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03 – Begegnung im Wald

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»Wer bist du?«

Die tiefe, melodiöse Stimme ließ sie erschreckt zusammenfahren. Ariana rappelte sich hoch, ignorierte ihre schmerzenden und steifen Glieder und drehte sich zu dem Sprecher um. Ihre Hand strich beiläufig über den Rock, obwohl sie wusste, dass es nichts nutzte: Der Stoff war ruiniert.

Seine Gestalt war ein schwarzer Schatten, der an einem Baumstamm lehnte und die Arme verschränkt hielt.

»Hast du deine Stimme verloren?«, fragte er sie barsch.

Empört über den ruppigen Tonfall senkte sie den Blick. Sie klopfte den Dreck vom Kleid. Ihre Hüfte schmerzte, ihr Rücken ebenso und an ihre Schultern dachte sie am besten gar nicht erst.

»Ich bin Prinzessin Ariana«, sagte sie nach einem Augenblick.

»Prinzessin?«, hakte er nach und verlagerte sein Gewicht.

Sie nickte.

»Du lügst.«

Erstaunt sah sie ihn an. »Und warum sollte ich das tun?«

Er löste sich von dem Baum und deutete auf ihre Gestalt. »Du bist ein Mensch.«

»Ja…?«, wandte sie gedehnt ein. Langsam trat er näher. Er lief einmal um sie herum und taxierte sie von oben bis unten. Ariana unterdrückte den Drang, mehr Distanz zwischen sie zu bringen.

»Warum warst du auf dem Baum?«, fragte er und trat wieder vor sie.

»Ich versuchte zu schlafen.«

Er wies auf einen Riss in ihrem Ärmel. »Dein Kleid ist zerrissen.«

Sie runzelte die Stirn. Sie hätte den Schaden gerne näher betrachtet, doch es war mittlerweile zu dunkel dafür. Der Kerl hatte scharfe Augen, bemerkte sie. »Vermutlich ist es nicht der einzige«, meinte sie. Jetzt, da er nähergekommen war, erkannte sie die Gesichtszüge besser.

Sein Mundwinkel zuckte. Die winzige Bewegung verlieh ihr mehr Mut und sie lächelte ihn an. Er behielt jedoch die Maske der Gleichgültigkeit. Ariana zwang sich zum Durchatmen. Dabei fiel ihr Blick auf seine Ohren. Kurz war sie irritiert. War es eine Täuschung aufgrund des nächtlichen Dunkels? Er legte den Kopf schief, wie um ihr die Sicht zu erleichtern. »Du hast sie ja wirklich!«, entfuhr es ihr prompt. Sie beugte sich ein Stückchen vor, um die spitz zulaufenden Sinnesorgane näher zu betrachten, aber der Fremde wich einen Schritt zurück.

In seiner Miene rangen Argwohn, Neugier und Missfallen miteinander. Schließlich verschränkte er erneut die Arme und straffte die Schultern.

»Hast du jetzt deine Stimme verloren?«, wagte sie sich mit einem kühnen Grinsen vor.

»Ich bin ein Dunkelelf, Mindere, und ich bin dir keinerlei Erklärung schuldig. Sobald der Tag anbricht, kommst du mit mir.«

»Aber … das geht nicht!«, widersprach sie ihm heftig. Der Kerl packte ihren Arm.

»Hör zu«, zischte er und neigte sich ihr zu. Mit schreckgeweiteten Augen sah sie zu ihm auf. »Ich weiß nicht, woher du kommst oder wer du glaubst zu sein. Ich weiß nur: Du bist ein Mensch. Du hast hier überhaupt nichts zu suchen. Also tust du, was ich dir befehle, verstanden?« Er schüttelte sie kurz und ließ ihr keine andere Wahl. Ariana nickte – und er ließ sie los.

Sie starrte ihn an. Die Art, wie er mit ihr sprach, verwirrte sie. Wie er das Wort Mensch aussprach, bereitete ihr Sorgen. Er hatte es ihr voller Verachtung entgegengeschleudert. Allerdings war da ein zusätzlicher Unterton verborgen gewesen. Ein Beiklang, der sie an seinen Worten zweifeln ließ. Gleichzeitig ängstigte es sie, dass der Unbekannte ihr nicht glaubte. Auf der anderen Seite gehörte sie ohnehin nicht in diese Welt. Die Welt, die Teil einer Erzählung sein musste, war ihr zu fremd. In ihrem Roman gab es keinen dahergelaufenen Kerl wie ihn.

In ihrem Buch existierte ein Held, jene Figur, die am Ende die Welt rettete. Eine Begegnung mit einem spitzohrigen Mann erwähnte die Geschichte kein bisschen.

Erneut sah sie zu ihm herüber.

Er entzündete ein Feuer, wodurch sie ihn besser erkannte. Seine Haut faszinierte sie. Daheim in Tarnàl waren alle blass, die Haut eines jeden war wie Perlmutt. Niemand war dort gebräunt. Außerdem hatte keiner braunes oder schwarzes Haar oder derartig gefärbte Augen. Dieser Unbekannte weckte ihr Interesse.

