Читать книгу Das Leuchten Deiner Seele - Hazel McNellis - Страница 6
02 – Nichts
ОглавлениеKieran verließ sein Zimmer mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend. Er hatte es eilig, sie warteten auf ihn. Deshalb hastete er schneller als gewohnt durch die Flure. Das Geräusch seiner Stiefel hallte von den dürftig beleuchteten Wänden wider. Auf dem Weg zum Rat flocht er sich rasch das hüftlange, schwarze Haar und strich sich die übrigen Strähnen hinter die spitzen Ohren. Ein kühler Luftzug fuhr ihm über die unbedeckten Arme, doch es kümmerte ihn nicht. Sein Umhang blähte sich und wehte hinter ihm her wie ein düsterer Schatten. Das weiche Leder der pechschwarzen Kleidung umgab seinen Körper wie eine zweite Haut.
Kieran schritt um die Ecke. Er stieß die schweren, massiven Türen auf. Sofort breitete sich Stille im Herrschaftssaal aus. Sie war angefüllt mit Anspannung und Erwartungen. Er atmete die Atmosphäre ein, sog sie in sich auf, ignorierte dabei die Blicke der Fürsten. Stattdessen marschierte er auf den Thron zu. Er kam sich wie ein Heuchler vor.
Er sah zwei Mindere, die mit gesenkten Köpfen entlang der Mauer standen. Es waren schwächliche Menschensklaven, dünn und mit löchriger Kleidung ausgestattet. In ihren Händen hielten sie entweder ein Tablett mit Bechern oder nichts als die Last ihrer eigenen erbärmlichen Existenz. Kieran wandte den Blick von ihnen ab. Er wollte nicht auffallen, indem er sein Mitleid offen zur Schau stellte.
Sein Herrschaftssitz war schrecklich unbequem. Es war ein einziger, hölzerner Klotz aus massiver Eiche, der über all dem hier wachte. Uralt und unerbittlich. Kieran verlagerte sein Gewicht und verzog die Miene.
Nach einem Augenblick trat Bran vor, der oberste militärische Befehlshaber im Reich. Er war zugleich sein engster Vertrauter. Der Elfe beugte vor ihm das Knie. Ein breites Stirnband aus dunkelbraunem Leder hielt das schwarze Haar zurück, das typisch für ihre Rasse war. Die ebenso braunen Augen schauten besorgt. Kieran kannte den Blick.
»Herr«, sprach Bran. Seine Stimme klang tief und melodisch. »Das Land versumpft im Chaos.«
»Was soll das heißen?«, fragte Kieran. Seine Stimme hallte von den Wänden wider, füllte die Luft. Sie drang von Ohr zu Ohr. Bran räusperte sich.
»Das Nichts dehnt sich unvermindert aus. Es ist bereits an der Grenze zum Wald der Lichtgestalten. Mehrere Gebiete sind bereits verloren, sagen sie.«
Ein Raunen glitt über die Anwesenden. Kieran hob die Hand. Er beugte sich vor und Stille breitete sich aus. »Was meinst du mit verloren?«
»Sie sind weg. Dort findet sich nichts als tiefste Schwärze. Die Leute meinen, dort überlebt nichts. Nichts und niemand.«
Kieran lehnte sich zurück. Er ließ seinen Blick über die versammelte Menge gleiten. Sie alle kannten den Ernst der Lage. Schon vor dem Überschreiten der Grenze hatten sie ein wachsames Auge auf die heranrückende Finsternis gehabt. Seit sich das Nichts, jene finstere Schwärze, ungehindert über das Land ausbreitete, war jeder besorgt. Die Unruhe im Volk wuchs von Tag zu Tag.
Kieran war der Herrscher über die Dunkelelfen. Er war es, dem es oblag, eine Lösung zu finden, um sie vor dem drohenden Tod zu bewahren. Sie alle setzten auf die Urteilskraft ihres Oberhauptes, auf sein Wissen und seine Erfahrung. Dadurch war der Schuldige greifbar, sobald die Welt unterging.
