Читать книгу Advent, Advent, der Christbaum brennt! - Heike Abidi - Страница 10
ОглавлениеWeihnachtsschmuck 2.0
»Du musst ihm helfen, Jan. Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe? Papa will basteln! Das wird eine Vollkatastrophe!« Ich sah unseren 14-jährigen Sohn flehentlich an. Der hingegen blieb völlig entspannt und tippte wie immer abwesend auf seinem Handy herum.
»Mama, chill mal!« Ohne aufzublicken, schrieb er seelenruhig weiter.
»Von wegen, chill mal! Es geht um den Familienfrieden, Jan! Du als ältester Sohn musst mir einfach helfen! Dein Vater ist ein absoluter Bastel-Legastheniker.«
»Papa kriegt das schon hin. Was ist denn überhaupt los? Warum bastelst du denn nicht? Du bist doch unsere Bastelqueen.« Immerhin hatte ich es geschafft, dass er von seinem Handy aufsah und mich anblickte. Er hatte mal wieder nichts mitbekommen. Wo lebte dieses Kind eigentlich? Seit Tagen gab es bei uns zu Hause nur ein Thema: den Weihnachtsschmuck von Uroma Käthe. Max, mein Mann, hatte letzte Woche den Keller ausgemistet und sämtlichen alten Krempel zum Sperrmüll gestellt. Darunter auch, versehentlich, Uroma Käthes antiken Weihnachtsschmuck. Heilige Familienerbstücke. Von meiner Mutter vor Jahren voller Stolz an uns weitergegeben. Grazile Wachsengel und Strohsterne aus dem vorletzten Jahrhundert. Zugegeben, die Verpackung, ein alter Windelkarton, war von mir etwas unglücklich gewählt gewesen, aber er hatte die perfekte Größe gehabt. Und so hatte ich den Schmuck kurzerhand aus seiner angeschimmelten Kiste umgesiedelt, den Windelkarton mit Edding dick beschriftet und Max darüber informiert. Das wiederum hatte Max wohl nicht mitbekommen.
»Der Schmuck ist also weg! Und in zwei Wochen ist Weihnachten. Oma kommt zu Besuch. Wie immer! Dann müssen die Wachsengel und die Strohsterne von Uroma Käthe am Baum hängen. Wie immer! Sonst gibt es einen Familienkrach der Extraklasse. Du weißt, wie Oma aufdrehen kann!« Mit diesen Worten beendete ich das Update für Jan.
»Und jetzt bastelt Papa Wachsengel für den Weltfrieden?« Er sah mich ungläubig an.
»Familienfrieden! Hör doch mal zu! Und Strohsterne! Und du musst ihm helfen. Bitte! Du hast immerhin eine Zwei in Kunst und bist meine einzige Rettung. Mich lässt er nicht mitmachen. Du weißt, wie er ist. Er will sich nichts nachsagen lassen.« Ich lächelte Jan an.
Ja, so war er, mein Mann. Irgendwie auch süß. Aber mit süß kamen wir hier nicht weiter!
Drei Tage später. Mein wöchentlicher Yoga-Abend. Von Jan, der sich mittlerweile mit seiner Retterrolle angefreundet hatte, erfuhr ich, dass Max heute Abend mit unseren drei Söhnen Jan, Felix und Tom ein »Männerbasteln« geplant hatte. Ob er sich mit den beiden Kleinen da einen Gefallen tat? Aber ich hielt mich raus. Beim Yoga versuchte ich mich, so gut ich konnte, zu entspannen. Nach der Stunde jedoch siegte die Neugier! Mein übliches »After-Yoga-Weinchen« mit meinen Freundinnen ließ ich heute ausfallen und fuhr sofort nach Hause.
Leise schloss ich die Haustür auf und schlich mich hinein. Die Kellertür stand offen und von unten waren Musik und Gemurmel zu hören. Sie waren im Hobbyraum. Perfekt. Den konnte man vom Garten aus wunderbar einsehen. Man musste sich nur geschickt neben dem Fenster positionieren. Ich ließ meine Jacke gleich an, holte mir aus der Küche ein Glas und ein Fläschchen und verlagerte mein »After-Yoga-Weinchen« einfach in den Garten. Das Kellerfenster war gekippt, sodass ich sogar der Konversation der Bastelmänner folgen konnte.
»Wieso wir jetzt unbedingt der niederländischen YouTube-Bastelfee folgen müssen, ist mir zwar ein Rätsel, aber wenn du meinst.« Mein Mann öffnete eine Packung Strohhalme und legte sie auf den Tisch. Das Strohsternprojekt begann also gerade erst. Perfektes Timing!
Das Strohsternprojekt begann also gerade erst. Perfektes Timing!
»Das war die kürzeste Anleitung«, erwiderte Jan. »Nur zwei Minuten.«
»Was hat die gesagt? Knutseln?« Max und Jan starrten gebannt auf Jans Handy.
