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9.

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Als Elfi zurückkommt und die beschriebenen Seiten in Lydias Tagebuch sieht, grinst sie.

„Es ging wirklich wie von selbst“, bestätigt Lydia, die durch das Geräusch der sich öffnenden Tür wach geworden ist. „Ich bin froh, dass ich mit dir das Zimmer teile und du mich ständig beruhigst und vorwarnst.“

„Ach“, währt Elfi ab, „bei Ingrid wärst du sicher auch gut aufgehoben. Sie würde dir die Karten legen und bestimmt nur gute Dinge für dich voraussehen, egal was die Karten sagen. Notfalls würde sie deine Zukunft einfach in die richtige Richtung pendeln.“

Lydia grinst und erwidert: „Na ja, Ingrid ist bestimmt keine Hilfe. Trotzdem muss es ein Albtraum sein, in einem Einzelzimmer zu wohnen. Irgendwie würde ich mir da verloren vorkommen. Ich bin ganz froh, mit dir zusammen sein zu können.“

„Es kommt eben darauf an, dass die Chemie zwischen den Patienten, die sich ein Zimmer teilen müssen, stimmt. Wenn ich ständig Ingrids Nähe ertragen müsste, wäre mir das bestimmt unheimlich, und ich könnte nachts kein Auge zumachen. Die lässt einem ja keine Ruhe mit ihren Geschichten und der ganzen Hexerei.“

„Hexerei hin oder her“, sagt Lydia. „Bei unserem Klassentreffen habe ich eine ehemalige Mitschülerin wiedergetroffen, die als Heilpraktikerin tätig ist. Sie hat mit Begriffen um sich geworfen, dass so mancher sogar vermutete, dass sie eine Zigeunerin ist. Na ja, ihr Aussehen hat natürlich auch etwas dazu beigetragen. Ich bekam mit der Zeit jedoch den Eindruck, dass sie weiß, wovon sie spricht.“

„Heilpraktiker haben ja auch eine Ausbildung. Unsere Hexe hatte nur eine Erleuchtung für ihren Hokuspokus. Darin liegt ein kleiner Unterschied.“

„Ich werde versuchen, die sich eventuell ergebenden Gespräche mit Ingrid abzukürzen und nicht ernst zu nehmen“, sagt Lydia. „Obwohl ihre verrückten Geschichten für mich vielleicht interessant sein könnten.“

„Inwiefern?“

„Na, für einen meiner nächsten Romane.“ Lydia grinst. „Über eine Hexe habe ich noch nie geschrieben.“

„Hmm“, macht Elfi. „Ich würde gern ein Buch von dir lesen. Hast du zufällig eins dabei?“

„Ja. Sogar das neueste mit dem Titel `Lebt wohl, Familienmonster´. Das ist die Geschichte von meinen Urlaubsbekannten.“

Lydia geht zu ihrem Schrank und nimmt es heraus.

Als Elfi sich das Titelbild anschaut, grinst sie und sagt: „Upps. Der Mond strotzt ja vor lauter Begeisterung.“

Lydia nickt. „Ich hatte mir viele Gedanken gemacht, wo ich die Familienmonster ablade. Die Idee mit dem Mond kam mir gerade recht. Der kann sich nicht wehren und muss zusehen, wie er mit denen klarkommt.“

„Man sagt ja nicht umsonst: `Ich würde dich am liebsten auf den Mond schnipsen´, wenn man jemanden loswerden will“, sagt Elfi lächelnd. „Auf diese Idee sind schon andere gekommen, die mit ihren unliebsamen Verwandten oder Bekannten nicht wissen wohin.“

„Eben“, sagt Lydia. „Eigentlich wollte ich sie beerdigen und nur auf einem alten Holzkreuz auf ihr Verbleiben verweisen. Aber, indem ich sie zum Mond schicke, können sie noch einmal neu anfangen, denn jeder hat doch eine zweite Chance verdient, oder?“

„Na ja, darüber kann man auch anderer Meinung sein. Kommt darauf an, wie unbeliebt sie sich gemacht haben“, sagt Elfi und blättert vorsichtig in dem nagelneuen Buch. „Hoffentlich knicke ich dir keine Eselsohren in die Seiten.“

