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Kapitel 2

Serena McCormack war mittlerweile daran gewöhnt, dass in der Filmwelt die merkwürdigsten Dinge passierten. In dieser Branche arbeiteten schließlich ausnahmslos Exzentriker, Individualisten und Verrückte. Doch an diesem Morgen war etwas Grauenvolles geschehen. Die gesamte Crew von Valentine Valley war völlig schockiert und vor Entsetzen wie gelähmt. Ein Mitlied ihres Teams war bei einem tragischen Unfall ums Leben gekommen.

Serena hatte alles mit angesehen. Wie erstarrt hatte sie beobachtet, dass ein zentnerschwerer Scheinwerfer auf Jane niedergesaust war. So wie einige andere war sie augenblicklich auf ihre Kollegin zugestürzt, um sie von dem Koloss zu befreien, aber das hatte Jane nicht retten können. Innerhalb kürzester Zeit war der Notarzt eingetroffen und hatte die Schwerverletzte mit Blaulicht ins Krankenhaus gebracht, doch noch auf der Fahrt dorthin war sie gestorben.

Inzwischen war die Polizei auf dem Set angekommen. Ein paar Uniformierte bemühten sich eilends darum, die Unfallstelle zu sichern, die bereits von zahllosen Mitgliedern der Filmcrew bei dem Versuch, Jane zu helfen, verändert worden war. Ein Polizist in Zivil namens George Olsen hatte die Leitung der Ermittlungen übernommen. Im Schlepptau hatte er einige Fotografen und ein Forensikteam, das jedes Teil der Restaurantszenerie mit Aufklebern versah und bezifferte.

Mit ernstem Gesichtsausdruck lauschte George Olsen den Erklärungen der Lichttechniker, die beteuerten, ihre Arbeit gründlich erledigt zu haben. Die Scheinwerfer waren zweifach überprüft und sogar durch spezielle Halterungen befestigt worden. Olsen beruhigte die Männer und versicherte ihnen, man würde der Sache schon auf die Spur kommen. Die Kulisse wurde mit gelbem Klebeband abgegrenzt, und obwohl Jane im Krankenwagen und nicht hier gestorben war, wurden ihre Körperumrisse mit Kreide auf den Boden gezeichnet. Die Fotografen machten aus jeder denkbaren Perspektive Fotos vom Ort des Geschehens, und die Forensiker sammelten sämtliche Scherben und Splitter des Scheinwerfers ein und steckten sie in nummerierte Plastiktüten.

»Reine Routine«, erklärte man der Filmcrew, die über diese Vorgehensweise mehr als verwundert war. Ging man etwa davon aus, dass das Ganze kein Unfall gewesen war? Noch erstaunlicher erschien es dem Team, dass George Olsen jeden Einzelnen von ihnen zu sich zitierte und nacheinander befragte.

»Jane Dunne – gestorben an ihrem ersten Arbeitstag«, sinnierte Kelly Trent. Sie saß zusammen mit Serena vor dem Büro des Produzenten Joe Penny, das einstweilen von der Polizei zu einem Verhörraum umfunktioniert worden war. Kelly spielte in der Serie eine der beiden jüngeren Schwestern Serenas. Sie war einsfünfundsiebzig groß, schlank, hatte hellbraunes Haar, und ihr Markenzeichen waren ihre wunderbaren kindlichen Kulleraugen. Jennifer Connolly – die dritte der Valentine-Schwestern – hatte rotblondes Haar. Alle drei waren beinahe gleich groß, sehr anziehend und galten als die ideale Besetzung für die drei Mädchen. Obwohl in der Soap zeitweise erbitterte Feindinnen waren die Frauen privat eng befreundet. Serena war auch im wahren Leben die Älteste und übernahm gern und oft die Rolle des Kummerkastens für die beiden jüngeren. Momentan fühlte sie sich jedoch ebenso verunsichert und hilflos wie alle anderen Mitglieder der Crew. Die Tatsache, dass sie ständig gefragt wurde, ob es ihr gut gehe – schließlich hatte sie direkt neben Jane gestanden, als der Scheinwerfer herabstürzte –, trug nicht unbedingt zu ihrer Beruhigung bei.

»Es ist schrecklich«, sagte Serena nun zu Kelly. Was für eine abgedroschene Phrase!, schoss es ihr gleich darauf durch den Kopf, aber wie sollte man eine solche Tragödie sonst in Worte fassen?

