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Mein Freund ist Ausländer

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ICH WUCHS AUF IN DEN ACHTZIGER JAHREN im bür­gerlich geprägten Vorort Gremmendorf der bürgerlich geprägten Stadt Münster. Dort gab man sich weltoffen. Man war zwar konservativ, jedoch in vernünftigem – sagen wir mal: CDU-konformem – Rahmen liberal. Man hatte also nichts gegen Ausländer. Das sind nämlich oft ganz ordentliche Leute. Sehr fleißig. Die Pizzabäcker zum Beispiel. Allerdings gab es damals keine Pizzeria in Gremmendorf. Aber in Hiltrup, und die sind da sehr anständig, sagten die Richters jedenfalls. Rassismus, Ausländerfeindlichkeit, all die fiesen Sachen aus dem Fernsehen waren in Gremmendorf nicht wohl gelitten. So etwas gab es dort nicht. Ausländer allerdings auch nicht. Außer den Engländern. Davon gab es massenhaft, denn Gremmendorf war besetzt. Im Grunde war ja ganz Münster, um nicht zu sagen ganz Nordrhein-Westfalen besetzt von den Engländern, nach dem Krieg nämlich, aber inzwischen waren das ja gar keine richtigen Besatzer mehr, und sie fielen auch kaum auf. Die »Tommys«, wie mein Vater sie im vertraulichen Kreis manchmal nannte, das aber sicher nicht böse meinte, sollte es überhaupt irgend­etwas Böses bedeuten, hatten hinter ihren hohen Mauern mit dem aufgesetzten Stacheldraht angeblich alles: Schu­len und Läden und sogar eine Videothek, munkelte man. In Gremmendorf gab es keine Videothek. Etwas geheimnisvoll war es also schon, und fasziniert blickte ich auf die Abgrenzungen des Kasernengeländes, das zwischen meinem Stadtteil und der City lag, wann immer wir in die Innenstadt fuhren. Wohnen allerdings taten die Engländer dort nicht, sondern ein paar Straßen entfernt von unserem Haus, in einem Viertel, dessen Straßennamen ausgerechnet die abhanden gekommenen Ostgebiete in Erinnerung hielten. Die englischen Wohnhäuser standen in der Pommernstraße, der Schlesienstraße, auf dem Ostpreußenweg. Von der Anwesenheit der Engländer in der direkten Nachbarschaft bekamen wir Kinder aber nicht mehr mit, als dass zweimal jährlich die Scheiben klirrten, der Erdboden erzitterte und infernalischer Lärm vom Albersloher Weg drang. Dann fuhren sie mit ihren Panzern über die Straße, zum Manöver, wie Mutter erklärte, und Vater kam nach der Arbeit fluchend zu spät nach Hause, weil deswegen die Ausfahrtsstraße verstopft war und er im Stau stand. Alle Kinder in Gremmendorf sind so aufgewachsen. Nachdem sie in ihrem ersten Lebensjahr zweimal ordentlich durchgeschüttelt worden sind, haben sie sich daran gewöhnt, und später nahmen sie kaum noch Notiz von dem Ereignis; nur die Hausfrauen wussten dann, dass sie noch etwas Zeit hatten, bis sie die Kartoffeln aufsetzen mussten.

Abgesehen von den Panzerkolonnen auf der Straße bekamen wir die Engländer eigentlich nie zu Gesicht. In der Schule nicht, denn sie hatten ihre eigenen Schulen, im Supermarkt nicht, denn sie hatten ihre eigenen Supermärkte, und in der Kirche auch nicht, denn sie hatten überhaupt keine richtige Kirche, wie Pfarrer Ording erklärte, aber trotzdem seien sie ganz anständige Menschen. Nur ihre Kinder spielten gelegentlich wie wir draußen, aber auf ihren Straßen, drüben in den Ostgebieten, nicht bei uns auf dem Otto-Hersing-Weg (laut Straßenschild: »Berühmter U-Boot-Kommandant im 1. Weltkrieg, Retter der Dardanellen«). Pommern und die Engländer waren für uns gleichermaßen weit entfernt. Etwas, von dem man wusste, dass es existierte, mehr nicht. Wir blieben in unserer Straße, die mir zehn Jahre später völlig überraschend eine gelbe Ecke im Trivial Pursuit bescheren sollten, obwohl ich keine Ahnung hatte, wer die Dardanellen überhaupt waren. Als Kind hatte ich mir unter ihnen so etwas wie ein wildes Reitervolk vorgestellt, die Nachbarn der Tartaren und der Mongolen sozusagen, die vom tapferen Namenspatron unserer Straße vermutlich vor den bösen Russen geschützt wurden.

