Читать книгу Unheilvolle Schönheit - Heather Graham - Страница 8

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Es ließ sich nicht leugnen, dass Auspacken furchtbar nervte. Gegen vier waren Lori und Brendan so grummelig und erschöpft, dass Lori beschloss, es für heute gut sein zu lassen. Dabei kam ihr voller Verblüffung zu Bewusstsein, dass die meisten ihrer Sachen noch ausstanden und erst mit der Umzugsfirma beziehungsweise der Paketpost eintreffen würden. Sie hatten den größten Teil ihrer Kleidung mitgenommen, Brendans Sportausrüstung sowie Loris Präsentationsmappen mit den Designmustern für die Kollektion, an der sie gerade arbeitete.

Das Haus brauchte eine zentrale Klimaanlage. Im Augenblick lief alles noch über einzelne Aggregate. Da der Frühling sehr schön zu werden versprach, funktionierte das Hauptaggregat glücklicherweise recht gut.

Brendan duschte, während Lori das eigentliche Badezimmer benutzte. Gerade als sie aus der Wanne stieg, hörte sie unten Stimmen. Sie wickelte sich in ein Handtuch und schlich zur Tür. Brendan und sie wollten am nächsten Tag mit ihrer Familie frühstücken, sodass sie nicht erwartet hatte, jemanden von ihnen vorher zu sehen. Doch als sie auf Zehenspitzen zur Treppe ging, sah sie Jan Hunt unten stehen und zu ihr hochblicken. »Hey!«

» Hey!«, erwiderte sie mit leicht gekünstelter Begeisterung. Eigentlich hatte sie den heutigen Tag mit Brendan verbringen wollen, um sich gemeinsam mit ihm ein bisschen einzuleben. Andererseits war Jan eine gute Freundin. Nach dem letzten Highschooljahr hatten sie sich mehr oder weniger aus den Augen verloren. Lori war fast unmittelbar danach nach London abgereist, während die meisten anderen aus ihrem Freundeskreis aufs College gegangen waren. Doch als Lori aus London zurückkam, um in New York zu studieren, hatte Jan ihr geschrieben. Sie war durchgebrannt. Mit Brad Jackson, ausgerechnet. Sie hatte Lori um Vergebung gebeten, die Lori – die sich zu dem Zeitpunkt kaum noch an Brad erinnern konnte – ihr bereitwillig gewährt hatte.

Die Ehe hatte nicht länger als zwei Jahre gedauert. Jan und Brad hatten nach wie vor eine wenn auch sehr wechselhafte Liebesbeziehung, doch selbst in Situationen, da Jan Brad am liebsten den Hals umgedreht hätte, tröstete sie sich mit dem Gedanken, dass Brad ihr Tina, ihre gemeinsame Tochter, geschenkt hatte. Was Lori durchaus nachvollziehen konnte, vor allem nachdem sie Tina kennen gelernt hatte. Die Dreizehnjährige war ein hinreißendes Mädchen. Wie ihre Eltern hatte sie große blaue Augen und platinblondes Haar – wie ihr Vater. Ihr Körper fing bereits an, sich weiblich zu runden. Außerdem hatte sie ein sehr einnehmendes Wesen, was sie zweifellos von Jan geerbt hatte. Lori konnte sich zwar nicht mehr sonderlich gut an Brad erinnern, wusste aber noch, dass er nie ein besonders freundlicher oder netter Mensch gewesen war.

» Ich wollte, dass die Kinder sich kennen lernen!«, rief Jan nach oben. Grienend kam sie die Treppe hoch. »Hab sie einander schon vorgestellt. Deine Zeitung hab ich dir auch mitgebracht! «, fügte sie hinzu und hielt den Miami Herald hoch.

» Ich wusste gar nicht, dass ich die Zeitung bekomme.«

» Sie lag auf dem Rasen vorm Haus.«

» Na wunderbar. Momentchen noch, Jan, ich muss mich erst anziehen.«

» Ach, nun komm, schließlich haben wir auf der Schule immer nebeneinander geduscht!« Jan lachte schamlos und stieg, ohne sich um Loris Bitte um Diskretion zu kümmern, weiter die Treppe hoch. Nachdem sie Lori umarmt hatte, machte sie es sich auf dem Bett bequem, einem der wenigen Möbelstücke, die sie im Auftrag von Lori gekauft hatte.

» Für zweiunddreißig siehst du verdammt gut aus!«, stellte Jan kopfschüttelnd fest. »Aber du bist ja auch groß. Große Menschen sehen immer schlank aus. Abgesehen davon, dass du wirklich schlank bist. Gute Figur. Hattest du ja früher schon. Irgendwie habe ich gehofft, dass du inzwischen wenigstens einen Ansatz von Zellulitis hättest.«

Lori zog eine ihrer Augenbrauen hoch und suchte in dem hastig eingeräumten Wandschrank nach ihrem rückenfreien Strickkleid, das sie sich über den Kopf zog, wobei sie gleichzeitig ihr Handtuch fallen ließ. »Natürlich habe ich Zellulitis. Die hat jede Frau. Und wir sind erst zweiunddreißig. Da kann man ja wohl kaum schon von Verfallserscheinungen sprechen, weißt du. Außerdem … heißt es nicht, dass wir nicht älter werden, sondern schöner – oder so?«

