Читать книгу Silvaplana Blue I - Auch ich war einst in Arkadien - Heide Fritsche - Страница 6

I.

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Hallo Gian, wie geht es Dir? Schon seit Tagen und Wochen träume ich von Dir, jede Nacht. Bilder und Gestalten tauchen auf, umgaukeln mich, verschwinden, schweben dahin und dorthin, sind hier und doch nicht da.

Auch heute Nacht warst Du wieder bei mir. Ich sah Dich nicht, aber ich fühlte Dich: „Ich kann nicht mit Dir kommen“, sagte ich. Du legtest Deine Hände auf meinen Rücken, ganz leicht, ganz sanft, ganz warm. Ich schmolz unter Deinen Händen. „Gian, noch nicht …“ Du warst weg. Du warst wieder da. Du hattest Deine Hände auf meinen Rücken, intensiv. Deine Hände waren überall. Ich sah Dich nicht, ich sah kein Gesicht, Du hattest kein Gesicht, aber Du warst da, warm, lebendig und von einer unendlichen Zärtlichkeit. „Ich kann nicht mit dir zusammen sein“. Du warst wieder weg, Du warst wieder da, Deine Hände waren wieder da.

Ich wachte auf. Ich wollte nicht aufwachen. Mein Körper zitterte unter Deinen Händen: „Gian, nicht jetzt, ich komme bald zu Dir, aber nicht jetzt.“ Ich schlief wieder ein, ich wachte wieder auf. Aber die Bilder verfolgten mich, Bilder von Dir, Bilder von Silvaplana. Sie halten mich feste. Ich lasse mich treiben in meinen Erinnerungen, ich verschwinde im Silvaplana Blue.

Silvaplana war mein Arkadien. Ich hatte es verdrängt. Ich hatte es seit langem vergessen. „Silvaplana war auch nur ein Traum“, sage ich mir. Das war ein Traum, der an einer unbewältigten Wirklichkeit zerbrach. Dieser Traum konnte nie Wirklichkeit werden, aber der Schmerz blieb. Plötzlich wird der Traum einer verlorenen Liebe in meinen Träumen lebendig.

Silvaplana war die Liebe zu Dir. Das war die Liebe eines Sommers, eine Liebe, die ich nicht realisieren konnte. Ich lief vor Dir weg. Ich schrieb Dir nicht, aber ich konnte Dich nicht vergessen.

Ich lief weg, weil ich Angst hatte, Angst vor den unbekannten Gefühlen in mir, Angst vor dem Chaos in mir, Angst vor Dir, Angst vor mir selber. Die Angst bohrte in mir, aber ich wusste nicht, was mich verstörte.

Ich agierte febril und merkte es nicht. Es vibrierte in mir und ich fühlte es nicht. In meinen Gedanken und Gefühlen war Chaos und ich wusste nicht warum. Ich stand unter Hochspannung. Diese Spannung war die Anziehung zwischen uns. Das war ein Magnetismus, der mich elektrisierte. Wir saßen immer in nächster Nähe zueinander. Wo wir gingen und standen berührten wir einander. Das war so selbstverständlich, als gehörten wir zueinander. Das war so selbstverständlich, als wären wir seit Ewigkeiten zusammen. Das war so selbstverständlich, dass ich mir dessen nicht bewusst war.

Dann kam der Abschied von Silvaplana. Das war der Abschied von Dir. Das war der Schock, dem ich nicht gewachsen war. Du gehörtest zu mir wie die Luft zum Leben. Als Silvaplana hinter mir verschwand, bekam ich keine Luft mehr. Ich war leer und ausgebrannt. Ich versank in der dunklen Wolke einer Depression, ich verschwand in Passivität. Ich ahnte, was Du mir bedeutest hattest, ich wusste, was Du mir bedeutet hast, aber ich konnte nicht handeln.

Der „Coup de foudre“ beim Abschied, das Erkennen wurde für mich zum „Coup de grâce“, zum Todesstoß, zum Erkennen der Unmöglichkeit, diese Liebe zu verwirklichen. Diese Unmöglichkeit lag primär und vor allem in meiner Seele. Ich wagte nicht, Dich zu gewinnen, weil ich Dich nicht verlieren wollte. Damit habe ich mich selber verloren.

Ich ließ Silvaplana hinter mir. Ich würde es nie wieder sehen. Ich verschwand aus Deinem Leben. Ich würde Dich nie wieder sehen. Das wusste ich nicht. Ich war fest bestimmt, zurück zu kommen, und doch bohrte der Schmerz in mir. Etwas tat mir weh, irrational. Ich konnte meine Unruhe nicht fassen, begreifen und benennen.

Ich versuchte, logisch zu denken. Ich räsonierte. Ich stürzte mich niemals ins Ungewisse. Silvaplana war für mich das Ungewisse. Ich musste vernünftig sein. Ich durfte mich auf keinen Unsinn einlassen. Prinzipiell ging ich jedem Risiko aus dem Weg. Das Risiko warst Du. Du warst viel zu jung, um Dich binden zu können.

Ich lief bei jeder Gefahr weg. Du warst eine Gefahr. Darum lief ich vor Dir weg. Doch der Abschied von Dir tat weh. Dieser Schmerz durfte nicht wahr sein. Meine Angst durfte nicht wahr sein. Ich konnte mir keine Angst erlauben. Ich verdrängte. Ich rationalisierte. Ich wurde zum Spielball meiner Rationalisierung. Ich wurde zum Spielball meiner Verdrängung.

Ich räsonierte aus meiner traumatisierten Seele: Ich hatte den Augenblick verpasst, glaubte ich, ich hatte meine Chance verspielt. Meine Abreise erfolgte unter einer falschen Prämisse. Ich hätte mit offenen Karten spielen sollen. Das habe ich nicht getan. Das war ein Fehltritt. Danach beherrschte ich die Situation nicht mehr, danach gab es kein Zurück für mich. Ich kroch nicht zurück, niemals, nicht als Verlierer.

Darum hast Du nichts von mir gehört, keinen Gruß, keine Postkarte, kein Dankeschön. Das war keine Gleichgültigkeit. Das war keine Frivolität. Ich verdrängte Dich, ich verdrängte Silvaplana und einen ganzen Sommer. Ich folgte der Logik meiner verkrüppelten Seele, dumm, naiv, blind, arrogant und zum Schluss resigniert. Ich resignierte in Trauer. Ich wollte Dich vergessen und konnte es nicht, die Erinnerung blieb, sie tat weh. Die Erinnerung schmerzt noch immer. Je tiefer ich darin grabe, desto tiefer geht mein Blue.

Silvaplana Blue I - Auch ich war einst in Arkadien

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