»Was starrst du mich so an? Noch nie einen Dunkelelf von Nahem gesehen?«, knurrte er. Sie hörte ihn verächtlich schnauben. »Woher kommst du, dass du die Unterschiede nicht kennst, Mensch?«

»Nenn mich nicht so«, forderte sie. »Ich heiße Ariana.«

»Wie auch immer.«

Er stocherte mit einem Stock im Feuer, sodass die Funken stoben und in die Nacht hinaufflogen, ehe sie verglühten.

»Und nein, ich kenne keine … Dunkelelfen.«

Sein Blick hatte etwas Glühendes, Brennendes. Vielleicht lag es an der Reflexion der Flammen. Dennoch unterdrückte Ariana einen Schauer.

Intensiv musterte er sie. »Und warum kennst du keine Dunkelelfen, Mensch?«

»Weil ich nicht von hier stamme.«

Einen Moment grübelte er über ihre Antwort nach. »Woher stammst du dann?«

Sie drängte ein Gähnen der Erschöpfung zurück. »Aus Tarnàl«, antwortete sie wahrheitsgemäß.

»Tarnàl.« Misstrauen legte sich in seine Züge, die daraufhin härter und kantiger aussahen. »Solch einen Ort gibt es nicht.«

»Hier vielleicht nicht. Da, wo ich herkomme, schon.«

Ariana sah deutlich den Zweifel. Er hielt sie entweder für verrückt oder für eine Lügnerin – vielleicht auch für beides, das war unübersehbar.

»Und was treibt dich hierher?«, forschte er weiter.

Sie senkte den Blick und sah in die Flammen. »Es war ein Unfall, schätze ich.« Wieder hüllte sein Schweigen sie ein, sodass sie sich gezwungen sah, mehr zu sagen. »Glaub ja nicht, ich wollte hierhin. Eigentlich wollte ich bloß lesen, um den Fragen meines Verlobten auszuweichen.«

»Lesen?« Seine Stimme troff vor Unglauben.

Ariana starrte ihn finster an. »Ja, lesen. Was ist so schlimm daran?«

»Nichts. Sprich weiter, wer ist dieser Verlobte?«

»Sein Name ist Fionn. Prinz Fionn von Farnàl. Wir sollen bald heiraten.« Sie hielt kurz inne bei der Erinnerung an den Kuss und ihr letztes Gespräch. »Jedenfalls setzte ich mich in meinen Lesesessel und mir wurde schwindelig. Ich fiel zu Boden und als ich zu mir kam, da fand ich mich … hier wieder.« Sie machte eine umfassende Geste mit ihrem Arm und bezeichnete damit den Wald, ihn und alles drum herum.

Er starrte sie an. »Hat man dich entführt?«, fragte er. Dabei musterte er schon wieder ihre Erscheinung.

»Ähm… nein?«

»Bist du eingeschlafen und schlafgewandelt?«

Ariana schnaubte. »Natürlich nicht.«

»Wie kann diese Geschichte dann wahr sein?«

»Woher soll ich das wissen?«, herrschte sie ihn an. Sie war müde und hatte keine Lust mehr auf seine Verhörmethoden. Sie wollte schlafen. Womöglich wachte sie ja in ihrem eigenen Bett auf. »Es ist einfach passiert. Mir war schwindelig, alles drehte sich, ich brach zusammen und kam hier wieder zu mir.«

Der Fremde schwieg. Er warf ein Stück Holz in die Flammen und stocherte erneut darin herum.

»Ich nehme dich mit. Du kannst bei mir arbeiten, bis ich weiß, zu wem du gehörst und was an deiner Geschichte dran ist.«

»Ich soll arbeiten?«

Er verzog keine Miene. »Du bist eine Mindere. Was glaubst du, was Mindere tun, hm?«

Pikiert löste sie ihre Haltung auf. »Ich bin eine Prinzessin, Prinzessin Ariana von Tarnàl. Ich arbeite bestimmt nicht für dich.«

Sie klopfte sich beim Aufstehen erneut den Schmutz von ihrem zerrissenen Kleid. Wenn dieser Kerl meinte, er könne mit ihr verfahren, wie es ihm passte, hatte er sich geirrt. Sie würde sicher nicht zu einer ordinären Putze, weil sie ihm zufällig in die Arme fiel.

Er stand ebenfalls auf. Den Stock, mit dem er das Feuer angefacht hatte, legte er in aller Seelenruhe neben sich auf die Erde. Dann musterte er sie abschätzig.

