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Kapitel 1: Der Bruch

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Rowena Mc Dougall lag in den Armen ihres Exmannes Tristan Kadian und lächelte in der Dunkelheit zur Decke ihres Schlafzimmers empor. Er hatte einen Arm um ihre Schulter gelegt und mit den Fingern der anderen Hand streichelte er den Arm, der auf seiner Brust lag. Rowena genoss die Momente nach dem Sex mit Tristan. Er gab ihr Ruhe und Kraft, indem er einfach nur an ihrer Seite war. Schnurrend wie eine Katze drehte sie sich in seinen Armen und liebkoste seine nackte Brust mit ihren Lippen.

„Willst du eine Verlängerung?“, fragte er amüsiert. Sein wundervoller Bass schickte kleine Vibrationen durch seinen Körper, übertrug die Schwingungen auf sie.

„Nein“, erwiderte sie träge. „Ich genieße es nur, deinen perfekten Körper anzusehen und zu streicheln.“

Tristan grunzte etwas, vergrub dann seine Finger in ihrem honigblonden Haar und zog sie zu sich hoch. Mit einer zärtlichen Leidenschaft presste er seine Lippen auf ihren Mund, küsste sie lange und innig.

Mozarts Kleine Nachtmusik erklang aus dem Handy auf Rowenas Nachttisch.

„Wer stört zu so später Stunde?“, fragte Tristan zwischen zwei Küssen, ließ sie aber nicht los.

„Ich sollte ran gehen“, nuschelte Rowena und versuchte sich, von Tristan wegzudrücken Aber er hielt sie fest, dachte nicht im Traum daran, sie jetzt loszulassen. Schwungvoll drehte er sie auf den Rücken, schob sich auf ihren kleinen, zierlichen Körper und drückte mit seinem Knie ihre Beine auseinander.

„Tris! Es könnte wichtig sein!“

Das Klingeln hörte auf und Tristan stieß ein kleines, triumphierendes Lachen aus. „Wenn es wichtig ist, wird derjenige es noch einmal versuchen, Liebling.“

Rowena zuckte kurz zusammen. So hatte Tristan sie während ihrer Ehe genannt. Und die war vor etwas über einhundert Jahren geschieden worden.

1409 hatten sich Rowena Mc Dougall und Tristan Kadian in Marseille getroffen, ineinander verliebt und gleich am nächsten Tag geheiratet. Es war eine leidenschaftliche Ehe gewesen, geprägt von heftigem Sex und hitzigen Diskussionen. Tristan zog es immer wieder auf das Schlachtfeld. Er war nun mal ein Krieger, war es immer gewesen.

Rowena bemühte sich in jeder Epoche die medizinischen Fortschritte zu erlernen, die die Sterblichen entwickelten. Dabei musste sie gerade als Frau sehr darauf aufpassen, dass sie nicht auffiel. Also arbeitete sie oft zur Tarnung als Nonne oder Schankmädchen.

1715 trennten sie sich endgültig. Das Auf und Ab in ihrer Ehe zermürbte sie beide und man beschloss, sich eine Auszeit zu gönnen. Hin und wieder trafen sie sich, oft eher zufällig. Sie fielen in neu entfachter Leidenschaft übereinander her und stellten nach wenigen Monaten fest, dass ihr eigentliches Problem nach wie vor bestand: sie konnten nicht zusammenleben.

1901 schließlich ließen sie sich in Genf durch das Konzil scheiden. Zehn Jahre später trafen sie sich noch einmal und fielen wieder übereinander her.

Aber Rowena verschwand damals, hinterließ Tristan nur einen kleinen Zettel.

`Ich werde dich immer lieben, aber was tun wir uns an? Verzeih. Es ist besser so. Ro´

Nun waren einhundert Jahre vergangen. Durch Zufall trafen sie wieder aufeinander, als Jannik Cerný sie und Tristan um Hilfe bat. Das war jetzt drei Monate her und als ob keine einhundert Jahre dazwischen gelegen hätten entflammte ihre Leidenschaft füreinander von Neuem.

Und doch war es diesmal anders!

Tristan suchte ständig ihre Nähe, vor allem nachdem sie vor dem `Psycho´, eine Diskothek in Berlin, fast getötet worden waren. Er führte sie ins Kino aus, sie besuchten Theater- und Musicalvorstellungen, gingen in Museen oder machten lange Spaziergänge.

Tristan schien süchtig nach ihr geworden zu sein.

