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Friseurstation 4B

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WER IN EINEM ANFLUG VON Sozialromantik glauben möchte, es gebe im deutschen Gesundheitswesen keine wesentlichen Unterschiede zwischen Privat- und Kassenpatienten, der irrt. Immer, wenn ein Privatpatient auf unsere chirurgische Station kam, gab es ein großes Hallo. »Der ist privat«, tuschelten die Schwestern aufgeregt, und jedem, auch uns Zivildienstleistenden, wurde die Information mit höchster Priorität übermittelt. Unmittelbare Direktiven folgten nicht daraus, aber es wurde schon vorausgesetzt, dass wir die Privaten nicht wie jeden x-beliebigen Schnösel zu behandeln hatten. Sie kamen nach Möglichkeit in Zimmer 405 oder 406, die zwei luxuriösen Einbett-Suites, die unsere Station nach der Sanierung neu zu bieten hatte, selbst wenn sie nur »zweite Klasse« waren, also eigentlich nur ein verbrieftes Recht auf eine Zweibett-Unterbringung besaßen.

Und – unsere Privaten genossen außerdem eine Spezialbehandlung durch die Stationsleiterin, Schwester Eu­ge­nia, die die Titulierung »Schwester« in jedem Fall völlig zu Recht trug, denn sie war eine solche vom Heiligs­ten Herzen Jesu, eine Nonne also, etwas profaner gesprochen, oder wie mein Vater sagte: ein Pinguin, denn unser Krankenhaus war an ein Kloster angeschlossen und wurde vom Bischof unterhalten. Schwester Eugenia sah es als ihre oberste und heilige Pflicht an, die präoperative Versorgung unserer Patienten selbst vorzunehmen. Wohl­gemerkt, bei den Patienten; die Patientinnen überließ sie wie üblich den weltlichen Schwestern. Zur Vorbereitung gehörte, sofern es sich nicht mal wieder um eine Struma handelte, oft eine gewissenhaft durchzuführende Scham­haarrasur. Als einzigem männlichen Bediensteten der Station 4B fiel diese Aufgabe normalerweise mir zu, denn die normalen Schwestern hassten den Job. Fast immer mussten sie unerträgliche Anzüglichkeiten über sich ergehen lassen, und nicht selten, so berichteten sie genervt, umfassten die Vitalfunktionen des Blinddarms, des Leistenbruchs oder der Varizen noch eine ansehliche Erektion. Eine 17-jährige Schwesternschülerin erzählte gar schockiert, bei der ersten Rasur, die sie bei einem Mann allein vornehmen musste, habe sie sich etwas ungeschickt angestellt und ziemlich lange herumgehampelt, und der Typ hatte nicht nur eine Erektion, sondern gleich anschließend noch eine Ejakulation präsentiert und sich danach nicht etwa peinlich berührt entschuldigt, sondern allen Ernstes bedankt und ihr Trinkgeld angeboten.

Kurzum: wann immer möglich, fiel der Job mir zu. Ich war ein großer Schamhaarfriseur, der unangefochtene Coiffeur des männlichen Genitalbereichs, der Udo Waltz von Station 4B. Ein paar Latexhandschuhe, zwei bis drei Einmalrasierer, eine Nierenschale für die Beute und ein Schwung Zellstofftücher zum Auffangen irrlaufender Krüsselhärchen, mehr brauchte ich nicht. Die Rasur erfolgte stets trocken und ohne vorbereitende Maßnahme. Ritsch, ritsch, ritsch, schon tobten die Schammäuse ausgelassen umher und landeten in der Nierenschale. Oft wurde ich von sehr leidend dreinschauenden OP-Opfern gefragt, warum es keine Nassrasur gebe, das sei doch viel sanfter. Ich wusste es auch nicht, es war eben so. Ich schob medizinische Gründe vor. Ritsch! Ich rechtfertigte mein Tun vor mir selbst, in dem ich mir sagte, auf diese Weise nahm ich den Patienten die Angst vor der Narkose. Ritsch! Ich war mir sicher, die meisten sehnten sich geradezu nach der Narkose! Ritsch! Ritsch!

So ging das also normalerweise. Aber nicht bei Privaten. Da durfte nur Schwester Eugenia persönlich ran. Und ich musste assistieren, hielt also das Besteck und stand daneben. Vorher hatte ich bereits die Thrombose-Strümpfe ausgeteilt, weiße, stramme Synthetiktextilien, die bis fast in den Schritt reichten. Ich verteilte die Dinger und wies die Patienten an, sie umgehend anzuziehen. So lagen sie dann in ihren Betten, als ich schließlich mit Schwester Eugenia in ihre Suite einfiel. Wie gesagt – in der Regel ein Einzelzimmer. Keine Zeugen. Dann mussten sie sich aufdecken und die Unterhose auf Befehl der Nonne ausziehen. Nur sehr zögerlich leisteten sie Folge und lagen anschließend untenrum nackt da, nur mit den halb durchscheinenden, weißlichen Strümpfen gekleidet, die lustige blaue oder gelbe Ringel in Schritthöhe aufwiesen. Eugenia und ich zogen uns dann synchron die Handschuhe an. Eugenia war die Einzige, die ein richtiges Rasiermesser benutzte, nicht die Einmaldinger. Ich schob die blitzende Klinge ein und reichte es der frommen Frau. Der Patient, entblößt und thrombosebestrumpft, blickte uns mit weit aufgerissenen Augen an. »Und was kommt jetzt ...?«, fragte er meist noch mit panikerfüllter Stimme. »Jetzt bereiten wir uns mal schön auf die Operation vor«, sagte Eugenia in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete. Dann hielt sie das Rasiermesser hoch wie eine Armbrust, die gespannt werden musste, und jetzt begann sie, die blitzschnelle Attacke der Dame vom Heiligsten Herzen Jesu auf das Allerheiligste des Privatpatienten. Ehe der wusste, wie ihm geschah, hatte ich schon die ersten Löckchen aufgefangen und in die Nierenschale gewischt. Der Hauptteil ging zügig vonstatten. Schwester Eugenia kappte das Haar mit wenigen, jahrzehntelang eintrainierten Handgriffen in Nullkommanix. Dann setzte sie erneut an, um auch die kleinen Stoppeln und Stummeln rückstandslos zu entfernen, kräftig ließ sie das Gerät eine Handbreit unter dem Bauchnabel auf das entblößte Fleisch schlagen, drückte es tief ein und zog es mit derselben Professionialität, mit der eine Scheibenputzkolonne die Gummiabzieher über die Glasfronten tanzen lässt, über den Unterbauch bis zum Anschlag an die Peniswurzel. Exakt elf dieser tief furchenden Züge, die erst Millimeter vor dem Schwellkörper von Maximalgeschwindigkeit auf null abgremst wurden, waren erforderlich, dann war im oberen Bereich alles clean.

