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Die „Propheties“

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Wie bereits weiter vorne erwähnt, erschien die erste Ausgabe der „Propheties“ am 4. Mai 1555 bei Macé Bonhomme in Lyon. Sie enthielt neben dem an César gerichteten Vorwort 353 prophetische Vierzeiler („Quatrains“). Nachweisbar ist eine weitere Ausgabe, gedruckt 1557 bei Antoine du Rosne in Lyon, die das Vorwort und 642 Vierzeiler enthielt. Nicht erhalten hat sich dagegen eine Ausgabe aus dem Jahre 1558, die ein Nachdruck der Ausgabe von 1557 gewesen sein soll, ergänzt um den Brief an König Heinrich.

Die erste vollständige Ausgabe erschien 1568 bei Benoist Rigaud in Lyon, also zwei Jahre nach Nostradamus’ Tod. Sie enthielt neben dem Vorwort und dem Brief an König Heinrich 942 Vierzeiler, denn das siebte (VII.) Buch bestand nur aus 42 Versen. Diese Ausgabe bildete die Basis für alle späteren Drucke.

Manche Autoren zählen zu Nostradamus’ Werk auch zwei weitere Bücher mit den Nummern XI und XII, die nur zwei und elf Vierzeiler umfassen, außerdem die Weissagungen („Présages“), weitere 141 Verse, die verschiedenen Monaten zugeordnet sind sowie die 58 Sechszeiler („Sixains“). Es ist nicht sicher, ob Nostradamus diese Ergänzungen selbst verfasst hat. Zumindest von den „Sixains“ ist bekannt, dass sie Fälschungen sind und von einem Mann stammen, der sich Henri Nostradamus nannte und vorgab, ein Neffe des Sehers zu sein.

Die französischen Texte dieses Buches beruhen auf den ältesten Ausgaben, wie sie im Internet unter der Adresse http://www.nostradamus-bibliothek.de als Faksimiles zum kostenlosen Download zur Verfügung gestellt werden und zwar auf

der in der Bibliothek von Albi erhaltenen ersten Ausgabe, die am 4. Mai 1555 bei Macé Bonhomme in Lyon erschien;

der ersten Auflage der zweiten Ausgabe, gedruckt am 6. September 1557 von Antoine du Rosne, die heute in der Universitätsbibliothek von Utrecht steht sowie

der 1568 bei Benoist Rigaud erschienenen ersten Gesamtausgabe.

Dabei wurde jeweils die älteste bekannte Version verwendet. Das Vorwort an César, die Verse I.1 bis einschließlich IV.53 stammen aus der Ausgabe von 1555, die Verse IV.54 bis einschließlich VII.42 stammen aus der Ausgabe von 1557 und der Brief an König Heinrich sowie die Verse VIII.1 mit X.100 stammen aus der ersten Gesamtausgabe von 1568.

Die Schreibweise aus den Faksimiles wurde weitestgehend beibehalten, lediglich das Zeichen „&“ wurde durch „et“ ersetzt und die im heutigen Französisch nicht mehr gebräuchliche Tilde (~) ersetzt (z. B. „non femme“ statt „nõ femme“ in der dritten Zeile von Vers IV.57). In manchen Wörtern steht außerdem an Stelle eines „v“ ein „u“, wie in der ersten Zeile von Vers IX.7 („ouurira“ statt „ouvrira“ und „trouué“ statt „trouvé“). Wegen der besseren Lesbarkeit wurde das „u“ durch ein „v“ ersetzt.

Zu den Merkwürdigkeiten im Zusammenhang mit Nostradamus’ Werk gehören die mindestens zwei, evtl. sogar drei, unvollständigen Teilausgaben, die noch zu seinen Lebzeiten erschienen. Hätte Nostradamus die ersten Veröffentlichungsintervalle[14] beibehalten, hätte die vollständige Ausgabe der „Propheties“ bereits 1559 erscheinen müssen, was aber nicht der Fall war. Über die Gründe kann man allenfalls spekulieren. Vielleicht fand sich angesichts der aufgeheizten Stimmung im Volk, das Nostradamus die Schuld am Tode des Königs gab, kein Verleger, der eine Veröffentlichung riskieren wollte.

