Читать книгу Verhängnisvolle Begierde - Heather Graham - Страница 8

Оглавление

Kapitel 3

Liam ließ den Blick über den voll gepackten Kofferraum seines Wagens gleiten. Hatte er an alles gedacht? Angelruten, Zeltausrüstung, Werkzeugkasten, Lebensmittel, Bier ... und eine Kühltasche mit einigen Flaschen Karottensaft, auf denen Sharon beharrt hatte. Liam schüttelte skeptisch den Kopf – offenbar stellte sich Sharon einen Trip in die Wildnis ein wenig anders vor als er.

Liam war ein Naturbursche, wie er im Buche stand. Er liebte reißende Flüsse, einsame Wälder und windige Berggipfel. Nicht weniger verrückt war er nach Frauen. Er hatte es allerdings noch nie versucht, diese beiden Dinge unter einen Hut zu bringen.

Liam besaß eine Hütte in den Bergen und hatte seine Ausflüge dorthin bislang meist allein unternommen. Nur Charlie Eagle, ein Angehöriger des Nez-Perce-Indianerstammes, leistete ihm jedes Jahr ein paar Tage lang auf der Hütte Gesellschaft. Sie angelten und jagten zusammen, betranken sich, schossen auf leere Coladosen und philosophierten abends am Lagerfeuer über die Verkommenheit der Welt.

Eine solche Tour in weiblicher Begleitung anzugehen stellte eine absolute Premiere für Liam dar. Sharon war jedoch die naturverbundenste und zäheste Frau, der er je begegnet war. Sie war achtundzwanzig, langbeinig, honigblond und von Beruf Grabungstechnikerin. Durch ihren Job verbrachte Sharon mehr Zeit an Ausgrabungsstätten als zu Hause und war es daher gewohnt, dass ihre Finger schmutzig wurden. Liam hatte sie vor einigen Wochen durch einen spektakulären archäologischen Fund kennen gelernt, den jedoch nicht Sharon, sondern er selbst gemacht hatte. Bei der Suche nach einem Vermissten war er in der Wüste auf Überreste eines männlichen Körpers gestoßen. Es handelte sich tatsächlich um die Leiche eines Mordopfers, doch wie ein Gerichtsmediziner aus L. A. und sein Expertenstab ermittelten, war der arme Kerl schon vor hunderten von Jahren getötet worden. Diese sensationelle Entdeckung brachte Sharon auf den Plan, und zwischen ihr und Liam funkte es sofort. Liam war froh, von Sharon auf andere Gedanken gebracht zu werden – für seinen Geschmack lag er noch immer viel zu oft nachts wach und dachte an Serena McCormack.

Inzwischen war Liam klar, dass er sich niemals auf Serena hätte einlassen dürfen. Ihre Welt des Glamours und des schönen Scheins war eine einzige große Seifenblase, und sein eigenes Leben bildete dazu einen allzu herben Kontrast. Dennoch war Serena die erstaunlichste Frau, die er kannte, und die Anziehungskraft zwischen ihnen war wahrhaft explosiv gewesen ...

Liam knallte den Kofferraumdeckel nun weitaus fester zu, als nötig gewesen wäre. Sharon passt viel besser zu mir!, sagte er sich selbst und stapfte mit grimmigem Gesicht zum Haus zurück. Der kleine, spartanisch eingerichtete Bungalow, den er vor ein paar Jahren gekauft hatte, lag in einem verlassenen, weitläufigen Canyon, und das Haus des nächsten Nachbarn befand sich über eine Stunde entfernt.

