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Taxi nach Düsseldorf

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Regen, dunkle Wolken, die den gesamten Horizont vereinnahmten, und das monotone Fahrgeräusch – seit Stunden zogen Bäume und Felder am Fenster vorbei. Die Scheibenwischer mühten sich unablässig um klare Sicht auf die unendlich scheinende Straße.

Angesichts dieser düsteren Stimmung und der versackten Haltung auf dem Rücksitz des Taxis blieb Jan nichts anderes übrig, als den Schlaf zu suchen. Stundenlanges Sitzen und Warten schien ihm unerträglich. Ohne Sicherheitsgurt an das Fenster gelehnt, die Knie hochgezogen, die verschmutzten Schuhe an den Vordersitz gedrückt, knautschte er sich aus seiner ausgebeulten Lederjacke erneut ein Polster für den Kopf. Immer wieder fiel sein Blick auf das ewig Gleiche am Rande der Autobahn.

»Geben Sie noch mal diese Geschäftsakte her«, brummte er.

Seinen Sitznachbarn Kemal schien die Fahrt ebenso mitzunehmen. Er spielte lustlos auf seinem Smartphone herum.

»Solcher digitaler Scheiß stiehlt Ihnen nur einen Teil Ihres Lebens«, stichelte Jan.

Er sah in umränderte Augen und auf eine angestrengt gerunzelte Stirn. Träge steckte der junge Mann das Handy ein und reichte ihm die Mappe.

»Irgendwann werden Sie so einen digitalen Scheiß dringend brauchen«, gab Kemal zurück.

»Nein, davon habe ich mich verabschiedet. Mein Leben funktioniert auch ohne.«

Jan blätterte und versuchte zu lesen – unmöglich, sich zu konzentrieren. Wortlos klatschte er die Unterlagen auf die Oberschenkel seines Mitarbeiters zurück. Er beobachtete ihn dabei genau – dessen erschrockenes Gesicht, der fragende Ausdruck. Ihn amüsierte die stumme Empörung, die ihm wie erwartet entgegenschlug.

»Ganz schön empfindlich, wie?«

Ein bisschen Provokation als aussichtsreiche Abwechslung zur Öde der Dienstreise – das war es doch.

»Ich bin Justiziar, kein Hafenarbeiter! Im Normalfall ist es heute nicht mehr nötig, eine raue Schale zu besitzen. Wissen ist gefragt und emotionale Intelligenz. Damit lässt sich mehr Geld verdienen.«

»Mein Geld, nicht wahr?« Jan bemühte sich um ein besonders breites Grinsen, von dem er wusste, dass es unausstehlich arrogant wirkte.

»Ihr Vater war diplomatischer im Umgang mit seinen Angestellten«, murrte sein Gegenüber.

»Dafür nenne ich Sie nicht Angestellter, sondern Mitarbeiter. Oder sollte ich Sie besser Alleinarbeiter nennen?«

Zweifelnd fixierte ihn der junge Mann.

»Das war nicht ironisch gemeint, wirklich nicht! Seien wir doch ehrlich, Sie arbeiten und ich ernte die Resultate. Ich habe Sie aus gutem Grund gebeten, mich nach Düsseldorf zu begleiten. Das alles ist Neuland für mich.«

Kemal löste die aufgekommene Starre seiner Gesichtsmuskeln. »Bei Ihnen weiß man eigentlich nie … also gut. Ich schätze, Sie hatten noch nicht viel Gelegenheit, sich mit den Grundlagen für unsere Verhandlungen vertraut zu machen …«

Schon jetzt gelangweilt winkte Jan Torberg nun doch ab. »Ach, wissen Sie was? Ich hab´s mir anders überlegt. Wenn ich schon höre, wie Sie das so monoton vortragen, wird mir schlecht. Bleiben Sie mir mit diesem Mist lieber doch vom Leib.«

