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07 – Nur eine Mindere

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Ariana stand steif und ungelenk vor ihm. Sie bemühte sich, das Beben zu unterdrücken. Seine Hände glitten zügig und zugleich zärtlich über ihre Haut. Er berührte sie mit einer Sanftheit, die sie ihm nicht zugetraut hätte. Die Bewegungen erinnerten sie an den zarten Hauch, den sie als Mädchen gespürt hatte, wenn ein Insekt sich auf ihren Finger niederließ und träge mit den Flügeln schlug. Kieran fuhr mit den Fingerspitzen ihre Lendenwirbel entlang. Sofort verkrampfte sie sich. Er zeichnete die Wunden nach. Dadurch gewann sie einen Eindruck, wie schwerwiegend sie getroffen worden war.

»Dafür bestrafe ich ihn«, murmelte er. Sie erschrak über die Wut, die in seiner Stimme mitschwang. Seine Hand ruhte an ihrer linken Seite, der Daumen strich ihr über die Taille.

»Warum? Ist es nicht seine Aufgabe, in der Küche für geordnete Abläufe zu sorgen?«

»Natürlich ist es das.«

»Dann hat er wohl seine Pflicht erfüllt. Ich habe die Abläufe in der Küche durcheinandergebracht. Immerhin hielt er den Riemen schon vor meiner Ankunft in seiner Hand.«

Kieran löste den Kontakt. Er wandte sich ab, um den Tiegel zurück zu räumen. Sie drehte sich zu ihm um. Ihre Haare fielen nach vorne über ihre Schulter und strichen über ihre Arme. Sie umklammerte das Kleid, damit es nicht herunterrutschte und mehr offenbarte, als sie zu zeigen gewillt war.

»Denkst du, ich sollte stattdessen dich bestrafen, Mensch?«, fragte er sie leise. Schnell schüttelte sie den Kopf.

»Ich bin bereits bestraft und will den Vorfall nur vergessen.«

Sein Blick war kühl, doch in den Tiefen schimmerte eine Regung, die ihr einen hitzigen Schauer durch den Körper sandte. Die Pflicht einer Prinzessin war es, das Beste aus der Lage zu machen. Sie wusste nicht, ob sie jemals den Weg zurück nach Tarnàl fand oder ob jemand zu ihrer Rettung käme. Sie wusste lediglich, dass dieser Dunkelelf sie nicht freiwillig gehen ließ. Ihm war in dieser Hinsicht nicht zu trauen. In seinen Zügen las sie das Misstrauen und die Zweifel über ihre Herkunft wie in einem offenen Buch. In ihrer Heimat schätzte man ihre zwischenmenschlichen Talente. Manche sprachen von Zauberei und hellseherischen Einflüssen. Doch niemand zweifelte je ihr Wort an.

»Und jetzt?«, fragte sie, als das Schweigen anhielt.

Kieran blinzelte, dann ging er forschen Schrittes zur Tür. »Bleib hier und tu gar nichts. Ich lasse dir ein neues Kleid bringen.«

Schon fiel die Tür hinter ihm ins Schloss.

Zitternd seufzte sie, ein Laut, der ihr seit einigen Minuten in der Kehle brannte. Das Höhlensystem, in all seiner Schwärze, flößte ihr keine Angst ein. Sie vermutete, es war ein geschickt gewählter Ort, um Feinde abzuschrecken. Aber in der Geschichte in ihrem Buch kam solch ein Lager nicht vor.

Ariana griff in die Tasche des Rockes, um das Buch hervorzuholen. Der Faden hob sich mit der roten Färbung satt von den leeren, cremeweißen Seiten ab. Kein einziges Wort war zurückgekehrt. Keine Silbe, kein Buchstabe. Sie hielt das dünne Papier gegen das Licht. Nichts war übrig von den Worten, den Zeilen und Kapiteln. Kein Tintenklecks, sei er noch so winzig, zeugte mehr davon, dass dieses Buch eine Geschichte enthielt.

Sie steckte es zurück, trat an den Tisch und öffnete ziellos das Schubfach. Sie sah Kräutersalben, Lavendelöle und Rosmarinzusätze für das Badewasser. Jeder Tiegel war sorgsam beschriftet worden. Beim Lesen der Etiketten schluckte Ariana schwer. Flammende Röte kroch ihr das Gesicht hinauf.

Das Badewasser.

Sie erinnerte sich an Kierans Blicke und den Schmuck an seinen spitzen Ohren. Die Berührung seiner Hände hallte auf ihrer Haut nach, die Tönung seiner Haut stand ihr deutlich vor Augen. Ehe sie sich stoppen konnte, fragte sie sich, ob er, der König in diesem Land, überall eine solche gebräunte Färbung aufwies.