Liam wollte gerade Sharon anrufen, um ihr mitzuteilen, dass er jetzt losfahren würde, da fiel sein Blick auf die gerahmten Fotos auf dem Kaminsims, und er hielt inne. Eins der Bilder war am Tag seines Abschlusses auf der Polizeiakademie aufgenommen worden, ein anderes zeigte ihn an seinem ersten Arbeitstag im Revier. Liam lächelte wehmütig. Wie lange das alles her war ... Auf einem anderen Foto strahlte er neben Conar Markham, mit dem er die Ausbildung auf der Akademie gemacht hatte, in die Kamera. Conar war ein verdammt guter Polizist gewesen. Es war eine Schande, dass er sich später entschlossen hatte, Schauspieler zu werden. So etwas wäre ihm, Liam, niemals in den Sinn gekommen. Er hatte seine Arbeit immer sehr gern getan, und niemand, nicht einmal er selbst, hätte damit gerechnet, dass er den Polizeidienst irgendwann quittieren würde. Doch im vergangenen Jahr, nach den Hitchcock-Morden auf dem Set von Valentine Valley, hatte er seinen Job an den Nagel gehängt. Die Geschichte mit Serena hatte ihn tiefer getroffen, als er zugeben wollte, und nach der Trennung von ihr brauchte er einfach eine radikale Veränderung. Durch seine Ausbildung und Erfahrung als Polizist bot es sich an, als Privatdetektiv zu arbeiten, und dieser Job machte ihm auch durchaus Spaß – meistens zumindest. Hin und wieder hatte er es mit Kidnapping zu tun, und in manchen Fällen hatte er nichts mehr ausrichten können: Die Opfer waren kurz nach ihrer Entführung ermordet worden. Andererseits hatte er bereits einige Menschen vor dem sicheren Tod bewahrt und unzählige Vermisste aufgespürt.

Liam griff nach dem Telefon, um sich bei Sharon zu melden. Zu seiner Verwunderung klingelte der Apparat genau in diesem Moment. Liams Hand zuckte zurück, und er betrachtete unentschlossen den Hörer. Er war sowieso schon spät dran, und wozu hatte er schließlich einen Anrufbeantworter ... Liam hörte sich selbst auf dem Tonband und dann die Stimme eines alten Kollegen von der Polizei, Bill Hutchens.

»Liam, geh dran, wenn du da bist! Es ist echt wichtig!«

Liam zögerte. Er ahnte, dass ihm dieser Anruf einen Strich durch seine Wochenendpläne machen würde, aber die Dringlichkeit in Bills Stimme ließ ihn schließlich doch abnehmen.

»Ja, Bill, was ist los?«

»Oh, gut, dass du da bist ... Auf dem Set von Valentine Valley hat es einen Unfall gegeben.«

Liams Herz setzte einen Schlag lang aus. »Serena?«, fragte er schwach.

»Serena geht es gut, aber diese Jane Dunne, die gerade erst da angefangen hatte, ist von einem Scheinwerfer erschlagen worden.«

»Jane Dunne? Kenn ich nicht.«

»Olsen meinte, ich solle dich anrufen. Einer der Produzenten, dieser Joe Penny, macht sich Sorgen um Serenas Sicherheit. Als der Scheinwerfer auf Jane Dunne runter gekracht ist, stand sie nämlich auf einer Bodenmarkierung von Serena, und das gibt allen hier zu denken. Penny will, dass du ein Auge auf Serena hast.«

»Ich?«, entgegnete Liam ungläubig. »Wieso ausgerechnet ich?«

»Na, weil du dich auf dem Set auskennst.«

»Und was sagt Serena dazu?«

»Wir haben bis jetzt noch nicht mit ihr darüber gesprochen. Du musst dich also fürs Erste im Hintergrund halten.«

»Ich soll den Bodyguard für eine Frau spielen, die noch nicht einmal weiß, dass sie einen Bodyguard hat? Wie soll das denn funktionieren?«

»Hey, frag mich nicht, das Ganze ist nicht auf meinem Mist gewachsen! Olsen hat Penny vorgeschlagen, dich ins Boot zu holen. Am besten kommst du noch heute vorbei und –«

»Ihr habt Nerven! Ihr könnt euch ja wohl vorstellen, dass ich schon was Besseres vorhab!«

»Was denn?«

»Also ... so etwas wie ein romantisches Wochenende auf der Hütte.«

»Ein romantisches Wochenende? Mit Charlie Eagle?«

»Blödmann! Du verbringst eindeutig zu viel Zeit in Hollywood! Ich wollte mit einer sehr guten Freundin hinfahren.«

Bill stieß einen leisen Pfiff aus. »Die knackige Blondine, mit der ich dich erst letztens in dem italienischen Restaurant gesehen hab?«

»Genau die. Ich muss euch also leider eine Abfuhr erteilen. Sag Olsen, dass es mir Leid tut.«

»Olsen hat mich angewiesen, dir in diesem Fall den Arm zu brechen.«

»Das kannst du ja gern mal versuchen!«

»Wie viel willst du?«

Liam lachte. »Das ist ein weiterer Grund, warum ich ablehnen muss. Eure Abteilung kann es sich nicht leisten, mich zu engagieren.«