Nostradamus scheint aber dennoch an den „Propheties“ weitergearbeitet zu haben, denn sonst wären seine Erben nicht in der Lage gewesen, zwei Jahre nach seinem Tode eine beinahe vollständige Ausgabe herauszubringen.

Bereits im 17. Jahrhundert kam es zu ersten, politisch motivierten Fälschungen der Prophezeiungen. Sogar noch während des Zweiten Weltkriegs versuchten Briten und Deutsche den jeweiligen Gegner mit gefälschten „Quatrains“ zu demoralisieren. Der Schweizer Astrologe und Nostradamus-Forscher Karl Ernst Krafft erkannte, dass Vers V.94 den Sieg Stalins (le grand duc d’Armenie) prophezeite und versuchte Propagandaminister Dr. Joseph Goebbels zu warnen. Als promovierter Philologe erkannte Goebbels das Potenzial des Verses und überredete Krafft zu einer Fälschung. Aus dem grand duc d’Armenie wurde ein grand duc d’Arminie. Aus Armenien war das „Arminius-Land“ geworden und aus Stalin Hitler. Dieser Coup trug Krafft eine Stelle als Referent im Propagandaministerium ein. Krafft leistete sich später jedoch einige Schnitzer, so ein ungünstiges Horoskop für den „Wüstenfuchs“ Erwin Rommel, und soll „defätistische“ Äußerungen getan haben. Jedenfalls verhaftete ihn die Gestapo und schickte ihn ins Konzentrationslager Buchenwald. Auf dem Weg dorthin verstarb Karl Ernst Krafft.

Auch Vers II.36 beschäftigt sich mit dem Verhältnis der Nationalsozialisten zu Nostradamus’ Prophezeiungen. Gleichzeitig scheint auch Kraffts Schicksal angedeutet zu sein.

II.36

Du grand Prophete les lettres seront prinses

Entre les mains du tyrant deviendront:

Frauder son roy seront ses entreprinses,

Mais ses rapines bien tost le troubleront.

Die Briefe des großen Propheten werden genommen,

in die Hände des Tyrannen kommen sie.

Hintergehen seines Königs sind seine Unternehmungen,

doch seine Räubereien stören ihn schon bald.

Nachdem Rudolf Heß, der Stellvertreter des „Führers“, auf den Rat seines astrologischen Mentors, eines gewissen Dr. Schmidt-Nabus, nach England geflogen war, ließ der vor Wut schäumende Hitler alle Astrologen verhaften und Nostradamus’ Prophezeiungen beschlagnahmen. Der Verhaftung entging nur Krafft, der für das Propagandaministerium arbeitete. Krafft hinterging seine Auftraggeber jedoch u. a. dadurch, dass er ihnen verschwieg, dass Nostradamus Jude war. Die Schnitzer die sich Krafft später leistete, führten schließlich zu seiner Verhaftung. Die vierte Zeile bezieht sich nicht auf Krafft, sondern auf Adolf Hitler, der Land um Land eroberte,[15] bis sich mit dem Fall von Stalingrad das Kriegsglück wendete.

Auch die Alliierten beteiligten sich an diesem Spiel. So berichtet Frank Rainer Scheck, dass englische Flugzeuge 1943 Zehntausende Exemplare einer Broschüre mit dem Titel „Nostradamus prophezeit den Kriegsverlauf“ abwarfen. Darin war Vers III.30 abgedruckt, in den man das Pseudonym „Hister“ eingefügt hatte, um zu suggerieren, Nostradamus habe die deutsche Niederlage vorhergesehen.

III.30

Celuy qu’en luite et fer au faict bellique,

Aura porté plus grand que lui le pris,

De nuit au lit six lui feront la pique,

Nud sans harnois subit sera surpris.

Jener, der in Kampf und Eisen, in kriegerischer Tat,

höher kommt, als ihm gebührt.

Nachts im Bett erstechen ihn sechs.