Mit einem Knall schob sie die Lade zu. Sie trat ans Bett, setzte sich auf die Kante und wartete. Ihre Finger trommelten rastlos gegen die Matratze.

Das Mädchen, das nach Stunden des Wartens neue Kleidung brachte, sprach kein Wort. Sie musterte Ariana feindselig.

Das Kleid war schmucklos aus groben, mausgrauen Leinen gewebt. Zwei tiefe Rocktaschen fielen ihr sofort ins Auge. Dort konnte sie ihr Buch verbergen. Ein Paar simpler Stoffschuhe, eine Schürze und ein Mieder vervollständigten das Ensemble.

Der Stoff war für eine Bedienstete, nicht für eine Prinzessin. In Ariana regte sich Widerwille bei diesem Gedanken. Welche Wahl hatte sie? Nun, da ihr eigenes Kleid zerrissen und beschmutzt war? Sie nahm dem Mädchen die Sachen ab. »Danke.«

Das Mädchen verschwand ohne einen Laut.

Ariana strich mit den Fingern über den groben Stoff. Es war ein zeitsparendes Modell. Denn es kam ganz ohne Schnüre oder Haken aus. Sie zog es sich über den Kopf, band sich die Schürze um, fertig. Der ganze Vorgang hatte bloß einen Augenblick beansprucht. Sie verzog das Gesicht zu einer gequälten Grimasse. Die Wunden, die Thómràs ihrem Rücken zugefügt hatte, brannten bei jeder Berührung mit dem groben Stoff.

In dem Moment kehrte Kieran zurück.

»Ich sehe, es passt dir. Ein bisschen kurz geraten vielleicht, aber das wird gehen.«

Sie richtete den Blick auf ihre Füße. Er hatte recht. Der Saum endete zwei Handbreite über ihrem Knöchel. Ein weiteres Dienstmädchen begleitete ihn. Die schmächtige Person trug ein Tablett, das sie auf dem Tisch abstellte, bevor sie hastig knickste und wieder verschwand.

»Na, die Hausmädchen sind hier ja sehr … gefügig«, stichelte Ariana. Sie war nach der Warterei in einer streitlustigen Stimmung. Hinzu kam, dass die Wolle auf ihrer Haut scheuerte. Der grobe Stoff war nichts für eine Prinzessin, die feineres Gewebe gewöhnt war. Unauffällig kratzte sie sich am Arm.

Kieran hob einen Deckel von einer der Schüsseln auf dem Tablett und setzte das köstliche Aroma von Kartoffeln im Raum frei. Sofort knurrte ihr der Magen. Er hob einen Mundwinkel bei dem Geräusch und füllte einen Teller. Als er ihn ihr reichte, sah er ihr in die Augen.

»Die Mädchen wissen, wo ihr Platz ist.«

Ariana erwiderte seinen Blick trotzig. Die Art, wie er dies sagte, gefiel ihr nicht. In Tarnàl brachten sie den Dienstboten trotz ihrer Position im Haushalt einen gewissen Respekt entgegen. Es stand ihnen frei, ihre Stellung jederzeit neu zu verhandeln. Dass dies in diesem Land nicht so war, missfiel ihr.

»Iss etwas«, unterbrach er ihren Gedankengang. »Ich nehme später ein Bad. Arrangier alles, bis ich zurück bin«, sagte er, kaum dass sie den Holzlöffel ergriffen hatte, und stiefelte wieder zur Tür. Ariana schaute ihm nach. Der Löffel verharrte bebend in der Luft.

»Moment mal«, rief sie ihm nach. Das Besteck knallte auf den Teller. Kieran blieb stehen. »Das kannst du nicht von mir verlangen!«

Langsam drehte er sich zu ihr um. Er musterte sie überheblich, aber eindringlich. Sie wäre einen Schritt zurückgegangen, hätte sie nicht auf dem Bett gesessen.

»Du hast es nicht verstanden, oder?«, fragte er. »Du bist meine Bedienstete. Bis auf Weiteres bist du nicht mehr als ein Mensch, eine Mindere, wie alle anderen Menschen in diesem Land ebenfalls.« Er verschränkte die Arme. »Ich hätte gedacht, dass du das begriffen hättest.« Sein Blick glitt taxierend über ihre Gestalt. »Offenbar bist du ebenso einfältig wie alle anderen.«

Empört schnappte sie nach Luft und stand auf. »Nimm das zurück«, regte sie sich auf. Kieran winkte ab und wandte sich zur Tür um. »Bereite alles vor, ich komme bald wieder.«

Dann war er fort. Ariana war der Appetit gründlich vergangen. Sie war eine Prinzessin. Er hatte kein Recht, sie derart herumzukommandieren. Wie sollte sie das arrangieren? Sie kannte niemanden. Sie wusste nicht, wo er sich wusch oder wo die Waschwanne überhaupt war, geschweige denn, wen sie deswegen ansprechen konnte. Kieran war mit seinen Anweisungen nicht so deutlich, wie er es wohl hoffte, schoss es ihr grimmig durch den Kopf. Es stellte sich die Frage, wer von ihnen beiden einfältig war.

