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2.4.2. Umwelt-Bewusstsein und Alltagshandeln

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Soziologische und psychologische Studien haben sich vor allem mit der Frage beschäftigt, wie die einzelnen Schichten eines in Deutschland vor allem in den 1980er-Jahren mit steigender Tendenz diagnostizierten »Umwelt-Bewusstseins« der Menschen aufgebaut sind und – vor allem – wie die Beziehungen zum manifesten Verhalten aussehen bzw. wie die Kluft zu den erwarteten und erwünschten, aber leider kaum realisierten Verhaltensmuster erklärbar ist. So stellen de Haan/Kuckartz in einer Synopse relevanter empirischer Studien fest: »Es macht nach unserer Überzeugung nur dann Sinn, am Begriff Umwelt-Bewusstsein festzuhalten, wenn man begreifen lernt, dass die im traditionellen Modell von Umwelt-Bewusstsein unterstellten Wirkungsbeziehungen – so plausibel sie auch erscheinen mögen – in ihrer Allgemeinheit nicht zutreffen … Man wird sich, um hier weiterzukommen, von der Vorstellung der Kausalkette vollständig freimachen müssen. Wissen, Einstellungen und Werte sind nicht die primären Determinanten des umweltgerechten Verhaltens …« (de Haan/Kuckartz 1996, S. 257/258). Poferl/Schilling/Brand resümieren die aktuelle Diskussion, indem sie die folgenden vier Aspekte hervorheben, die nach ihrer Sicht weiterführend sein könnten:

»Erstens die Mehrdimensionalität von Umwelt-Bewusstsein und ökologischem Handeln,

zweitens die Wahrnehmungsabhängigkeit bzw. der Konstruktcharakter von Umwelt-Bewusstsein,

drittens die Notwendigkeit des Alltagsbezugs sowie

viertens die daraus resultierende Kontextgebundenheit von Umwelt-Bewusstsein und ökologischem Handeln« (Poferl u.a. 1997, S. 10).

Auf diesem Hintergrund hat die Münchener Forschungsgruppe eine Studie durchgeführt, in der die sozial-kulturelle Differenzierung und Dynamik moderner Gesellschaften und die Spezifika alltäglicher Erfahrungs- und Handlungsweisen näher beleuchtet wurden. Mit ihrem Analyseansatz zur Erfassung von »Mentalitätsmustern« ist es der Gruppe gelungen, milieuspezifische Prägungen konkreter Erscheinungsformen von Umwelt-Bewusstsein und Umwelthandeln zu verdeutlichen. Auf der methodischen Basis leitfadengestützter Interviews (40 Interviews mit 61 Personen aus verschiedenen lebensweltlichen Sozialmilieus) standen die folgenden vier Fragedimensionen im Mittelpunkt:

– Schlüsselbildungserlebnisse und biografische Erfahrungen,

– Wahrnehmungen der Umweltsituation und des öffentlichen Umweltdiskurses,

– Wahrnehmung förderlicher und hinderlicher Faktoren umweltschonenden Handelns im Alltag,

– Vorstellungen von Umweltpolitik und ökologischer Aufklärung.

Ziel der Untersuchung war, spezifische Muster der Bewältigung und des Umgangs mit ökologischen Anforderungen herauszufiltern, genauer: eine »kulturelle Typologie umweltbezogener Mentalitäten« bzgl. der oben genannten Untersuchungsdimensionen zu identifizieren. Im Ergebnis unterscheiden sie fünf Mentalitätstypen, die mit folgenden Stichworten knapp charakterisiert werden können.

»Persönliches Entwicklungsprojekt«. Die ökologische Krise dient hier vor allem zur Projektierung eines »alternativen Lebensstils«. Biografische Erfahrungen sind stilbildend, der privaten Alltagspraxis und dem autonomen Handeln wird politische Relevanz zugesprochen.

»Bürgerpflicht«: Im Rahmen moderater Grenzen drückt sich in diesem Muster das Gefühl einer normativen Verpflichtung und einer daraus folgenden hohen prinzipiellen Handlungsbereitschaft aus. Dabei spielt der Bezug auf die Bereitschaft »anderer« (Bürger, Institutionen) und der Maßstab kollektiven Handelns eine wichtige – teils entlastende, teils appellative – Rolle.

»System-/Staatsorientierung«: Der Verweis auf die Schranken in den herrschenden Systemen und die strukturellen Einschränkungen dient der Entlastung von möglichen eigenen Bemühungen. Verantwortung wird vorrangig den Institutionen zugeschrieben.