»Das ist doch völlig klar, Papa. Sie meint bestimmt kleben! Die Strohhalme müssen festgeklebt werden. Wie sollen die denn sonst halten?«
»Aber die klebt doch da gar nichts. Bist du sicher, dass du das alles richtig verstehst?«
Jan grinste seinen Vater mit dem typisch überheblichen Gesichtsausdruck an, den nur vor Testosteron nahezu überlaufende 14-jährige Jungs aufsetzen können. »Also wenn ich eins gelernt habe in den letzten Wochen, dann Niederländisch. Hol mal den Kleber, Papa!«
Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen. Wenn ich das WLAN aus Sanktionierungsgründen ausschaltete und Netflix ausfiel, zog Jan sich The Walking Dead im niederländischen Fernsehen – amerikanisch mit niederländischen Untertiteln – rein. Ob das Wort Kleben da eine Rolle spielte, wagte ich allerdings zu bezweifeln.
»Gib mir mal die Schere rüber, Felix. Ich glaube, die will, dass wir jetzt schneiden.«
Aus meinem Versteck beobachtete ich, wie Felix, unser Siebenjähriger, gerade dabei war, seinem Bruder Tom, drei Jahre, eine Haarlocke abzuschneiden. Das hatte mein Mann wohl nicht mitbekommen. Er war gerade damit beschäftigt, die Stecker der Heißklebepistolen einzustöpseln. Ich nahm einen tiefen Schluck Yoga-Wein und atmete bewusst aus.
»Die Schere her, habe ich gesagt.« Na immerhin, Jan griff ein. Mein Retter! »Jetzt will die schon wieder knutseln. Papa, wo bleibt der Kleber denn?«
Bruchstückhaft hörte ich eine Niederländerin Anweisungen von sich geben. Ich überlegte kurz, ob ich nicht einfach das Bastelbuch aus dem Wohnzimmer holen sollte, doch dann entschied ich mich dazu, meinen Drang, mich einzumischen, zu unterdrücken.
»Cool, wie bei Star Wars. Ein Laserstrahl.« Felix starrte begeistert auf die Heißklebepistole in seiner Hand und den hinauslaufenden Kleber. Er richtete sie auf seinen kleinen Bruder, der sich sofort die zweite Klebepistole schnappte.
»Feuer!«, schrie Felix, als der Kleber auf Toms Pullover landete.
»Aber Luke, ich bin doch dein Vater.« Tom verstellte gekonnt seine Stimme. Er war der perfekte Miniatur-Darth-Vader. Die beiden beschossen so ziemlich alles in ihrer Umgebung, was sich als Zielscheibe eignete. Mein Mann hatte das wohl nicht mitbekommen. Er kramte in den Kellerschränken herum und hatte den Kindern den Rücken zugewandt.
»Kleber her.« Jan nahm seinen Brüdern die Heißklebepistolen aus den Händen. Welch ein Glück! Die Sauerei hatte ein Ende. Ich atmete tief ein und aus. Ein und aus. Und spülte mit dem Wein hinterher. Oder hatte sie gerade erst begonnen? Jan verteilte jetzt großzügig viel klebrige Masse auf wenigen Halmen. Nur mit einer großen Portion Fantasie ging der Strohhalmhaufen vor ihm als Uroma-Käthe-Stern durch. Die Zwei in Kunst war in meinen Augen übertrieben.
»Ik ben klaar … Was ist klar? Was macht die denn jetzt da?« Jan starrte ratlos auf sein Handy.
»Na, das sieht doch schon ganz prima aus hier.« Mein Mann, der zwischenzeitlich den Raum verlassen hatte, war mit einem Korb voller Kerzen zurückgekehrt und begutachtete lächelnd das Strohstern-Desaster. Das war nicht sein Ernst, oder? Jan sah ihn irritiert an.
»Üb einfach noch ein bisschen«, sagte Max. »Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Ich kümmere mich schon mal um das Wachs für die Engelchen.« Er stellte den Korb auf den Boden und wirkte sehr zufrieden mit sich.
»Was riecht denn hier so nach Klo, Papa?« Tom und Felix schnüffelten wie zwei Jagdhunde und näherten sich dem Korb. Ich näherte mich dem Kellerfenster, um genauer hinsehen zu können. Nein, das hatte er nicht getan! Meine neuen Rituals-Duftkerzen: »Laughing Buddha – Sweet Sunrise«, 18,50 Euro das Stück. Das Ganze mal sechs. Ich hatte sie in den Badezimmern beziehungsweise Toiletten verteilt. Bedauernd stellte ich fest, dass mein Yoga-Wein zur Neige ging.
Bedauernd stellte ich fest, dass mein Yoga-Wein zur Neige ging.