» Trotzdem. Ab dreißig geht’s bergab«, seufzte Jan, während sie nebenher die Zeitung aufschlug. »Ich bekomme immer mehr Falten, und die ersten grauen Haare sind auch schon da, von Krähenfüßen ganz zu schweigen.«

Lori lachte, runzelte jedoch anschließend die Stirn, da Jan sich ernsthaft Sorgen zu machen schien. Früher hatte sich Jan nie allzu große Gedanken um ihr Aussehen gemacht. Sie war eine schöne Frau mit brünettem Haar, himmelblauen Augen und vollschlanker Figur.

» Alter ist was Relatives, weißt du. In den Augen meiner Mom sind Andrew und ich immer noch Kinder. Und du siehst einfach klasse aus, Jan. Besser denn je«, versicherte ihr Lori.

» Meinst du? Du warst schon immer so nett zu allen, Lori. Wie gehässig konnten wir als Kinder sein. Nur du hast nie etwas Schlechtes über andere gesagt. Schönheit und Anständigkeit – bevor ich dich mochte, habe ich dich gehasst, weißt du. Du warst so verdammt perfekt und hattest auch noch die Unverschämtheit, nett zu sein! Ehrlich – als wir Kinder waren, musste ich einfach deine Freundin werden, sonst hätte ich mich vor Neid verzehrt.«

Lori schnitt eine Grimasse. »Jan, wir waren damals noch sehr jung. Du tust ja so, als sei ich eine Art Mary Poppins, aber das bin ich nicht und das war ich auch nie. Trotzdem möchte ich offen gestanden nicht noch mal Teenager sein. Mein jetziges Alter gefällt mir besser.«

» So was kannst du sagen, weil dein Kind ein Junge ist. Aber mein Teenager ist ein Mädchen. Obwohl ich die Kleine über alles liebe, komme ich mir manchmal, wenn ich sie ansehe, schon ganz verbraucht vor. Das wird mir eine Lehre sein. Sollte ich noch mal ein Kind bekommen, dann nur einen Jungen!« Plötzlich nahm ihr Gesicht einen ernsten Ausdruck an. »Übrigens habe ich eine Neuigkeit für dich! Da wir gerade von Männern sprechen …«

Sofort verstummte sie und wurde ganz blass. Lori bemerkte, dass sie auf die Zeitung starrte, die sie von draußen mit hereingebracht hatte.

» Was ist denn?«

» Kannst du dich noch an Eleanor Metz erinnern?«

Lori schüttelte den Kopf.

» Du musst dich doch an sie erinnern, da bin ich mir ganz sicher. «

» Der Name Metz sagt mir überhaupt nichts …«

» Moment mal, Metz war ein angeheirateter Name. An Eleanor kannst du dich doch sicher noch erinnern, oder?«

» Eleanor. Nein. Ach so, du meinst … Ellie?«, fragte Lori.

» Ja.«

» Wieso? Was ist denn passiert?«

Jan starrte sie an, weiß wie ein Laken.

» Jan?«

» Eleanor ist tot!«

» Du liest also gern?«, fragte Tina Jackson, während sie sich eine Strähne ihres langen blonden Haars um den Finger wickelte und ihren neuen Freund Brendan Corcoran studierte.

Erstaunlicherweise lief das alles viel besser als erwartet.

Sie zwar ziemlich sauer gewesen, weil ihre Mutter sie hergeschleppt hatte, um irgendeinen linkischen, schimmerlosen Knaben aus New York, der hier keine Freunde hatte, kennen zu lernen. Sie war ja durchaus hilfsbereit, aber sie hatte auch noch jede Menge Hausaufgaben zu erledigen. Außerdem war sie Cheerleader, und morgen fand ein Spiel statt. Ihre Mutter hingegen schien sie für eine Art Empfangskomitee für Kinder von Leuten von außerhalb zu halten, denen sie ein Haus verkaufte. Ein bisschen neugierig auf Brendan Corcoran war sie schon gewesen. Ihre Mutter und seine waren von früher her Freundinnen, seine Großeltern lebten hier, sein Onkel lebte hier, sein Urgroßvater lebte hier. Trotzdem war er noch nie im Dade County gewesen. Komisch. Und da er in London geboren worden war, hatte sie erwartet, dass er sich anhören würde wie die Jungs von Oasis oder das Mädchen von Republica. Oder wie die alten Beatles. Er hatte aber überhaupt keinen Akzent. Noch nicht mal einen New Yorker Akzent, obwohl er in dieser Stadt aufgewachsen war. Den gebe es nur in bestimmten Vierteln, hatte er erklärt. New York sei toll, hatte er gesagt. Da sei mehr los, als sie sich vorstellen könne, und die Leute dort kämen aus allen Teilen der Welt. Ihrer Ansicht nach war es nirgendwo auf der Welt so toll wie in Südflorida. Hier konnte man fast jeden Tag des Jahres Wasserski laufen, Boot fahren, tauchen, in der Sonne liegen, schwimmen, spielen. Trotzdem widersprach sie ihm nicht, als er von New York schwärmte. Weil sie ihn mochte. Wirklich mochte. Er war witzig, höflich – und süß. Sehr süß sogar. Hinreißend. Groß, dunkelhaarig, attraktiv und cool. Sein Lächeln war fantastisch, seine Stimme leicht heiser, und er hatte etwas Lässiges an sich, das ihr Herz zum Hämmern brachte. Er würde keine Probleme haben, sich hier einzuleben. Wenn ihn ihre Freundinnen erst mal zu Gesicht bekamen … Aber zunächst einmal war sie am Zuge.