»Stell einen Trupp zusammen«, erklärte er Bran, ehe er an alle gerichtet fortfuhr: »Ich will mit eigenen Augen sehen, wie schlimm es um die Länder steht und wie zerstörerisch das Nichts um sich greift. Alle anderen kümmern sich darum, unsere Leute aus den gefährdeten Gebieten herauszuholen.«
»Sehr wohl«, erwiderte Bran. Er verneigte sich ein letztes Mal, ehe er sich zurückzog, um den Befehl zu befolgen.
Ab da war Kieran unkonzentriert. Unruhe kroch ihm durch die Venen, pulsierte in seinem Inneren. Die Schwärze beunruhigte ihn ebenso wie alle anderen. Wie sollte er sie aufhalten?
Sie verließen das unterirdische Höhlensystem, das sie seit Jahrtausenden bewohnten, und ritten nach Norden. Das bedrohliche Reich, diese Düsternis, die mit den finsteren Seelen der Dunkelelfen konkurrierte, hing über dem Land wie eine pechschwarze Wolke. Wie dichter, giftiger Nebel bedeckte es Bäume, Seen und alles, was in seine Nähe geriet. Dabei verströmte es eiskalte, trockene Luft, die jegliches Leben aus seinem Dunstkreis vertrieb. Das Nichts verschluckte jedes Licht. Kieran fröstelte. Denn die Schwärze breitete sich aus wie eine Krankheit. Sie war eine Seuche, die sich Tag für Tag den Grenzen des Elfenlandes näherte und es bedrohte.
»Kieran«, hörte er Bran neben sich. Er wandte den Blick ihm zu; weg von der düsteren Bedrohung vor ihnen. »Was sollen wir unternehmen?«
»Wir brauchen Antworten. Wie tödlich ist die Schwärze wirklich? Es kursieren zu viele Gerüchte. Alle spekulieren und vermuten etwas, aber niemand weiß etwas Genaues. Das muss sich ändern.« Er zögerte. Der nachfolgende Befehl fiel ihm nicht leicht, aber er sah keinen anderen Weg. Sie brauchten die Information dringender denn je. »Entsende eine kleine Gruppe, nicht mehr als vier Männer. Sie sollen erforschen, wie gefährlich die Schwärze ist, wie nah wir ihr kommen dürfen, ohne einen Schaden davonzutragen.«
Bran nickte. Seine Schultern hingen herab. In den kastanienbraunen Augen spiegelte sich die Sorge, die alle umtrieb. Kieran wandte den Blick ab. Er war seit dem ersten Ausdehnen der Finsternis vor ein paar Wochen besorgt. Da bedurfte es nicht zusätzlich Brans Mienenspiel.
Nach einer Weile hörte er, wie sein Freund sich entfernte und die notwendigen Schritte einleitete. Der Trupp bestand aus drei hochgewachsenen Elfen und einer Menschensklavin mit rostroten Haaren, deren Hände mit einem Seil an ein Pferd gebunden waren. Es war klar, welche Aufgabe die Mindere zu erfüllen hätte. Kieran ignorierte die Kälte, die sein Rückgrat hinaufkroch. Stattdessen wendete er sein Tier und bellte Befehle. Er hatte etwas anderes zu erledigen.
Bran quittierte den Aufbruch des Königs mit einem spöttischen Blick. Er war der Einzige, der die Wahrheit kannte. Nur er wusste, wie unwohl sich der Herrscher im Umgang mit Minderen fühlte. Zugleich war ausschließlich ihm im Land bekannt, welche Art der Bindung sein Gebieter zur Elfe Fanrày hegte.
Sie gehörte wie Kieran zum Volk der Elfen. Dennoch gefährdete er seine und ihre Position im Reich, indem er sie aufsuchte. Der Kontakt zu ihr war riskant, obwohl sie einander seit Jahrhunderten kannten. Es grenzte an ein Wunder, dass ihre Verbindung im Verborgenen überhaupt Bestand und Bedeutung hatte. Weder Dunkelelfen noch Hochelfen hätten geduldet, dass sich die Rassen vermischten. Allein eine derartige Vermutung barg das Risiko, das Kieran mindestens den Thron und Fanrày das Leben verloren.
Er traf sie, sobald sich eine Möglichkeit bot. Keiner von ihnen brachte bei derlei Gelegenheit das Wort Liebe über die Lippen. Sie respektierten und achteten einander. Ein-, zweimal lag Kieran ein solches Geständnis trotzdem auf der Zunge. Dann aber lachte Fanrày und wandte sich ab. Sie verstanden sich, ohne diese lächerlichen Worte in den Mund zu nehmen.
