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Heidi Dahlsen


Gefühlslooping

Für Melissa und ihre Mama.


© 2018 Heidi Dahlsen

3. Auflage

Alle Rechte vorbehalten.

Nachdruck, auch auszugsweise, verboten.

Kein Teil dieses Werkes darf ohne schriftliche

Genehmigung der Autorin in irgendeiner Form reproduziert,

vervielfältigt oder verbreitet werden.

Kontakt e-Mail: sperlingsida@yahoo.de

Autorenhomepage: www.autorin-heidi-dahlsen.jimdo.com

eBook-Erstellung: Heidi Dahlsen

CoverDesign: http://mybookmakeup.com/

CoverBild: pixabay.com

Illustrationen: Media Verlagsgesellschaft mbH


Lydia fährt langsamer als es die erlaubte Höchstgeschwindigkeit zulässt. Das ist sonst eigentlich überhaupt nicht ihre Gewohnheit, aber heute hat sie es nicht eilig, ans Ziel zu kommen.

Worauf habe ich mich nur eingelassen?“, fragt sie sich immer wieder in Gedanken und überlegt krampfhaft, welche der vielen Ausreden, die ihr mit Leichtigkeit zugeflogen sind, wohl am Glaubhaftesten erscheint, damit sie sich doch noch vor der Therapie drücken kann.

Mein innerer Schweinehund will mich wirklich mit allen Mitteln davon überzeugen, dass ich kneife. Nichts da“, ruft sie sich zur Ordnung. „Lydia! Du ziehst das durch!“

Sie atmet tief ein und hofft, dass sich bald alles zum Guten wenden wird.

Als sie ihr Auto auf dem Parkplatz abstellt und sich umsieht, ist sie erleichtert, denn die Klinik ist in einem modernisierten Gutshaus untergebracht und wirkt von außen eher wie ein Kurhaus. Nur ein kleines Schild neben dem Eingang weist darauf hin, welche Behandlungen im Inneren durchgeführt werden. Sie wundert sich etwas darüber, dass kein einziges Fenster vergittert ist.

Die wildesten Vorstellungen über psychiatrische Einrichtungen hatten ihre Fantasie im Vorfeld scheinbar etwas ausufern lassen. Sie schmunzelt, als sie sich an einen Albtraum erinnert, in dem sie in einer Gummizelle laut schreiend vergebens auf Befreiung wartete. Die Zwangsjacke entwickelte ein Eigenleben und schnürte ihr die Luft ab, sodass sie schweißgebadet und voller Panik erwacht war.

Scheinbar alles nur halb so schlimm“, denkt sie erleichtert. „Hoffentlich.“

Nachdem der Termin für den Beginn ihrer Therapie in der Psychiatrie feststand, überkamen sie ständig Zweifel, ob die denn wirklich nötig sei. Deshalb ist es ihr nicht leicht gefallen, ihre Koffer zu packen, und sie ist etwas stolz auf sich, weil sie die Anreise durchgehalten hat.

Auch das Aufnahmegespräch mit der Psychologin lief ziemlich harmlos ab. Eigentlich wollte sie sich nur einen ersten Eindruck verschaffen und schnell wieder nach Hause fahren. Da sie aber davon überzeugt war, dass der zweite Anlauf auf keinen Fall einfacher werden würde, fragte sie spontan nach, ob sie bleiben dürfe. Sie wunderte sich selbst über ihren Mut und hoffte im selben Moment, diesen Entschluss nicht bereuen zu müssen. Die Ärztin bot ihr an, vorerst in einem Doppelzimmer einzuziehen. Das wollte Lydia eigentlich auf gar keinen Fall und dachte kurz über die Vor- und Nachteile nach. Sie fühlte sich etwas hin- und hergerissen, denn sie konnte nicht einschätzen, wie `gefährlich´ die andere Frau ist.

Als diese ihr jedoch vorgestellt wurde, zerstreuten sich ihre Zweifel, denn sie machte einen ziemlich normalen und friedlichen Eindruck und stellte sich gleich selbst mit den Worten vor: „Hallo. Ich bin Elfi und muss jetzt zur Therapie. Richte dich erst mal häuslich ein. Wir können uns nachher ausführlich unterhalten.“

Sie verließ den Raum, und Lydia war froh, sich erst einmal in Ruhe umschauen zu können.