Er war müde, da er den ganzen Tag damit verbracht hatte zu versuchen, aus einer neuen Wohnung ein Zuhause zu machen. Trotzdem hatte er sich ganz wundervoll verhalten.

Obwohl er seine Arbeit nicht unterbrochen hatte und weiterhin bemüht blieb, sich häuslich einzurichten – hauptsächlich, indem er seinen CD-Player in einem Bücherregal installierte –, hatte er sich die ganze Zeit über mit ihr unterhalten.

Jetzt machte er endlich eine Pause. Sie setzten sich zusammen auf das antike Sofa, das zum Inventar des Hauses gehörte und tranken Limonade aus der Dose.

Seine haselnussbraunen Augen – tolle Augen mit goldenen Einsprengseln – richteten sich auf sie. »Ja, ich lese gern«, gab er zu. Auf das Thema waren sie gekommen, weil sie ein SF-Buch mitgebracht hatte, nur für den Fall, dass sie keinen anderen Gesprächsstoff fanden.

Eine völlig unbegründete Befürchtung.

Es sprudelte nur so aus ihnen heraus. Er grinste. »Siehst du die ganzen Kartons da drüben, auf denen Sportzeug steht?«

» Ja, und?«

» Da sind Bücher drin«, gestand er verlegen.

» Dann spielst du also gar nicht Hockey?«

» Doch«, sagte er lachend. »Genauer gesagt, ich habe gespielt«, fügte er mit einem Achselzucken hinzu. »Keine Ahnung, ob sich das hier fortsetzen lässt.«

» Auf meiner Schule könntest du so viel Sport machen, wie du willst«, sagte sie verdrießlich. »Ich geh auf eine Privatschule, auf der es fast mehr Trainer als Sportler gibt, weißt du.«

» Ich gehe auf die staatliche Schule«, teilte er ihr mit.

» Nun«, erwiderte sie gelassen, »du bist ja noch gut in Form. Schließlich ist das dein erstes Jahr, und richtig zur Sache kommen die Teams erst, wenn du ein bisschen älter bist, weißt du.« Er grinste, zuckte die Achseln und strich sich eine lange Locke seines dunklen Haars aus der Stirn. »Wer weiß. Wird sich finden.« Er senkte die Stimme, für den Fall, dass sie die Frauen oben hören konnten. »Zu blöd, dass ich nicht auf deine Schule komme.«

Sie zog die Nase kraus. »Ich würde lieber auf die staatliche Schule gehen. Aber eigentlich spielt das keine Rolle. Eine Menge meiner Freunde sind auf der staatlichen. An den Wochenenden hängen wir immer noch zusammen rum, manchmal auch nach der Schule. Ich kann dir ’ne Menge Leute vorstellen. Freitagabend zum Beispiel. Da geht eine Gruppe von uns in Coconut Grove ins Kino. Willst du mitkommen?«

» Klar.« Er zog die Schultern hoch. »Vorausgesetzt, dass mich meine Mom lässt.«

Tina grinste. »Meine musste ich auch erst ziemlich lange bearbeiten. Coconut Grove ist eine Art Touristengegend, aber als unsere Mütter Kinder waren, haben sie da auch immer rumgehangen. Mein Dad meint, dort wimmle es von kaputten Typen, Dealern und so.«

» Stimmt das?«

Sie lachte. »Ein paar gibt es schon. Aber eigentlich ist es da ganz okay. Früher ist Mom immer mitgekommen, sonst hätte ich nicht hingedurft. Heute lässt sie mich allein gehen, vorausgesetzt wir sind eine Gruppe von mindestens fünf Kindern. Wenn du bei mir bist, wird sie extrem froh sein. Du bist der größte Junge in meinem Alter, den ich kenne. Mom glaubt immer, Mädchen seien besonders gefährdet«, sagte sie und schnitt eine Grimasse.

Er lachte. »Soll ich dir mal was verraten? Über Söhne machen sich Mütter auch Sorgen. Meine Mutter hat sogar einen Plan ausgearbeitet, auf dem verzeichnet war, wo ich in New York hindurfte und wo nicht. Wird nicht lange dauern, bis sie auch einen für diese Gegend hier macht.« Plötzlich knurrte sein Magen. Er verstummte, blickte Tina an und wurde knallrot.

Dann brachen sie beide in Lachen aus.