„Darum möchte ich doch sehr bitten“, entgegnet Lydia. Elfi sieht sie ungläubig an, sodass Lydia ihr erklärt: „Für mich gibt es nichts Schlimmeres, als ungelesene Bücher. Das deutet doch darauf hin, dass sie uninteressant sind. Ein Buch kann nicht abgegriffen genug sein, denn dann zeugt es davon, sehr oft gelesen worden zu sein. Also, gib dir Mühe. Wenn es dir wohler ist, schenke ich dir das Buch zur Erinnerung an unsere gemeinsame Zeit. Du kannst es also in Ruhe zu Hause lesen und nach Herzenslust abnutzen.“

„Danke. Dann muss ich nur noch für die nötige Ruhe sorgen. Vielleicht bekomme ich ja doch mal einen Job, denn damit würde sich die ständige Enkelbetreuung von selbst erledigen. Du musst wissen, ich bin Mitte vierzig und habe mich immer unverzüglich beworben, sowie ich von einer freien Stelle erfuhr. Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wann ich wenigstens mal zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurde.“

„Ich bin froh, selbstständig zu sein und will mir gar nicht ausmalen, wie unbefriedigend es sein könnte, täglich in ein Büro zu fahren und dieses mit mehreren Mitarbeitern teilen zu müssen.“

„Tja“, macht Elfi. „Die Konkurrenz schläft nicht, und die Ellenbogen der Kollegen stoßen immer fester zu. Es wäre schon ein Glücksfall, eine Firma zu finden, bei der die Arbeit sogar etwas Freude bereitet.“ Sie zuckt mit den Schultern. „Mein Sohn nutzt es aus, dass ich zu Hause bin. Seine Frau geht lieber shoppen oder lackiert sich die Nägel, als Zeit mit ihren Kindern auf dem Spielplatz zu verbringen oder zu Hause mit ihnen zu spielen. Es ist einfacher, die Kleinen bei mir abzuladen. Bei Kinderärzten rumzusitzen gehört auch nicht in ihren Wohlfühlbereich. Wenn die Kinder krank sind, wird von mir verlangt, dass ich mit denen zum Arzt gehe. Besonderes Pech habe ich, wenn Raphael ebenfalls krank ist, denn der hat einen anderen Kinderarzt. Dann kutsche ich mit allen Kindern von einem zum anderen, und wir müssen jedes Mal warten, bis wir endlich dran sind. Meine Tochter hat einen anstrengenden Job in einem Forschungslabor. Ihr helfe ich gern, denn sie nutzt meine mehr oder weniger unfreiwilligen Babysitterdienste wirklich nur im Notfall.

Ins Grübeln bin ich gekommen, nachdem Raphael sich zu seinem Geburtstag gewünscht hat, dass er wenigstens mal ein paar Stunden mit mir allein sein kann. Als mein Sohn das hörte, warf er dem Kleinen an den Kopf, dass er ein Egoist sei. Ich war erst sprachlos und dann froh darüber, dass meine Tochter ihrem Bruder mal gehörig die Meinung sagte. Leider reden sie seitdem nicht mehr miteinander.“ Elfi schaut traurig vor sich hin und atmet tief durch, bevor sie weiterspricht. „Nicht, dass meine Enkel nur bei mir sind solange sie krank sind, nein, auch an fast allen Wochenenden. Also muss ich zusehen, wie ich die Kinder bestmöglich versorge und vor allem ruhighalte, wenn mein Mann da ist. Ich möchte doch, dass er sich etwas ausruhen kann und sich wohlfühlt, damit er auch in Zukunft gern nach Hause kommt.“

„Ganz schön unverschämt von deinem Sohn“, äußert Lydia.

Sie weiß, dass sie die Familienverhältnisse anderer Menschen eigentlich nicht einschätzen kann. Dass bei Elfi jedoch etwas auf deren Kosten übertrieben wird, ist ihr klar.