»Indifferenz«: Die Umweltproblematik wird als normalisierte gesellschaftliche Realität wahrgenommen. Es dominiert der Eindruck persönlicher Nicht-Betroffenheit bzw. eine mehr oder weniger hinzunehmende Unumgehbarkeit von Gefährdungen. Diese Haltung ist verknüpft mit einer expliziten Absage an ökologisch motivierte Verhaltensänderungen.

»Weiter so«: Ökologische Verhaltensimperative bzw. Umorientierungsmöglichkeiten werden als Gefährdungen des Erreichten und der geltenden Ordnung erlebt. Die Krisenphänomene werden entdramatisiert und ihre Implikationen in Bezug auf die politisch-institutionelle Ebene wie auch auf das eigene Handeln abgewehrt.

Poferl u.a. versuchen, auf der Basis der gewonnenen Erkenntnisse Empfehlungen für Umweltpolitik und Umweltbildung abzuleiten bzw. die aktuell vorhandenen Ansätze einzuordnen und zu kommentieren. An dieser Stelle sollen einige naheliegende Anregungen festgehalten werden, die die Forschungsgruppe aus der Diskussion um die skizzierten Mentalitätsmuster mit dem Blick auf die notwendigen Konsequenzen herauslesen:

Zum Ersten wird eine Ökonomisierung gefordert, die mit den Mitteln ökonomischer Anreize umweltgerechtes individuelles Handeln fördert bzw. durch verbesserte infrastrukturelle Angebote eine Reduzierung von Verhaltenskosten ermöglicht.

Zum Zweiten wird eine Erhöhung der reflexiven Kompetenz angestrebt. Verbunden mit der Forderung nach einer institutionellen Ausweitung partizipativ-diskursiver Beteiligungsformen scheint es möglich, sowohl über die Motive des eigenen Handelns aufzuklären und ein Verständnis für die Motiv- und Problemverständnisse der anderen zu fördern als auch eine kollektive Entwicklung reflexiver Kompetenzen zu unterstützen.

Zum Dritten – und diese Einsicht ist vielleicht das wichtigste Ergebnis der Studie – ist eine zielgruppenorientierte Aufklärungs- und Mobilisierungsstrategie vonnöten, die anschlussfähig ist an die gruppenspezifischen Motive, Problemwahrnehmungen und Lebenswelten. »Pädagogisch läßt sich das auch so ausbuchstabieren, dass es nicht um die Vermittlung vorgefertigter Modelle umweltgerechten Handelns, sondern um die Entfaltung individueller Handlungskompetenzen geht, wie sie sich in den verschiedenen Lebenswelten vorfinden« (S. 234).

Ähnliche Überlegungen ergeben sich, wenn man das Verhältnis von Umwelt-Bewusstseinsmustern mit der Frage nach geeigneten Kommunikationsformen verbindet: In einer Studie für die Enquete-Kommission »Schutz des Menschen und der Umwelt« setzt sich Udo Kuckartz mit der Frage auseinander, wie das Leitbild der Nachhaltigkeit in die Alltagspraxis überführbar ist. Das Leitbild gilt zunächst als sehr komplex, schwer kommunizierbar, als kopflastig und emotional wenig ansprechend. Das alles widerspricht der Logik der Massenmedien. Die Probleme berücksichtigend entwickelt Kuckartz die folgenden drei möglichst aufeinander abgestimmte Konzepte für eine erfolgreiche Kommunikationsstrategie« (Kuckartz 1999):

Das Popularisierungskonzept soll dafür sorgen, dass das Nachhaltigkeitsbild allgemein bekannt wird. Die Kommunikation dieses neuen Paradigmas braucht kontinuierliche Public-Relations-Aktionen. Dabei hat jedes Popularisierungskonzept die Veränderungen in der Kommunikationslandschaft zu berücksichtigen.

Das Machbarkeitskonzept hat sich mit den Bedingungen und Möglichkeiten von ökologischen Aktionsprogrammen der staatlichen Institutionen auseinanderzusetzen (z.B. das oben skizzierte BLK-Programm). Bei der Umgestaltung der staatlichen Institutionen unter Nachhaltigkeitskriterien können mindestens vier Effekte erreicht werden: »Erstens können dadurch substantielle Erfolge im Hinblick auf die gesetzten Reduktionsziele erreicht werden. Zweitens schlagen sich Ressourcenersparnisse auch in finanziellen Ersparnissen nieder und entlasten die öffentlichen Haushalte. Drittens entsteht so ein breites Umsetzungswissen über das Leitbild Nachhaltigkeit … Viertens dürfte ein solches innovatives Machbarkeitskonzept auch im internationalen Rahmen mit Prestigegewinn verbunden sein« (S. 59).