» Entschuldigung«, murmelte er. »Hey, wo, glaubst du wohl, gehen wir zum Dinner hin? Wie du ja sicher gemerkt hast, hab ich einen Bärenhunger.«

» Magst du Pasta?«

» Klar.«

» Gut. Weil ich nämlich glaube, dass wir zu einem italienischen Restaurant in Coconut Grove fahren. Dann kannst du dir die Gegend gleich mal selbst ansehen. Hey, sag mal, liest du Michael Shayne?«

» Klar. Einer meiner Lieblingsautoren.«

» Na, stell dir mal vor, der war hier. Hat in einer Buchhandlung in der Nähe des Restaurants seine Bücher signiert.«

» Er war hier? Ich dachte immer, der Typ halte nichts davon, seine Fans zu treffen.«

» Vermutlich tritt er hier und da mal auf, um sein neues Buch vorzustellen«, sagte Tina. »Jedenfalls war er hier!« Sie boxte ihn sanft gegen den Arm. »Ein Pluspunkt für Miami!«

Er schien die Stichelei gar nicht zu bemerken. Es ärgerte ihn, dass er die Signierstunde verpasst hatte. »Er war hier, aber jetzt ist er wieder weg, ja?«, fragte Brendan enttäuscht.

» Keine Ahnung, aber ich konnte auch nicht hin, weil ich unbedingt zu einem Treffen der Cheerleader musste. War absolute Pflicht. Aber Michael Shayne hat ein paar signierte Exemplare in der Buchhandlung gelassen, und ich habe einen Freund, der dort im Coffeeshop arbeitet – der hat versprochen, mir ein paar beiseite zu legen. Wie ich dir schon gesagt habe, in Coconut Grove ist es absolut cool. Wir werden was essen, uns die Gegend ansehen – wird bestimmt ganz toll.«

» Ja.« Er lächelte sie auf eine Weise an, bei der ihr ganz warm zumute wurde. »Glaub ich auch.« Er drückte ihre Hand, stand auf und steuerte auf seine Kartons zu.

Sie blickte auf ihre Hand und grinste. Sie war dabei, sich zu verlieben.

» Tot? Wie denn das?«, fragte Lori.

» Ermordet«, antwortete Jan, während sie kopfschüttelnd auf die Zeitung starrte. »Sie war mit ein paar Freundinnen im South Beach Club, dem Stork. Dann ist sie gegangen, hat ihr Auto aber nicht benutzt, das noch am Club stand. Ihre Leiche wurde in der Nähe der Alligator Alley bei Fort Lauderdale gefunden. Vermutlich hat jemand versucht, sie zu versenken, und sie ist wieder aufgetaucht. Mehr Einzelheiten gibt die Polizei im Moment nicht preis«, sagte Jan.

» Das ist ja entsetzlich!«, sagte Lori.

Jan schüttelte von neuem den Kopf.

» Hast du sie in der letzten Zeit mal gesehen?«, fragte Lori.

» Oh … wir sind uns im Laufe der Jahre nur ab und zu begegnet«, sagte Jan. »Sie war drei Mal verheiratet. Von dem letzten Mann hat sie sich vor ungefähr einem Jahr getrennt. Der war, glaube ich, ziemlich schräg. Aber das war sie ja schließlich auch.«

» Inwiefern? Kann mich gar nicht mehr erinnern.«

» Na ja, sie war ungefähr so wie Mandy. Immer sehr nett, konnte aber gewaltig über die Stränge schlagen. Einmal bekam sie eine Anzeige, weil sie nackt in einem Brunnen getanzt hatte, ein andermal ist sie wegen Trunkenheit am Steuer verhaftet worden. Ich glaube, sie hat ihr Leben auf der Überholspur geführt, weißt du, und nach etwas gesucht, das sie nie ganz finden konnte. Aber«, fügte Jan ironisch hinzu, »das tun wir doch alle, oder?«

» Trotzdem ist das furchtbar. Niemand verdient es, ermordet zu werden, ganz gleich, was für ein flottes Leben man führt«, murmelte Lori. Plötzlich konnte sie sich wieder deutlich an Eleanor erinnern. Sie war mit Mandy zur Kiesgrube gekommen, an jenem Tag, als sie zum letzten Mal alle zusammen gewesen waren. Ihr fiel ein, wie Eleanor in ihrem Bikini ausgesehen hatte, wie sie lachend mit Mandy auf das Wasser zugerannt war. Und später dann mit den anderen Übrigen …

Als Mandy aus dem Wasser gefischt worden war und Sean verzweifelt Wiederbelebungsversuche unternommen hatte, bloß damit die Polizei der Überzeugung gewesen war, dass …

» Du hast Recht«, sagte Jan mit einem tiefen Seufzer. »Es ist wirklich furchtbar, und ich hoffe sehr, dass sie den Kerl kriegen. Ich wollte ja nicht sagen, dass Eleanor es nicht anders verdient hat oder so. Es ist bloß so, dass einen ein lockerer Lebenswandel schnell in Schwierigkeiten bringen kann, vor allem wenn man sich mit Männern einlässt, die man nicht kennt. Heutzutage kann sich fast jeder als mörderischer Irrer entpuppen. Obwohl ich diesen Club immer sehr mochte, werde ich da sicher eine Weile nicht mehr hingehen!«

» Du willst also immer zu Hause bleiben und ganz brav sein?«

» Eine Zeit lang. Na ja, zumindest werde ich keine Clubs aufsuchen und auch nicht nachts um die Häuser ziehen. Vielleicht rufe ich Brad mal an, um zu hören, was er an den nächsten Wochenenden vorhat.«

Trotz der traurigen Situation musste Lori grinsen. »Ah! Wenn man weiß, was für Monster da draußen rumlaufen, ist der Ehemann auf einmal wieder genehm, wie?« Lori sah Jan mit hochgezogener Augenbraue an.

