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05 – Schwach

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Sie erwachte vom raschelnden Laub dicht neben ihrem Gesicht. Sie öffnete ihre Augen und fuhr mit einem schrillen Schrei zurück. Das Tier erschreckte sich ebenso und verschwand flink zwischen den Bäumen.

Kieran tauchte an ihrer Seite auf. Seine Stiefelspitze berührte ihre Wade. In der Hand hielt er ein Messer.

»Was ist los, Mensch?«, fuhr er sie an.

Sie starrte zu ihm hinauf.

»Da war ein Tier«, erklärte sie. Er entspannte sich und steckte die Klinge weg. »Willst du es nicht erlegen?«

»Sicher nicht.«

»Aber es hat mich erschreckt. Vielleicht wollte es mich beißen.«

Seine Mundwinkel zuckten, ehe er in leises Gelächter ausbrach. Ariana wandte den Blick ab. »Mensch«, sagte Kieran. »Du glaubst doch nicht wirklich, dass diese Beutelratte Geschmack an einer Minderen wie dir fände?«

Die Art, wie er sie kategorisierte, brachte etwas in ihr zum Klingen. Sie stand auf und streckte ihren Rücken durch. Finster sah sie ihm in die Augen. »Hör auf, mich so zu nennen«, forderte sie mit all der herrschaftlichen Würde, die ihr Prinzessinnendasein sie gelehrt hatte. Der Dunkelelf erwiderte gelassen ihren Blick.

»Warum sollte ich? Du bist eine! Also nenne ich dich auch so.«

»Ich bin keine!«, fuhr sie ihn an. »Ich bin eine Prinzessin. Mein Blut ist so adelig und hochgeboren, dass es über fünf Generationen nachweisbar ist. Mein Ur-Ur-Ur-Urgroßvater war bereits der König von Tarnàl. Wie kannst du es wagen, mich als minderwertig anzusehen?«

Der Dunkelelf wandte sich ab. Er zerstörte die Spuren des Feuers und ignorierte sie. Ariana starrte ihn an. Dann stapfte sie auf ihn zu und packte ihn am Arm. »Wende dich nicht von mir ab!«

Mit einer schnellen Bewegung schüttelte er ihren Arm ab und verdrehte ihr das Handgelenk. Keuchend verzog sie das Gesicht. Seine Augen blitzten auf, als er sich zu ihr beugte.

»Ich habe jedes Recht, mich von dir abzuwenden, Mensch. Du kannst keine Prinzessin sein, begreif das endlich. Und jetzt hör auf, meine Nerven zu reizen.«

Ariana blinzelte. Der Mund stand ihr undamenhaft offen. Sie war fassungslos und nachhaltig irritiert. Dazu gesellte sich der Frust, in dieser eigentümlichen Welt festzusitzen. Ihn kümmerte das alles offenbar überhaupt nicht.

»Fürchtest du denn keine Strafe, wenn ich dich anklage? Das Gesetz zum Wohl des Königs und der Familie?«, fragte sie ihn.

Er beugte sich näher zu ihr, sodass sein Anblick ihr gesamtes Blickfeld ausfüllte. Sein Atem streifte heiß ihre Lippen; etwas in seinem Blick hielt sie gefangen. Ihr Herz schlug rascher.

»Ich bin das Gesetz, Prinzessin«, raunte er.

Ein träges, selbstbewusstes Grinsen zog über sein Gesicht. Einen Moment lang betrachtete er ihre Miene und erfasste ihre Reaktion auf die Worte. Genoss er es etwa? Es fiel ihr mit jeder Sekunde, die verstrich, schwerer, den Augenkontakt aufrechtzuerhalten. Atemlos senkte sie die Lider, ihr Blick fiel auf seinen Mund herab. Sie bemerkte, dass die Unterlippe voller als die Oberlippe war und dass die Mundwinkel leicht abwärts wiesen. Das Grinsen geriet ins Schwanken, erzitterte kurz. Er fuhr sich mit der Zungenspitze über die üppige untere Lippe und stieß langsam den Atem aus.

Sie wurde weich und nachgiebig im Angesicht des Ausdrucks in seinen Zügen. Ihr Atem beschleunigte sich, der Schweiß brach ihr aus. Sie schluckte angestrengt. Unerwartet intensiv fühlte sie sich von dem Mund des Unbekannten und der Ausdruckskraft seiner Augen angezogen.

Abrupt ließ er ihr Handgelenk los. Während sie ihre Irritation hinter einem heftigen Blinzeln vertuschte, kehrte er ihr den Rücken zu und stieß einen Pfiff aus. Zwischen den Bäumen raschelte es. Ein Pferd trat schnaubend hervor. Sie beobachtete, wie er Zügel und Sattel zurechtrückte und dem Warmblut über die Kruppe strich. Sein Mienenspiel blieb ihr dabei verborgen.