»Die Abteilung wird deine Rechnung nicht bezahlen, sondern Joe Penny, und bei dem kommt es auf ein paar Dollar nicht an. Hier in Hollywood verschleudert man schließlich jeden Tag irrsinnig viel Kohle für Schwachmaten, die zwar nicht schauspielern können, dafür aber Teenagerherzen höher schlagen lassen. Penny zahlt dir jede Summe, Liam, Serena ist immerhin sein Goldesel.«

Liams Kiefermuskeln spannten sich an. Er durfte sich auf keinen Fall von Bill beschwatzen lassen. Andererseits ... Nein, verdammt! Wenn er sich darauf einließ, würde alles wieder von vorn beginnen ...

Er war derjenige gewesen, der die Beziehung zu Serena beendet hatte, aber im Grunde hatte Serenas Weigerung, ihren Lebensstil zu ändern, sie auseinander gebracht. Zumindest war das Liams Meinung. Serena konnte verteufelt stur sein. Ihm war gar nichts anderes übrig geblieben, als mit ihr Schluss zu machen, obwohl ihm noch niemals etwas so schwer gefallen war. Und obgleich seitdem viele Monate vergangen waren, musste er sich selbst eingestehen, dass er noch immer nicht über Serena hinweg war. Wenn er die Augen schloss, konnte er sie noch immer vor sich sehen: ihr wunderbares, rostbraunes Haar, das im Sonnenschein wie Feuer leuchtete, ihre atemberaubende Figur und ihre tiefgründigen, türkisfarbenen Augen.

»Nein!«

»Liam, denk noch mal darüber nach.«

»Ich sagte Nein! Ich bin viel zu teuer! Weißt du eigentlich, was mein üblicher Lohn ist?« Liam überlegte für einen kurzen Moment und nannte dann eine geradezu lächerlich hohe Summe.

»Ich richte es Penny aus«, erwiderte Bill tonlos. »Scheiße, ich hätte mich auch selbstständig machen sollen!«

»So viel bekomm ich doch nie im Leben ...«

»Wie gesagt, die Produzenten zahlen. Seit sich Jennifer Connolly beziehungsweise Jennifer Markham in die Babypause verabschiedet hat, ist Serena das Zugpferd der Serie.«

»Es bleibt bei Nein.«

»Also geht’s gar nicht ums Geld, sondern um Serena, hab ich Recht? Du solltest dir mal eins durch den Kopf gehen lassen, Liam: Wie fühlst du dich wohl, wenn du diesen Job ablehnst und Serena etwas zustößt? Würdest du dich nicht immer fragen, ob du es hättest verhindern können?«

Liam setzte sich auf die Couch, und sein eiserner Griff um den Telefonhörer verstärkte sich. Warum wühlte der Gedanke an Serena ihn nur noch immer dermaßen auf? Er hatte doch ihr den Laufpass gegeben ...

Tief im Innern wusste Liam, wo das Problem lag. Er hatte Serena zwar verlassen, aber sein Herz war bei ihr geblieben. Während der vergangenen Monate hatte er sich verzweifelt darum bemüht, diese Tatsache zu verdrängen. Es gab schließlich nichts, was er tun konnte. Serena hatte ihre Beziehung niemals so ernst genommen wie er, ihre Karriere stand bei ihr immer an erster Stelle. Es war vernünftig gewesen, das Ganze zu beenden, bevor er eine weitere Nummer auf Serena McCormacks Liste gebrochener Herzen wurde.

Und doch ...

Liam wusste: Wenn Serena etwas passierte, würde er sich das niemals verzeihen.

Er holte tief Luft. »Wo will sich Olsen denn mit mir treffen?«

»Na also!«, rief Hutchens erfreut. »Auf dem Revier.«

»Warum nicht auf dem Set?«

»Der Set wurde fürs Erste dichtgemacht. Erst nach der Beerdigung, am Montag, gehen die Dreharbeiten weiter.«

»Gut, dann eben auf dem Revier. Aber ich muss die Unfallstelle so schnell wie möglich persönlich in Augenschein nehmen.«

»Ist sicher kein Problem, das kannst du ja später alles mit Olsen besprechen. Olsen hat übrigens Captain Rigger darüber informiert, dass er dich in diesem Fall hinzuziehen wird.«

Captain Rigger war der Leiter des Morddezernats und derjenige, der Liam überhaupt erst hauptberuflich zur Polizei gebracht hatte. In jungen Jahren hatte Liam neben dem College als Taucher für die Polizei gearbeitet, und Rigger war von seiner Leistung derart beeindruckt gewesen, dass er Liam überredete, auf die Polizeiakademie zu gehen. Als Liam schon längst im Polizeidienst war, sorgte Rigger dafür, dass Liam regelmäßig die Abendschule besuchte und seinen Abschluss in Kriminologie machte. Später war es wieder Rigger, der Liam vom Streifendienst zum Morddezernat holte.