»Blödsinn! Das ist ausgleichende Gerechtigkeit!«, kommentierte jemand neben ihr. Überrascht hob Serena den Kopf. Neben ihr stand Allona Sainge, eine der Storylinerinnen der Serie. Wie üblich nahm die Afroamerikanerin mit der kupferfarbenen Haut und den faszinierenden, grün-gelben Katzenaugen kein Blatt vor den Mund. Serena wusste, dass Allona von ihrem Autorenjob oft frustriert war, denn im Alltag einer Daily Soap war das Drehbuch ständig spontanen Änderungen unterworfen. Allona war jedes Mal geknickt, wenn die Produzenten oder der Regisseur Handlungsstränge durchsetzten, die allem zuwiderliefen, was sie bislang zu Papier gebracht oder geplant hatte.

Allona bemerkte nun Serenas verstörten Blick und seufzte. »Sorry, das klingt wahrscheinlich herzlos – aber Jane war nun mal ein richtiges Miststück!«

»Allona!«, zischte Kelly entsetzt. »Jane ist tot!«

»Ausgleichende Gerechtigkeit eben«, wiederholte Allona. »Der Scheinwerfer hätte später beim Dreh auch Serena treffen können – er ist genau auf ihrer Bodenmarkierung gelandet! Mannomann, Serena, wenn es dich statt Jane erwischt hätte ... das war ein harter Schlag für uns alle gewesen. Doch Jane Dunne wird zweifellos von niemandem ernsthaft vermisst werden. Okay, okay ... ich gebe zu, es ist echt grausig, wie sie gestorben ist. Aber sie war einfach ein karrieregeiles Luder! Wusstet ihr eigentlich, dass ich für sie beinahe jede Szene umschreiben musste, um sie noch mehr in den Mittelpunkt zu rücken? Ich sag euch: Die hatte vor, hier schon bald so fest im Sattel zu sitzen, dass Jennifer abgemeldet gewesen wäre! Jane –«

»Du solltest nicht so abfällig über sie reden, Allona!«, unterbrach Serena sie kopfschüttelnd. Jane hätte Jennifer niemals ersetzen können. Sie spielte ja noch nicht einmal Jennifers Rolle, sondern eine lange verschollen geglaubte Cousine der Schwestern, die ähnlich viel Sendezeit bekam wie zuvor Jennifers Charakter.

»Warum denn nicht?«, fragte Allona nun pikiert. »Gott hat eingegriffen – er ließ Jane an deiner Stelle sterben.«

»Es war ein schrecklicher Unfall!«, sagte Kelly bestimmt. »Mehr nicht.«

»Es war Gottes Wille!«, beharrte Allona.

»Die Polizei benimmt sich jedenfalls nicht so, als ob das Ganze Gottes Wille gewesen wäre«, überlegte Kelly laut. »Guckt mal, da ist die arme Jinx! Die Kleine scheint ja völlig durch den Wind zu sein ...«

Jinx, Serenas persönliche Assistentin, trat gerade aus Joe Pennys Büro, in dem sie von George Olsen ausführlich zu den Ereignissen befragt worden war. Jinx arbeitete erst seit sechs Monaten auf dem Set, doch inzwischen wusste Serena schon nicht mehr, wie sie jemals ohne ihre Hilfe zurechtgekommen war. Jinx kümmerte sich vor allem um die Flut von Fanpost, die jeden Tag für Serena einging. Ihre Hauptaufgabe bestand darin, Antwortschreiben aufzusetzen und Autogrammkarten zu verschicken. Jinx war eine zierliche Person mit großen blauen Augen, die stets erschrocken dreinblickten, und dunklem Haar. Sie war jung, hübsch – und furchtbar schüchtern.

»Jinx!« Serena sprang auf. Neben ihrer kaum einssechzig großen Assistentin fühlte sie sich stets wie eine Riesin. »Alles in Ordnung?«

»Es geht schon«, murmelte Jinx verstört. »Der Mann ... dieser Polizist hat mich völlig durcheinander gebracht. Als er mit mir fertig war, konnte ich nicht einmal mehr mit Sicherheit sagen, wie ich überhaupt heiße!«

»Du Arme«, sagte Serena mitfühlend. »Zum Glück hast du es ja jetzt hinter dir. Fahr einfach nach Hause, entspann dich ein bisschen und versuch, die Sache zu vergessen.«

»Aber es gibt noch so viel unbeantwortete Fanpost ... Am besten ich nehme einfach ein paar Briefe mit nach Hause.«

»Untersteh dich! Du solltest einkaufen gehen oder Eis essen. Unternimm irgendwas, das dich auf andere Gedanken bringt! Der Set wird für heute sowieso dichtgemacht. Versprich mir, dass du nicht mehr arbeitest!«

Über Jinx’ Gesicht huschte ein Lächeln. »Okay. Danke. Aber falls du mich brauchen solltest ...«

»Bestimmt nicht. Mach dir keine Gedanken –« Serena brach ab, da sie Jay Braden durch den Flur eilen sah. Jay, groß, äußerst gepflegt und dunkeläugig, spielte in der Serie die Rolle des Randy Rock – den muskelbepackten, begehrenswerten Ehemann der jüngsten Schwester. Wenn Serena Jay in letzter Zeit begegnete, musste sie immer zwei Mal hinschauen. Im vergangenen Jahr hatte er hellblondes Haar gehabt, doch da Randy Rock während der zeitweiligen Abwesenheit seiner Ehefrau eine ›düstere Phase‹ durchlebte, musste Jay zu seiner ursprünglichen, dunkelbraunen Haarfarbe zurückkehren, was ihm ausgezeichnet stand, wie Serena fand. Sie hatte mitbekommen, dass Jay bereits von Olsen verhört worden war und wunderte sich, dass er noch mal auftauchte.