»Komm jetzt«, sagte er zu ihr und Ariana trat neben ihn. Sie war eine fähige Reiterin dank der jahrelangen Unterrichtsstunden. Aber das würde sie ihm gewiss nicht auf die Nase binden. Er schwang sich in den Sitz. Dann half er ihr auf das Tier, ehe er seinen Arm um ihre Mitte schlang und das Pferd antrieb.

»Was hat das zu bedeuten: Du bist das Gesetz?«, fragte sie, sobald sie sich sicher war, dass ihre Stimme nicht länger bebte.

Er seufzte. »Ich bin Kieran Maktùr. Dunkelelf und Herrscher über diese Lande.«

Ariana schwieg. Ein Oberhaupt. Das änderte viel. Wie bewies sie ihm unter den Umständen, dass sie nicht aus seiner Welt stammte? Wie überzeugte sie ihn, ihr zu helfen?

Sie ritten eine lange, zähe Weile durch den Wald, ehe sich eine weite, grasbewachsene Ebene vor ihnen auftat.

Im Norden schien der Himmel schwarz wie die Nacht. Eine pechschwarze Wolke hing über dem Horizont. Sie verschluckte alles, was darunter lag. Im Süden dagegen wanderte eine Sonne unbeeindruckt über das Firmament.

Kieran zügelte das Pferd.

»Warum halten wir?«, fragte sie ihn.

»Siehst du das Nichts am Horizont?«, entgegnete er. Sie nickte. »Aus dem Grund kannst du keine Prinzessin sein, Mensch. Die Schwärze hat längst alle Lande jenseits des Horizonts verschluckt. Selbst wenn du eine Prinzessin wärst, dein Land wäre längst verloren.« Er zuckte mit der Schulter und sah aus, als wäre er sich der Logik seiner Argumente sehr sicher.

Ariana sah erneut zu der nachtschwarzen Wolke.

»Wer sagt, dass mein Land dort liegt?«, riskierte sie zu fragen. Ihr Tonfall war provozierend, das hörte sie selbst deutlich heraus.

»Andere Länder sind mir nicht bekannt. Alles in Richtung des Südens zählt zu meinem Herrschaftsgebiet. Ich wüsste, wenn dort eine Prinzessin – insbesondere eine menschliche Prinzessin – leben würde.«

»Aber auch ein König kann nicht alles wissen.«

»Das ist deine Ansicht, Mensch, nicht meine.«

Darauf antwortete Ariana nichts. Er kaufte ihr die Aussagen nicht ab, gleichgültig, was sie erwiderte.

»Was geschieht mit mir, wenn wir das Ziel erreicht haben?«, fragte sie ihn nach einer weiteren, langen und zermürbenden Weile.

»Du wirst eine Arbeitskraft wie die anderen Minderen.« Sie schnaubte. »Du wirst in meinen Dienst gestellt, bis ich weiß, wer du bist, zu wem du gehörst und woher du stammst. Wenn ich das weiß, kann dich jemand holen oder zurückbringen.«

»Und wenn du nicht erfährst, wohin ich gehöre?«

»Dann bleibst du bei mir. Eine zusätzliche Arbeitskraft schadet nie.«

»Was ist, wenn ich nicht bleiben will?«, fragte sie. Sie argwöhnte, dass es nicht leicht werden würde, von diesem Dunkelelfen wieder wegzukommen. Sie hätte vor ihm flüchten sollen, als sie Gelegenheit dazu hatte.

»Du könntest es schlechter treffen als bei mir«, lockte er und sie bemerkte einen milden Ton aus seiner sonst eher barschen Stimme heraus.

»Aber was ist, wenn ich nach Hause zurückkehren will? Wenn ich bei niemandem hierbleiben will?«

»Das kann ich nicht zulassen.«

»Und wieso nicht?«

»Weil du ein Mensch bist.«

»Erklär mir das«, forderte sie.

Er seufzte. »Du fragst ganz schön viel für eine Mindere«, hielt er ihr vor. »Ein Mensch«, erklärte er, »hat keinen Wert in meinem Land. Menschen sind schwach, emotional und ein kaum kalkulierbares Risiko. Aus dem Grund dienen sie uns anderen als Arbeitskräfte. Bisher funktionierte dieses Miteinander ganz gut.«

»Das ist wohl kaum ein Miteinander«, sagte sie.