In Torbergs Stimme lag etwas derart Abweisendes, dass Kemal vorsichtshalber ein paar entschärfende Minuten verstreichen ließ. Während er durch das Autofenster die ersten vorbeiziehenden Häuser des Ruhrgebietes beobachtete, fragte er sich, wie gefräßig Gier sein konnte. Sie fraß alles, was ihm früher einmal wichtig gewesen war … Selbstachtung, Stolz, Ehre … wo war das geblieben? Er betrachtete Torbergs schwarzen, ungepflegten Flusenbart, der das überheblich hochgezogene Maul umrahmte, das Kemal inzwischen hasste. Dieses Grinsen! Diese ständig zu Schlitzen geformten Augen, die vermuten ließen, dass Torberg gerade darüber nachdachte, wie er Kemal demütigen könnte! Wie lange konnte er das, des lieben Geldes wegen, noch ertragen? Nach diesem Einsatz in Düsseldorf würde Schluss sein, schwor sich Kemal. Danach wollte er sich endlich eine andere Arbeitsstelle suchen, die ihm das Selbstwertgefühl wiedergeben würde, welches er seit dem Tod des alten Torbergs vermisste. Er wollte noch mehr sparen und dann etwas Eigenes gründen – eine Kanzlei. Aber bis dahin musste er sich ducken, kriechen, säuseln, um so lange es ging das dicke, etwas zu üppige Gehalt einzustreichen. Seine einzige Möglichkeit, Torberg zu schaden.

»Hören Sie, Herr Torberg. Ich weiß, dass es Ihnen lästig ist, Papierkram zu studieren, aber wenn wir zu dem Meeting in Düsseldorf erscheinen, sollten Sie wenigstens die wichtigsten Leute mit Namen und deren Stellung kennen.«

»Dann tun Sie, was Sie nicht lassen können.«

»Wenn Sie es wünschen, fasse ich noch einmal alles zusammen. Der Geschäftsführer unserer Beteiligungsgesellschaft …«

»… führt unser Geschäft.« Eine Bemerkung, die sein musste.

»… führte, Herr Torberg … führte! Der Mann ist seit Wochen unauffindbar, einfach verschwunden. Außerdem führte er den Namen Kai Holzmann und einen anschaulichen Lebensstil – etwas zu anschaulich, für ein Mitglied einer angeblich bescheidenen und uneigennützigen Vereinigung, wie ich finde.«

Wortlos lenkte Jan Torberg seinen Blick nach draußen. Verschwunden … was hieß das? Entweder war der Mann Opfer eines Verbrechens geworden oder er wollte bloß nicht mehr gefunden werden. Jan strich sich eine Strähne seiner vernachlässigten Frisur aus den Augen. Unterzutauchen, anonym sein Leben zu verbringen, in einer anderen Stadt, oder in einem fremden Land – weg von allem … manchmal wünschte er sich das. Ein neues Leben anfangen, vieles anders machen, eine neue Rolle in der Gesellschaft spielen, das unbeliebte Alte ablegen. Es wäre nicht die schlechteste Wahl für ihn. Einmal hatte er es bereits versucht, als er nach Berlin gezogen war. Doch selbst im Schmelztiegel multikultureller Künstler, Hipster, Esoteriker, Abtrünniger, und Futuristen, war er nach kurzer Zeit schon wieder Außenseiter. Egal, wo er länger als ein paar Tage blieb, mochte ihn bald keiner mehr.

Jan sah zu Kemal hinüber, der belästigt aussah, wie so oft. Belästigt von ihm, allein durch seine Anwesenheit, von seinem bloßen Anblick wahrscheinlich. Der nur seinen Job machte. Der niemals auch nur entfernt darüber nachdachte, ein Freund seines neuen Chefs zu werden und dass er, Jan Torberg, vielleicht lieber heulen würde als zu belästigen. Kemal mit dem sensiblen Gesicht, den Blick nach draußen gerichtet, genau wie er selbst eben noch. Der saß da mit der Geschäftsakte auf den Knien, das Einzige, das ihn zu interessieren schien an ihrer gemeinsamen Fahrt. Darüber hätte Jan heulen können. Aber er beherrschte sich.

»Wie hieß noch dieser andere Mann … mein Geschäftspartner, zu dem wir jetzt fahren?«, fragte er an Kemals Hinterkopf gewandt. Er ließ das Wort ›Geschäftspartner‹ betont abwertend über seine Lippen fließen.

»Jorge Alonso.«

»Alonso? Ein Landsmann von Ihnen?«

»Ich bin Deutscher!«

»Sie sollten sich einen anderen Namen zulegen, Herr Akdas.«

Kemal Akdas hob den Kopf höher. »Ich bin stolz auf meinen Namen.«

Jan betrachtete den schmächtigen Mann mit den dunklen Augen und der braunen Haut an seiner Seite. Ein empfindliches Gemüt, fast so dünnhäutig wie das seine, nur offenkundiger. Ein Mann, mutig genug, das zu zeigen.

