Читать книгу Das Leuchten Deiner Seele - Hazel McNellis - Страница 10
06 – In der Küche
Оглавление»Ich kann hier nicht arbeiten«, versuchte sie, dem Kerl zu erklären. Aber er hörte ihr überhaupt nicht zu. Er schleppte sie am Arm aus der einen Kammer hinaus und hinein in einen anderen Teil dieses eigenartigen unterirdischen Gewölbes. Der würzige Geruch von Speisen drang ihr in die Nase. Dann betraten sie eine Küche. Ein Loch in der Decke sicherte den Abzug der Dämpfe. In der Höhle herrschte ein reges Treiben, auf dem eine bedrückende Schweigsamkeit lastete. Hier waren keine Elfen mit spitzen Ohren. Stattdessen erblickte sie Menschen, Mädchen wie Jungen, die Gemüse schnippelten, in Töpfen rührten oder den Boden mit groben Schwämmen putzten.
Sie alle starrten Ariana an, ehe sich ein älterer Herr aus der Gruppe löste.
Grimmig betrachtete er sie aus hellblauen Augen heraus. Sein ergrautes Haar schimmerte zum Teil schlohweiß. Es lichtete sich auf dem Schädel. In seinem Gesicht hatten sich tiefe Furchen eingegraben und ein langer Lederriemen baumelte locker von der breiten, sonnengebräunten Hand. Obwohl sie keine Ahnung hatte, wozu dieser Riemen war, fröstelte sie bei dem Anblick des rissigen, ausgebleichten Leders.
»Wer ist das?«, fragte der Mann mit einer Stimme, die tief und krächzend wie ein Reibeisen war.
»Eine Neue«, erwiderte der, der sie hergeführt hatte. »Du sollst sie beschäftigen, sagt Kieran.«
»In Ordnung«, brummte der Ältere nickend.
Daraufhin stieß Bran Ariana nach vorne. Sie stolperte, fing sich gleich wieder. Als sie sich umdrehte, war der Elf weg. Die Menschen setzten ihre Arbeiten fort.
»Wie heißt du?«, raunzte der Kerl namens Thómràs.
»Ariana.«
Er nickte. »Kannst du backen?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Kochen?«
Wieder verneinte sie.
»Was soll ich mit einer, die nichts kann?«, fragte er.
»Ich kann lesen und sticken«, warf Ariana ein, erkannte aber gleich, dass dies nicht hilfreich war. Thómràs verdrehte die Augen, der Lederriemen glitt langsam durch seine Hände.
»Hör zu, Mädchen«, sagte er. »Du kannst eine Bürste nehmen – nimm die dort drüben, Kornak kann dir zeigen, wo sie hinkommen – und dabei helfen, den Boden zu putzen. Danach sehen wir weiter.«
Sie sah in die Richtung, in die der Alte wies, und entdeckte einen Jungen, der in ihrem Alter zu sein schien. Seine blonden Haare hingen ihm strähnig ins Gesicht. Er sah sie nicht an.
Langsam schritt Ariana zu ihm hin.
»Hast du eine Bürste für mich?«, fragte sie ihn. Kornak griff in ein Regalfach hinter sich und zog eine hervor. Die Borsten waren grob, der Gegenstand wog schwer in ihrer Hand. Niemals vorher war sie auf Knien gerutscht, um zu putzen.
Ihr Kleid starrte vor Dreck. Es war nass und zerrissen, gleichzeitig bot es einen hübschen Anblick im Vergleich zu dem, was die anderen im Raum am Leib trugen. Das Bewusstsein, dass sie eine Prinzessin war, ließ sie zögern.
»Worauf wartest du noch?«, bellte der Alte durch die Küche. Ariana dachte an den Lederriemen in seiner Hand und sank neben dem Jungen auf die Knie.
»Ziemlich übellaunig, dieser Thómràs, findest du nicht?«, fragte sie ihn zaghaft lächelnd. Kornak ignorierte sie. Er schrubbte an einem dicken Wachsfleck herum. »Ich heiße Ariana«, sprach sie weiter. Sie wusste nicht, warum sie den Kontakt suchte. Vielleicht war es der Wunsch, eine nette Stimme zu hören. Vielleicht hoffte sie auf Verbündete in einer unbekannten Welt. Jemanden, der ihr helfen würde, zurück nach Tarnàl zu kommen. »Arbeitest du schon lange hier?«
Mit einem Ruck ließ der Bursche die Bürste fallen und sprang auf die Füße. Verblüfft beobachtete sie ihn.
»Was ist los?«, raunzte der Alte und kam näher heran. Kornak zeigte auf sie. Ihre Augen weiteten sich. Was hatte sie angerichtet?