Er zuckte gleichgültig mit der Schulter. »Sie geben, wir nehmen. Für ihre Arbeit bekommen sie ein Dach über den Kopf und etwas zu essen. Mehr braucht es nicht.«

»Haben die Menschen in deinem Land keine Rechte?«

»Oh doch«, sagte er. »Sie haben das Recht auf angemessene Nahrung, das Recht auf einen Schlafplatz und kein Mensch darf länger als zwanzig Stunden täglich arbeiten.«

»Ihr benutzt sie als Sklaven und beutet sie aus«, hielt sie ihm vor.

»Wenn du es so nennen willst.«

»Es ist die Wahrheit – und ihr seid Barbaren, wenn ihr das zulasst.«

Keiner von ihnen sagte ein weiteres Wort. Sie betraten erneut ein Gebiet reich an Bäumen. Wie sein Zuhause wohl aussah? Mit ziemlicher Sicherheit war es dort nicht sonderlich gemütlich. Er war ein finsterer Kerl, der sie ständig verhöhnte und voller Verachtung gegenüber dem zu sein schien, was sie war.

»Wie alt bist du?«, fragte sie ihn.

»Zu alt für eine Mindere wie dich.«

»Kannst du auch nur eine Frage ernsthaft und ohne Spott beantworten?«

Wenn er ein Herrscher war, sollte sie nicht derart mit ihm sprechen. Könige verlangten Respekt, Anerkennung und Distanz zum Volk. Sie waren höhergestellt. Oberhäupter erforderten eine gewisse Etikette, die eingehalten wurde. Sie kannte das von ihrem Vater. Ihr eigenes Leben bestand aus Konvention, Gehorsam und Ehrerbietung. Dennoch schien es ihr bei Kieran unmöglich, ihn als Machthaber hinzunehmen oder gar zu akzeptieren. Dafür war er zu anders, fremd und ungehobelt. Ihm fehlten jegliche Manieren, um von ihr auch nur ansatzweise in seiner Rolle respektiert zu werden.

»Ich beantworte Fragen, wie es mir passt, Mindere. Glaube mir, wenn ich sage, dass ich bereits mehr als ein Dutzend Menschenleben hinter mir habe.«

Staunend wandte sie den Kopf zu ihm um. Danach sah er nicht aus. Sein Gesicht war bar jeglicher Falten. Keine Runzel verunzierte die glatte Haut und zeugte von seinem Alter.

»Du lügst.«

Er grinste schief. »Ich bin ein Dunkelelf, Mensch. Hast du das vergessen?«

Ihr Blick fiel auf die spitzen Ohren. Erst jetzt fiel ihr der Schmuck auf, der an dem rechten Ohrläppchen hing. Es war eine Silberkette. Sie stand in direktem Kontrast zu der schwarzen Kleidung, den langen kohlrabenschwarzen Haaren, dunklen Augen und seiner gebräunten Haut. Fasziniert starrte Ariana die Kette an. In ihrer Heimat gab es derartigen Flitterkram nicht. Die Metalle dienten einzig dem Zweck, Werkzeuge, Waffen und Haushaltsgegenstände zu fertigen. Es war ihr neu, dass solche Sachen am Körper tragbar waren – vor allem an dem eines Elfen.

»Was starrst du so an?«, fragte er sie und unterbrach ihre Gedanken. Sie blinzelte und sah wieder nach vorn, bevor er die heiße Röte bemerkte, die ihre Wangen zum Glühen brachte.

»Warum trägst du Metall am Ohr?«

»Das geht dich nichts an.«

»Ich dachte, Elfen reagieren allergisch auf Metall.«

Er schwieg, unwillig mehr zu erzählen. Eine Bö zog zwischen den Büschen und Bäumen entlang, sodass sie fröstelte. Sofort bewegte Kieran sich hinter ihr. Ehe sie sich versah, hatte er seinen langen Umhang um sie gelegt. Verblüfft warf sie ihm einen Blick zu.

»Spar dir deinen Dank«, erklärte er. »Ihr Mindere seid anfällig. Da du arbeiten sollst, wenn wir ankommen, nützt es mir nichts, wenn du frierst, dich unterkühlst und krank wirst.«

»Natürlich.«

Sie verließen die Baumgruppe des Waldes und standen unmittelbar vor einem Tor. Kieran stieß erneut einen Pfiff aus. Hinter dem Tor kamen zwei Männer hervor, um es für sie zu öffnen. Sie senkten die Köpfe beim Anblick ihres Oberhauptes und sprachen ihn mit »Herr« an. Ariana bedachten sie dagegen kaum. Einen kurzen Blick schenkten sie ihr, Fragen stellten sie jedoch keine.

Ihr war das recht. Sie hatte keinerlei Lust, diesen fremden Dunkelelfen Erklärungen zu liefern, die sie nicht hatte. Kieran führte das Pferd in eine Höhle hinein. Merkwürdig. Wer hauste gerne in einer Grotte?