»Jay, haben sie dich zurückgepfiffen?«, rief sie ihm entgegen.

»Ich war eigentlich schon auf dem Weg nach draußen.« Er näherte sich ihnen und warf Serena einen prüfenden Blick zu. »Dann dachte ich, ich schau besser mal nach dir.«

»Mir geht’s gut«, erwiderte Serena. Aber stimmte das überhaupt? Sie würde niemals den ungläubigen Ausdruck in Janes Gesicht vergessen und wie ihre Augen plötzlich trüb geworden waren ...

»Und wie geht’s dir, Jinxy?«, wandte sich Jay an die Assistentin.

Jinx zuckte die Achseln. »Super.« Sie war kreideweiß im Gesicht, und ihre Stimme zitterte ein wenig.

Serena schaute ihren Kollegen besorgt an. »Könntest du Jinx nach Hause fahren, Jay?«

»Ich will keine Umstände machen!«, protestierte Jinx.

Jay ignorierte die Einwände und nickte Serena zu. »Kein Problem.« Er nahm Jinx beim Arm. »Sehen wir zu, dass wir hier rauskommen.«

»Okay«, gab Jinx nach. Sie lächelte Serena, Kelly und Allona schwach zu und verließ mit Jay das Gebäude.

Während sie den beiden nachsah, entfuhr Allona ein tiefer Seufzer. »Serena, du brauchst dringend Kinder«, bemerkte sie. »Du scheinst einen ausgeprägten Mutterinstinkt zu haben.«

Serena senkte den Kopf und machte eine abwehrende Handbewegung.

»Die Storyliner bekommen bestimmt keine Pause zur emotionalen Regenerierung verordnet, wetten?«, setzte Allona in resignierendem Ton hinzu. »Ich seh’s schon kommen: Wir arbeiten uns in den nächsten Tagen garantiert den Buckel krumm. Schließlich müssen sämtliche Szenen mit Jane umgemodelt werden!«

»Glaubst du nicht, dass sie für Jane einen Ersatz anheuern werden?«, fragte Kelly verwundert. »Immerhin hatte sie noch keine einzige Szene abgedreht!«

Mit Grabesmiene schüttelte Allona den Kopf. »Die Produzenten haben sich gleich nach dem Unfall in ihrem Büro verschanzt und darüber diskutiert, ob Jane ersetzt wird. Die Antwort ist Nein.«

»Warum denn nicht?«

»Sie wollen Jane Respekt zollen«, antwortete Allona mit zynischem Unterton.

»Miss McCormack?«

Serena fuhr herum. George Olsen stand in der Tür von Joe Pennys Büro. »Würden Sie bitte hereinkommen?«

Serena erhob sich und musterte Olsen unauffällig. Er wirkte recht sympathisch. Er hatte kurzes weißes Haar, ein Doppelkinn und einen Kaffeefleck auf der blauen Krawatte. Seine sanfte Stimme und sein gütiger Gesichtsausdruck vermittelten ihr beinahe den Eindruck, ihr Großvater spreche mit ihr.

»Sei vorsichtig!«, warnte Allona sie leise. »Er sieht zwar aus wie der Weihnachtsmann, aber ich wette, er weiß sehr genau, wie man Leute in die Mangel nimmt. Du hast doch gesehen, wie fertig Jinx war, als sie aus dem Büro kam!«

»Jinx ist ein Küken«, murmelte Serena. »Mich kann er nicht so leicht verunsichern!«

»Stimmt!«, sagte Allona. »Vergiss nicht: Du bist die Queen der Daily Soap! Zeig den Bullen, wo der Hammer hängt!«

Serena grinste und betrat das Büro.