Nackt ohne Harnisch, wird plötzlich überrascht.

Mit Hitler hat dieser Vers nichts zu tun, sondern er schildert das Ende Wallensteins. Als 1618 in Böhmen der Aufstand gegen die katholischen Habsburger losbrach, beauftragte der mährische Landtag den Baron Albrecht Wenzel Eusebius von Wallenstein, ein Regiment anzuwerben, um zu verhindern, dass die Revolution auf Mähren überspringt. Als Kaiser Matthias starb, schlug sich Wallenstein mit seinem Regiment jedoch auf die Seite von Erzherzog Ferdinand (dem späteren Kaiser Ferdinand II.). Die mährischen Stände fassten dies als Verrat auf, verwiesen Wallenstein „auf ewig“ des Landes und zogen seine Besitzungen ein. Er war wieder ein armer Schlucker, wie vor seiner Heirat (1609) mit Lukretia von Witschkow, einer der reichsten Edelfrauen Mährens.

Nach der Niederlage der Böhmen in der Schlacht am Weißen Berg, an der Wallensteins Kürassiere großen Anteil hatten, holte sich Wallenstein seine Besitztümer zurück und erwarb in der Folgezeit noch weitere Ländereien. Im September 1623 wurde er in den Fürstenstand erhoben, nur sechs Monate später erhob der Kaiser Friedland zum Fürstentum und im Juni 1625 wurde daraus das Herzogtum Friedland. Auch auf militärischem Gebiet vollzog sich Wallensteins kometenhafter Aufstieg. Er wurde Oberbefehlshaber des kaiserlichen Heeres, das er rasch zu beträchtlicher Größe ausbaute, und erhielt den Titel „Generalissimus“.

Als aber am 25. Februar 1634 sein letztes Stündlein schlug, hatte sich das Glück von dem großen Friedländer abgewandt. Er war ein Geächteter, auf der Flucht vor seinen Häschern. Im Stadthaus am Marktplatz zu Eger erstach ihn der irische Hauptmann Deveroux mit einer Partisane[16].

Nach diesem Ausflug in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges wieder zurück zum eigentlichen Thema: Nicht direkt als Fälschung kann man Vorhersagen bezeichnen, die in den Jahren 1956 und 1957 entstanden. Ein amerikanischer Visionär namens William D. Pelley behauptete, die Vorhersagen auf medialem Wege (heute würde man von „Chanelling“ sprechen) von Nostradamus empfangen zu haben.[17] Darunter befinden sich Vorhersagen, die offenbar den Golfkrieg von 1991 vorwegnehmen – 34 Jahre bevor dieser ausbrach. Eine dieser Vorhersagen lautet:

“A vast lake of oil shall burn fiercely before the nations. The fuel of Diplomacy lifts a black pillar eastward and before its greatness men and bureaus blanche.”

„Ein ausgedehnter Ölsee wird intensiv vor den Nationen brennen. Der Treibstoff der Diplomatie erhebt eine schwarze Säule ostwärts und vor ihrer Größe erbleichen Menschen und Behörden.“

Die insgesamt 500 Vorhersagen, die Freunde von William D. Pelley aufzeichneten, sind zwar in typischer Nostradamus-Manier gehalten, aber ob sie von Nostradamus stammen, ist zu bezweifeln. Es ist durchaus möglich, dass sich der Schöpfer der Vorhersagen nur mit Nostradamus’ Namen schmückte, um ihnen größere Glaubwürdigkeit zu verleihen.

Zur Jahreswende 2000/2001 kursierte im Internet und per E-Mail folgender Vierzeiler:

Wenn das Jahrtausend erreicht ist, Monat zwölf.

In der Heimat der größten Macht

wird der Dorfdepp hervortreten,

um als Führer bestellt zu werden.