„Das habe ich nach mühevoller Kleinarbeit nun auch begriffen“, sagt Elfi. „Eigentlich dachte ich immer, als Mutter muss man für seine Kinder da sein, und auch die Enkelkinder sollen bei ihrer Oma glücklich sein. Aber bei uns ist nur meine Schwiegertochter zufrieden.“

„Kann dir deren Mutter nicht mal die Enkel abnehmen?“, fragt Lydia. „Immerhin ist sie auch ihre Oma.“

„Das hast du schön formuliert.“ Elfi lacht, schüttelt dann aber traurig den Kopf. „Die andere Oma nimmt nur ab und zu Bella-Shirin, weil sie ein ruhiges Mädchen ist. Die Jungs sind ihr viel zu wild. Den Stress will sie sich nicht antun. Was blieb mir bisher also anderes übrig? Am ersten Advent hat sich alles zugespitzt.“ Elfi zieht ihre Stirn in Falten und seufzt. „Das war einer dieser Tage, an denen ich lieber früh gleich im Bett geblieben wäre. Wieder einmal hatten sich alle wie selbstverständlich bei uns eingefunden und genossen den Feiertag. Die Mutter meiner Schwiegertochter ist allein, und es hatte sich über die Jahre so eingebürgert, dass sie ständig mit an unseren Familienfeiern teilnimmt. Ich stand seit dem frühen Morgen in der Küche, bediente alle Gäste und spielte nebenbei mit den Enkelkindern, die wieder sehr unternehmungslustig und kaum zu bändigen waren. An mir ging die Feier irgendwie vorbei. Ich kam mir wie ein gut funktionierender Roboter vor und hatte nur einen Wunsch, endlich allein zu sein. Ich musste aber noch ein paar Stunden durchhalten. Später bereitete ich das Abendessen vor, räumte nebenbei den Geschirrspüler aus, sah aus den Augenwinkeln, dass Shawn sich übergeben musste und es nicht mehr bis ins Bad schaffen würde. Also gab ich ihm frische Sachen, kochte Tee, wischte den Boden. Damit war ich noch nicht fertig, als Ethan seinen Kakao verschüttete.

Seine andere Oma schrie auf: `Mein Kleid … mein Kleid. Elfi, kannst du nicht etwas besser auf die Kinder aufpassen!´

Sie hatte ein nagelneues Leinenkleid an, und es war abzusehen, dass der Kakaofleck ewig an diesen Advent erinnern wird. Mein Sohn sagte mir unmittelbar darauf, dass die Kinder bei uns schlafen müssen, weil er mit seiner Frau noch ausgehen wollte. In dem Moment, in dem ich realisierte, dass ich somit weder in der Nacht noch am nächsten Tag Ruhe haben werde, haute mir meine Schwiegertochter zur Krönung ungehalten an den Kopf, dass ich Bella-Shirin endlich mal die Windel wechseln soll, weil sie bereits seit einer Stunde streng riechen würde.

Plötzlich passierte das, was ich nie für möglich gehalten hätte. Mein ganzer Körper verkrampfte sich. Ich stand einfach mitten im Raum und konnte mich nicht mehr rühren. Nach einer Weile hatte ich das Bedürfnis, einfach ins Bett zu gehen. Also legte ich mich hin, zog die Decke über den Kopf und nahm mir fest vor, erst wieder aufzustehen, nachdem die ganze Meute die Wohnung verlassen hat. In mir breitete sich eine unheimliche Leere aus. Ich lag ganz still da und hoffte bloß noch, allein sein zu können. Als mein Sohn ins Schlafzimmer kam und mich ungehalten fragte, ob ich noch alle Tassen im Schrank hätte, bin ich ausgerastet und habe ihn angeschrien, dass er endlich verschwinden und seine unerzogene Brut gleich mitnehmen soll. Noch nie hatte ich so über meine Enkel gedacht und verstand selbst nicht, wie ich so etwas überhaupt aussprechen konnte. Mein Mann hat dann dafür gesorgt, dass alle umgehend nach Hause fahren. Als er zu mir kam und mich in die Arme nahm, haben sich der ganze Frust und die Anspannung gelöst. Ich war dermaßen traurig und verzweifelt und habe geheult, wie noch nie zuvor in meinem Leben. Da ich mich noch nach Stunden einfach nicht beruhigen konnte, hat er den Notarzt gerufen, der mich unverzüglich hier abgeladen hat.“

„Das tut mir leid“, sagt Lydia leise.