Denn obwohl Ausländern insgesamt nichts vorzuwerfen war, verhielt sich das beim Russen doch deutlich anders. Als kleiner Junge, als sich allmählich herausstellte, dass die Welt insgesamt doch erheblich unübersichtlicher war, als zunächst angenommen, bemerkte ich eines Tages plötzlich, dass der Eiserne Vorhang direkt entlang unserem Vorgarten verlief, zwischen uns und unseren Nachbarn, mit deren einige Jahre älteren Kindern ich groß geworden war, na ja, so groß wie man als Zehnjähriger eben ist. Es war 1980, die Geschwister von nebenan trugen seit neuestem Strickpullover und lange Haare, was meine Eltern für hinnehmbar hielten, solange diese gepflegt seien, aber ich wurde dennoch zum Frisör gezwungen. Jedenfalls erfuhr ich von den Nachbarskindern Schreckliches über Atomwaffen: dass die uns alle umbringen würden, wenn die Amerikaner durchdrehten. Ich bekam Angst und begann hysterisch zu heulen. Wir würden alle sterben! Offenbar etwas verunsichert über die Wirkung ihrer politischen Mission versuchten sie, mich zu trösten. Sie würden bald nach Bonn fahren, um gegen irgendeinen Doppelbeschluss zu demonstrieren, das sei ganz wichtig, und außerdem könnte man bei der Bundestagswahl demnächst ja jetzt auch die Grünen wählen, die seien dagegen, dass wir an Atomstrahlen sterben. Ich beruhigte mich allmählich wieder. Es gab also Hoffnung.

Zu Hause fragte ich meine Eltern gleich, wann wir nach Bonn fahren würden. Mein Vater war entgeistert. Wir würden überhaupt nicht nach Bonn fahren, und schon gar nicht an einer Demonstration teilnehmen, das seien doch alles nur langhaarige Chaoten, die von Moskau gesteuert würden. Ich fing an zu kreischen. Aber ich hatte noch Hoffnung und fragte, ob sie denn wenigstens die Grünen wählen würden? Mein Vater verneinte schockiert, ich schrie wie am Spieß und warf ihm vor, dass er Schuld sei, dass wir jetzt alle an Atomen sterben mussten. Er schick­te mich aufs Zimmer, ich heulte weiter, und später setzte er sich zu mir ans Bett und erklärte mir, dass die russischen Menschen sicher auch irgendwie ganz nett seien, aber ihre Regierung, die würde uns überfallen und ausrauben, wenn man sie ließe, aber die Amerikaner und die Engländer beschützten uns, und dafür brauchten sie die Atomraketen. Ich beruhigte mich allmählich wieder, hatte aber in der folgenden Zeit nachts ständig Albträume, in denen gemeine Strahlen sich durch mein Herz bohrten, und ein tief sitzender Zweifel wuchs allmählich in mir heran, denn es war ja ganz offensichtlich, dass hier eine meiner beiden wichtigsten Bezugsgruppen – nämlich die Nachbarskinder oder meine Eltern – sehenden Auges unser aller Tod riskierten, und dass es offenbar auch gar nicht stimmte, dass alle Ausländer anständig waren, denn entweder waren ja nun die Russen oder die Amerikaner und die Engländer mindestens zweifelhaft, ja, irgendwie schien überhaupt vieles nicht zu stimmen.

Dass wurde mir noch um einiges klarer, als ich ein Jahr später tatsächlich meinen ersten richtigen Engländer traf. Mitten auf dem Otto-Hersing-Weg. Er war ungefähr so alt wie ich und konnte ein paar Brocken Deutsch. Ich war unglaublich aufgeregt und so freundlich zu ihm wie möglich, um zu beweisen, dass ich ganz bestimmt nichts gegen Ausländer hatte. Er bestaunte mein neues Fahrrad und wollte damit mal eine Runde drehen. Begeistert gab ich es ihm. Ich sah ihn nie wieder. Mein Fahrrad natürlich auch nicht. Mein Weltbild erzitterte, als sei schon wieder Manöver. Und als schließlich zwei Tommys vor der Kasernenmauer in Gremmendorf aus einem fahrenden Auto heraus von der IRA niedergeschossen worden waren, und ich einige Tage darauf mit meinen Kumpels ehrfurchtsvoll die Einschusslöcher in den Ziegelsteinen betrachtete, da hatte ich endgültig begriffen, dass die Welt größer und komplexer war, als mein Stadtteil dies ursprünglich vermuten ließ.

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