Das Bildungskonzept mit der Kernaussage: Die Bildung muss reflexiv werden! Danach ist das traditionelle Konzept von Umweltbildung, das durch Wissensvermittlung, Erziehung und Unterricht Umwelt-Bewusstsein erzeugen will, fraglich geworden. »In einer Gesellschaft »reflexiver Modernisierung« geht es um die Erhöhung von Selbststeuerungskompetenz durch Reflexivität. Das Bildungskonzept hat die Verankerung von Sustainability in allen Bereichen des Bildungswesens zum Ziel« (S. 9).

Große Zweifel an der Machbarkeit und vor allem an der Wirksamkeit solch eines Bildungskonzepts formuliert Michael Kalff in seinem Aufsatz »Zukunft gewinnen mit der Bildung für Nachhaltigkeit?« In seiner Kritik führt er substanzielle Widerstände auf, die er in drei Bereichen festmacht:

1. Anthropologische Hemmnisse

Die Umwelt-Bewusstseinsforschung liefere dafür stetige Belege: Individuelles Umweltverhalten tritt vor allem in Low-Cost-Bereichen auf (z.B. Mülltrennung), kaum aber in den wirklich relevanten Feldern wie Wohnen, Mobilität, Ernährung und Freizeit (vgl. de Haan/Kuckartz 1996; Preisendörfer 1999). Über die Ursachen dafür wird aus verschiedenen Perspektiven reflektiert (Kleber 1996): Die Evolution habe uns keine inhärenten genetischen Dispositionen zum Schutz der Ökosphäre mitgegeben. Unsere kognitiven Fähigkeiten seien auf einfache Ursache- und Wirkungsketten ausgelegt, komplexe Systemdynamiken überforderten unsere Erkenntnis- und Vorstellungskraft (Dörner 1995) und der enge Erlebnisraum des Menschen hinsichtlich des individuell überschaubaren Territoriums, Zeithorizonts und einer sozialen Gruppe sei den globalen ökologischen Gefährdungen gegenüber völlig inadäquat (Bastian 1991).

2. Gesellschaftliche Hemmnisse

Als das geläufigste soziale Hemmnis führt Kalff das sogenannte »Allmende-Problem« auf: solange aus individueller Übernutzung gemeinwirtschaftlicher Güter ein Vorteil gezogen werden kann, sei derjenige im Nachteil, der von egoistischer Übernutzung nicht Gebrauch macht. Verantwortlich dafür sei ein gesellschaftlicher Konstruktionsfehler, zumindest aber das Fehlen eines gesellschaftlichen Anreizsystems (wie z.B. Preise, die die ökologische Wahrheit sagen). Hinzu käme ein »reallogisches Hemmnis«: Individuelles umweltfreundliches Verhalten vermag angesichts der Masse der Rücksichtslosen und der aktuellen Globalisierungswirkungen in Ländern wie China, Indien und Indonesien zur Umweltqualität keinen relevanten Beitrag zu leisten.

3. Unzulänglichkeiten des Bildungssystems

Kalff diagnostiziert ein katastrophal unflexibles Bildungssystem, was zudem auch noch personell und finanziell miserabel ausgestattet sei. Eine ernsthafte Bildung für Nachhaltigkeit würde eigentlich eine Reform des gesamten Bildungswesens erfordern, vom Kindergarten bis zur Hochschule.

Welche Konsequenzen zieht Kalff aus seinen Diagnosen? »Bildung für Nachhaltigkeit darf sich also nicht an der gängigen Erfolgslogik messen, sie muß sich auch für den Fall legitimieren können, dass ihr Anliegen gesellschaftlich scheitert. Bildung für Nachhaltigkeit darf nicht allein vom gesellschaftlichen Anspruch her begründet werden, sondern muß als individuelle Bildung für gelingendes Leben überzeugen. Sie darf durch das Scheitern des Leitbildes nicht unwahr werden« (Kalff 2000, S. 40).

Ist dieses unvermittelte Plädoyer für eine (bildungsidealistische) Abkopplung der Nachhaltigkeits-Pädagogik auch kritisierbar, so verweisen doch die aufgezählten Argumente auf unübersehbare Hemmnisse bzgl. der strukturellen Gegebenheiten, sowohl im Hinblick auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen als auch bzgl. der subjektiven Faktoren. Eine kritisch-konstruktive Umweltbildungskonzeption muss sich deshalb eine kategoriale Reflexionsgrundlage verschaffen, auf deren Basis die voraussehbar widersprüchlichen Prozesse pädagogischen Planens und Handelns im Kontext einer »Bildung zur Nachhaltigkeit« adäquat interpretierbar sind.

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