»Du quatschst wohl gerne, wie?«, sagte der Kerl. Wieder glitt der Riemen bedrohlich zwischen seinen Händen hindurch. Ariana starrte ihn an. Furcht kroch ihr das Rückgrat hinauf.
»Ich … ich wollte nur höflich sein«, stammelte sie in ihrer Not.
»HÖFLICH wolltest du sein? Na, hör sich das einer an! Das Mädchen wollte HÖFLICH zu Kornak sein!« Er lachte bellend, vereinzelt prusteten andere los. Beschämt stand Ariana auf.
»Hat jemand gesagt, du sollst aufhören zu arbeiten?«, schimpfte er. Seine Stimme hallte von den Wänden wider und jagte ihr einen grässlichen Schauer über die Haut. Die Hand mit dem Lederriemen hob sich drohend vor ihr.
»Nein«, flüsterte sie hastig, ohne den Blick von dem Riemen zu lösen. Hitze stieg ihr ins Gesicht. Ihre Kehle verengte sich und in ihren Augen brannten schon wieder ungeweinte Tränen.
»Genau richtig. Also geh wieder runter auf deine Knie und schrubb den verdreckten Fußboden! Ich habe keine Lust wegen deiner Faulheit und Geschwätzigkeit Probleme zu bekommen.«
Ariana glitt erneut zu Boden. Sie hielt das Kinn gesenkt und blinzelte die aufsteigenden Tränen fort. Keinesfalls sollten diese Fremden sie weinen sehen.
Kornak kam nicht zurück, sondern verlagerte seine Arbeit an einen Ort, der weiter von ihr entfernt war. Eine Stelle, an der es ihr nicht möglich war, ihn anzusprechen.
Ariana brachte ohnehin keine einzelne Silbe mehr hervor. Stattdessen fragte sie sich, wie sie hier wieder herauskam. Sie putzte langsam, bewegte sich kriechend vorwärts und näherte sich dem großen, massiven Holztisch, an dem die anderen in der Mitte des Raumes arbeiteten.
Kieran hatte sie hierhergebracht, aber anstatt ihr mit Respekt und Anstand zu begegnen, war sie für ihn ein minderwertiges Wesen. Sie durfte nicht sprechen oder höflich sein. Ihre gesamte Existenz galt an diesem düsteren Ort nichts.
Ariana seufzte.
Der See, an dem sie ihm begegnet war, erschien ihr vage als ein Ort, der in ihrem Buch vorkam. Dort traf die Heldin auf ein Ungeheuer, nicht auf einen königlichen Dunkelelfen. Warum war die Geschichte ihres Buches so verdreht?
Der rote Faden, den sie gefunden hatte, kam ihr in den Sinn. Was hatte es damit auf sich? Was hatte all das zu bedeuten? Was wollte Kieran von ihr? Warum hielt er sie in diesen Höhlen fest? Warum behandelte er sie nicht wie einen normalen Menschen, um ihr zu helfen, den Weg nach Hause zu finden? Warum war die Welt derart feindselig?
Ein Mädchen stieß gegen ihren Fußknöchel.
Das junge Ding quiekte erschrocken. Geschirr polterte. Etwas Warmes drang durch Arianas Kleid nach vorne und ihren Bauch entlang, bevor die Flüssigkeit zu Boden tropfte. Sie fuhr auf, setzte sich auf die Fersen und sah herab. Das satte Rot irgendeiner Suppe befleckte ihren gesamten Rumpf. Sie sah aus, als hätte sie ein Tier geschlachtet – oder in Wein gebadet.
»Wie dumm bist du?«, keifte die Göre, die über sie gestolpert war, und griff beherzt in Arianas weißblonde Locken. Scharfer Schmerz schoss ihr durch den Schädel. Das Mädchen zog kräftig und zerrte sie hoch. Ariana umklammerte die rauen Hände in ihrem Haar.
»Aua! Lass los!«, rief sie mit schmerzverzerrter Grimasse aus. Tränen quollen ihr aus den Augen. Hinter ihr klatschte es.
Die Frau kreischte und ließ abrupt die Haare los. Erneut knallte es. Dieses Mal zuckte Ariana zusammen. Ihr Rücken brannte. Sie hob den Kopf. Thómràs stand über ihr mit dem Lederriemen, dessen Ende den Boden streifte. Sein Gesicht glänzte rot. Er atmete schwerfällig. Eine Ader an seiner Stirn hob sich deutlich hervor.
»Du machst wohl gerne Ärger, was?«, grollte er.
»Ich habe nichts getan«, rief sie. Ihre Stimme zitterte.
»Lügnerin!«
Der Lederriemen fuhr auf ihren Rücken nieder. Ariana keuchte. Sie biss sich auf die Lippe, um den Schrei zurückzudrängen, der in ihr aufwallte.