Jetzt trieb ihn die Sorge um sie an. Sie lebte in einer Hütte tief im Wald verborgen. Die Entfernung hinderte ihn nicht, sie aufzusuchen. Da er der König der Dunkelelfen war, stellte kaum einer eine Frage. Die Gerüchte, die sich um seine Herrschaft rankten, eilten ihm voraus und ließen ihn die meiste Zeit unbehelligt davonkommen.
Er schob einen Ast beiseite und stieg vom Pferd. Das Tier kannte den Ablauf. Sie waren oft gemeinsam an dieser Stelle des Waldes gewesen, sodass es den Kopf bereitwillig senkte und an den zarten Gräsern zupfte. Kieran hastete weiter, sprang über den unförmigen Felsen, der zwischen den Bäumen aufragte, hüpfte leichtfüßig über einen schmalen Bach hinweg und erreichte die alte Hütte.
Sie war heruntergekommen, sah auf den ersten Blick gänzlich verlassen aus. Ein verlorener Platz inmitten des Waldes. Anfangs hatte sie ihn wie alle anderen mit der Illusion getäuscht. Das gelang ihr schon lange nicht mehr bei ihm.
Entschlossen stieß er die Tür auf.
»Na, sieh einer an, wer da hereinkommt«, spottete sie. Ihre moosgrünen Augen strahlten vor Freude, als sie nähertrat, um ihn zu begrüßen. Kierans Mundwinkel hoben sich zu einem breiten Grinsen.
»Gib es zu, Fan, diesmal hast du mich vermisst.«
»Einen Dunkelelfen wie dich? Pah!«, entgegnete sie und grinste ebenso.
Er umschloss ihre schlanke Taille und zog sie dicht zu sich heran.
Fanrày gehörte keiner Rasse der Elfen eindeutig an. Da sie seit jeher eine Waise war, die zur Hälfte das Blut von Hochelfen und Dunkelelfen in sich vereinte, war ihr Aussehen eine wilde Mischung aus dunkler Haut, grünen Augen und schwarzen Haaren. Sie war von hoher Statur und überragte Kieran und viele andere des Volkes. Da, wo Dunkelelfen bloß Hohn, Boshaftigkeit und mutwillige Zerstörung kannten, schätzte Fanrày den Frieden des Waldes. Ihrem Spott fehlte manche Spitze und ihr Humor wirkte oft unangemessen. Ihre Abstammung sorgte für Reibereien zwischen den beiden Stämmen: Niemand vertraute ihr. Das war der Grund, warum sie derart zurückgezogen tief im Wald lebte.
Die Hochelfen hielten sie für verlogen und hinterhältig, ein falsches Wesen unter ihnen. Die Dunkelelfen verhöhnten ihre Sanftmütigkeit. Denn als eine Tochter des Waldes lag ihr das Lügen nicht. Die Wahrheit stand in ihrem Gesicht geschrieben, ob sie es beabsichtigte oder nicht.
Jetzt lächelte sie. Sie hob eine schwarze Augenbraue. »Was ist, mein kleiner Elfenkönig, willst du mich nur ansehen oder bekomme ich auch einen K—«
Kieran ließ sich nicht zweimal bitten. Er umfasste kurzerhand ihren Nacken, zog sie zu sich heran und küsste sie. Gefühle schwappten über sein finsteres Herz. Ihre Küsse waren zart wie Schmetterlinge, ein Hauch des Windes, der durch den Wald strich, warm und weich. Sie passten nicht so recht zu ihrem übrigen Erscheinungsbild. Die Hochelfe in ihr streckte ihre Magie nach ihm aus. Zarte Blumenknospen wuchsen auf seinem Hemd und eine Ranke breitete sich auf dem Arm aus. Er störte sich nicht daran. Ihm gefiel es, wenn Fanràys Gefühle offen zur Schau standen. Er fragte sich flüchtig, was ihn an Fanrày anzog, als ihm etwas auffiel. Er grinste an ihren Lippen und löste den Kontakt. Sie sah ihn mit geröteten Wangen an.