»Zunächst löse ich das Wachs aus den Gläsern und dann erhitzen wir alles. Felix, hol schon mal die Kochplatte aus dem Schrank. Eure Mutter wird staunen!«
»Glaubst du, Mama steht auf Klo-Engel?« Das war Tom. Mein Engel!
»Ist doch toll, wenn die Engelchen so schön duften. Außerdem stimmt die Wachsfarbe. Uroma Käthes Engel hatten haargenau dasselbe Beige.« Max strahlte. »Okay, Jan. Jetzt mach mal eine Sternpause und finde heraus, wie wir Wachsengel basteln.«
Während sich Jan auf dem Gästebett niederließ und sein Handy um Rat fragte, machten sich Tom und Felix lachend über eine Flasche Cola her, die sie sich aus dem Getränkekeller geholt hatten. Mein Mann hatte wohl auch das nicht mitbekommen, denn er war mit den »Laughing Buddhas« beschäftigt.
»Wachsengel basteln gibt’s nicht bei YouTube. Was ist denn mit Manuel Neuer wird Wachsfigur. Geht das auch?«
Am 24. Dezember schmückten wir den Weihnachtsbaum. Wie jedes Jahr! Mit Strohsternen und Wachsengeln. Auch wie jedes Jahr! Und darüber hinaus mit so ungefähr allem, was die Deko-Abteilung von IKEA zu bieten hatte. Rote, weiße, silberne und goldene Glaskugeln, Holzpferdchen, Schleifchen, Lebkuchenfiguren, Pappsterne, Papiertannenbäume, Glöckchen … Und mein Plan ging tatsächlich auf. Unter all dem Schmuck fielen die niederländischen Strohsterne und Manuel-Neuer-Engelchen gar nicht mehr auf. Bis auf den interessanten Duft in unserem Wohnzimmer bemerkte meine Mutter am Heiligen Abend tatsächlich nichts! Max und die Kinder hatten ganze Arbeit geleistet! Ich konnte es kaum glauben. Für dieses Jahr hatten wir es geschafft! Aber würde ich zukünftig jedes Jahr Höllenqualen durchleben müssen? Immer in der Angst, dass meiner Mutter etwas auffiel?
Die Antwort darauf gab es am ersten Weihnachtsfeiertag. Wir waren alle, wie jedes Jahr, bei Tante Marga eingeladen, der Schwester meiner Mutter, die nur eine Straße weiter wohnte. Die beiden verband eine Hassliebe, was sie nicht daran hinderte, sich an Weihnachten regelmäßig zu besuchen. Tante Marga begrüßte uns überaus fröhlich und schob uns noch in den Mänteln sofort ins Wohnzimmer hinein, wo der geschmückte Tannenbaum uns erwartete. Wie üblich mit Tonnen von Lametta, zwischen Kerzen, Kugeln und … antiken Strohsternen und Wachsengeln!
»Ist er nicht unglaublich schön dieses Jahr? Mit all den Engeln und Sternen?« Tante Marga grinste scheinheilig.
Meiner Mutter hingegen fiel die Kinnlade hinunter. »Uroma Käthes Schmuck? Wie kommt der denn hierher?«, fragte sie ungläubig. Der vererbte Weihnachtsbaumschmuck hatte vor Jahren zu einem unschönen Streit zwischen den Schwestern geführt, aus dem meine Mutter als Siegerin hervorgegangen war.
»Man glaubt es kaum. Das habe ich zufällig beim Spazierengehen an der Straße gefunden. So was stellen manche Leute zum Sperrmüll!« Tante Marga ließ ihre Schwester bei diesen Worten keine Sekunde aus dem Blick.
»Zum Sperrmüll? Kinder, wie könnt ihr nur?! Und was hing dann bei euch am Baum?« Meine Mutter lief rot an vor Wut.
»Ich kann das erklären.« Max stotterte. »Ist alles ein großes Missverständnis.« Er berichtete wahrheitsgetreu den Ablauf der Geschichte. Nicht ohne zu fragen, was Tante Marga eigentlich mit einem Windelkarton vorgehabt hatte.
»Wieso, da stand doch ›Weihnachtsbaumschmuck Uroma Käthe‹ drauf«, sagte sie entrüstet, nachdem mehr als deutlich war, dass sie in unserem Sperrmüll geschnüffelt hatte. Um die unangenehme Situation aufzulösen, bot sie großmütig an, uns den Schmuck zurückzugeben.
Wir haben jetzt unseren eigenen Familienschmuck!
Nacheinander sah ich meine Männer voller Stolz und mit Tränen in den Augen an. »Nein, danke«, sagte ich. »Behalte du den ruhig. Wir haben jetzt unseren eigenen Familienschmuck!« Ich hatte in den vergangenen Tagen nicht nur gelernt, dass knutseln – eigentlich knutselen – auf Niederländisch in Wirklichkeit basteln heißt, sondern auch, dass es irgendwann einmal an der Zeit ist, für eigene Familienerbstücke zu sorgen.