Er schuldete Rigger etwas. Und Olsen ebenso.

»Bist du noch dran, Liam?«

»Ja, Bill. Okay, du kannst Olsen sagen, dass ich bei ihm aufkreuzen werde.«

»Super. Danke, Mann.«

»Schon gut.« Liam legte auf. Dann trat er mit dem Fuß ein paar Mal heftig gegen das Tischbein und fluchte. Einige Minuten lang saß er auf der Couch und starrte vor sich hin. Schließlich erinnerte er sich daran, was seine ursprünglichen Pläne für das Wochenende gewesen waren. Er nahm den Hörer und rief Sharon an.

Sie meldete sich in freundlichem, gut gelauntem Tonfall. »Machst du dich jetzt auf den Weg?«, fragte sie. »Hey, wenn du’s bereits bereust, eine Frau auf deine Hütte eingeladen zu haben –«

»Nein, das nicht, aber unser Ausflug fällt trotzdem ins Wasser.«

»Oh.«

»Eben hat mich ein alter Kollege angerufen und mich gebeten, ihn bei einem neuen Fall zu unterstützen. Es tut mir wirklich Leid, aber –«

»Ist schon in Ordnung, ich verstehe das.«

»Auf dem Set einer Fernsehserie ist jemand umgekommen.«

»Valentine Valley?«

»Woher weißt du das?«

»Immerhin warst du mal mit Serena McCormack zusammen, und letztes Jahr hast du diese Hitchcock-Morde aufgeklärt.«

»Serena hatte mit dem Fall nichts zu tun.«

»Aber ihr wart ein Paar, oder?«

»Ja, das stimmt. Aber diese Geschichte ist längst vorbei, Sharon.«

»Was ist denn diesmal auf dem Set passiert?«

»Ein Scheinwerfer ist von der Decke gestürzt und hat eine Schauspielerin erschlagen.«

»Serena McCormack!?«

Klang da Hoffnung in Sharons Stimme? Liam blinzelte und schob den Gedanken beiseite. »Nein, eine Frau namens Jane Dunne.«

»Jane Dunne ... ach ja, ich glaub, ich hab was über sie in den Nachrichten gesehen – dass sie derzeit der heißeste Geheimtipp in Hollywood sei. Und sie ist auf dem Set gestorben?«

»Es war vermutlich ein Unfall. Bis jetzt hat man mir noch keine Details mitgeteilt.«

»Diese Serie scheint verhext zu sein.« Sharon fröstelte. »Warum wirst du in dem Fall hinzugezogen? Du bist doch kein Polizist mehr ...«

»Ich schulde ein paar Freunden einen Gefallen. – Ich werde das wieder gutmachen, Sharon.«

»Kein Problem, Liam, wirklich. Ruf mich an, sobald du wieder Zeit hast. Ich werde jetzt erst mal meinen Rucksack wieder auspacken. Andererseits ... ich könnte auch zu einer Ausgrabung im Süden fahren, die ein paar Leute von der UCLA vornehmen.«

»Das wäre doch großartig.«

»Ich halte dich auf dem Laufenden – falls du mich in den nächsten Tagen sehen willst.«

»Natürlich will ich dich so schnell wie möglich sehen! Danke für dein Verständnis. Bis bald!« Er hängte ein. Sharon bedeutete ihm eine ganze Menge. Allerdings war sie nicht Serena ...

Liam trat erneut mit voller Wucht gegen den Tisch. Er musste endlich damit aufhören, Serena nachzuweinen! Die Unterhaltungsindustrie hatte bei Serena stets Priorität gehabt, und eine Zeit lang war er, Liam, gern bereit gewesen, Serena zu unterhalten, doch auf die Dauer war er daran kaputt gegangen. Es hatte einfach nicht funktioniert. Es war vorbei. Ein für alle Mal.