»Was ist?«, erkundigte sie sich. Kieran registrierte mit einer ordentlichen Portion Selbstgefälligkeit den heiseren Unterton in ihrer Stimme.
»Willst du mich gleich hierbehalten, Fan?«, entgegnete er trocken und hob eine Augenbraue. Als Fanrày seinem Blick zu ihren Füßen folgte, stolperte sie erschrocken ein paar Schritte zurück. Sie schlug sich die Hand vor den Mund.
»Oje …«, rief sie aus.
Kieran prustete los. Seine Füße steckten in einem dicken Wurzelgeflecht. Erde hüllte ihn bis zu den Knöcheln ein. Er lachte herzhaft, wodurch er kurz wankte, ehe er das Gleichgewicht verlor und rückwärts zu Boden fiel. Dort hielt er sich den Bauch. Ihm rannen Tränen über die Wangen. Tief im Inneren war es ihm bewusst, dass sich ein Dunkelelf niemals derart gehen ließ. Das heitere Gelächter war für ihn ungewohnt. Fanrày war die einzige Person, bei der es ihm gelang, die harte Schale seiner Herkunft mühelos abzustreifen. Das, was darunter für alle anderen verborgen lag, erstaunte ihn oft genug selbst.
Dunkelelfen lachten auf eine unschöne, eher groteske Art, die ihre Gesichter verzerrte und ihre Art des Humors wie spitze Giftpfeile verseuchte. Es ängstigte die menschlichen Sklaven, ließ sie jammern und zittern. Das Lachen, das Kieran in diesem Augenblick über die Lippen kam, glich mehr dem leichtherzigen Klang einer Hochelfe. Gegenüber jeden anderen hätte er sich beschämt abgewandt – bei Fanrày nicht.
»Das ist nicht lustig! Wie konnte mir das passieren?!«, jammerte sie aufgebracht. Zugleich bewegte sie ihre Hände in einer fließenden Bewegung über die Erde und Wurzeln, woraufhin sie sich langsam ins Erdreich zurückzogen.
Er sah zu ihr hinauf, die Arme locker auf den Knien liegend. Sie stand mit in den Hüften gestemmten Händen vor ihm und starrte ihn verwirrt an.
»Das war das erste Mal, dass die Magie mit mir durchgegangen ist«, meinte sie. Kieran erhob sich.
»Du weißt ja, es gibt für alles ein erstes Mal, Fan.«
»Aber doch nicht so!«, brummte sie.
Grinsend zog er sie zurück in seine Arme. »Meine liebe Fan, offenbar kennst du die Macht deiner Magie nach all den Jahrhunderten immer noch nicht.«
»Hmpf«, schnaubte sie und verschränkte die Arme vor der Brust. Einen Augenblick schwiegen sie beide. Dann sah sie ihn an. »Warum bist du wirklich hier, Kieran?«, fragte sie.
»Ich wollte sehen, wie es dir geht.«
»Ist es wegen dem, was im Norden vor sich geht?«
Er nickte.
»Ich habe gesehen, wie es sich ausbreitet«, erklärte sie. »Nachts, zur dunkelsten Stunde, bevor die Sonne aufgeht, breiten sich die Schatten aus und bis zum nächsten Tag hat es mehr verschlungen.«
Kieran stellten sich die Härchen in seinem Nacken auf. Es wuchs wie eine lebende Pflanze, ein Unkraut. Eine abnorme Monstrosität.
»Fan«, sagte er.
»Vergiss es!« Erstaunt über ihren aufgebrachten Tonfall, sah er sie an. »Ich werde nicht mit dir kommen.« Er fragte nicht, woher sie wusste, worauf er hinauswollte. Zu oft verfügte sie über Wissen, dessen Herkunft ein Rätsel für ihn war.
»Aber hier bist du in Gefahr«, sagte er stattdessen.
Sie schüttelte den Kopf und löste sich von ihm. »Du täuschst dich«, meinte sie.
»Willst du etwa im Nichts verschwinden – so wie unzählige vor dir?«, stieß er hervor. Die Wut kochte plötzlich in seinen Adern. »Das ist Irrsinn, Fanrày.«
Wieder widersprach sie. »Der Wald beschützt mich. Du scheinst zu vergessen, wer ich bin.« Ihr Mundwinkel hob sich. In ihren Augen las Kieran von verletzten Gefühlen. Sie kannten einander dermaßen, dass er fast vergaß, dass sie zum Teil eine naturverbundene Hochelfe war.