>Hat er sich etwa wirklich neu in mich verliebt? < Rowena hatte Angst, dass das der Fall sein könnte.

„Stopp, Tris!“, sagte sie leise.

Goldene Augen sahen in violette und ein irritierter Ausdruck machte sich auf seinem Gesicht breit. Er war erregt, seine Haut schien zu glühen und sein Atem kam stoßweise.

„Wir müssen reden.“

Tristan hielt vor Schreck die Luft an, dann setzte sich ein schmerzhafter Ausdruck auf sein Gesicht. „Tu mir das nicht an, Ro!“, bat er heiser.

Rowena kannte den Gesichtsausdruck. Ihre Befürchtungen bewahrheiteten sich.

„Tristan, geh bitte von mir runter.“ Ihre Stimme war leise und ruhig und sie sah ihm fest in die Augen.

Er presste seine Lippen aufeinander und rollte sich von Rowena runter. Dann setzte er sich in eine Ecke des großen Bettes und deckte seine Blöße zu. Mit offenem Mund und gerunzelter Stirn sah Tristan seine Exfrau an.

„Tristan, hast du mich gerade `Liebling´ genannt?“

Er schluckte, dann nickte er stumm.

Rowena setzte sich auch auf, raffte ein Kissen vor ihrer Brust und rieb sich erschöpft die Stirn. Das tat sie immer, wenn sie vor einer schier ausweglosen Situation zu stehen schien.

„Hast du dich … in mich verliebt?“

Tristan sah sie verletzt an. „Ob ich …? Ro, ich habe nie aufgehört, dich zu lieben!“

>Scheiße! < Rowena holte lange und tief Luft, dann schüttelte sie den Kopf. „Tris, das geht nicht gut zwischen uns. Und das weißt du!“

Er schüttelte trotzig den Kopf, seine langen, dunkelblonden Haare umspielten die nackten, kräftigen Schultern. „Es ist dieses Mal anders, Ro. Das spüre ich. Bitte, gib´ uns noch einmal eine Chance!“

Rowena sah in die Augen, die ihr so vertraut waren. Ja, sie liebte Tristan auch, aber sie war einfach nicht fähig, mit ihm eine gemeinsame Zukunft zu planen, zu führen. Bedauernd schüttelte sie den Kopf. „Tris, es tut …“

„Nein, Rona! Nein! Sag das nicht, verstanden?“ Seine Augen blitzten jetzt dunkelgrün auf. Es war ihm verdammt ernst. „Als wir uns bei Jannik trafen, vor drei Monaten, da war es Bestimmung. Fast hundert Jahre habe ich versucht, dich aus meinem Kopf, aus meinem Herzen zu verbannen Aber ich habe es nicht geschafft. Ich habe dich dasitzen sehen und alles, was ich mir zurechtgelegt hatte, wenn ich dir jemals wieder begegnen sollte, war weg. Einfach weg.“

Rowena schluckte hart. Es tat ihr weh, Tristan so leiden zu sehen, aber es änderte nichts an ihrem Entschluss. „Tristan, es ist besser, wenn wir es hier und jetzt beenden. Endgültig!“

Der Laut, den der große, kämpferische Mann von sich gab, brach ihr das Herz und sie wusste, dass der Bruch dieses Mal wirklich für immer war.

„Warum? Ist es, weil ich dir nicht genug bin?“

Rowena sah ihn fragend an. „Ich verstehe nicht!“

Ein bitteres Lachen prallte ihr entgegen. „Glaubst du, ich habe Stavros nicht an dir gerochen?“

Rowena vergaß zu atmen. Ihr Denken setzte einen Moment aus.

„Ich weiß ja, dass du frisches Blut brauchst. Dass du nicht nur auf die Blutkonserven zurückgreifen kannst. Und es ist auch okay, dass der Junge dich von sich trinken lässt. Aber musstest du gleich mit deinem Essen schlafen?“

„Was?“ Die Formulierung traf Rowena wie ein Faustschlag in den Magen.

„Ich kann sehr wohl die unterschiedlichen Gerüche bestimmen. Blut und Sperma, Rowena.“ Tristan hatte jetzt fast schwarze Augen. Nichts war mehr in diesem Blick, was auch nur annähernd liebevoll war.

„Es ist einfach passiert, Tris. Große Mutter! Als ob du tugendhaft wärst!“

„Frage mich!“, knurrte er.

