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I. Die Jugendlichen heute sind da viel lockerer Zoodirektor

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LOKOMOTIVFÜHRER ODER FEUERWEHRMANN wollte ja schon in den 70er-Jahren niemand mehr werden. Eher Rennfahrer, Astronaut, Bankchef oder Atomphysiker. Mich hat diese Diskussion nie berührt, ich wusste immer ganz sicher, was ich werden wollte: Zoodirektor. Und da meine Kompetenz und Eignung für diesen Job so vollkommen offensichtlich war, sah ich auch gar nicht ein, wieso ich damit warten sollte, bis ich groß wäre. Also ernannte ich mich einfach selbst zum Direktor des »Zoo Gremmendorf«, den es jetzt nur noch zu gründen galt. Ich malte es mir paradiesisch aus: Ich könnte meine Leidenschaft zum Beruf machen, die Leute würden Schlange stehen und Eintritt zahlen, und Mädchen, ach, Mädchen! Darum würde ich mir als erfolgreicher Zoodirektor nun wirklich keine Sorgen machen müssen. Ich könnte mir aussuchen, ob ich mit Sabine aus der Pommernstraße gehen würde oder mit Rendel aus der Hohmannstraße, und vor allem müsste ich mich nicht mehr mit der doofen Michaela abgeben, die ja leider die Einzige war, die irgendwie immer übrig blieb, und besser die, als gar keine, so wie der dumme Hubert, aber sobald uns keiner mehr sah, schubste ich sie weg und rannte nach Hause. Ganz gleich – das alles würde bald ein Ende haben.

Zunächst mussten einige architektonische Probleme gelöst werden. Leider war mein Budget sehr knapp, und von denen da oben – sprich: meinen Eltern – war natürlich kein Geld zu erwarten, an Bildungseinrichtungen wird ja immer zuerst gespart. Aber das machte nichts. Ich trug einen größeren Bestand an Einmachgläsern aus dem Vorratskeller meiner Mutter zusammen, und dazu – damit meine Eltern dann nicht wie bei jeder Einweihung neuer Gebäude in Münster jammern würden, dass das doch nur hässliche gleichförmige Klötze seien – noch einige Elemente zur baulichen Auflockerung: Margarine-Dosen, Zigarrenschachteln, Marmeladengläser, eine Tupperdose sowie eine Eisbox. Der Bau selbst gestaltete sich einfach: Ich verteilte die Gläser und Kisten nach einem ausgeklügelten System, das ich mir zuvor aufgezeichnet hatte, quer über den gesamten Garten. Wie in jedem richtigen Zoo bekam jedes eine Nummer, die ich gleich auf dem Lageplan eintrug, der somit auch als Zooführer dienen konnte, den ich zur Mehrung meiner Reichtümer und zur Erfüllung des Bildungsauftrages an die Besucher ver­kaufen könnte. Wie in Zoos üblich, legte ich auch Wege zwischen den Gehegen an. Hier mussten zunächst einzelne Steine reichen, die den Weg vom Rest des Rasens z.B. abtrennten, denn ich hatte mir ein geschicktes Schlangenliniensystem ausgedacht, um so ein richtiges Wegenetz und damit verbunden einen großzügigeren Eindruck der Zoofläche zu schaffen.