Elfi scheint einen seltsamen Humor zu besitzen“, denkt sie. „Ich will hier auf keinen Fall häuslich werden. Und das ist auch gut so, denn sonst würde ich nicht alles dafür tun, die Therapie schnell zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen, und müsste sonst ewig hierbleiben.“

Lydia legt ihre Sachen in den Schrank und stellt ihren Laptop auf den Schreibtisch am Fenster. Hoffnungsvoll schaut sie auf das Display ihres Handys und muss feststellen, dass weder ein Anruf noch eine Notfall-SMS eingegangen ist. Sie ist etwas enttäuscht, weil somit kein Grund für sie vorliegt, umgehend wieder nach Hause zu fahren.

Nachdem sie fertig ausgepackt hat, geht sie nach draußen, um sich die Außenanlagen anzusehen und ist erfreut, als sie einen idyllischen See erblickt, an den sich ein Park anschließt.

Ihre erste Aufregung hat sich unterdessen gelegt. Sie fühlt sich eigentlich ganz gut.

Vielleicht kann ich meinen seit langem gefassten Vorsatz, wenigstens ab und zu zu joggen, hier umsetzen.“

Sie geht zum See und setzt sich auf eine Bank. Als sie ihren Blick schweifen lässt, bemerkt sie, dass sie allein ist und ist froh darüber. Vor der Konfrontation mit den anderen Patienten graut ihr. Wieder kommen Zweifel auf, und sie würde am liebsten fluchtartig die Klinik verlassen. Sie ist so sehr in Gedanken versunken, dass sie hochschreckt, als sie angesprochen wird.

„Nein, nein“, antwortet Lydia schnell. „Ja, natürlich können Sie sich zu mir setzen. Ich bin vorhin erst angekommen und weiß noch nicht so recht … wie …“

Die Frau grinst. „Dass du die Neue bist, musst du nicht betonen. Das sieht man dir an.“ Lydia wird rot. „Keine Angst“, sagt die Frau und winkt lässig ab, „hier guckt in den ersten Tagen jeder so, wie du jetzt. Das gibt sich. Und über dein Verhalten musst du dir an diesem Ort absolut keine Gedanken machen. Wo, wenn nicht hier, kannst du sein, wie du schon immer sein wolltest?“

„Dürfen wir eigentlich zusammensitzen und uns unterhalten?“, fragt Lydia.

Die Frau lacht. „Wenn es nicht erlaubt wäre, hätte man um den See herum nur einzelne Stühle in großem Abstand aufgestellt. Die gemütlichen Bänke verführen uns ja regelrecht dazu, miteinander zu plaudern.“

„Dann bin ich ja beruhigt.“

Lydia wird schwindlig. Schweißperlen treten auf ihre Stirn. Schnell wischt sie diese weg.

„Bist du freiwillig hier?“, fragt die Frau.

„Mehr oder weniger“, antwortet Lydia.

„Tja, manchmal bleibt einem nichts anderes übrig. Du solltest dich von Anfang an daran gewöhnen, dass sich fast alle duzen.“ Sie streckt Lydia ihre Hand entgegen und stellt sich vor. „Ich bin Karin.“

„Lydia.“

Eine Weile beobachten sie die Schwäne und Enten, die auf dem See schwimmen.

Da Lydia das Schweigen etwas unangenehm ist, stellt sie fest: „Es ist ja ganz schön hier draußen.“

„Drinnen wird es dir auch bald gefallen“, antwortet Karin und stupst sie aufmunternd an.

„Das kann ich mir nicht vorstellen“, erwidert Lydia.

„Glaube mir, es ist nicht so schlimm, wie du es dir vielleicht vorstellst. Die Therapeuten sind freundlich und verständnisvoll. Was willst du mehr?“

„Ich wäre lieber zu Hause und würde arbeiten“, sagt Lydia wehmütig.

„Das glaube ich dir. Dabei würdest du dich bestimmt wohler fühlen.“ Lydia nickt. „Und, wo hat dich dein bisheriger Lebensstil hingeführt?“, fragt Karin. Lydia zuckt mit den Schultern. „Siehst du, es ist doch nicht so einfach. Deine Welt kommt bald wieder in Ordnung, wenn du dich nicht allzu sehr gegen die Therapie sträubst.“

Lydia ist erfreut, als sie Elfi kommen sieht.

„Störe ich?“, fragt Elfi.

Lydia lächelt sie an und schüttelt den Kopf.

Karin erhebt sich. „Ich muss sowieso los. LF hat es nicht gern, wenn man sie warten lässt. Und dabei betonen die hier ständig, dass man die Gesprächszeiten frei wählen kann. Na ja, mit irgendeiner Parole müssen sie die Menschen ja herlocken. Wer würde sonst schon freiwillig bleiben?“

Sie zwinkert Lydia zu und macht sich auf den Weg zum Hauptgebäude.

„Karin hast du also schon kennengelernt“, sagt Elfi.