»Ich kann mir vorstellen, wie sehr die Ereignisse Sie getroffen haben müssen, Miss McCormack«, setzte Olsen an. »Aber Sie verstehen gewiss, dass unsere Untersuchungen keinen Aufschub dulden.«

»Selbstverständlich.«

Olsen lächelte und taxierte Serena unverblümt. »Tragen sie eigentlich Kontaktlinsen, Miss McCormack?«

»Was? Nein. Wieso?«

»Ach ... wissen Sie ... Ich muss gestehen, dass ich nicht unbedingt ein Fan Ihrer Serie bin, aber meine Frau ist völlig verrückt nach Valentine Valley. Daher habe ich selbst schon einige Folgen gesehen und mich über Ihre außergewöhnliche Augenfarbe gewundert. Selbst jetzt, wo Sie mir in natura gegenüberstehen, sind ihre Augen einfach Aufsehen erregend! Was für eine Farbe ist das? Ozeanblau? Grün? Nein. Wohl eher ein tiefes Türkis. Erstaunlich ...«

Serena blickte ihn irritiert an. »Danke ...«

»Ist die Farbe echt?«

»Natürlich.« Serena besann sich. »Selbst in Hollywood kann man sich noch nicht die Augen färben lassen.«

Olsen lachte, und Serena fragte sich, ob sein Lachen echt war. Begann er ein solches Gespräch womöglich immer mit einem Kompliment, damit sich sein Gegenüber entspannte? Serena war jedoch nicht wirklich nervös – dazu bestand kein Anlass. Eine Kollegin war auf tragische Weise ums Leben gekommen. Natürlich musste man nun alles tun, um herauszufinden, wie es passiert war. Die Polizei hatte sich zuerst die Techniker und Requisiteure vorgenommen und danach von der Aushilfe in der Kantine bis zum Serienstar alle anderen ausgehorcht.

»Bitte, setzen Sie sich doch, Miss McCormack.« Olsen wies auf den Stuhl vor Joe Pennys Schreibtisch und nahm selbst hinter diesem Platz.

»Miss Dunne hatte gerade erst hier angefangen ...«, bemerkte Olsen und schüttelte den Kopf. Sein Doppelkinn wackelte dabei hin und her.

»Wir können es alle noch gar nicht fassen.«

»Das ist verständlich.« Er beugte sich vor. »Als der Scheinwerfer runter fiel, standen Sie sehr nah bei Miss Dunne, nicht wahr?«

Serena fröstelte. »Ja.«

»Wie kam es, dass Sie sich dort aufhielten?«

»Ich hatte einen Part in der Szene, die heute Vormittag gedreht werden sollte.«

»Aber Sie hatten noch nicht mit dem Dreh begonnen, richtig? Haben Sie vor dem Unfall noch ein Wort mit Miss Dunne gewechselt?«

»Das hatte ich vor, aber sie war vollauf damit beschäftigt, sich mit Jim Novac – dem Regisseur – zu streiten.«

»Davon haben wir bereits gehört ...« Olsen spielte nachdenklich mit seinem Kugelschreiber. »Wenn Sie mit Miss Dunne sprechen wollten, warum haben Sie sie nicht in ihrer Garderobe aufgesucht?«

»Das habe ich ja, aber Jane war nicht da.«

»Was wollten Sie denn von ihr?«

»Weil sie neu hier ist ... war ... Also ich wollte ein bisschen mit ihr plaudern und sie auf dem Set herumführen, bevor die Arbeit losging.«

»Aber Miss Dunne hatte den Umkleideraum bereits verlassen?«

»Ja. Sie ... Wie ich schon sagte: Sie hatte offenbar mit Jim ein Hühnchen zu rupfen und hat ihn wohl gesucht.«

Olsen lehnte sich zurück. Dabei ließ er Serena nicht aus den Augen. »Sie sind schon sehr lange bei Valentine Valley, nicht wahr, Miss McCormack?«

»Seit dem Beginn vor fünf Jahren.«

»Also bedeutet Ihnen die Serie viel?«

Serena fühlte ein leichtes Schuldgefühl in sich aufsteigen. Ja, die Serie bedeutete ihr viel, und trotzdem hatte sie erst vor Kurzem einige Probeaufnahmen für einen Katastrophenfilm gemacht, der im nächsten Sommer wahrscheinlich der Blockbuster schlechthin werden würde. Sie hatte damit einem Freund einen Gefallen getan und dann nicht weiter darüber nachgedacht. Falls sie die Rolle tatsächlich bekam, musste sie überlegen, ob sie Valentine Valley wirklich verlassen wollte. Oder sie erkundigte sich, ob man sie für einige Zeit aus der Serie herausschreiben konnte. Außer Jennifer hatte sie noch niemandem von den Probeaufnahmen erzählt.

»Bedeutet Ihnen die Serie viel?«, wiederholte Olsen nun seine Frage und zog die buschigen Augenbrauen zusammen.

