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9. Kapitel - Adrian
ОглавлениеMit voller Kraft trete ich auf die Bremse, als die Ampel von Grün auf Gelb springt. Ruckartig kommt der Wagen zum Stillstand. Mein Blick wandert zu meiner Beifahrerin. Sie scheint die Vollbremsung wenig gestört zu haben. Zumindest zeigt sie keine Reaktion. Stattdessen starrt sie nach vorn auf die Straße. Ich nutze den Stopp, um sie genauer zu betrachten. Sie ist verdammt hübsch. Ihr zusammengebundenes Haar lässt sie ein bisschen streng wirken. Das ist sie aber nicht. Immerhin ist Zoey zu ihr gegangen. Im gleichen Moment kommt mir das Bild in den Kopf, wie meine Tochter mit Lisa - ihren Namen habe ich aus den Fahrzeugpapieren, die unter der Sonnenblende klemmten - zusammen auf der Couch saß. Die beiden wirkten so vertraut miteinander, so als würden sie sich schon ewig kennen.
»Es ist grün!«, reißt mich Lisa aus den Gedanken.
»Ja.« Ich trete sanft aufs Gaspedal. Wenn es nach mir ginge, könnte die Fahrt noch eine Weile dauern. Zu meinem Bedauern kommen wir dem Ziel mit jeder Sekunde ein Stück näher. Es dauert nicht mehr lange und ich bin die schöne Beifahrerin los.
»Haben Sie eine Visitenkarte dabei? Ich meine, damit ich weiß, wo ich am Dienstag hin muss.«
Eine Visitenkarte? Daran habe ich in der Hektik nicht gedacht.
»Nein. Ich kann Sie übermorgen gegen Abend wieder abholen, wenn Sie wollen. Dann brauchen Sie sich kein Taxi rufen oder den Bus nehmen.«
»Das ist nett. Ich möchte Ihnen aber keine Umstände machen. Ich werde meine Cousine fragen, ob sie mich bringen kann.«
»Das ist kein Problem. Ich hole Sie gerne wieder ab.«
»Das brauchen Sie nicht. Ich bräuchte wie gesagt nur noch Ihre Adresse, damit ich die Werkstatt wiederfinde.«
»Ich habe leider keine Visitenkarten dabei«, wage ich einen Versuch, um Lisa umzustimmen.
»Das macht nichts. Sie können mir die Straße gleich aufschreiben.«
»Okay.«
Schade! Es wäre zu schön gewesen, aber wenn sie nicht will …
Wieder habe ich das Bild im Kopf, wie Zoey mit Lisa auf der Couch sitzt. Ich frage mich die ganze Zeit, was an dieser Frau so anders ist. Warum ging meine Tochter so offen auf sie zu? Es muss doch einen Grund dafür geben. Ich habe Zweifel, ob ich jemals eine Erklärung bekommen werde.
»So, da sind wir!«, sage ich und versuche die Enttäuschung zu verbergen.
»Haben Sie einen Stift? Dann können Sie mir die Adresse der Werkstatt auf die Rückseite des Zettels hier schreiben«, sagt Lisa und hält mir den zerknautschten Schmierzettel, auf dem die Anschrift ihrer Cousine steht, entgegen.
»Einen Stift? Hm. Ich muss mal schauen.«
»Wenn nicht, ich habe ein gutes Gedächtnis.«
»Moment, ich glaube, im Handschuhfach habe ich einen Kuli«, sage ich, während ich mich rüber beuge, um nachzuschauen. Dabei steigt mir ein süßlicher Duft in die Nase. Erst kann ich ihn nicht zuordnen. Doch dann weiß ich, er kommt von der Blondine neben mir. Um noch eine Nase von ihrem Parfüm zu nehmen, wühle ich länger als notwendig im Handschuhfach. Unter einem CD-Stapel haben meine Finger den Stift bereits ertastet. Ich lasse mir Zeit, ihn hervorzuholen.
»Hier ist er.«
Mit schnellen Handbewegungen kritzele ich meine Adresse auf den kleinen Zettel und reiche ihn Lisa zurück, die kurz darauf aussteigt und zum Kofferraum geht. Ich folge ihr und öffne die Kofferraumklappe, damit sie ihre Sachen rausholen kann.
»Vielen Dank fürs Bringen! Wann kann ich meinen Wagen übermorgen abholen?«
»Gerne. Frühstens am Nachmittag. Soll ich Sie vielleicht anrufen, wenn er fertig ist?«
»Das wäre toll.«
»Gut. Dann schreiben Sie mir Ihre Nummer am besten noch auf. Ich hole nur schnell den Kuli.«
Ich sprinte nach vorn, nehme den Stift aus der Ablage und gehe zu Lisa zurück, die inzwischen vollbepackt ist. »Haben Sie noch einen Zettel?«
»Nein, ich glaube nicht.«
»Okay, dann schreiben Sie mir ihre Nummer einfach auf den Arm«, sage ich grinsend.
Lisa schaut mich an, als hätte ich einen schlechten Scherz gemacht. Sie glaubt nicht, dass ich es ernst meine. Zur Sicherheit fragt sie: »Wirklich?«
»Ja!«, sage ich bestimmend und halte ihr den Arm hin.
Nach kurzem Zögern stellt sie die Tüten ab, greift nach dem Stift und kritzelt mir mit zitternder Hand ihre Telefonnummer auf den Arm.
»Super! Ich schreibe mir die Nummer in der Werkstatt gleich ab, damit sie nicht verloren geht.«
»Okay, vielen Dank nochmals!«
»Kein Problem.«
»Also dann, bis übermorgen!«
»Ja, bis Dienstag!«, antworte ich und schaue Lisa hinterher, wie sie im Hauseingang verschwindet. Dann schließe ich den Kofferraum, steige in den Wagen und mache mich auf den Weg zurück zur Werkstatt.