» Der Ex-Ehemann, vergiss das nicht. Aber eine Frau hat schließlich ihre Bedürfnisse, deshalb werde ich jetzt vielleicht ein Weilchen nett zu ihm sein«, murmelte sie. »Gruselig, das Ganze.«

In diesem Augenblick war von unten ein Aufkreischen zu hören. Die beiden Frauen zuckten zusammen und starrten einander an. Dann stürzte Lori zur Tür und rannte die Treppe hinunter, dicht gefolgt von Jan. Mit hämmerndem Herzen überlegte Lori, was wohl passiert sein mochte.

Am Fuß der Treppe blieb sie so plötzlich stehen, dass Jan gegen sie prallte.

Tina saß auf dem Sofa, während Brendan einen Karton mit CDs durchsah. Tina kreischte vor Lachen. Als sie ihre Mutter und Lori erblickte, entschuldigte sie sich rasch. »Oh, tut mir Leid, aber er hat mir gerade erzählt, dass er die Monkees mag! Das muss man sich mal vorstellen! Die Monkees!«

Lori sackte gegen die Treppe.

Brendan blickte auf und sah seine Mutter an, die es ungemein erleichterte, dass er sich gut mit Tina zu verstehen schien. Eigentlich kein Wunder. Das Mädchen war nicht nur sehr hübsch, sondern auch sehr nett.

» Sie hat überhaupt keinen Geschmack, Mom. Entschuldigung, Mrs. Jackson.«

» Die Monkees?« Jan rümpfte die Nase und starrte Lori herausfordernd an, um ihre Tochter zu verteidigen. »Außerdem trage ich wieder meinen Mädchennamen Hunt, Brendan, aber du kannst ruhig Jan zu mir sagen.«

» Mach ich«, erwiderte Brendan höflich. »Mom, ich falle bald um vor Hunger«, fügte er hinzu. »Gehen wir was essen?«

» Natürlich«, sagte Lori und sah Jan an. Jetzt kam es ihr ein wenig absurd vor, dass Tinas kreischendes Gelächter sie beide so in Panik versetzt hatte. Betreten schauten sie sich an und kamen stillschweigend überein, in Gegenwart der Kinder kein Wort über die Ermordung ihrer alten Bekannten zu sagen.

» Ich lade euch alle zum Dinner ein«, verkündete Jan und sah erst Lori, dann Brendan, dann wieder Lori an. Sie zwang sich zu einem Grinsen und fügte fröhlich hinzu: »Schließlich hat mir der Verkauf dieses Hauses eine nette Provision eingebracht.«

» Hey, gut, dann kannst du uns wirklich einladen. Wo fahren wir denn hin?«, fragte Lori.

» Nach Coconut Grove. In ein tolles kleines italienisches Restaurant, das es zu deiner Zeit noch nicht gab.« Lori bemerkte, dass Tina Brendan mit dem Ellbogen anstieß. Sie hatte offenbar gewusst, wo sie hinwollten, und freute sich darüber.

» Ich würde aber vorschlagen«, fuhr Jan fort, »dass wir beide Autos nehmen. Könnte ja sein, dass du noch ein bisschen mit Brendan in der Stadt bleiben willst. Ich muss nämlich hinterher zu einem Kunden. Wie du sehen wirst, hat sich in den letzten fünfzehn Jahren vieles verändert!«

» In Ordnung. Ich geh nur schnell nach oben und hol meine Handtasche«, sagte Lori zerstreut.

Jan folgte ihr die Treppe hoch. »Lori?«

» Ja?«

» Du benimmst dich so seltsam. Ist alles okay?«

Lori nahm ihre Handtasche vom Bett und ging auf die Tür zu. »Ich benehme mich überhaupt nicht seltsam.«

» Als ich eben vom Dinner gesprochen habe, hast du ganz bleich ausgesehen.«

» Oh … na ja, vermutlich weil ich immer noch an Eleanor denken musste.«

» Versteh ich ja, aber richtig befreundet war eigentlich keine von uns mit ihr. Du hattest sie fünfzehn Jahre lang nicht gesehen, und ich bin ihr in der Zeit auch nur ein paarmal begegnet. «

» Trotzdem …«

» Lori, man darf sich einfach nicht alles so zu Herzen nehmen. Du hast schon immer mit allen mitgelitten, aber inzwischen müsstest du gelernt haben, dass das nicht geht. Das Leben ist halt scheußlich.«

» Und eines Tages müssen wir alle sterben, ja?«, entgegnete Lori in sarkastischem Ton.