»Sehr viel.«

»Und stimmt es, dass Jennifer Connolly Ihre beste Freundin ist?«

»Ja.«

»Hm.«

Serena runzelte die Stirn. »Entschuldigen Sie bitte, aber warum wollen Sie das wissen?«

»Oh, mir ging lediglich etwas durch den Kopf ...«

»Ja?«

»Miss Dunne war schließlich eine Bedrohung für Ihre Freundin Jennifer –«

Serena starrte ihn verärgert an. »So ein Quatsch! Niemand könnte Jen in der Serie ersetzen! Die Produzenten schätzen sie, ebenso wie der Regisseur, die Kollegen, und – was das Wichtigste ist – die Zuschauer lieben Jennifer! Jane Dunne war in keiner Weise eine Bedrohung für sie!«

»Miss McCormack, bitte beruhigen Sie sich!« Olsen hob abwehrend beide Hände und wirkte zerknirscht. »Eine Frau ist auf tragische Weise zu Tode gekommen – ich muss diese Fragen stellen.«

»Schön, und ich versuche eben, darauf zu antworten.« Serena atmete tief durch. »Niemand hier musste wegen Jane um seinen Job fürchten. Wir alle haben sie mit offenen Armen empfangen. Wie gesagt, ich bin heute Morgen zu ihr gegangen, um –«

»Haben Sie in ihrem Umkleideraum irgendetwas Ungewöhnliches bemerkt?«

»Nein, eigentlich nicht ...«

»Eigentlich?«

»Also es ist nichts Wichtiges, denke ich. Aber, wissen Sie, ich habe Zigarettenqualm in dem Raum gerochen – obwohl Rauchen dort verboten ist. Jane war wahrscheinlich wegen ihrer ersten Szene nervös ... Sie scheint eine Untertasse als Aschenbecher benutzt zu haben. Auf dieser Untertasse hat sie wohl ein Stück Papier verbrannt – ein Teil davon lag noch zwischen der Asche. Ich weiß nicht, ob das irgendeine Bedeutung hat...«

»Ich nehme an, du hast das überprüft?«, wandte sich Olsen an jemanden, der sich offenbar hinter Serena befand. Serena fuhr herum und stellte fest, dass am anderen Ende des großen Büros ein zweiter Polizist auf Joe Pennys Couch saß. Zuerst erkannte sie ihn nicht, doch als er aufstand, blieb ihr das Herz stehen.

Liam.

Liam Murphy. Der Mann, mit dem sie eine leidenschaftliche Affäre gehabt hatte – bevor er sie einfach sitzen ließ.

Serena blinzelte und sah genauer hin. Nein, dieser Mann war nicht Liam, sondern Bill Hutchens. Serena kannte auch Bill sehr gut, denn früher hatte er mit Liam zusammengearbeitet. Er sah Liam zudem ein wenig ähnlich, deshalb hatte sie die beiden offenbar im ersten Moment verwechselt. Bill war ebenfalls groß, breitschultrig und muskulös, hatte dichtes, dunkles Haar und wäre die Idealbesetzung für einen Barbaren in einem Gladiator-Film gewesen. Nachdem Serena von Liam abserviert worden war, hatte Bill begonnen, ihr Avancen zu machen, und obwohl sie anfangs zögerte, traf sie sich ein paar Mal mit ihm – hauptsächlich um Neuigkeiten über Liam zu erfahren. Ihr wurde schnell bewusst, wie unfair sie sich verhielt, und bei einem Abendessen brachte sie Bill schließlich schonend bei, dass sie für eine neue Beziehung noch nicht bereit sei.

Bill Hutchens war ein netter, attraktiver und ernsthafter Mann, der durchaus einen gewissen Charme besaß. Serena hatte sich von Herzen gewünscht, sie könnte etwas für ihn empfinden, doch die Chemie zwischen ihnen stimmte einfach nicht. Bill hatte sich zum Glück sehr verständnisvoll gezeigt, und er und Serena waren Freunde geworden. Obgleich er durch und durch Polizist war, gab es viele Gemeinsamkeiten zwischen ihnen, denn Bill hatte großes Interesse für Film und Fernsehen. Zudem war ihre Freundschaft für sie beide schon häufig von Vorteil gewesen. Serena hatte Bill eine Komparsenrolle in einem Wikingerfilm verschafft, und Bill kümmerte sich regelmäßig darum, dass Serenas Strafzettel für falsches Parken keine Konsequenzen nach sich zogen.

»Bill!«

»Hi, Serena.«

»Wie ich sehe, ist dir Miss McCormack bereits bekannt«, stellte Olsen fest.

»Wir sind alte Freunde«, erklärte Bill.

»Prima. Bill wird mir bei den Ermittlungen in diesem Fall behilflich sein, Miss McCormack. Sie können sich jederzeit an ihn wenden, wenn Sie Fragen haben.«

»Wunderbar«, erwiderte Serena erfreut. Bill würde sicherlich verstehen, dass sich niemand in ihrem Team von Jane Dunne bedroht gefühlt hatte.

»Ist dir in Miss Dunnes Umkleideraum eine Untertasse mit einem halb verbrannten Stück Papier aufgefallen?«, fragte Olsen seinen Kollegen.

