frau, die spanische Prinzessin Maria Luisa von Bourbon, dem jungen Doktor von Anfang an misstrauten. Maria Luisa bekam ihren eigenen Leibarzt. In den 25 Jahren seiner toskanischen Regentschaft hat Leopold die fachliche Hilfe seines Leibarztes so gut wie nie beansprucht. Der Erzherzog war, abgesehen von gelegentlichen Migräneanfällen und Verdauungsstörungen, die ganze Zeit kerngesund. Zudem neigte er zur Selbsthilfe.

Von einer gegenseitigen Abneigung ist nichts bekannt, aber sie ist angesichts der langjährigen beruflichen Frustration gut vorstellbar. Für den ehrgeizigen Mediziner kann es kaum eine Lebenserfüllung gewesen sein, die besten Jahre fast tatenlos verstreichen zu lassen. Vom ersten Tag seiner Anstellung bis zum Zeitpunkt des Todes seines Dienstherrn waren immerhin 27 Jahre vergangen. Damit soll hier nicht behauptet werden, dass er Leopold aus lauter Frust den Garaus hätte machen wollen. Eine gute Geschichte wäre es allemal: ein Arzt, der nach 27 Dienstjahren zum ersten Mal wirklich gebraucht wird, verweigert seinem ungeliebten Chef die notwendige Medizin und rächt sich durch eine letale Behandlung! Denkbar ist eine derartige Reaktion auf alle Fälle, nur: welche Strafe hätte der Mann nach einer solchen Tat zu erwarten gehabt? Mit Königs- und Kaisermördern wurde damals nicht gerade zimperlich verfahren! Und ebenso wenig mit Versagern.

Und doch war Lagusius’ Versagen offenbar. Seltsamerweise wurde er dafür nicht bestraft, sondern ganz im Gegenteil fürstlich belohnt, indem er zum Leibarzt des neuen Kaisers ernannt wurde. Die Schlussfolgerung aus diesem Paradox ist, dass seine Leistung vom neuen Chef nicht im Geringsten als Versagen bewertet wurde. Vielmehr muss man vermuten, dass Franz sie als eine lobenswerte Tat betrachtet hat. Wenn dies stimmt, wird Lagusius diese Reaktion natürlich im Voraus schon gekannt haben. Das wirft die Frage nach den Kontakten zwischen Arzt und Kronprinz auf. Die Quellen verraten darüber nichts, aber es gilt zu bedenken, dass die beiden bereits Jahrzehnte in demselben Haushalt gelebt hatten. Dass der Vater den Arzt nicht leiden konnte, bedeutet noch lange nicht, dass auch der Sohn eine Abneigung gegen ihn empfunden hätte. Womöglich standen die beiden in einer viel engeren Beziehung, als die Geschichtsschreibung uns verraten hat.

Wir werden auf dieses Thema später noch zurückkommen müssen. Für den Augenblick genügt die Feststellung, dass Lagusius unmöglich auf eigene Faust gehandelt haben kann. Er muss demzufolge im Auftrag anderer oder in Absprache mit anderen gehandelt haben und es ist unsere Aufgabe, herauszufinden, wer diese anderen waren.

Die gleiche Feststellung gilt übrigens auch für Dr. Closset. Ein persönliches Motiv für ein Attentat auf einen der begnadetsten Musiker aller Zeiten ist bei aller Phantasie der Welt nicht auszudenken. Mozart schuldete Closset nichts, war ihm nie in die Quere gekommen und bedeutete keine Gefahr für dessen Leben oder Beruf. Angeblich waren die beiden Männer sogar mit einander befreundet. Höchstens könnte man sich vorstellen, dass Closset als stiller Kämpfer der Jesuiten einen Gegner seines Ordens umbringen wollte oder musste. Immerhin glaubt der Autor Hartmut Perl zu wissen, dass der Komponist ein Todfeind der Kirche und insbesondere des Jesuitenordens gewesen sei, wofür es jedoch nach meinen Erkenntnissen nicht den geringsten Hinweis gibt. Mozart selbst war niemandes Feind. Zweifellos gab es Leute, die ihm feindlich gesonnen waren, aber dazu gehörten bestimmt nicht die Jesuiten. Zum Zeitpunkt seines Todes hatten diese illegalen Ordensbrüder ganz andere Sorgen. Es ist abwegig, ihnen zu unterstellen, sie hätten etwas gegen einen Tonkünstler, der dem Klerus unsterbliche Kirchenmusik geschenkt hatte.

Das Gleiche gilt für die Freimaurer, die bereits um das Überleben ihres Geheimbundes bangen mussten und in der Person Mozarts einen ihrer tatkräftigsten Vorkämpfer besaßen. Beide Gruppierungen sind weit über den Verdacht erhaben, dem Salzburger Meister auch nur irgendetwas Böses gewollt zu haben.

Wenn wir die wirklichen Drahtzieher hinter den Ärzten Closset und Lagusius herausfinden wollen, ist im nächsten Schritt festzustellen, wer Macht über sie besaß. Denn es ist sehr unwahrscheinlich, dass die Mediziner aus religiöser Überzeugung oder wegen einer versprochenen Geldsumme gegen ihr Berufsethos verstoßen hätten. Ganz klar, für diese Männer galt nur Gehorsam als einzig denkbares Motiv für absichtliches Versagen. Und weil uns nur das Denken des Denkbaren zur Aufklärung historischer Kriminalfälle bleibt, wollen wir uns an diese Denkbarkeit halten. Sie allein soll uns zum Leitfaden dienen, unser überprüfbarer Kompass sein.

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