» Genau. Solche schlimmen Dinge passieren nun mal. Viele von denen, mit denen wir zur Schule gegangen sind, sind schon tot. Petey Fitzhugh ist seiner Hämophilie erlegen. Larry Gonzalez ist mit siebenundzwanzig an Krebs gestorben. So ist der Lauf der Dinge.«

» Ellie wurde ermordet«, rief Lori ihr in Erinnerung.

Sie starrten einander an. Lori hatte das Gefühl, dass sie beide im Begriff waren zu sagen: » Und Mandy auch!«

Doch keine von ihnen sprach die Worte aus, die wie ein Gifthauch zwischen ihnen in der Luft hingen. Damals jedoch, an jenem bewussten Tag, hatte niemand von ihnen angenommen, dass Mandy ermordet worden war. Das war die Ansicht der Polizei und des Staatsanwalts gewesen, der Anklage erhoben hatte.

» Mom!«, rief Brendan.

Seine Stimme klang flehend. Das Kind war am Verhungern. Jan hatte Recht. Sie konnte sich nicht alles Böse, das auf der Welt geschah, zu Herzen nehmen.

» Er muss wirklich Hunger haben. Wir sind nämlich noch nicht einkaufen gewesen. Ich habe Milch, Kaffee, Orangensaft und Limonade da, mehr nicht. Lass uns aufbrechen.«

» Jawohl, lass uns aufbrechen«, stimmte Jan ihr zu.

» Allerdings …« murmelte Lori.

» Allerdings was?«

» Sind wir da auch sicher?«, fragte Lori leise.

Jan seufzte. »Schätzchen, wo wir hinfahren, wimmelt es von Touristen. Nun sieh bloß zu, dass du nicht paranoid wirst, kaum dass du hier bist! An Wochenenden lasse ich Tina sogar mit ihren Freunden nach Coconut Grove fahren. Auf den Straßen sind rund um die Uhr jede Menge Polizisten. Ellie wurde aus einem South Beach Club entführt, wo sie wahrscheinlich versucht hat, Männer aufzugabeln.«

» Vermutlich steckt mir immer noch der Schreck in den Knochen«, sagte Lori. Doch als sie das Haus verließen, dachte sie bei sich, dass sie sobald wie möglich eine gute Alarmanlage installieren lassen würde.

Der Schreck steckte ihr noch in den Knochen. Genau das war’s. Sie hatte in Miami, London und New York gelebt. Das waren alles große Städte, wo man lernen musste, vorsichtig zu sein, Städte, in denen viel zu häufig Morde geschahen. An einem Mord in Miami war nichts Erstaunliches.

Bloß dass …

… das Opfer eine alte Freundin von ihr gewesen war.

Eine alte Freundin, ja, eine alte Freundin, jemand, den sie seit fünfzehn Jahren nicht gesehen hatte. Sie musste endlich aufhören, daran zu denken …

Obwohl sie nicht glaubte, dass sie dazu in der Lage war, tat es ihr gut, draußen zu sein – vertraute Straßen entlangzufahren, die nicht mehr ganz so vertraut waren. All das lenkte Lori ein wenig von dem ab, was mit Ellie geschehen war.

Coconut Grove hatte sich in der Tat verändert. Was für ein Leben hier herrschte – und das an einem Montagabend!

Die Gegend war schon immer ziemlich schickimicki gewesen, mit Kunstgewerbegeschäften und Boutiquen, die sich mit den Filialen großer Ladenketten abwechselten. Lori kam gar nicht über all die neuen Gebäude, die Unmengen von Autos und Menschen hinweg. In der Hauptstraße standen vor einem Planet Hollywood Reisebusse. Sie fühlte sich nach New York zurückversetzt, so viele Sprachen wurden um sie herum gesprochen.

Das italienische Restaurant, das Jan ausgesucht hatte, war klein und offenbar sehr gut, da es gerammelt voll war. Aus einem anderen Restaurant gegenüber war Musik zu hören, auf der verstopften Straße ertönten Autohupen, sodass sie, als sie auf ihren Tisch warteten, laut sprechen mussten, um sich verstehen zu können. Sobald sie am Tisch saßen, stellte Jan Lori alle Mitarbeiter des Restaurants, die gerade vorbeikamen, vor. Das erwies sich als gut, weil Jans Pager gleich darauf anfing zu piepsen. Jan verschwand, um zu telefonieren. Als sie wiederkam, entschuldigte sie sich und erklärte, dass sie gehen müsse.

» Ich bring dich schnell nach Hause, Tina«, sagte Jan.

» Das kann Mom doch machen«, protestierte Brendan.

» Falls es ihr nichts ausmacht«, warf Tina ein.

» Aber Tina, du hast doch gesagt, du hättest Unmengen von Hausaufgaben und müsstest nach dem Dinner noch Tausenderlei erledigen …«

» Ich glaube, es ist schon okay, wenn ich noch ein bisschen länger hier bleibe«, sagte Tina und errötete leicht.