„Ich bin doch selbst schuld“, antwortet Elfi. „In diesen Zustand möchte ich nie wieder verfallen. Das kannst du mir glauben. Als ich Weihnachten nach Hause durfte, hat uns mein Sohn nur mitgeteilt, dass sie nicht zu uns kommen, denn mein Verhalten wäre für die Familie eine Zumutung. Dazu hat auch ein Vorkommnis am zweiten Advent, als er mich hier besucht hat, beigetragen. Aber lassen wir das jetzt.“ Sie schaut traurig vor sich hin, holt tief Luft und erzählt weiter: „Mein Sohn meinte nur, falls ich irgendwann mal wieder normal sein sollte, kann ich mich ja melden. Sie haben dann bei seiner Schwiegermutter gefeiert, zu der wir natürlich nicht eingeladen wurden, weil sie sich mit so vielen Gästen nicht belasten wollte. Darüber habe ich lange nachgedacht, und auch diese Situation hat mir geholfen, meinen Selbstschutz aufzubauen. Denn, wenn die einfach NEIN sagen können, warum sollte ich das nicht auch endlich mal tun dürfen? Habe ich etwa kein Recht dazu? Bis zu dieser Erkenntnis war es ein langer holpriger Weg.“

Lydia sieht Elfi mitleidig an.

Nachdem sie sich eine Weile schweigend gegenübergesessen haben, fragt Lydia: „Weißt du so ungefähr, wie es nach deiner Entlassung für dich weitergeht?“

Elfi atmet tief ein. „Wenn ich ehrlich bin, würde ich am liebsten mit meinem Mann in eine klitzekleine Wohnung ziehen. Aber dann würde ich mich nur verkriechen. Ich muss mich meinen Problemen stellen und endlich zum Gegenangriff übergehen. Auch das habe ich in mühevoller Kleinarbeit gelernt. Außenstehende haben öfter zu mir gesagt, dass ich blöd wäre, weil ich es zulasse, dass mein Sohn mich so unterbuttert, denn das würde schon an Missbrauch grenzen.“ Sie zuckt mit den Schultern. „Ich arbeite noch an der Lösung, die für alle erträglich ist.“

„Hast du mit deinem Sohn überhaupt schon mal darüber gesprochen?“, fragt Lydia.

„Ich habe früher einmal versucht, ihn darauf aufmerksam zu machen, dass mir alles zu viel wird.“

„Und?“

„Seine Reaktion willst du nicht wissen.“

Lydia nickt kräftig und sagt: „Doch, würde ich gern.“

Elfi verzieht ihr Gesicht. „Er hat mich mitleidig angegrinst und gesagt, dass es doch sicher nicht schwer ist, kleine Kinder zu beschäftigen, wo ich doch den ganzen Tag sowieso nur zu Hause rumsitze und nicht viel zu tun hätte. Dankbar müsste ich ihm eigentlich sein, weil er mir so viel Kontakt mit meinen Enkeln ermöglicht. Es hatte also nicht viel Sinn, mit ihm zu reden.“

„Wer kümmert sich denn jetzt um die Kleinen?“

„Eine Tagesmutter, aber nur solange ich mich hier erhole. Die kostet nämlich Geld. Außerdem würden die Kinder sie gar nicht mögen und ständig nach mir fragen.“

„Dann gehen deine Probleme ja wieder von vorn los, wenn du zu Hause bist.“

Elfi schüttelt den Kopf. „Wie gesagt, ich suche noch nach den richtigen Worten.“

Lydia überlegt, ob sie ihr eventuell einen klugen Rat geben kann, der diese Angelegenheit einfach in Luft auflöst. Es fällt ihr jedoch nichts weiter ein, als anzumerken: „Und wenn du nun den Vorschlag machst, dass die Kinder weiterhin bei der Tagesmutter bleiben und du sie nur dann betreust, wenn es dir gut geht.“