»Sicher, nehmen Sie es nicht so ernst. Sie kennen mich doch inzwischen.«

Er stieß Kemal spaßeshalber in die Rippen. Der zuckte.

»Über Namen scherzt man nicht. Jorge Alonso ist spanischer Herkunft, das sollte auch der Dümmste heraushören können. Er soll übrigens ein Riese sein.«

»Soso, ein Riese.«

»Ja, tatsächlich, einiges über zwei Meter groß. Außerdem hochintelligent und skrupellos. Wenn Sie mich fragen, ein gefährlicher Mann – wenn es stimmt, was man so munkelt. Sektenführer, Guru oder wie man das nennt. Die Sektenbeauftragten der christlichen Kirchen haben bereits ein Auge auf seine Kirche des Lichts geworfen.«

»Wenn es so offensichtlich eine Sekte ist, warum duldet man diesen alten Guru dann?«

»Woraus schließen Sie, dass der Mann alt ist? Sagte ich etwas in der Art? Man duldet ihn, weil wir in einem Rechtsstaat leben und diese Kirche legal ist. Religionsfreiheit – schon mal von gehört? Man kann ihm nichts nachweisen. So ist das – die größtmögliche Freiheit impliziert leider, dass man sie größtmöglich ausnutzt. Diesen Alonso sollten Sie nicht unterschätzen. Solche Menschen beherrschen die Gefühle anderer, stehen aber selbst mit beiden Beinen auf dem Boden.«

»Auf meinem Boden! Das ist also der Mann, der selbstständig einen neuen Geschäftsführer für meinen halben Teil der Firma dort bestimmen will?«

»Entschuldigung, nicht selbstständig … er schlägt Ihnen Herrn Wolff nur vor …«

»… und bittet schnellstmöglich um Zustimmung! Wo ist da der Unterschied?«

»In den Worten ›schlage ich vor‹. Vermutlich wusste er nicht, dass Ihr Vater verstorben ist und das Schreiben Ihnen zugehen würde. Sie haben es ja nicht für nötig gehalten, ihre Geschäftspartner zeitnah über den Tod Ihres Vaters zu unterrichten.«

»Ich verstehe bis heute nicht, warum meine Eltern die Verbindung zu dieser Kirche gesucht haben. Ausgerechnet diese Sekte! Wo mein Alter gerade so religiös war, dass es für die Weihnachtsmesse reichte. Und mir haben sie meine suchenden Reisen nach Asien als Zeitverschwendung vorgeworfen. Ich bin erstaunt, wie viel Geld meine Eltern gespendet und investiert haben.«

»Nicht nur Geld, sie verbrachten auch viel Zeit in Düsseldorf.«

»Was haben sie da gemacht? Gebetet? Meditiert?«

»Wahrscheinlich. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass sie sich nach Tuchfühlung mit diesem Alonso, den man dort übrigens Padre nennt, nach und nach sehr veränderten. Als ob man ihnen langsam die Gehirne wusch. Ihre Mutter war zeitweise richtig euphorisch. Das war, bevor sie … bevor sich ihr Zustand rapide verschlechterte. Von da an musste ich mit den Mitarbeitern praktisch die Geschäfte allein führen.«

»Hätte mein Vater mich nicht wenigstens dann ins Vertrauen ziehen können? Früher war er doch so wahnsinnig daran interessiert, dass ich mich endlich in sein Marketinggeschäft stürze. Wissen Sie, ich bin und bleibe Fotograf. Fotograf mit Leib und Seele … oder auch nicht – gut gelebt habe ich davon nie … mit Betriebswirtschaft stehe ich jedenfalls auf Kriegsfuß. Man könnte fast meinen, ich wäre von Beruf aus Sohn.«

»Davon war ich überzeugt!«

Diese kleine Bemerkung erlaubte sich Kemal, obgleich er voraussah, welche Reaktion darauf folgen würde. Tatsächlich verhärtete sich das Gesicht seines Vorgesetzten augenblicklich.

»Und ich bin davon überzeugt, dass Sie von meinem Geld auch nicht gerade schlecht leben. Ich habe Ihre Gehaltszahlung unterschrieben und so viel Geschäftssinn habe selbst ich, dass ich die Summe getrost als völlig übertrieben betiteln kann.«

Kemal nahm sich vor, sich solche Bissigkeiten künftig zu verkneifen. Solange, bis er mit Genugtuung kündigen würde. Für den Rest der Fahrt schwiegen sie, ungeduldig das ausweglose Sitzen ertragend.

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