Bill verneinte und warf Serena einen entschuldigenden Blick zu.

»Womöglich haben Sie sich geirrt, Miss McCormack«, gab Olsen zu bedenken.

»Ich bin mir hundertprozentig sicher!«

»Vielleicht hat jemand die Untertasse weggeräumt, um Jane Ärger zu ersparen – schließlich war Rauchen in dem Zimmer nicht erlaubt«, warf Bill ein.

»Du sagst, ihr habt den gesamten Umkleideraum gründlich durchsucht?«, hakte Olsen nach. »Könntet ihr etwas übersehen haben?«

Der Blick, den Bill seinem Vorgesetzten zuwarf, war eindeutig. Natürlich hatte er nichts übersehen. Er machte diesen Job seit über zehn Jahren, und er war verdammt gut darin.

»Schon gut ...«, murmelte Olsen.

»Kann ich gehen, oder brauchen Sie mich noch, Mr Olsen?«, fragte Serena müde. Sie hatte hautnah mitbekommen, wie ihre Kollegin gestorben war, und sie wollte nun endlich nach Hause und allein sein.

»Nur noch eins, Miss McCormack.«

»Ja?«

»Mir geht der Gedanke nicht aus dem Kopf, dass es genauso gut Sie hätte treffen können. Stand Miss Dunne nicht auf Ihrer Bodenmarkierung?«

»Das ... das ist richtig.«

Olsen nickte nachdenklich – als ob er mehr wüsste als Serena.

»Sir –«

»Haben Sie irgendwelche Feinde, Miss McCormack?«

»Was?« Serena sah ihn entsetzt an.

»Können Sie sich vorstellen, dass irgendjemand Sie umbringen will?«

»Nein!«

»Ich habe gehört, dass sie manchmal recht eigensinnig sind.«

»Wenn das ein Verbrechen ist, müssten Sie halb Hollywood verhaften!«

»Miss McCormack –«, begann Olsen, doch Serena unterbrach ihn.

»Ich werde die Stadt nicht verlassen – darum hätten Sie mich doch als Nächstes gebeten, nicht wahr?«

»Ja«, gab Olsen lächelnd zu. »Aber es geht mir vor allem um Ihre Sicherheit, Miss McCormack. Bitte seien Sie vorsichtig.«

»Das bin ich immer.« Serenas Haus war durch eine Alarmanlage geschützt, und sie fuhr die Einfahrt zu ihrer Garage grundsätzlich rückwärts hinauf, um in einem Notfall schneller fliehen zu können.

Olsen blätterte in seinen Unterlagen. »Miss McCormack, wie ich sehe, arbeitet Ihr Schwager ebenfalls hier ...«

»Jeff? Nur hin und wieder. Meine Schwester Melinda und er sind Altertumsforscher. Jeff ist auf Ägyptologie spezialisiert und wird manchmal an den Set gerufen, um bestimmte Details zu überprüfen.«

»Kam das in letzter Zeit öfter vor?«

Serena nickte. »Die Figur, die ich in der Serie spiele, ist Archäologin und liebt Ägypten. Jedes Mal wenn sie ihr Gedächtnis verloren hat, ein verschollenes Familienmitglied sucht oder wenn eine ihrer Feindinnen droht, sie zu vernichten, geht es wieder nach Ägypten.« Serena zuckte grinsend die Achseln und erinnerte Olsen damit daran, dass sie über eine Daily Soap sprachen, deren Handlung sich nicht unbedingt durch Lebensnähe auszeichnete. »Zuletzt war meine Figur zwecks einiger Ausgrabungen in Kairo und hat ein paar Artefakte mit nach Hause gebracht.«

»Wissen Sie, ob ihr Schwager heute Morgen auf dem Set war?«

Serena seufzte. »Ja, das war er. In einer der nächsten Folgen wird es während einer weiteren Ausgrabung einen Unfall geben, und Joe Penny, der Produzent, hatte Jeff her gebeten, um mit ihm über ein paar Requisiten zu sprechen. Als der Scheinwerfer runter fiel, war Jeff allerdings schon längst wieder weg, soweit ich weiß. Wissen Sie, Jeff ist kein reguläres Crewmitglied. Melinda und er sind Akademiker und passen eigentlich gar nicht in diesen ganzen Fernsehzirkus. Sie sind seit fünfundzwanzig Jahren verheiratet, und ihr Leben dreht sich fast ausschließlich um Ihre Arbeit und Ihre Zwillinge.« Als sie sich bewusst wurde, dass sie die beiden verteidigte, hielt Serena inne. »Mr Olsen, ich verstehe nicht, was Jeff mit der ganzen Sache zu tun haben soll.«

»Ich bin nun mal ein gründlicher Mensch, das ist alles. Was denken Sie denn, Miss McCormack?«