Lori senkte rasch den Kopf, um ihr Lächeln zu verbergen. Tina hatte befürchtet, dass sich Brendan Corcoran als seltsam oder doof erweisen könnte, hatte sich aber auf Drängen ihrer Mutter bereit erklärt, mitzukommen und ihn willkommen zu heißen. Um dann festzustellen, dass er ziemlich süß war.

» Ich bring sie gern nach Hause. Es wird auch nicht zu spät werden«, versicherte Lori Jan. »Ist doch selbstverständlich, bei allem, was du für mich getan hast.«

» Ich habe dir ein Haus verkauft.«

» Und rumgesessen, um auf Möbellieferungen zu warten, und dich um unzählige andere Dinge gekümmert!«, erinnerte sie Lori.

» Na gut. Dann ciao, Leute!«, sagte Jan und stürmte davon.

Das Essen war köstlich, der Service erstklassig. Trotzdem hatte Lori im Laufe der Mahlzeit rasende Kopfschmerzen bekommen. Tina erzählte Brendan gerade von den verschiedenen Geschäften, die es in den beiden Einkaufszentren, in der Hauptstraße und den Nebenstraßen gab.

» Hey«, warf Lori ein, »sicher würdet ihr zwei gern ein bisschen rumlaufen, aber offen gestanden, bin ich völlig erschöpft, so Leid mir’s tut.«

» Darf ich wenigstens schnell zu dem großen Buchladen im Mayfair laufen?«, fragte Brendan und sah sie mit seinen haselnussbraunen Augen flehentlich an. »Tina sagt, dass Michael Shayne da signiert hat und signierte Exemplare von seinem neuesten Roman im Laden gelassen hat.«

» Wir könnten ja morgen wieder herkommen …«

» Dann sind die Bücher vielleicht schon weg«, erwiderte Brendan und starrte sie an.

Sie seufzte. Der Name des Autors war ihr mehr oder weniger vertraut. Wenn sie Zeit dazu hatte, las sie sehr gern, obwohl ihr Michael Shayne ein bisschen zu grausig war. Trotzdem war sie froh, dass Brendan so viel las, und förderte sein Interesse an Büchern, wo sie nur konnte. »Na schön. Dann geh mal schnell und …«

» In der Buchhandlung gibt es eine Coffee Bar. Vielleicht dürften wir da zehn Minuten hingehen und uns dort mit Ihnen treffen?«, fragte Tina in hoffnungsvollem Ton.

Lori lächelte. Es war Montagabend. Morgen mussten die Kinder alle zur Schule, sodass wahrscheinlich nicht allzu viele von ihnen in der Stadt waren. Aber vielleicht wusste Tina, dass einige ihrer Freunde trotzdem in der Gegend sein würden, um sich einen Film anzusehen, einkaufen zu gehen oder an der Hamburgerbude in der Hauptstraße rumzuhängen. »Ihr dürft sogar fünfzehn Minuten bleiben. Aber wirklich nur …«

» Fünfzehn Minuten. Versprochen«, sagte Brendan.

Die Kinder gingen. Lori erfuhr, dass Jan die Rechnung bezahlt hatte, bevor sie gegangen war. Nachdem sie sich beim Personal bedankt hatte, verließ sie das Restaurant. Sie bahnte sich einen Weg durch die überraschend vollen Straßen und steuerte auf die Buchhandlung zu. Das Mayfair-Einkaufszentrum war riesig und enthielt Dutzende von Läden sowie ein Hotel. Das italienische Restaurant lag näher am Cocowalk, dem zweiten Einkaufszentrum in der Gegend. Als Lori durch die Straßen ging, kam ihr zu Bewusstsein, wie groß und dicht besiedelt Miami mit all seinen Vororten war. Ungefähr drei Millionen Menschen lebten hier. Und ständig veränderte sich die Stadt und wurde immer größer. Bisher hatte sie noch nichts und niemanden wirklich wieder erkannt. Sie war zwar in ihre Heimatstadt zurückgekehrt, aber ihre Heimatstadt schien ihr anders als früher. Sie konnte sich entspannen.

Ja, in der Tat anders. Eleanor war ermordet worden.

Plötzlich gingen um sie herum die Straßenlampen und die Lichter in den Geschäften aus. Sie hörte Schreie, hörte, wie Autos aufeinander auffuhren und Alarmsirenen losgingen.

Ein lokaler Black-out, nur keine Panik!, redete ihr Verstand ihr zu. Sie hörte einen Polizisten fluchen, während hier und da Notbeleuchtungen aufblinkten.

Doch plötzlich wurde sie von Unruhe gepackt. Brendan. Wenn Brendan irgendwas zustieß, würde sie das nicht verkraften. Sie rannte.

In den Schatten, die von einem bleichen Mond geworfen wurden, bog sie in den Innenhofbereich des Einkaufszentrums ein und eilte ein paar Stufen hoch, um schon im nächsten Moment mit einer anderen Person zusammenzuprallen, die aus der entgegengesetzten Richtung kam. Lori taumelte zurück und stürzte beinahe zu Boden. Kräftige Arme fassten in der Dunkelheit nach ihr und hielten sie fest. Sie fiel nicht hin, konnte sich aber auch nicht mehr rühren.