„Wie bitte?“ Rowena verstand wirklich nicht, worauf er hinauswollte. Er hatte seinen Geist, seine Gedanken vor ihr verschlossen. Und selbst wenn er es nicht hätte so würde sie nicht so einfach in seine Gedanken schlüpfen. Das hatte sie schon damals nicht getan.

„Frage mich, mit wie vielen Frauen ich geschlafen habe, seitdem wir vor genau 600 Jahren, auf den Tag genau, geheiratet haben.“ Tristans Stimme war eiskalt, ein grausamer Zug hatte sich um seine Lippen gelegt.

600 Jahre? Heute? Heute war der Hochzeitstag?

„Ich habe vergessen, dass wir …“

„Ich nicht!“, brüllte er, schoss quer über das Bett und packte sie an den Armen. „Frage endlich!“

„Wie viele?“, schrie sie ihn an.

„Keine … einzige“, zischte er und öffnete seinen Geist, ließ sämtliche Barrieren fallen.

Rowena sah seine Erinnerungen, fühlte seine Gefühle. Die guten wie die schlechten. Aber die Liebe zu ihr übertraf alles andere, sogar den Hass gegenüber Darius, Tristans Schöpfer.

„Nein“, hauchte sie und die Erkenntnis raubte ihr den Atem. „Es tut mir leid, Tristan. Ich … ich hatte ja keine Ahnung, dass …“

Wie ein verwundetes Tier schrie er kurz auf, entzog sich schnell ihrem Geist und ihrem Körper. Schluchzend stand er auf und begann, sich anzuziehen.

Rowena starrte geschockt zur Zimmerdecke hinauf. „Tristan, bitte. Verzeih mir. Ich wollte dir n …“

„Vergiss es einfach, Rowena.“ Er klang erschöpft. „Mach´ dir keine Sorgen wegen Stavros. Ich mache ihm keinen Vorwurf. Er hat von mir nichts zu befürchten.“

Rowena tastete nach ihrem Morgenrock und zog ihn sich umständlich über.

„Ich möchte nur eins wissen, in Ordnung?“ Sein verletzter Blick traf auf violette, panisch aufgerissene Augen.

„Was?“ Sie hatte beinahe Angst, zu Fragen.

„Als wir verheiratet waren, und noch nicht getrennt, hast du da mit anderen Männern geschlafen, wenn ich auf dem Schlachtfeld war?“

Nach all den Jahrhunderten überraschte sie die Frage jetzt. „Tristan, ich musste mich nähren, das weißt du!“

Er erstarrte. „Ich auch, Rowena! Aber ich habe mich nur genährt. Ohne Sex. Das geht nämlich, weißt du!“

Rowena merkte, wie sie vor Scham errötete. Noch nie hatte sie sich Gedanken über ihre ausgeprägte Libido gemacht. Warum auch? Schließlich erinnerten sich die meisten Männer hinterher nicht einmal an eine Nacht mit ihr. Außerdem entspannte es sowohl die Männer als auch sie selbst, während sie von ihnen trank.

„Das ist nicht fair, Tristan“, warf sie ihm vor.

Tristan lachte erneut bitter auf. „Nicht fair? Ich habe dir vertraut, Rowena. Ich habe dich in deinen Bemühungen, die Medizin der Sterblichen zu studieren unterstützt. Ich habe dich überall hinbegleitet, damit du die Religionen der Welt erforschen konntest um aus ihnen neue Kräfte zu ziehen. Dann schlage ich irgendwo eine Schlacht, bin nur ein paar Wochen oder Monate von dir getrennt, und du fickst andere Männer! Und ich bin nicht fair?“

Rowena war inzwischen aufgestanden, starrte über dreißig Zentimeter nach oben um Tristan in die Augen zu blicken. Ohne erkennbaren Ansatz verpasste sie ihm eine schallende Ohrfeige.

Wäre Tristan sterblich, hätte er jetzt eine Gehirnerschütterung davongetragen, so heftig war der Schlag. Sein Kopf wurde nach hinten gerissen und er taumelte kurz. Allerdings mehr vor Überraschung als vor Schmerz. Ungläubig suchte er ihren Blick. Ein kleiner Blutfaden lief über seinem linken Mundwinkel.

Rowena war über sich selbst erschrocken. In all den Jahrhunderten hatte sie ihn noch nie geschlagen. Und Tristan hatte Rowena nie geschlagen, egal, wie heftig sie sich auch gestritten hatten.