Angeblich sollte dieser Vers von Nostradamus stammen und prophezeien, dass George W. Bush Präsident der Vereinigten Staaten wird. Die wenig schmeichelhafte Bezeichnung „Dorfdepp“ spielt dabei auf die mäßigen intellektuellen Fähigkeiten des damals neu gewählten Präsidenten an. Selbst die FAZ fiel herein und druckte den Vers ab, bei dem es sich jedoch nur um eine moderne Erfindung handelte.[18]

[1] Der wahre Hintergrund war jedoch meist profaner Natur. Da es die Kirche den Christen verboten hatte, Geld zu verleihen und dafür Zinsen zu nehmen, wandten sich viele Juden dem Geldhandel zu, um wirtschaftlich zu überleben. Pogrome waren eine ideale Gelegenheit für die „christlichen“ Schuldner, sich ihrer Gläubiger zu entledigen, ohne dafür bestraft zu werden.

[2] Geboren am 23. April 1484 als Guilio Cesare Scaligero in Riva am Gardasee, gestorben am 21.Oktober 1558 in Agen. Scaliger war Philologe, Humanist, Arzt und Dichter. Als Philosoph und Naturforscher war er oft in literarische Fehden verwickelt, so mit Geronimo Cardano und Erasmus von Rotterdam.

[3] Astronomisch-astrologische Kalender, eine Art Prognosejahrbücher, die neben astronomischen Ereignissen wie Finsternissen und Konjunktionen auch Vorhersagen über Wetter, Krankheiten usw. enthielten. Mit dem Aufkommen des Buchdrucks etablierte sich diese Literaturgattung und fand im 16. Jahrhundert weite Verbreitung.

[4] Die französischen Protestanten des 16. und 17. Jahrhunderts, meist Calvinisten.

[5] Der Nürnberger Religionsfriede war ein am 23. Juli 1532 zwischen Karl V. und den Protestanten geschlossener Vertrag. Er gewährte den protestantischen Reichsständen freie Religionsausübung bis zu einem allgemeinen Konzil oder bis zum nächsten Reichstag.

[6] Genevoise von französisch Genève: Genf

[7] Mt 5,6 (Zitiert nach: Kepplerbibel 1967, S. 14)

[8] Zitiert nach: Ernst 1994, S. 33

[9] Luca Gaurico (latinisiert: Lucas Gauricus) wurde am 12. März 1475 in Giffoni bei Neapel geboren und verstarb am 6. März 1558 in Rom. Er war zu seiner Zeit ein bekannter Astrologe, Astronom und Mathematiker. Zu seinen Schülern gehörte auch Julius Caesar Scaliger, was insofern bemerkenswert ist, als Scaliger wiederum mit Nostradamus bekannt war.

[10] Wenn dieser Brief der Grund war, Nostradamus nach Paris zu zitieren, dann kann die Reise erst im Jahre 1556 stattgefunden haben und nicht, wie einige Autoren behaupten, bereits 1555.

[11] Inwieweit es sich dabei um eine Legende handelt, sei dahingestellt, jedenfalls ist in der von Gaurico gefertigten offiziellen Deutung des Horoskops von Heinrich II. von einem Zweikampf mit tödlichem Ausgang keine Rede.

[12] Im Mittelalter in Frankreich und England der höchste militärische Beamte des Königs, dem die Oberaufsicht über das Militär zustand und der den Frieden der Nation zu wahren hatte. Das französische Connétable ist vom lateinischen comes stabuli (Marschall) abgeleitet.

[13] Zitiert nach: Werner 1991, S. 314

[14] 1555: erste Teilausgabe mit 353 Vierzeilern; 1557: zweite Teilausgabe mit 642 Vierzeilern

[15] Das französische rapine (Raub, Beute) stammt vom lateinischen rapina ab, dessen Wurzel rapio ist, das u.a. schnell erobern bedeutet. Damit ist rapine eine treffende Anspielung auf die Blitzkriege der Deutschen Wehrmacht.

[16] Stangenwaffe (Spieß mit Doppelschneide und zwei Zacken), im Aussehen einem auf einen langen Schaft montierten Dolch nicht unähnlich.

[17] Hausdorf 1999, S. 270 ff

[18] SPIEGEL 2001 Nr. 2: „Phantasien eines Saubermannes“ (S. 106)

Weltuntergang 2019

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