Wolken schoben sich vor den Mond. Jetzt war es noch dunkler als zuvor.

Ihr schoss durch den Kopf, dass es in Coconut Grove ziemlich gewalttätig zugehen konnte. Der Typ hier war groß und kräftig. In der Ferne hörte sie Geschrei. In ihrer unmittelbaren Umgebung war alles still und ruhig.

Sie waren allein, umgeben von Finsternis. Nun sei nicht albern, ermahnte sie sich. Nur keine Panik!

Eine tiefe Männerstimme ließ sie zusammenfahren. »Hey, sind Sie okay? Verdammt noch mal, Lady, warum haben Sie’s denn so eilig? Wo brennt’s denn?«

Der Mann klang ehrlich besorgt – und verärgert. Völlig zu Recht, wie sie fand. Sein Griff war fest und hatte verhindert, dass sie hinfiel. Er hatte sie nicht angequatscht, sondern sie war gegen ihn geprallt. Ihr mütterlicher Instinkt hatte sie wie eine Irre losrennen lassen.

» O Gott, tut mir wirklich Leid. Das war meine Schuld.« Er hielt sie immer noch fest. »Mein Sohn … aber das ist ja egal … wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden, ich muss …«

Sie verstummte. Und merkte, wie ihr der kalte Schweiß ausbrach. Sie kannte den Mann. Vor Schock fing sie an zu zittern. Sie überlegte, warum sie wohl so lange gebraucht hatte, um seine Stimme wiederzuerkennen. Sie hatte sich zwar ein wenig verändert, aber nicht sehr.

Natürlich ging der Black-out genau in dem Augenblick zu Ende. Die strahlenden Lichter von Coconut Grove schalteten sich wieder an.

Ja, er war es.

Er hatte sich verändert.

Natürlich hatte er sich verändert. Schließlich hatte sie ihn fünfzehn Jahre lang nicht gesehen.

Ein wenig, nicht sehr. Seine Schultern waren breiter geworden, seine Statur kräftiger. Seine dunklen Haare schienen ein bisschen länger als früher, seine Gesichtszüge markanter ausgeprägt. Er war groß, schlank, muskulös, auf herb-männliche Weise attraktiv. Die Ansätze, die der Junge gezeigt hatte, hatten sich beim Mann voll entwickelt.

Die Dunkelheit, der Zusammenstoß hatten sie im ersten Moment blind gemacht. Und trotzdem traute sie ihren Augen aus irgendeinem Grund nicht. Er war weggegangen. Vor fünfzehn Jahren. Sie hatte nicht gewusst, dass er zurückgekommen war. Niemand hatte sie gewarnt, niemand hatte ihr etwas davon erzählt.

» Sean?«, sagte sie, was sich anhörte, als ersticke sie fast an dem Namen. Sie räusperte sich. »Sean?«

» Lori …«

Er war ebenso überrascht wie sie. Seine Augen verrieten, wie aufgewühlt er war.

Dann kniff er sie zusammen.

Und seine raue männliche Stimme nahm einen barschen Ton an.

» Was zum Teufel tust du denn hier?«

Die Feindseligkeit in seiner Stimme bestürzte sie so sehr, dass sie ihn nur stumm anstarrte. Ihr kam zu Bewusstsein, dass ihn diese Begegnung noch mehr zu überraschen schien als sie. Im Schatten wirkten seine Augen so dunkel, dass sie schwarz statt blau aussahen, schwarz und zornig. Seine Hände hatten immer noch ihre Schultern gepackt, seine Finger bohrten sich in ihr Fleisch. »Ich habe dich gefragt, was du hier tust.«

» Ich …«

» Ach so, du besuchst deine Familie, wie? Ausgerechnet jetzt?«

Später wurde ihr klar, dass sie ihn an dem Punkt hätte auffordern sollen, sich zum Teufel zu scheren. Es ging ihn nicht das Geringste an, wo sie sich aufhielt. Doch sie war immer noch so verblüfft über diese Begegnung, so betroffen von seiner Feindseligkeit, dass sie stattdessen seine Frage beantwortete. »Ich bin nicht zu Besuch hier. Ich bin wieder hierher gezogen.«

» Du bist wieder hergezogen?«, rief er, brüllte er fast. »Ausgerechnet jetzt? Ist ja nicht zu fassen. Das ist ja einfach … einfach gottvoll ist das!«

Während er sie anstarrte, merkte er plötzlich, dass er sie immer noch festhielt, und nicht gerade sanft. Sofort ließ er sie los. » Entschuldige«, sagte er und trat einen Schritt zurück. Sie beobachtete, wie er sich zusammenriss und seine Selbstbeherrschung wiedererlangte. Dann sah er sie mit völlig ausdruckslosem Gesicht an. »Entschuldige«, wiederholte er.

Er ging an ihr vorbei, als sei sie nichts als eine Fremde, mit der er gerade zusammengestoßen war, und stolzierte mit langen Schritten rasch die Straße hinunter, um schließlich in der Menge zu verschwinden.

Unheilvolle Schönheit

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