»Bin ich froh, dass du zu Hause bist! Geht’s dir gut?«

Der Abend würde offenbar nicht ganz so ruhig verlaufen, wie Serena gehofft hatte. Sie war gerade erst heimgekommen und hatte ihre schmerzenden Füße von den Pumps befreit, da klingelte es schon an der Tür. Serena warf einen Blick durch den Spion und erkannte ihre Schwester Melinda.

Sobald sie geöffnet hatte, fiel Melinda ihr um den Hals und drückte sie so fest an sich, dass Serena befürchtete, ihre Schwester würde ihr sämtliche Rippen brechen. Sie hielt die Luft an und seufzte. Es war ja reizend, dass sich Melinda derart um sie sorgte, aber es nervte sie, von allen als eigentliches Ziel eines Mordanschlags betrachtet zu werden.

»Es geht mir fabelhaft, Melinda.« Serena befreite sich aus der Umklammerung und bemerkte die Anspannung im Gesicht ihrer Schwester. Melinda durchquerte eilig die Eingangshalle und das geräumige Wohnzimmer und blieb vor den großen Glasschiebetüren stehen, die auf die Terrasse und zum Pool hinausführten. Sie starrte hinaus und schüttelte den Kopf. »Sie ist tot«, flüsterte sie mit zittriger Stimme.

»Ja, ein schrecklicher Unfall ...«

»Sind sich diese Polizisten sicher, dass nicht mehr dahinter steckt?«, fragte Melinda, ohne ihre Schwester anzusehen.

Der besorgte Unterton in ihrer Stimme verwunderte Serena. Melinda war fünf Jahre älter als sie, und für gewöhnlich konnte nichts und niemand eine gestandene Frau wie sie aus der Ruhe bringen. Obwohl sich die beiden Frauen wie aus dem Gesicht geschnitten waren, hatten sie doch kaum etwas gemeinsam. Melinda war eine hervorragende Schülerin und Studentin gewesen. Serena hingegen hatte sich meist sehr viel mehr für ihre Theatergruppe, die Gitarrenstunden und den Tanzkurs interessiert als für den Schulunterricht. Schon als kleines Mädchen hatte sie Schauspielerin werden wollen. Während ihrer gesamten Schul- und Collegezeit hatte sie Schauspielunterricht genommen und war schon früh für Werbespots im Fernsehen und später auch für kleine Gastauftritte in Sitcoms engagiert worden. Dann erhielt sie die Chance, bei Valentine Valley eine Hauptrolle zu übernehmen, und griff natürlich sofort zu. Melinda hatte währenddessen ihre Doktorarbeit über Töpferwaren der Etrusker geschrieben und eine erfolgreiche Karriere als Altertumsforscherin begonnnen.

Während des Studiums fand Melinda in einem anderen Gelehrten ihren Seelengefährten: Jeffrey Guelph. Jeff war ein blitzgescheiter Kopf mit dunklem Haar und durchdringenden Augen. Schon nach kurzer Zeit heirateten die beiden, und gemeinsam bereisten sie die halbe Welt. Melinda und Jeff hatten eine verrückte Vorliebe für Entwicklungsländer und waren die einzigen Menschen, die Serena kannte, die fließend Suaheli sprachen. Es hatte Serena überrascht, dass Joe Penny ihren Schwager bei einem Grillfest in ihrem Haus angesprochen und als archäologischen Berater für Valentine Valley eingestellt hatte. Bis zu diesem Zeitpunkt war Serena davon ausgegangen, dass Jeff und Melinda nicht einmal ahnten, dass es so etwas wie Fernsehen überhaupt gab.

»Die ganze Sache wird routinemäßig untersucht«, erklärte Serena ihrer Schwester nun. Warum erschütterte Janes Tod Melinda so sehr? Jeff hatte sich zwar schon des Öfteren mit Jane getroffen, um vorab einige Details der ägyptischen Kulisse mit ihr zu besprechen, aber Melinda war Jane doch nur ab und zu über den Weg gelaufen ...

»Ja, ja, reine Routine.« Melinda wandte ihrer Schwester noch immer den Rücken zu. »O Gott, das alles ist einfach grauenhaft!«

»Ja, das stimmt ... Mir war nicht klar, dass du Jane so gut gekannt hast.«

»Ich kannte sie gut genug, um zu wissen, dass sie ein schrecklicher Mensch war. Ein richtiges Biest!«

Serena berührte Melinda an der Schulter, drehte sie zu sich um und zwang sie, sie anzusehen. Die blaugrünen Augen ihrer Schwester, die ihren eigenen so ähnlich waren, wurden feucht.