Ich habe in meinen anderthalb Jahren Zivildienst bei Dutzenden dieser Einsätze assistiert, und in der ganzen Zeit war das garantiert Einzige, was dabei steif wurde, der Patient selbst, der starr vor Entsetzen auf seinem Bett lag und sich im Angesicht der blitzenden Klinge, die um seine empfindlichsten Stellen wirbelte, nicht die kleinste Bewegung traute. Dann begann die Detailarbeit: »Stellen Sie mal ein Bein auf«, befahl die Nonne. Mit spitzen Fingern ergriff sie das kaum noch auszumachende, zusammengeschrumpelte Gemächt und zog es sehr stramm nach oben, ein bisschen, wie ein Huhn, das einen Wurm aus dem Boden zieht, der sich verzweifelt zu verankern sucht und vom kräftigen Schnabel länger und länger gedehnt wird, schnabelgleich waren auch Eugenias Finger, sie zog bis kurz vor den Moment, in dem der Wurm zerreißen würde, sie zog und zog, bis das Würmchen maximal gestreckt war und somit die ehemals schlaffe und faltige Skrotum-Haut nun eine straffe, faltenfreie Fläche bot, über die Eugenia gründlich und ausgiebig schaben konnte. Das war der Moment, wo meiner Beobachtung nach mindestens 80 % der Männer die Augen schlossen und schwer schluckten, wohl in der Hoffnung, so den schlimmsten Moment der Prozedur zu überstehen. Doch sie täuschten sich. Dies war nur das Präludium für das große Finale. Denn jetzt ließ Eugenia das Stümmelchen mit demselben kindlichen Vergnügen, mit dem man früher Weckgummis hat fliegen lassen, zurückschnappen, nur um in der nächsten Sekunde mit der ganzen Hand voll darauf zu langen, herzhaft den gesamten Geschlechtsapparat zu ergreifen und ihn kräftig so weit wie möglich zur Seite zu drücken, während sie an der dadurch freigelegten Leiste fröhlich weiterschabte. »So«, verkündete sie schießlich, »geschafft«, der Patient öffnete zaghaft die Augen, nur um zu sehen, wie der beschleierte Pinguinkopf sich nun tief über seinen Schoß beugte, sich die Lippen in wenigen Zentimetern Abstand zum Opera­tionsgebiet schürzten, um dann... – ja, ich muss es hier einfach so formulieren –, um dann kräftig zu blasen, zu blasen und nochmals zu blasen, Eugenia blies, wie wenn man bei einem Geburtstagskuchen die Kerzen auspustet, sie entfesselte einen Sturm der Leidenschaft zur Sterilität, zur größtmöglichen Reinheit im Dienst am Nächsten, am Allernächsten, sie blies und blies, bis das allerletzte Härchen davon gestoben war, und hier wurde wirklich ein Licht ausgeblasen, denn egal ob Manager oder Studienrat, ob Banker oder Amtsleiter, all die wichtigen, privat versicherten Männer der katholischen Stadt Münster wurden von Schwester Eugenia zu kleinen, jämmerlichen Häufchen Elend zurecht geblasen, die den göttlichen Beistand niemals intensiver ersehnten als in diesem Moment, und erst recht im nächsten, denn kaum war das Auge des Hurrikans vorbeigezogen, spielte ein diabolisches Lächeln um die Mundwinkel der Dienerin des Herrn, dann zauberte sie mit einer lässigen Bewegung ein kleines Plastikfläschchen aus den Tiefen ihres Kittels, und ohne Vorwarnung zerstäubte sie eine klare Flüssigkeit auf die freigelegte Genitalregion, zischte ein kurzes: »Noch ein bisschen Klostergeist, damit sich nichts entzündet«, während der Patient nun hemmungslos aufjaulte wie ein kleiner Junge, sich zusammenkrümmte und sich mit den Händen hilflos den teuflisch brennenden Schambereich, diesen Eingang zur Hölle hielt. Schwester Eugenia lächelte, verabschiedete sich, und versprach: »Der Anästhesist kommt dann gleich.« Und wieder hatte sie einem Privatpatienten in diesen gottesfürchtigen Hallen Ehrfurcht gelehrt. Zufrieden folgte sie mir nach draußen.

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