Solange dieser Dunkelelf ihrer Geschichte keinen Glauben schenkte und sie als Dienstmädchen betrachtete, würde sie ihm unmöglich vertrauen. Er würde ihr nicht helfen, den Weg nach Hause zu finden. Sie dachte an ihr Heim, ihren Vater, an Prinz Fionn. Ob er sie suchte?

Sofort schüttelte sie den Kopf. Natürlich suchte er sie. Sie war die Verlobte, seine Braut. Außerdem hatte er sie geküsst, das durfte sie nicht außer Acht lassen. Warum sollte er sie nicht suchen?

Die Antwort darauf kam ihr postwendend in den Sinn: Er war der Einzige, der bei ihr war, als das alles passierte. Er war derjenige, der sie bedrängte, der ihre Gefühle wissen wollte und den sie verletzt hatte, indem sie nicht dasselbe wie er empfand. Ariana schauderte. Sollte Fionn dahinterstecken? War sie in diese eigenartige Welt gefallen, weil er sich gekränkt und abgewiesen fühlte? Sie versuchte, sich ihren Verlobten als rachsüchtigen Menschen vorzustellen. Doch es gelang ihr nicht. Sie hatte erlebt, wie er sich das Knie aufschlug, weil sie ihn geschubst hatte, als sie jünger waren. Sie hatte erlebt, wie er ihr vom Baum herunterhalf, weil sie sich nicht traute, die Höhe zu überwinden. Er war es, der mit ihr zum ersten Mal auf einem Ball tanzte. Er erduldete ihre impulsiven Entscheidungen ebenso wie ihr stoisches Zögern wegen der Hochzeit. Er war für sie da, wenn sie ihn brauchte. Wie könnte er sie in eine fremde Welt schicken? Wieder schüttelte sie den Kopf. Ausgeschlossen. Fionn war zu solch einer Schandtat nicht fähig. Außerdem war ihr Fall ins Unbekannte dermaßen fundamental, wie hätte er das bewerkstelligen können? Er war ein Prinz, der die niederen, gewaltbereiten Personen mied. Es musste eine andere Erklärung geben. Sogar jetzt noch erinnerte sie sich deutlich an den Schwindel, der sie aus heiterem Himmel ereilt hatte. Das überwältigende Gefühl, alles würde wie auf hoher See schwanken. Vielleicht war kein Mensch dafür verantwortlich. Womöglich war sie unbedacht auf etwas gestoßen, eine Tür oder ein Riss. Ein Naturphänomen.

Aber warum war es nicht vorher passiert? Und wieso war ihr Buch leer?

Darauf wusste Ariana keine Antwort.

Sie stand eine Weile nur da, bis ihre Glieder kalt wurden, da das Feuer in einer Ecke der Höhle heruntergebrannt war. Da hörte sie Kieran zurückkehren. Die einzige Kerze im Zimmer flackerte in dem plötzlichen Luftzug und erlosch.

Sie blieb, wo sie war, und starrte atemlos in die Dunkelheit hinein. Die Finsternis erschreckte sie. Sie ließ ihr Herz schneller schlagen. Eilige Schritte waren zu hören, dann ein Fluch. Zuletzt zischte ein Zündholz, die Kerze wurde neu entzündet. Das flackernde Licht erhellte seine Züge, die ebenso finster schienen wie die Schwärze um ihn herum.

»Mensch«, knurrte er und warf einen flüchtigen Blick auf sie. »Erkläre mir das.«

Ariana zögerte. »Was soll ich erklären?«, fragte sie.

Kieran gestikulierte neben der Kerze. »Wo ist mein Bad?«

Sie schwieg.

»Du hattest einen Befehl. Warum hast du ihn ignoriert?«

Er starrte sie an. In seinen Augen las sie gleichfalls Unverständnis und echtes Interesse aufblitzen.

»Wen hätte ich denn fragen sollen? Außerdem sehe ich es nicht ein, das Dienstmädchen für dich zu spielen. Ich bin die Prinzessin von Tarnàl und keine Dienstmagd, die du herumschubsen kannst wie es dir in den Kram passt.«

Er schnaubte. »Fängst du wieder damit an«, murrte er. Er trat zur Tür und sprach kurz mit den Wachen, bevor er weitere Kerzen entzündete, sodass das Licht jede Ecke des Höhlengesteins erhellte. Wenige Schatten blieben, hinter denen Ariana sich hätte verstecken können.

Das Leuchten Deiner Seele

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