„Lydia, das habe ich vor längerer Zeit bereits versucht. Sowie mein Sohn verstanden hat, worauf das Gespräch hinauslaufen soll, hat er die Kinder geschnappt und ist wutentbrannt mit ihnen abgefahren. Ich hörte dann tagelang nichts mehr von ihnen. Du glaubst gar nicht, wie viele Sorgen ich mir gemacht habe, denn ich habe oft genug miterlebt, wie ungehalten meine Schwiegertochter mit ihren Kindern umgeht.“ Sie schaut traurig vor sich hin und ergänzt leise, „ich möchte doch bloß, dass die Kleinen glücklich sind.“

„Das kannst du doch nicht bis zur Selbstaufgabe bewältigen. Daran gehst du kaputt.“

„Eben“, sagt Elfi. „Deshalb bin ich ja hier.“

„Oh“, macht Lydia. „Entschuldige. Ich muss erst noch lernen zuzuhören … nachzudenken … und eventuell nicht so kluge Ratschläge zu geben. Ich kann deine Situation wirklich nicht einschätzen. Mir sind Kinder und Enkel bisher erspart geblieben.“

Schlagartig wird ihr ihr eigenes Problem bewusst, das ihr jedoch auf einmal etwas unbedeutend vorkommt. Sie schaut nachdenklich vor sich hin.

„Jeder muss zusehen, sich sein Leben etwas angenehm zu gestalten“, unterbricht Elfi das Schweigen. „Andere sind nur bemüht, sich ungefragt einzumischen und dir ihre eigenen Lasten aufzubürden.“

„Es kommt doch darauf an, wie viel du von allem zulässt“, sagt Lydia. „Du hast es irgendwann nicht mehr geschafft, dich um dich selbst zu kümmern.“

„Genau“, antwortet Elfi und seufzt. „Wenn ich nur wüsste …“

„Kann dir LF dabei nicht helfen?“

„Sie kann mir nur Anregungen geben. Das klärende Gespräch mit meinem Sohn muss ich schon selbst führen. Dass das nicht leicht wird, weiß LF. Sie hat nämlich gleich zu Beginn meines Aufenthaltes meinen Sohn persönlich kennengelernt.“

„Er war zu einem Gespräch mit LF bereit?“, fragt Lydia erstaunt. „Das ist doch ein guter Anfang.“

Elfi grinst. „Das wäre zu schön gewesen. Nein. Er hat mich gleich am ersten Wochenende, an besagtem zweiten Advent, mit seiner Familie besucht.“

„Das ist doch nett … oder?“, fragt Lydia vorsichtig, denn sie ist sich absolut nicht mehr sicher, das Richtige oder Falsche zu sagen.

„Du kennst den Grund seines Besuches nicht“, antwortet Elfi. „Ich hätte nie gedacht, dass ich ihn nach meinem Zusammenbruch am ersten Advent so bald wiedersehe und war froh, endlich meine Ruhe zu haben, da sehe ich doch die ganze Meute unmittelbar nach dem Mittagessen hier ankommen. Am liebsten hätte ich mich versteckt. Mein Sohn brachte sein Anliegen auch schnell vor und fragte mich, ob es möglich wäre, dass die Kinder bis zum Abend bei mir bleiben.“