»Melinda, hat Jane dir irgendwas angetan?«, fragte Serena misstrauisch. Da stimmte doch irgendetwas nicht! Melinda hatte gerade zugegeben, dass sie Jane nicht ausstehen konnte, und trotzdem vergoss sie ihretwegen Tränen?

»Nein, aber ... Serena, ich habe sie gehasst! Ich bin ihr zwar nur ein paar Mal begegnet, auf Joes Kennlernpartys, aber sie war immer total unverschämt und herablassend. Zumindest zu mir. Und plötzlich ist sie tot ...«

»Melinda«, sagte Serena vorsichtig. »Natürlich ist es tragisch, aber du solltest dir das Ganze nicht so zu Herzen nehmen. Ich verstehe nicht ganz, wieso dir Janes Tod so sehr zu schaffen macht. Viele Leute –« Sie zögerte, doch dann sprach sie weiter, denn es war schließlich die Wahrheit. »Viele Leute haben sie gehasst. Aber deswegen ist sie nicht gestorben.«

»Da wäre ich mir nicht so sicher.«

»Was? Wie meinst du das?«

»Ach nichts. Herrje, Serena!« Melinda zog ihre Schwester abermals in die Arme und presste sie an sich. »Ich bin so froh, dass dir nichts passiert ist.«

Zusammen mit einem tiefen Seufzer stieß sie diese Worte hervor, und Serena war gerührt. Sie und ihre Schwester hatten sich schon immer sehr nahe gestanden – sofern dies bei zwei solch unterschiedlichen Frauen möglich war. Melinda rümpfte über Serenas Beruf zwar im Stillen die Nase, denn sie hielt die Schauspielerei für einen sinnlosen, oberflächlichen Zeitvertreib, doch trotzdem hatte sie sich noch nie eine Theateraufführung, in der Serena auftrat, entgehen lassen und unterstützte ihre Schwester, wo sie nur konnte.

Melinda löste sich aus der Umarmung. »Ich führe mich ziemlich idiotisch auf, was?«

»Quatsch! Ich würde mich eher wundern, wenn dich der Unfall völlig kalt gelassen hätte.«

»Aber es ist mehr als das ... Ich mache mir Sorgen um Jeff. Zum Zeitpunkt des Unglücks war er nicht zu Hause. Er war auf dem Set ...«

»Darüber musst du dir nicht den Kopf zerbrechen! Als es geschah, hatte er den Set schon lange verlassen. Außerdem ist er archäologischer Berater und kein Techniker. Mit der Beleuchtung hat er doch absolut nichts zu tun!«

»Ich weiß, es ist nur ...«

»Was denn?«

Melinda holte tief Luft. Es sah so aus, als würde sie jeden Moment losheulen.

»Melinda, nun sag schon!«

»Ich ... ich bin mir nicht sicher. Jane hat sich mir gegenüber unmöglich benommen – ich meine, meistens hat sie mich einfach komplett ignoriert, als sei ich Luft. Aber sie hat Jeff schöne Augen gemacht.«

»Jane hat eben gern geflirtet.«

»Nicht nur das. Sie hat Männer benutzt. Zuerst hat sie sie mit ihrem aufgesetzten Charme bezirzt und sie sich dann warm gehalten, bis sie sie auf dem Weg nach oben gebrauchen konnte. Aber ich habe mir nie gewünscht, dass sie stirbt. Ehrenwort! Das musst du mir glauben, Serena!«

»Selbstverständlich glaube ich dir. Niemand würde irgendwem –«

»Und Jeff ... Er kann manchmal ... Weißt du ... Nein, es muss ein Unfall gewesen sein. Vielleicht solltest du aus der Serie aussteigen, Serena. Die Leute da scheinen sehr nachlässig zu sein.«

Serena seufzte und massierte sich erschöpft die Schläfen. »Ich arbeite seit Jahren mit diesen Leuten zusammen, und ich bin davon überzeugt, dass sie ihr Handwerk verstehen. Außerdem habe ich einen Vertrag unterschrieben. Ich kann nicht einfach so aufhören.«

»Dein Leben ist doch wichtiger als so ein blöder Vertrag!«

»Natürlich, aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass es jemand auf mich abgesehen hat, und genauso wenig, dass ein Scheinwerfer zwei Mal an derselben Stelle runterkommt. Es gibt also keinen Grund –«

»Du bist wirklich sicher, dass es ein Unfall war?«, fragte Melinda und ging zu der kleinen Bar hinüber, die bei den Partys, die Serena regelmäßig gab, stets Mittelpunkt des Geschehens war. Zu Serenas Überraschung schenkte sich ihre Schwester, die grundsätzlich nicht trank, einen Scotch ein.