»Was hockst du hier am Tisch? Kannst du nicht aufpassen?«, raunzte der Alte sie an und schlug erneut auf sie ein. Ihr blieb keine Wahl: Sie kauerte sich auf dem Boden zusammen und schlang die Arme schützend über ihren Kopf. Die Tränen quollen ihr aus den Augen und nässten ihr die Wangen. Der Schmerz auf ihrem Rücken war glühendscharf, sodass er unweigerlich alle anderen Empfindungen überstrahlte.
»Dir mach ich Beine«, wetterte Thómràs, der sich weiter in Rage zürnte. Wieder traf der Riemen auf ihre Rückseite.
Einmal.
Zweimal.
Sie stöhnte. Ein Wimmern entfloh ihrer Kehle. Entfernt hörte sie ihn schnaufen. Plötzlich senkte sich Stille auf sie herab. Erst als sie die Hände an ihren Armen spürte, riskierte sie einen Blick – und sah direkt in Kierans Augen, die wie flüssige Schokolade schimmerten. Sie waren vor Sorge umwölkt, die Augenbrauen dicht zusammengezogen.
Was kümmerte es ihn, was mit ihr geschah? Sie wandte sich ab. Er hatte kein Recht, ihre Tränen zu sehen.
»Das neue Mädchen ist meine persönliche Bedienstete«, sprach er in dem Moment. »Ihre Dienste in dieser Küche sind nicht länger vonnöten.«
Keiner widersprach ihm.
Ariana fuhr sich mit dem Ärmel durch das Gesicht, um die Tränenspuren abzuwischen. Sie wagte einen Blick an ihrem unerwarteten Beschützer vorbei und sah Thómràs mit vor Staunen offenem Mund in einer Ecke am Boden sitzen. Kieran hatte ihn beiseitegestoßen, mutmaßte sie.
Er half ihr beim Aufstehen. Seine Berührung am Arm erschien ihr sanft, nahezu zärtlich, während er sie in einen langen, verwinkelten Tunnel führte.
Ariana schwieg erst, doch ihre Erziehung verlangte es. »Danke«, flüsterte sie. Sie erreichten eine Treppe, die sie tiefer in die Finsternis der Höhle führen würde.
Er verstärkte den Griff um ihren Arm. Gleichzeitig hob er eine der Fackeln von der Wand, um die Stufen zu beleuchten.
»Lass mich eines klarstellen, Mensch: Ich tat dies nicht für dich«, sagte er. »Das Gekreische aus der Küche war im Saal nicht länger auszuhalten. Ich musste einschreiten.«
Sie wies ihn nicht darauf hin, dass er jemand anderes hätte schicken können, um den Geschehnissen Einhalt zu gebieten.
Er führte sie in einen weiteren Tunnel, an dessen Ende sich eine imposante, schwarze Tür im Gestein abzeichnete. Zwei Wachen flankierten sie.
Abrupt zog Ariana an ihrem Arm, um sich aus seinem Griff zu winden. Auf keinen Fall würde sie zulassen, dass er sie einsperrte. Ihr Widerstand war jedoch zwecklos: Kieran packte sie fester, sodass sich ihr Arm wie in einer Schraubzwinge anfühlte. Entschlossen führte er sie zu den Wachposten hin, gab ihnen ein Zeichen und sie öffneten die Tür. Obwohl sie sich heftig wehrte und kräftig zerrte, brachte er sie ohne jede Mühe in die dahinterliegende Kammer. Er gab ihr einen Schubs. Gleichzeitig ließ er ihren Arm los.
Das Zimmer war spärlich beleuchtet. Das Gestein der Höhle war hier drinnen ebenso schwarz wie anderswo. Ein Bett aus massiv wirkendem Holz dominierte den Raum.
Ariana fuhr zurück. Prompt prallte sie gegen Kierans Brust.
»Warum?«, hauchte sie.
»Mensch«, erklärte er. »Du hast gehört, was ich in der Küche sagte.«
Sie stolperte zur Tür. Sie war versucht, dagegen zu schlagen, damit die Wachen sie hinausließen. Ebenso war ihr klar, dass das zu nichts führte. Dies war sein Reich. Sie war niemand.
»Lass mich gehen«, rief sie.
Kieran trat mit zwei Schritten auf sie zu, umfasste ihre Taille, hob sie von den Füßen, trug sie von der Tür weg und zum Bett hin. Er ließ sie auf die weiche Matratze fallen. Ihr geschundener Rücken brannte, was sie das Gesicht verziehen ließ.
»Verdammt, mach dich nicht lächerlich«, knurrte er, »du bist meine Bedienstete. Nicht mehr, nicht weniger.«
Ariana versteifte sich bei den Worten, der Berührung und seiner unvermittelten Nähe. Für einen flüchtigen Augenblick fiel die Gegenwehr von ihr ab. Andere, höchst verwirrende Empfindungen stiegen in ihre Gedanken. Ihre Finger krallten sich in die glatte Decke.