Lydia ist entsetzt und schüttelt den Kopf. „Das kann doch nicht wahr sein?!?“

„Und ob. Aber der Höhepunkt kommt noch. Er verriet mir auch umgehend und mit leuchtenden Augen den Grund. Sie wollten gern noch ein viertes Kind und bräuchten dazu mal etwas Zweisamkeit. Deshalb hatten sie in einer Pension hier in der Nähe ein Zimmer gemietet. Kaum hatte er das ausgesprochen, sah mich meine Schwiegertochter triumphierend an. In mir brodelte es. Ich dachte, dass ich überschnappe und versuchte, ihnen so ruhig wie möglich zu sagen, dass ich erst mal meine Ärztin um Erlaubnis fragen müsse. LF habe ich eindringlich angefleht, mir eine Isolationsbehandlung zu verordnen oder wenigstens Besuchsverbot für meinen Sohn und seine Familie zu verhängen. Ich konnte einfach nicht mehr und muss ziemlich verzweifelt gewirkt haben, denn LF hat es selbst übernommen, meinen Sohn aufzufordern, umgehend zurückzufahren und seine Kinderschar mitzunehmen. Bereits nach einer Woche hat er erst mich angerufen und ungehalten gefragt, wie viel Zeit ich denn noch zu meiner Selbstfindung benötigen würde und danach LF aufgefordert, mir mal etwas Feuer unter dem Hintern zu machen, damit ich mich endlich wieder um meine Enkel kümmere, wie es sich für eine pflichtbewusste Oma gehört.“

„Oh Gott. Er muss ziemlich egoistisch sein“, sagt Lydia.

„Ich hatte viel Zeit über alles nachzudenken und bin zu der Ansicht gekommen, dass er vielleicht bloß große Angst hat, seine Frau zu verlieren. Er denkt wahrscheinlich, je mehr Kinder sie haben, umso fester kann er sie an sich binden. Sie stellt ziemlich hohe Ansprüche, deshalb arbeitet er im Schichtdienst, um mehr Geld zu verdienen. Mit den Kindern sind beide total überfordert und haben nach der einfachsten Lösung gesucht. In mir hatten sie bisher ein williges Opfer gefunden. Ich bin gern bereit, ihnen in Zukunft zu helfen, werde mich aber niemals wieder so ausnutzen lassen.“

„Wow“, sagt Lydia. „Das sind ja ganz neue Töne. So gefällst du mir. Du hast also bereits im Vorfeld kein schlechtes Gewissen mehr?“

„Na ja. Ich werde das energische Verhalten der neuen Elfi noch etwas vertiefen müssen. Bin aber zuversichtlich.“ Sie grinst Lydia an. „Irgendwie fällt es mir leicht, mit dir darüber zu sprechen. Wahrscheinlich, weil du ein unabhängiger Zuhörer bist. Ich hoffe, dass du mir nicht böse bist, dass ich dir erst jetzt sage, dass ich morgen entlassen werde und nach Hause darf.“

„Oh … nein … na ja“, stammelt Lydia. „Auf mich musst du wirklich keine Rücksicht nehmen. Ich freue mich für dich, dass du es geschafft hast. Hättest du Lust mit mir noch eine Runde um den See zu gehen? Bis zum Abendessen schaffen wir das noch.“

„Ja, gern“, sagt Elfi und begleitet Lydia nach draußen.

Als sie am Ufer angekommen sind, bleiben sie nebeneinander stehen und genießen die Aussicht und das Zwitschern der Vögel, die es auch kaum erwarten können, dass der Frühling endgültig Einzug hält. Elfi reckt sich und atmet die frische Luft tief ein.

„Schön ist es hier“, sagt sie und ergänzt, „ruhig und entspannend. Das wirst du in der nächsten Zeit noch genug genießen können. Schade, dass mein Aufenthalt zu Ende geht. Es ist bestimmt besonders erholsam, wenn die vielen Sträucher und Bäume grün sind und alles erblüht. Manchmal hatte ich Lust, mich hierherzusetzen und diese Idylle zu malen. Aber ich kann leider nicht gut zeichnen. Das Bild hätte ich mir zu Hause immer ansehen können, wenn die trüben Gedanken zurückkommen sollten.“

Lydia schaut nachdenklich vor sich hin. Die Nachricht, dass Elfi bereits am nächsten Tag nicht mehr da sein wird, hat sie etwas erschreckt. Sie kommt sich auf einmal alleingelassen vor und macht sich darüber Gedanken, wie sie die nächste Zeit am besten verbringen kann.

Ich muss versuchen, mich mehr auf das Positive zu konzentrieren“, denkt sie.

„Du schaffst das schon allein“, sagt Elfi, als hätte sie erraten, was Lydia Sorgen macht. „Notfalls könnte ja Ingrid zu dir ziehen.“

„Bloß das nicht“, sagt Lydia.

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