»Ich weiß es nicht«, sagte Serena.

Als es an der Tür läutete, zuckten beide zusammen, und Melinda verschüttete beinahe ihren Drink.

»Es ist die Türklingel. Nur die Türklingel«, erklärte Serena mit klopfendem Herzen, ging zum Eingang und öffnete. Vor ihr stand ihr Schwager Jeff. Er war groß, schlank – beinahe hager – und hatte ein attraktives, kantiges Gesicht. Sein Haar, das bereits von grauen Strähnen durchzogen war, stand ihm wirr vom Kopf ab, als ob er hunderte von Malen mit den Fingern hindurch gefahren wäre. Serena und Jeff hatten sich schon immer gut verstanden, doch so wie Melinda war auch er der Meinung, dass Serena ihre Zeit mit der Schauspielerei nur vergeudete.

»Jeff«, sagte Serena überrascht. »Komm doch rein.«

»Ist Melinda hier?«

Die Frage erübrigte sich eigentlich, da Melindas Wagen in der Einfahrt parkte. »Ja«, antwortete Serena irritiert, und Jeff folgte ihr ins Wohnzimmer.

Melinda und ihr Mann starrten sich für einen ausgedehnten Moment an, dann rief Melinda seinen Namen, eilte auf ihn zu und fiel ihm in die Arme. Es war eine Szene wie aus einem Liebesfilm. Eine Zeit lang hielten sie sich fest und sagten kein Wort, doch schließlich flüsterte Jeff: »Lass uns nach Hause fahren.«

Melinda nickte, gleichzeitig klammerte sie sich an ihren Mann, als wolle sie ihn niemals wieder loslassen. »Hast du es schon gehört?«, fragte sie und blickte mit großen Augen zu ihm auf.

»Selbstverständlich. Ich komme gerade von der Polizeiwache.«

»Von der Polizeiwache? Jeff –«

»Melinda, ich bin nervlich völlig am Ende. Ich will einfach nach Hause, okay?«

»Jane war ein billiges Flittchen!«, erklärte Melinda mit Nachdruck und betrachtete ihren Mann mit angehaltenem Atem, als ob von seiner Reaktion auf ihre Worte viel für sie abhinge.

»Ja, sie war ein richtiges Luder. Trotzdem hat sie so ein Ende nicht verdient.«

Melinda stieß die Luft aus, blickte Jeff erleichtert an und bedachte ihn mit einem Lächeln.

»Wie wäre es, wenn wir am Sonntag alle zusammen hier zu Abend essen?«, schlug Serena vor, der nicht ganz klar war, was zwischen Melinda und Jeff vorging.

Melindas Lächeln gefror. »Lädst du auch diese Soapleute ein?«

»Nein, wir wären nur zu dritt.«

»Das klingt fantastisch!«, sagte Jeff. »Danke für die Einladung, Kleines.« Jeff nannte Serena schon seit ihrer Highschoolzeit »Kleines« – seit er sich zum ersten Mal mit Melinda verabredet hatte. Serena war seither zwar ein ganzes Stück gewachsen, doch Jeff hatte diesen Kosenamen beibehalten. »Hast du auch wirklich nichts Besseres vor?«

»Ich habe vor, mit euch beiden am Sonntag zu Abend zu essen!«

»Super.« Jeff nahm Melinda bei der Hand und zog sie in Richtung Tür. Bevor sie das Haus verließen, machte sich Melinda aber noch einmal von ihm los, lief zu ihrer Schwester hinüber und drückte sie erneut fest an sich.

»Ich hab dich lieb«, wisperte sie.

»Ich dich auch«, erwiderte Serena.

»Ich bin da, wenn du mich brauchst.«

»Und ich ebenfalls. Ruf mich einfach an, wenn irgendwas ist.«

Melinda nickte, und dann eilten sie und Jeff hinaus.

Verhängnisvolle Begierde

Подняться наверх