Als Nächstes ging es daran, den Tierbestand zusammenzustellen. Das war die leichteste Aufgabe, denn ich kannte sie alle, ich wusste, wo sie sich verbargen, und ich war gut und schnell. Als Erstes zog eine kleine Herde Mauerasseln in eine Margarinedose. Die wohnten unter den Gehwegplatten im Hintergarten, die hatte ich sofort. Leicht waren auch ein paar Hausspinnen und Weberknechte, auch deren Habitate im Geräteschuppen kannte ich exakt. Ich war sehr wählerisch und unterzog alle erbeuteten Spinnentiere einer eindringlichen Prüfung, aber schließlich hatte ich eine kleine Kollektion der Größten und Schönsten unter ihnen zusammengestellt. Die kamen einzeln in die Einmachgläser. Die Marienkäferlarven musste ich nur von den mit Läusen befallenen Pflanzen absammeln, die waren für den Kinderzoo. Die erwachsenen Käfer kamen dagegen in ein Einmachglas, weitere wurden befüllt mit Heuhüpfern, Kartoffel- und Laufkäfern, Tausendfüßern und Ohrenkneifern. Und schließlich hatte ich auch noch echtes Jagdglück, und stolz konnte ich eine der Großanlagen mit einem Hundertfüßer besetzen, ein wildes, schnelles, unberechenbares und einzelgängerisches Tier, aber ich trieb es geschickt in mein Fangglas. Weitere Spezial-Anlagen waren ein großes Aquarium, in dem ein Wasserkäfer sowie eine wirklich furchterregende Libellenlarve präsentiert wurden, und die Freiflugvoliere, in die ich zwei Zitronenfalter setzte. Sorgfältig trug ich die Artnamen in den Zooführer ein, malte erst einmal 50 Exemplare für den Anfang, und jetzt brauchte es nur noch eines: eine große, engagierte Werbekampagne. Ich malte Dutzende Flugblätter, auf denen ich die Neueröffnung des »Zoo Gremmendorf« verkündete, Öffnungszeiten täglich von 15-18 Uhr, Eintritt 50 Pfennig. Die steckte ich im ganzen Viertel in alle Briefkästen. Ich hatte erst erwogen, meine Freunde und Bekannten persönlich einzuladen, aber nahm dann doch davon Abstand. Ich wollte echte, selbst erarbeitete Besucher, sonst bräuchte ich schließlich keinen Zoo zu eröffnen.