Serena zog fragend die Brauen in die Höhe. »Ehrlich gesagt bin ich noch nicht dazu gekommen nachzudenken. Ich fühle mich einfach schrecklich wegen Jane. Ich habe sie sterben sehen – und gleichzeitig bin ich unglaublich froh, dass ich selbst noch am Leben bin.«

»Joe Penny hat vorgeschlagen, Ihnen jemanden zur Seite zu stellen, der auf Sie aufpasst.«

»Ist das nicht ein wenig übertrieben? Es ist doch nur ein Scheinwerfer runter gefallen ...«

Olsen stützte die Arme auf den Schreibtisch und beugte sich vor. »Wie oft haben Sie es schon erlebt, dass ein Scheinwerfer einfach so von der Decke fiel?«

»Also ...« Serena hatte etwas Derartiges noch nie zuvor erlebt, doch das musste doch nicht automatisch bedeuten, dass eine mörderische Absicht dahinter steckte. »Es war ein Unfall, und –«

»Ein gut geplanter Mord wird anfangs oft für einen Unfall gehalten«, belehrte Olsen sie. »Innerhalb ihres Teams gibt es eine ganze Reihe von technischen Experten, die sehr genau wissen, wie man unauffällig eine Schraube lockern kann – wenn Sie verstehen, was ich meine. Ich hoffe trotzdem, dass Sie Recht haben und es lediglich ein tragisches Unglück war.« Olsen erhob sich. »Passen Sie gut auf sich auf, Miss McCormack. Versprechen Sie mir das?«

»Versprochen, Mr Olsen.«

Er lächelte. »Es war mir eine Freude, Sie kennen zu lernen, Miss McCormack. Oh, und kommen Sie bitte bald aufs Revier, um Ihre Aussage zu Protokoll zu geben.«

»Natürlich.«

»Tolle Augen!«, rief er ihr hinterher, nachdem sie sich schon abgewandt hatte.

George Olsen nickte Bill zu, und dieser ergriff Serena am Arm und verließ mit ihr das Büro. »Du hast noch weitaus mehr zu bieten als nur tolle Augen, Serena«, bemerkte er und grinste sie aufmunternd an. Das war typisch Bill – er machte ihr Komplimente und versuchte, sie aufzuheitern. Bill war einfach ein äußerst umsichtiger Mensch. Warum kann ich mich nur nicht in ihn verlieben anstatt in einen Macho, der sich keinen Deut um mich schert?, fragte sich Serena zum wohl hundertsten Mal.

»Danke«, sagte sie leise.

»Hey, wozu sind Freunde denn da? Ich mache mir Sorgen um dich.«

»Mir geht’s gut«, versicherte Serena. »Und ich werde auf mich Acht geben.«

Bill nickte und rief dann das nächste Crewmitglied zum Verhör. »Miss Allona Sainge?«

Allona erhob sich. »Zur Stelle, Sir.« Während sie auf das Büro zusteuerte, flüsterte sie Serena zu: »Und? Muss ich mich auf den Weihnachtsmann oder einen knallharten Bullen einstellen?«

»Hm ... Weihnachtsmann, würde ich sagen – aber mit Hörnern!«

Allona grinste. »Bis später, Süße«, rief sie, reckte das Kinn in die Höhe und stolzierte in Joe Pennys Refugium.

»Sieht aus, als sei ich die Letzte«, sagte Kelly unglücklich, die noch immer auf dem Stuhl vor dem Büro saß.

Serena kniete sich neben sie und drückte ihre Hand. »Möchtest du, dass ich auf dich warte?«

»Nicht nötig, geh ruhig nach Hause. Das werde ich später auch machen, und dann nehme ich ein heißes Schaumbad und genehmige mir einen ordentlichen Drink.«

Serena hielt das für eine sehr gute Idee. Genau das würde sie ebenfalls tun.

Später an diesem Tag ließ George Olsen am Schreibtisch in Joe Pennys Büro den Kopf in die Hände sinken und betrachtete nachdenklich seine Unterlagen. Ihm gegenüber saß Bill Hutchens. Die erste Runde der Befragungen war vorüber, doch sie hatten noch keinerlei herausragende Erkenntnisse gewinnen können.

»Unfall oder ...«, begann Bill.