»Du bist ein Mensch, oder etwa nicht?«, verlangte er zu wissen. Langsam nickte sie. »Dann bist du eine Mindere. Irgendwem gehörst du. Ich vermute, dass du aus irgendwelchen Gründen davongelaufen bist. Also sagst du mir jetzt entweder die Wahrheit oder du kommst fürs Erste mit.«

»Das ist doch absurd! Ich arbeite nicht. Das machen die Hausmädchen.«

Er schritt langsam um das Feuer herum und kam auf sie zu. Was wollte er tun, sie fesseln und knebeln? Ariana erkannte, dass diese Welt absolut nichts mit der gemeinsam hatte, die sie zwischen den Zeilen kennengelernt hatte. Sie umkreiste ebenfalls die Flammen.

»Jede und jeder Mindere gehört jemanden, man erkennt es an dem Zeichen. Es gibt keine freien Menschen in diesem Land«, erklärte er sachlich. Ehe sie nach dem Merkmal fragen konnte, sprach er weiter. »Wer ist dieser Fionn? Ein Elf – oder ein Troll?« Er musterte sie mit gerunzelter Stirn. »Oder wurde dein Heim vielleicht von dem Nichts verschlungen?«

Sie warf ihm einen hastigen Blick zu. »Ich weiß nicht, wovon du redest, aber in meinem Land gibt es keinerlei Knechtschaft. Es gibt auch keine Elfen mit spitzen Ohren.« Sie sagte es in einem schnippischen Tonfall. Wenn er wollte, konnte der Kerl ihn durchaus als Beleidigung verstehen. Ariana wollte diesem Wesen sicher nicht zu nahe treten – immerhin hatte sie ja nicht die geringste Ahnung, wie sie zurück nach Tarnàl kommen sollte. Allerdings sah sie ein Problem darin, dass er meinte, sie gehörte jemandem und müsse arbeiten.

Jäh sprang der Fremde mit einem weiten Satz über das Feuer hinweg auf sie zu.

Ariana keuchte. Für einen Schrei blieb ihr keine Zeit. Sie stolperte von ihm weg, da packte er ihre Arme und hielt sie fest. Sie verzog das Gesicht vor Schmerz angesichts seines unerbittlichen Griffes.

»Ich warne dich einmal«, knurrte er dicht vor ihr. »Wage es nicht wieder, mein Volk zu beleidigen. Ein Mensch wie du«, hier glitt sein Blick über ihren Körper, »bedeutet hier nichts. Hörst du?! GAR NICHTS.«

Er stieß sie von sich, sodass Ariana zurücktaumelte. »Besser, du begreifst das schnell«, fügte er hinzu. Dann wandte er ihr den Rücken zu, um zu seinem ursprünglichen Platz zurückzukehren.

Wut über diese ungerechte Behandlung kroch ihr über die Haut. Sie presste die Lippen aufeinander und unterdrückte die Tirade, die ihr auf der Zunge lag. Schweigend trat sie zurück an das Feuer. Die Nacht war kühl.

Sie spürte seinen Blick im Rücken, als sie sich neben den wärmenden Flammen zusammenrollte, aber es war ihr egal. Was kümmerte es sie, wenn er sie anstarrte, getrieben von Neugier und einem Bewusstsein für das Fremde? Was konnte sie dafür, dass er ihr nicht glaubte? Dass er durchweg falsche Vorstellungen von Menschen hatte und nicht begriff, wer sie war oder wie ihr Leben bisher ausgesehen hatte? Ein Schluchzen verengte ihr die Kehle. Ariana biss sich auf die Unterlippe, um kein Geräusch von sich zu geben.

Hinter sich hörte sie ihn im Holz stochern. Ein Ast knackte. Die Hitze der Flammen wärmte ihr den Rücken wie eine schützende Decke. Wenn dieser Elf nicht auf der anderen Seite des Feuers wäre, hätte sie seelenruhig daliegen können. Stattdessen lag die Macht ihrer Gefühle, wie eine schwere Last, auf ihr. Es presste ihr die Luft ab und trieb ihr das Wasser in die Augen. Tränen rannen ihr über die Wangen und den schmalen Nasenrücken. Sogar das rotzige Schniefen gestand sie sich nicht zu. Sie wollte verdammt sein, wenn sie zuließ, dass er ein Geräusch der Schmach von ihr vernahm oder ihre Schwäche sah. Das Buch lag in der Tasche unverändert tröstlich an ihrem linken Oberschenkel. Die Trauer darüber, was sie verloren hatte, schwappte über ihre Seele hinweg. Ihr Gesicht verzog sich und ihre Schultern erzitterten. Wie sollte sie wieder nach Hause finden? Mutterseelenallein hatte sie keinerlei Chancen. Sie kannte das, was das Buch ihr bot – und das war dürftig. Diese Welt unterschied sich dermaßen von der Geschichte, dass Ariana nicht mehr sicher war, ob sie ernsthaft in dem Buch feststeckte.

Wenn sie bei dem merkwürdigen Kerl blieb, bestand zumindest eine geringe Chance, dass sie herausfand, wo sie war und wie sie wieder wegkam. Ungeachtet dessen hoffte sie, dass seine Ansichten über Menschen nicht die aller widerspiegelten.

Das Leuchten Deiner Seele

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