Er stieg ab und drehte sich ihr zu, um ihr helfen. Sie ignorierte seine dargebotene Hand. Stattdessen schwang sie sich routiniert vom Sattel herunter. Er sah sie daraufhin nachdenklich an, sagte aber kein Wort, sondern griff nach ihrem Arm, oberhalb des Ellenbogens und zog sie mit sich.

Sie gingen tiefer in die Höhle hinein, deren Gestein tiefschwarz schimmerte. Ariana fröstelte erneut an diesem Tag. Wenn Kieran ihr kurzes Beben bemerkte, ließ er es sich nicht anmerken. Er zog sie mit zügigen Schritten weiter, einen langen, düsteren Tunnel entlang, um eine Ecke und ließ ihren Arm los.

Vor sich sah sie eine imposante, nahezu leere Kammer. Am anderen Ende befand sich ein Thron auf einem felsigen Podest, ähnlich dem ihres Vaters. Das Holz des Thrones wies Schatten auf, die einem Muster folgten. Offenbar zierten Schnitzereien den Herrschaftssitz. Daneben standen zwei Wachen an den Wänden entlanggereiht. Mehrere Tunnel führten aus dem Raum heraus.

Zügig schritt Kieran auf den Herrschersitz zu. Er setzte sich und schlug die langen Beine übereinander. Sein Gesichtsausdruck erweckte einen Augenblick lang den Eindruck von Gedankenverlorenheit.

Ein anderer Kerl löste sich aus den Schatten und trat vor.

Er war ebenfalls von hoher Statur. Die Haare schimmerten genauso nachtschwarz wie bei Kieran, schienen aber kürzer zu sein.

Er trug keinen Schmuck im Ohr.

»Bran«, sprach Kieran ihn an, eine Spur von Freundlichkeit lag in seiner Stimme. Sein Mundwinkel hob sich; es sah beinahe nach Freude aus, diesen Mann zu sehen. »Was hast du zu berichten?«

Der Angesprochene beugte das Knie und senkte sein Haupt ehrerbietig. »Wir schickten sie in die Schwärze wie du es befohlen hast. Heraus kam niemand. Ich fürchte, deine Befürchtung bewahrheitet sich: Wer hineingerät, kommt niemals wieder heraus.«

»Gibt es Hinweise, woher das Nichts stammt? Wo liegen seine Wurzeln?«

Bran schaute auf den Boden. »Darauf weiß ich keine Antwort.«

Seufzend winkte Kieran ab. »Wir finden eine Antwort. Vorher musst du etwas für mich erledigen.«

»Natürlich.«

Bei seinen Worten straffte Ariana die Schultern und hob das Kinn. Sie bemühte sich um Würde und Gelassenheit, was ihr nicht leichtfiel. Sein Blick ruhte auf ihr. Der andere sah sie ebenfalls an.

»Wer ist sie?«, fragte er.

»Sie soll hier arbeiten. Ich weiß noch nicht, zu wem sie gehört. Ihre Worte sind merkwürdig.«

»Hat sie kein Mal?«

Ariana runzelte die Stirn. Ihr blieb keine Gelegenheit, diese Frage weiterzuverfolgen. Schon schüttelte Kieran den Kopf.

»Ich weiß es nicht, das werde ich später herausfinden. Es gibt noch eine Sache, die seltsam an ihr ist.« Das Braun in seinen Augen schimmerte wie Karamell.

Sie erwiderte den Blick, doch in ihrem Geist wüteten die Emotionen. »Die Mindere glaubt, sie sei eine Prinzessin«, sagte er.

Bran lachte. »Prinzessin? Eine Menschenfrau? Wie kommt sie darauf?«

Kieran verzog keine Miene. Sie starrten sich an, fixierten einander und versuchten, den jeweils anderen abzuschätzen. Was ging in diesem Dunkelelfen vor? Was fühlte er? Was dachte er?

»Das werde ich herausfinden«, fuhr er mit beherrschter Stimme fort. »Sie soll sich in der Zwischenzeit in der Küche nützlich machen. Thómràs soll sie beschäftigen.«

»Sehr wohl, Herr.«

Bran kam auf sie zu. Sie beobachtete den fremden Elfen aufmerksam und mit milder Neugier im Blick.

Er streckte eine Hand nach ihr aus und packte ihren Arm. Sie widersetzte sich, woraufhin er seinen Griff verstärkte. Auf ihren Weg zur Küche wandte sie sich zu Kieran um. Doch der König starrte grübelnd zu Boden und beachtete sie nicht länger.

Das Leuchten Deiner Seele

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