»Bevor uns das Forensikteam keine Rückmeldung gibt, können wir nichts mit Sicherheit sagen«, erinnerte ihn Olsen. »Es könnte tatsächlich nur ein Unfall gewesen sein – eine Verkettung unglücklicher Umstände. Andererseits ...« Er kratzte sich am Kopf. »Findest du es nicht auch merkwürdig, dass Serena McCormack in Jane Dunnes Umkleide eine Untertasse mit einem halb verbrannten Zettel gesehen haben will, der später nicht mehr da war?«

Bill legte die Stirn in Falten. »Womöglich hat sie sich getäuscht. Sie war ziemlich aufgewühlt ...«

Olsen schüttelte den Kopf. »Du bist ein verdammt guter Polizist, Bill, aber ich arbeite schon sehr viel länger in diesem Laden als du. Als Serena McCormack Jane Dunnes Garderobe betrat, war sie in keiner Weise aufgewühlt. Sie hat sich bestimmt nicht getäuscht.«

»Ich habe den Raum gründlich durchsucht. Da war nirgendwo ein angeflammter Zettel ...«

»Zwischen dem Unfall und unserer Ankunft ist einige Zeit vergangen. Zeit genug, um eine Untertasse verschwinden zu lassen ...« Olsen trommelte zerstreut mit den Fingerspitzen auf die Tischplatte. »Wir sollten noch mal über den Vorschlag von dem Produzenten, diesem Joe Penny, nachdenken. Es kann nicht schaden, Serena McCormack unter Personenschutz zu stellen. Womöglich galt dieser Anschlag ihr, und Jane Dunne stand nur zufällig zur falschen Zeit auf der falschen Bodenmarkierung ...«

»Der Anschlag?«, wiederholte Bill skeptisch. »Pearson von der Forensik hat doch gesagt, es gäbe keine Hinweise darauf, dass jemand den Scheinwerfer manipuliert hat.«

Olsen kräuselte die Lippen. »Da hast du leider Recht. Wir haben noch nicht genügend Anhaltspunkte, um Miss McCormack bewachen zu lassen. Wir können Penny also nur raten, selbst jemanden anzuheuern, der sich um ihre Sicherheit kümmert.«

»Serena und ich sind Freunde«, sagte Bill nachdrücklich. »Wenn jemand auf sie aufpasst, dann ich!«

Olsen schnaufte. »Bill, ich brauche dich für die Untersuchungen! Selbst wenn wir wüssten, dass jemand es auf Miss McCormack abgesehen hat, könntest du nicht den Bodyguard für sie spielen. Lass das jemand anderen machen. Sieh mal, das hier ist doch eine der erfolgreichsten Serien des Landes, oder etwa nicht? Wir werden diesem Penny einfach sagen, er soll einen Privatdetektiv engagieren – auf die paar Dollar kommt es bestimmt nicht an. Wir empfehlen ihm Liam Murphy. Dann können wir wenigstens sicher sein, dass Miss McCormack in guten Händen ist.«

Bills Blick verfinsterte sich. »Liam?«

»Warum nicht?«

»Na ja ... er und Serena waren vor einiger Zeit ein Paar. Wenn du Liam einen Job zuschustern willst, ist das ja in Ordnung, aber –«

»Ich schustere ihm gar nichts zu!«, entgegnete Olsen. »Soweit ich weiß, hat Liam mehr als genug zu tun, seit er sich aus dem Polizeidienst verabschiedet hat und als Privatdetektiv arbeitet. Auf unsere Unterstützung kann er also garantiert verzichten. Er ist einfach der beste Mann für den Job! Seit den Hitchcock-Morden im vergangenen Jahr kennt er diesen Set und die Leute hier wie seine Westentasche.« Olsen machte eine Pause und fixierte Bill mit zusammengekniffenen Augen. »Hattest du eigentlich mal was mit Serena?«

Bill wich seinem Blick aus. »So kann man das nicht sagen. Wir sind ein paar Mal miteinander ausgegangen, aber letzten Endes ist nichts aus uns geworden.«

Olsen grunzte. »Dann darfst du diese Untersuchungen eigentlich überhaupt nicht vornehmen. Andererseits brauche ich dich an meiner Seite ...«

»Serena und ich haben einmal zusammen Kaffee getrunken, sind einmal zusammen in ein Restaurant gegangen und waren einmal gemeinsam im Kino. Serena und Liam hingegen hatten eine Beziehung! Das ist was ganz anderes.«

Olsen winkte ab. »Liam ist kein Polizist mehr. Es kräht also kein Hahn danach, ob er mal was mit ihr hatte. Und wenn Penny sicherstellen will, dass sein Schäflein gut gehütet wird, dann sollten wir ihn dabei unterstützen.«

»Da bin ich ganz deiner Meinung! Ich könnte es mir nie verzeihen, wenn Serena –«

»Ich muss mit beiden Produzenten sprechen. Penny und – wie heißt der andere? – Larkin. Schaff mir die beiden her!«

»Du hast doch heute Nachmittag erst mit ihnen geredet ...«

Olsen ignorierte den Einwand. »Und ruf Liam an!« Seine Augen verengten sich. »Was immer hier heute Morgen geschehen ist – wir werden dafür sorgen, dass es sich nicht wiederholt ...«

Verhängnisvolle Begierde

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