»Was ist, wenn der Wald ebenso im Nichts verschwindet? Wenn er sich einfach auflöst und nicht länger existiert? Wenn er und alles Leben darin stirbt? Was ist dann, Fan?«
Sie zögerte kurz, schaute zum Fenster hinaus auf das friedliche Grünbraun der Natur. »Dann gehöre ich umso mehr hierher«, entgegnete sie stur.
Kieran war ebenfalls ein Starrkopf. Er würde sicher nicht dabei zusehen, wie Fanrày ausgelöscht wurde.
»Komm mit zu den Höhlen«, forderte er. »Dort überlegen wir uns eine Lösung, wie sich der Wald retten lässt.«
Wieder schüttelte sie den Kopf. Langsam reizte ihn diese Bewegung.
»Das ist unmöglich«, erklärte sie.
»Warum? Das Nichts ist weit entfernt. Es breitet sich vielleicht aus, aber so schnell bestimmt nicht.«
»Ich habe es gesehen. Je größer es wird, umso rasanter verschlingt es das Land. Wir haben keine Zeit zum Streiten, Kieran.«
Er straffte die Schultern.
»Was schlägst du vor?«, fragte er hart. »Soll ich dich einfach hier zurücklassen?«
»Einen anderen Weg gibt es nicht. Die anderen Elfen würden mich niemals akzeptieren, das weißt du ebenso gut wie ich. Du bist der König, Kieran Maktùr. Du weißt, was hier auf dem Spiel steht.«
Kieran starrte sie an. Sie hatte recht: Er durfte sie unmöglich mitnehmen zu den unterirdischen Höhlen der Dunkelelfen. Das wäre ihr beider Untergang. Da konnte er sie gleichfalls hier zurücklassen und darauf warten, dass die Schwärze sie überkam. Er hatte die Möglichkeit, ihr weiter zuzureden, ihr anzubieten mit ihr durchzubrennen und sich in den Wäldern zu verstecken. Aber was nützte es? Wenn er, der König, sich mit ihr vor den anderen Elfen verbarg, riskierte er, dass sie alle den Tod im Nichts fanden. Niemandem wäre damit geholfen.
Mit einem Fluch auf den Lippen starrte er die verrauchten Deckenbalken an, als wüssten sie die Lösung seiner Probleme. Wenn er fortging, stand das Risiko hoch, dass er sie für alle Zeiten verlor. Die Vorstellung ängstigte ihn. Sie machte ihn schier wahnsinnig vor Furcht und Wut. Es zerriss ihm das Herz in der Brust.
»Bleibt noch Zeit für ein Lebewohl?«, fragte er sie rau.
Fanrày sah ihn über die Schulter hinweg an, Trauer im Blick. »Es ist besser, du gehst jetzt … mein kleiner König.«
Ihre Worte verletzten ihn, verstärkten seinen Zorn. Er verstand sie nicht. Es war irrsinnig, dass sie freiwillig in dieser baufälligen Hütte ausharrte. Es war absurd, dass sie den Wald einer Zukunft mit ihm vorzog.
Abrupt wandte er sich der Tür zu. Ehe er hinaustrat in das nachlassende Licht des Tages, drehte er sich abschließend zu ihr um. »Ob du es willst oder nicht, Fan: Ich finde einen Weg, die Finsternis am Horizont zu stoppen – und wenn es das letzte ist, was ich für dich tue.«
Er wartete nicht auf ihre Reaktion, sondern schlug die Tür hinter sich zu. Das Gras und die Blätter raschelten im Luftzug. Alles war unverändert: Die Sonnenstrahlen wärmten seine Arme, der Wind strich sanft über die Haut. Dennoch war es anders.
Er stieg auf sein Pferd. Bevor er ihm die Fersen in die Flanken stieß, sah er zurück zur Hütte. Nichts rührte sich. Das Häuschen erschien weiterhin verlassen. Kopfschüttelnd trieb Kieran das Tier an.