Am ersten Tag setzte ich mich um halb drei vorne an die Straße, ein großer Karton diente als Kassenhäuschen, darauf stellte ich eine unbesetzt gebliebene Margarineschachtel für die Einnahmen. Erwartungsvoll blickte ich die Straße entlang. Mehrere Leute kamen in Sichtweite. Meine ersten Besucher? Aufgeregt harrte ich der Dinge. Nein, sie gingen einfach vorbei. Vielleicht trauten sie sich nicht rein? Sie mussten doch von dem neuen Zoo gelesen haben! Als um vier immer noch niemand da war, wurde ich misstrauisch. Was hatte ich falsch gemacht? Ich überlegte fieberhaft ... Ich Idiot! Natürlich! Ich hatte das Eingangsschild vergessen! Blitzschnell rannte ich ins Haus, um eines zu malen: ZOO GREMMENDORF, in Großbuchstaben, na also! Ich klebte es über den Briefkasten und setzte mich wieder ans Kassenhäuschen. Aber es geschah auch weiterhin nichts. Nur mein Vater kam von der Arbeit, sah mich, schüttelte still mit dem Kopf und ging rein. Ich hätte ihn natürlich fragen können, ob er nicht meinen neuen Zoo angucken mochte, aber um nichts in der Welt wollte ich mir diese Blöße geben, nein, da sollte er mal schön selbst ankommen, der feine Herr Papa, wenn die Nachbarn es ihm hinter vorgehaltener Hand ins Ohr flüstern würden, was für einen tollen Zoo sein Sohn da aufgebaut habe, und er würde ganz beschämt sein, dass er selbst ihn noch gar nicht gesehen hat, ja, dass er ihn nicht einmal bemerkt hat! Der Eröffnungstag war, das musste ich mir um sieben eingestehen, eine Pleite auf der ganzen Linie. Abends in meinem Zimmer beschloss ich, die Werbung zu intensivieren. Fieberhaft malte ich neue Zettel, die ich am nächsten Morgen vor Schulbeginn im Viertel verteilen würde, und senkte den Preis auf 20 Pfennig. Ich deklarierte es als großes Eröffnungsangebot. Am nächsten Mittag bezog ich wieder Stellung. Und tatsächlich, um viertel nach drei kamen die ersten Besucher. Mist, es war nur der doofe Herwig mit seinem Vater, der sich ohnehin immer mit mir zum Spielen treffen wollte, dabei ging der nun wirklich gar nicht, ich wäre bei den anderen sozial geächtet, würde ich mich mit Herwig verabreden, aber das spielte in diesem Moment keine Rolle: Dies hier war beruflich, da musste man einfach ganz Profi sein. Souverän begrüßte ich meine Gäste, nahm ihnen zwei mal 20 Pfennig ab und dazu noch einmal 50 Pfennig für den Zooführer, dann führte ich sie durch die Sammlung. Ein erhebendes Gefühl! Nach dem Rundgang fragte Herwig natürlich gleich, ob er nicht mitmachen dürfe, er könne ja die Gehege saubermachen oder an der Kasse sitzen, aber ich musste ihm verkünden, dass wir derzeit leider noch keine Stelle zu besetzen hatten. Auch sein Ansinnen, dass wir doch noch gemeinsam spielen könnten, es wären doch eh keine Besucher da, wies ich brüsk zurück. Ich hatte zu tun. – Leider dann doch nicht, wie sich später herausstellen sollte, aber abends betrachtete ich fasziniert meine ersten eigenen Einnahmen, wieder und wieder zählte ich sie durch, der Grundstock für mein zukünftiges Vermögen. Und am nächsten Tag geschah es dann: Sabine! Sabine kam, um meinen Zoo zu besuchen. Ich hätte sie natürlich am liebsten einfach so reingelassen, aber das ging ja nun nicht, da musste man Privates von Geschäftlichem trennen, und so nahm ich ihre 70 Pfennig und führte sie herum. Da würden die anderen in der Schule morgen aber gucken, wenn Sabine jetzt plötzlich mit mir ging. Ich zeigte ihr die Mauerasseln, die sie nicht sonderlich beeindruckten. Bei den Spinnen sagte sie nur: »Iiiih, die sind ja voll eklig.« Ich war irritiert. Die schönen Spinnen! Aber ich würde sie schon noch rumkriegen. Die Schmetterlinge! Mädchen mochten Schmet­terlinge, da war ich mir sicher. Also führte ich sie zur Freiflugvoliere. Die hätte ich allerdings vor der Öffnung noch mal kontrollieren sollen, die beiden tot auf dem Boden liegenden Zitronenfalter waren jetzt natürlich nicht so vorteilhaft. Auch im Aquarium war es zu einem Zwischenfall gekommen: Die Libellenlarve hatte den Wasserkäfer aufgefressen. Na ja, das konnte Sabine ja nicht wissen. Konnte sie doch: »Hier steht aber was von einem Wasserkäfer!«, deutete sie auf den Eintrag in meinem Plan, und ich stammelte irgendwas von der nächsten Erweiterungsstufe. Aber was sollte es, jetzt kam schließlich der ultimative Höhepunkt: der Hundertfüßer! Mit dem würde ich sie um den Finger wickeln. Feierlich öffnete ich die Schachtel, hob den kleinen Stein hoch, unter dem die Bestie saß – und tatsächlich: Aufgebracht flitzte er durch sein Gehege, respektgebietend und ehrfurchteinflößend, dieser wilde Jäger des Gartens, der König der Beete. »Boah, das ist ja voll eklig«, befand Sabine und präzisierte: »Du bist echt krank!« Sagte es, ließ mich stehen und ging nach Hause. Perplex schaute ich ihr hinterher. Ich beschloss, den Zoo für heute zu schließen, heftete ein Zettelchen an den Briefkasten – »Wegen Umbau vorzeitig geschlossen« –, ging in mein Zimmer und weinte ein bisschen.

Als ich am nächsten Mittag von der Schule kam, empfing meine Mutter mich aufgebracht an der Tür. »Was hast du da denn schon wieder angestellt!«, rief sie, »die ganzen Einmachgläser, alle im Garten herumgeschmissen und total verdreckt, die musste ich alle in die Spülmaschine packen!« Ich erstarrte. »Und die gute Tupperdose! Junge, die kannst du doch nicht einfach total einsauen, wieso hast du denn da überall Dreck reingefüllt, was soll denn das!?« Ich rannte nach draußen, aber es war nichts mehr zu retten. In der Mülltonne fand ich nur noch die Margarinedosen, aus denen ich die Kellerasseln befreien und wieder aussetzen konnte, aber der Rest der Sammlung war verloren. Der ganze Zoo – durch eine einzige Katastrophe ausgelöscht. Wie der Münsteraner Zoo im Zweiten Weltkrieg, dachte ich, denn das kannte ich von den großen Tafeln dort im Eingangsbereich. Es schien ein Fluch zu liegen über dieser Stadt.

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