„Tris, es tut …“

„Hör auf, das zu sagen.“ Seine Stimme klang hohl, sein Blick war leer. „Geh´ lieber ans Telefon.“

Ohne ein weiteres Wort schnappte er sich seine Schuhe, drehte sich um und verließ fluchtartig Rowenas Eigentumswohnung im Berliner Stadtteil Zehlendorf.

Rowena konnte nicht so ganz begreifen, was da gerade geschehen war. >Ich habe ihn verloren. Endgültig! Aus. <

Mozarts Kleine Nachtmusik holte sie in die Realität zurück. Tief durchatmend ging sie zum Nachttisch und nahm das Handy.

„Ja!“ Ihre Hand tat durch den Schlag etwas weh, aber das würde nach ein paar Minuten wieder nachlassen. Der Schmerz in ihrem Herzen würde bleiben.

„Herrin, hier ist Brian.“

Für einen Moment setzte Rowenas Herzschlag aus, dann zwang sie sich, ruhig weiter zu atmen.

„Hallo, Brian. Auch wenn der Anlass vermutlich weniger schön ist, ist es aber schön, deine Stimme zu hören, mein Freund.“

„Ja, Herrin.“ Die knarzige Männerstimme mit dem starken, schottischen Akzent kratzte wie eine Erinnerung in ihrem Ohr.

„Was ist geschehen?“

„Es gab einen Toten.“

Rowena atmete hörbar scharf ein. Das in ihrer Heimat Menschen starben war nicht ungewöhnlich. Deswegen rief Brian Conelly auch nicht an. Selbst wenn der Verstorbene ein guter Freund oder nur ein Bekannter gewesen sein sollte.

Außerdem lag etwas in der Stimme des Mannes, das Rowena alarmierte. „Ein Einheimischer?“

„Nein. Ein Tourist aus Glasgow. Er kam ein bis zweimal im Jahr hierher. Wanderte, angelte, trank Bier und Whisky. Netter Mann. Ein Arzt.“

„Familie?“

Der Mann am anderen Ende seufzte leise. „Geschieden, zwei Töchter. Wohnen bei der Mutter. Trotzdem sind die Hinterbliebenen erschüttert.“

Rowena setzte sich wieder auf ihr Bett, strich sich nervös über ihre Stirn. „Was ist genau passiert?“

„Er wurde gerissen, Herrin. Zerfleischt. Ausgeweidet. Beinahe leer getrunken.“

Rowena konnte den zischenden Laut nicht unterdrücken, der ihre Lippen verließ.

>Ein Wilder. Das ist nicht gut. <

„Ich verstehe, Brian. Ich muss noch hier in Berlin ein paar Kleinigkeiten regeln, bin dann in etwa zwei bis drei Tagen zu Hause.“

„Ja, Herrin. Ich werde dein Haus für dich herrichten und die Sonderlieferung in Empfang nehmen.“

Rowena lächelte freudlos. „Danke, Brian. Du bist ein wahrer Freund. Ach, sage den anderen Bescheid, dass sie die Augen nach Fremden aufhalten sollen. Solche, die sich merkwürdig verhalten, komisch aussehen und Einzelgänger sind. Solche, die Menschenansammlungen meiden. Aber keine Aktionen, bis ich da bin. Ich will mir selbst ein Bild machen, in Ordnung?“

„Ja, Herrin. Scott Palatin, unser Inspektor, hat von dem Autopsiebericht und den Fotos Kopien gemacht und für dich in Sicherheit gebracht.“

„Sehr gut. Hast du die Leiche gesehen?“

Brian zögerte einen Moment. „Ja, Herrin.“

„Dein Eindruck?“

Wieder zögerte der Mann, dann seufzte er leise. „Verzeih, aber ich glaube, es war jemand von deiner Art, Herrin.“

Rowena lächelte, obwohl der alte Mann das nicht sehen konnte. „Brian, du musst dich nicht entschuldigen. Ich bin auch schon längst zu dieser Erkenntnis gelangt. Leider gibt es auch bei uns einige, die gegen Gesetze verstoßen. Aber ich finde den Mörder. Und dann kehrt am Loch Oich wieder Ruhe ein. Versprochen.“

„Ich weiß, Herrin. Du beschützt uns. Nach all den Jahren wachst du noch immer über uns.“

„Ihr seid meine Familie, meine Nachkommen. Mein Herzschlag.“

Der alte Mann am anderen Ende räusperte sich leicht. „Also dann in spätestens drei Tagen.“

„Ja, Brian. Ich werde kommen.“

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