Obwohl die Nacht heraufzog, hatte er es nicht mehr eilig. Sein Herz verharrte im Wald und bei Fanrày. Wenngleich die Vernunft ihn nach Hause drängte, hing er den Gedanken nach. Ihm stockte der Atem, so scharf traf ihn der Schmerz ihrer Logik. Seine Verbindung zu ihr war von vornherein zum Scheitern verurteilt. Niemand billigte eine derartig unreine Beziehung. Er riskierte seine Stellung als König. Sie gefährdete ihr Leben. Das war ihnen beiden von Anfang an klar gewesen. Trotzdem bereitete ihm die Trennung körperlichen Kummer. Dessen ungeachtet zwang er sich zum Abschied, denn es war ihre Entscheidung. Er hatte nicht die Befugnis, ihr das Recht abzusprechen, über ihre eigene Zukunft zu bestimmen.
Ein Geräusch drang an sein Ohr.
Er wandte den Kopf in die Richtung. Hoffnung flammte für einen Moment in seinem Inneren auf, ehe er sich einen gefühlsduseligen Narren schimpfte. Er zügelte das Pferd und drehte sich im Sattel, um zurückzublicken.
Im Geäst raschelte es.
Nach einem Augenblick setzte er den Weg fort. Vor Einbruch der Nacht würde er es nicht zu den Höhlen schaffen. Derartige Verhältnisse waren ihm nicht unbekannt. Er kannte den See der Träume. Dorthin ging er stets, um ein Lager zu errichten. Das war in der Vergangenheit mehr als ein Mal erforderlich gewesen.
Am See angekommen saß er ab. Er sah kurz auf die zackigen Umrisse des Gebirgszuges in der Ferne und die schwarzschimmernde Oberfläche, die wie ein Spiegelbild der bedrohlichen Schwärze aussah. Wieder vernahm er ein Geräusch. Die Stirn runzelnd drehte er sich um. Nahezu undurchdringliche Schatten lauerten zwischen den Bäumen. Vorsichtig tastete Kieran nach dem Dolch an seinem Gürtel. Erneut senkte sich Stille über den Wald.
Er hörte ein leises Seufzen, das eher einem qualvollen Ausatmen glich. Ihm fielen herabfallende Blätter von einem Baum auf. Langsam schlich er mit erhobener Waffe näher heran. Über ihm wimmerte jemand oder etwas. Dünne Zweige knackten. Weiteres Laub segelte herab. In dem Moment krachte es. Unter Getöse rasselte das Wesen durch die nachgebenden Äste. Kieran wich zwei Schritte zurück. Er zuckte zusammen, als ein spitzer Schrei der Überraschung durch den Wald hallte.
Die ausladende Bekleidung milderte den Aufprall des Geschöpfes, das vor Schmerz stöhnte. Es war offenkundig keine Elfe, die er vor sich hatte. Eine Elfe hätte niemals ein derartiges Theater veranstaltet. Elfen zeichneten sich durch ihr körperliches Geschick aus. Sie wären weitaus unauffälliger. Ein Troll schien es ebenso wenig zu sein. Solche nächtigten in feuchten Höhlen und an unwirtlichen Orten. Außerdem waren sie nicht so zierlich, geschweige denn in Kleider gehüllt. Zwangsläufig glitt sein Blick über die unverkennbar weiblichen Kurven, die sich unter den zahlreichen Lagen Stoff abzeichneten.
Gelassen steckte er den Dolch zurück in die Hülle an seinem Gürtel, verschränkte die Arme und lehnte sich an einen Baum. »Wer bist du?«, fragte er.
Die Frau fuhr zu ihm herum. Ihr Gesicht leuchtete fast silbern im diffusen Licht des Mondes. Ihre Augen schimmerten, der Mund stand ihr offen und ihr Kleid war rissig.
»Hast du deine Stimme verloren?«, fragte er sie schroff.
Sie schlug die Lider nieder, ehe sie sich erhob und die Kleidung abklopfte. Sie verzog das Gesicht vor Schmerz. Der Sturz hatte vermutlich wehgetan. Kieran half ihr nicht. Er umklammerte seine Arme und zwang sich zur Ruhe. Sie war eine Mindere. Ihr Kleid deutete darauf hin, dass sie entweder ausgestoßen oder weggelaufen war. Er tippte auf Letzteres.