»Was erwartest du von mir?«, brachte sie atemlos hervor.
Er stand dicht bei ihr. Mit dem Bett direkt unter sich, kam sie nicht umhin, seine nackten Arme zu bemerken. Sie zog die Beine heran und richtete den Blick auf ihre Füße.
»Du wirst hier sicherer sein als in der Küche, das ist dir hoffentlich klar«, meinte er und trat einen Schritt zurück. »Ich habe für gewöhnlich einen Leibeigenen, der mein Wohlbefinden sicherstellt. Er hilft mir beim Waschen, bringt mir Speis und Trank, wenn ich es wünsche, und hält die Ordnung in der Kammer aufrecht. Gelegentlich führen wir sogar nette Gespräche.«
Ariana runzelte die Stirn. Seine Schilderung klang weitaus einladender verglichen mit der Aussicht, den Küchenboden zu schrubben, während Thómràs mit einem Riemen drohend hinter ihr stand. Abgesehen von der Tatsache, dass sie ihn bedienen sollte, bereitete ihr eine Sache Sorgen.
»Ich soll dir beim Waschen helfen?« Er sah nicht aus, als wäre er dazu nicht fähig.
Anstatt ihr zu antworten, entfernte er sich weiter von ihr. Er trat an einen schmalen Tisch, der dem Bett gegenüberstand und ebenso düster war, wie der Rest der Raumgestaltung. Ein Spiegel stand darauf und reflektierte das Bett. Ariana sah sich selbst und beeilte sich, das Bett zu verlassen, um mit Kieran auf einer – deutlich unverfänglicheren – Augenhöhe zu sein.
Er griff nach einem Krug und füllte ein Glas mit einer klaren Flüssigkeit. Wasser, vermutete sie. Er trank und schenkte nach. Dann hielt er ihr das Glas hin und sah sie an. Seine Augen schimmerten abgründig.
»Du bist eine Mindere. Ich verkehre für gewöhnlich nicht mit deinesgleichen, da kannst du ganz beruhigt sein. Vielmehr handelt es sich um anspruchslose Hilfstätigkeiten, damit ich mich als Herrscher etwas … wohler fühle.«
Er hob langsam einen Mundwinkel bei der wohlgesetzten Pause. Ariana schluckte und rieb sich über den Arm. Ihre Finger streiften den Riss im Kleid, sodass sie kurz zusammenzuckte. Sie hatte fast vergessen, wie desaströs ihr Zustand war.
»Aber warum?«, flüsterte sie.
»Auf diese Art behalte ich dich am besten im Blick. Deine Anwesenheit, dein plötzliches Auftauchen im Wald und dein eigenartiges Gebaren zeigen mir, dass du etwas zu verbergen hast. Ich will herausfinden, was das ist.« Er schlenderte zu ihr hin. »Und jetzt lass mich nachsehen, welches Zeichen du trägst und wie groß der Schaden ist, den Thómràs angerichtet hat.«
Ariana erlaubte ihm, dass er sie an der Schulter berührte, um sie umzudrehen. Kein Laut kam ihm oder ihr über die Lippen. Er schob ihre langen Haare zur Seite und ließ sie los. »Du musst deinen Rücken freilegen«, sagte er. Sie versteifte sich. »Damit ich die Verletzung behandeln kann«, fügte er spöttisch hinzu. Eine beschämende Hitze ließ ihre Wangen glühen. Sie hörte Kieran wegtreten und wandte den Kopf, um zu sehen, was er vorhatte.
Er trat an den Tisch mit dem Spiegel zurück, zog eine Schublade auf und holte zwei Töpfchen heraus. »Diese Salben sollten die Schmerzen lindern und die Heilung beschleunigen«, erklärte er.
Ariana umklammerte ihre Schultern mitsamt dem Stoff des Kleides. Jede Strieme, die der Riemen in ihrem zarten Fleisch hinterlassen hatte, brannte bei Berührung mit der Stoffbahn. Konnte sie Kieran vertrauen? Er gab ihr die Zeit, die sie benötigte, und wartete.
»Ich werde Hilfe brauchen«, sagte sie brüsk, wandte den Kopf und starrte die Wand an.
»Natürlich«, entgegnete er.
Obwohl der seidene Stoff an etlichen Stellen eingerissen war, löste Kieran die Schnüre an ihrem Rücken. Sie spürte den sanften Zug, sobald er die Bänder durch die Ösen zog und Stück für Stück ihre Haut freilegte. Ihr Nacken kribbelte. Sie war sich sicher, er starrte sie an. Sie wusste nur nicht, ob sie sich darüber ärgerte oder geschmeichelt war.