„Sie ist ganz nett.“

Elfi nickt. „Wunderst du dich, dass sie gesund erscheint?“

Lydia nickt.

„Viele wirken sogar normal“, sagt Elfi. „Was in jedem vor sich geht, kann man nicht sehen.“

„Du meinst, ich sollte vorsichtiger sein.“

„Gefährlich ist niemand“, sagt Elfi. „Einige sind ziemlich anstrengend und erzählen jedem, was ihnen alles auf der Seele brennt.“

„Karin hat mir von sich nichts verraten.“

„Sie gehört eher zu den Schweigsameren. Das liegt vielleicht auch daran, dass sie gemeinsam mit ihrer Tochter hier untergebracht ist und sozusagen Familienanschluss hat. Im Obergeschoss ist eine Station mit Mädchen, die Essstörungen haben. Karins Tochter wird dort therapiert.“

„Wer ist LF?“, fragt Lydia.

„Frau Doktor Lachmann-Friedrich“, antwortet Elfi. „Viele kürzen hier so manches ab. Wahrscheinlich klingt es für sie dann weniger bedrohlich.“

„Ihr Name passt an diesen Ort“, sagt Lydia. „Der macht beinahe Hoffnung.“

„Jedenfalls ist Lachmann allemal besser als Buhmann.“ Elfi grinst. „Nicht, dass du dich wunderst, aber die Köchin heißt Hermine Fröhlich und der Hausmeister Wolfgang Scherzer. Vielleicht heißen sie gar nicht wirklich so, sondern wollen mit ihren Namen eine positive Einstellung bei uns bewirken. Ist doch egal. Sie sind nett, und das ist die Hauptsache. Du musst also vor niemandem hier Angst haben.“

„Ich habe keine Angst.“

„Sei froh, denn dann wirst du unsere Ingrid besser ertragen können.“

Lydia stutzt. „Was ist denn mit ihr?“

„Vielleicht ist es besser, wenn ich dich warne“, flüstert Elfi geheimnisvoll und schaut sich um, dass niemand in der Nähe ist, der sie hören kann. „Ingrid ist nämlich eine Hexe.“ Lydia schaut sie ungläubig an, sodass Elfi ihr lächelnd erklärt: „Hier darf jeder sein, wer und was er ist oder zu sein glaubt.“

Lydia stöhnt. „Worauf habe ich mich bloß eingelassen?“

„Du wirst dich bald eingewöhnt haben. Glaube mir, niemand ist gern hier … außer vielleicht Ingrid. Mein Gott, nun guck nicht so, als wärst du in der Hölle gelandet.“ Sie stupst Lydia mit dem Ellenbogen freundschaftlich an. „Das war ein Scherz. Ingrid hält sich doch bloß für eine Hexe.“

„Was haben denn die anderen so für Probleme?“, fragt Lydia wie nebenbei, obwohl sie eine ausführliche Antwort kaum erwarten kann.

„Marga ist Witwe und überwindet den Tod ihres Mannes nicht“, erklärt ihr Elfi. „Horst ist Frührentner und kommt mit dem Nichtstun nicht klar. Die beiden gestylten Männer, die immer zusammenhängen, sind Manager, die ihren anstrengenden Job nicht verkraften. Sie sind davon überzeugt, dass sie etwas Besseres sind und geben sich nicht mit uns ab. Du brauchst dir also erst gar keine falschen Hoffnungen zu machen.“

„Oh nein“, wirft Lydia schnell ein. „Ich habe alles andere als Interesse an einem Mann.“

„Dann wirst du von denen auch nicht enttäuscht. Karin kennst du schon. Und unsere Hexe Ingrid wird schon bald deine Nähe suchen und sich selbst vorstellen. Hi, hi, hi …“

„Du machst mich neugierig.“

„Deine Neugierde wird Ingrid ganz bestimmt befriedigen. Sie ist ziemlich … sagen wir mal … anhänglich. Das kann belastend sein, wenn du gerade mit dir selbst genug zu tun hast. Dann ist da noch Andrea, die es umgehauen hat, als sie erfuhr, dass sie adoptiert wurde. Weil sie unbedingt ihre leiblichen Eltern finden will, hat sie Ärger mit ihren Adoptiveltern. Sie ist ganz schön durcheinander und bleibt lieber für sich allein. Die Frau mit der roten Mähne heißt Sonja. Sie leidet darunter, überhaupt keine Kinder bekommen zu können, denn ihr Mann sträubt sich auch gegen eine Adoption. Und ich bin total überfordert mit der Betreuung mehrerer Kinder. So quält sich eben jeder mit dem was er hat oder vermisst. Das Schicksal scheint es niemandem recht machen zu können.“

Gefühlslooping

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