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V.

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Noch schwellten solche Hochgefühle Diederichs Brust, da bekamen Emmi und Magda eine Einladung von Frau von Wulckow, nachmittags zum Tee. Es konnte nur wegen des Stückes sein, das die Regierungspräsidentin beim nächsten Fest der „Harmonie“ aufführen ließ. Emmi und Magda sollten Rollen bekommen. Freudegerötet kehrten sie heim: Frau von Wulckow war überaus gnädig gewesen; eigenhändig hatte sie ihnen immer wieder Kuchen auf den Teller gelegt. Inge Tietz mochte platzen. Offiziere spielten mit! Man brauchte besondere Toiletten; wenn Diederich vielleicht glaubte, daß sie mit ihren fünfzig Mark –. Aber Diederich eröffnete ihnen einen unbegrenzten Kredit. Nichts von dem, was sie kauften, fand er schön genug. Das Wohnzimmer lag voll von Bändern und künstlichen Blumen, die Mädchen verloren den Kopf, weil Diederich ihnen dreinredete: da kam Besuch, Guste Daimchen.

„Ich habe doch der glücklichen Braut noch gar nicht richtig gratuliert“, sagte sie und versuchte gönnerhaft zu lächeln; aber ihre Augen gingen besorgt über die Bänder und Blumen. „Das ist wohl auch für das dumme Stück?“ fragte sie. „Wolfgang hat davon gehört, er sagt, es ist unerhört dumm.“ Magda erwiderte: „Dir muß er es doch sagen, weil du nicht mitspielst.“ Und Diederich erklärte: „Damit entschuldigt er sich dafür, daß Sie seinetwegen bei Wulckows nicht eingeladen werden.“ Guste lachte geringschätzig. „Auf Wulckows verzichten wir, aber zum Harmonieball gehen wir gerade.“ Diederich fragte: [pg 264]„Wollen Sie den ersten Eindruck des Prozesses nicht lieber vorübergehen lassen?“ Er sah sie teilnehmend an. „Liebes Fräulein Guste, wir sind so alte Bekannte, ich darf Sie wohl darauf hinweisen, daß Ihre Verbindung mit den Bucks Ihnen jetzt in der Gesellschaft nicht gerade nützt.“ – Guste zuckte mit den Augen, man sah, sie hatte sich das schon selbst gedacht. Magda bemerkte: „Gott sei Dank, mit meinem Kienast ist es nicht so.“ Worauf Emmi: „Aber Herr Buck ist interessanter. Neulich bei seiner Rede hab’ ich geweint, wie im Theater.“ – „Und überhaupt!“ rief Guste ermutigt. „Erst gestern hat er mir diese Tasche geschenkt.“ Sie hielt den vergoldeten Sack empor, nach dem Emmi und Magda schon lange schielten. Magda sagte spitz: „Er hat wohl viel verdient mit der Verteidigung. Kienast und ich, wir sind für Sparsamkeit.“ Aber Guste hatte ihre Genugtuung gehabt. „Dann will ich auch nicht länger stören“, sagte sie.

Diederich begleitete sie hinunter. „Ich bringe Sie nach Haus, wenn Sie artig sind,“ sagte er, „aber vorher muß ich noch einen Blick in die Fabrik tun. Gleich wird Schicht gemacht.“ – „Ich kann ja mitgehen“, meinte Guste. Um ihr zu imponieren, führte er sie geradeswegs zu der großen Papiermaschine. „So was haben Sie wohl noch nicht gesehen?“ Und mit Wichtigkeit erläuterte er ihr das System von Bassins, Walzen und Zylindern, worüber hin, durch die ganze Länge des Saales, die Masse floß: zuerst wässerig, dann immer trockener – und am Ende der Maschine lief auf großen Rollen das fertige Papier ... Guste schüttelte den Kopf. „Nein so was! Und der Krach, den sie macht! Und die Hitze hier!“ Diederich, mit seiner Wirkung noch nicht zufrieden, fand einen Grund, um die Arbeiter anzudonnern; und wie Napoleon Fischer dazu[pg 265]kam, war nur er schuld! Beide schrien gegen den Lärm der Maschine an, Guste verstand nichts; aber Diederichs geheime Angst sah in dem dünnen Bart des Maschinenmeisters immer das gewisse Grinsen, das an seine Mitwisserschaft in der Angelegenheit des Holländers erinnerte und die offene Verleugnung jeder Autorität war. Je heftiger Diederich sich gebärdete, desto ruhiger ward der andere. Diese Ruhe war Aufruhr! Schnaufend und bebend öffnete Diederich die Tür zum Packraum und ließ Guste eintreten. „Der Mann ist Sozialdemokrat!“ erklärte er. „So ein Kerl wäre imstande, hier Feuer zu legen. Aber ich entlass’ ihn nicht: nun gerade nicht! Wollen sehen, wer der Stärkere ist. Die Sozialdemokratie nehme ich auf mich!“ Und da Guste ihn bewundernd ansah: „Das hätten Sie wohl nicht gedacht, auf was für einem gefahrvollen Posten unsereiner steht. Furchtlos und treu, ist mein Wahlspruch. Sehen Sie, ich verteidige hier unsere heiligsten nationalen Güter geradeso gut wie unser Kaiser. Dazu gehört mehr Mut, als wenn einer vor Gericht schöne Reden hält.“

Guste sah es ein, sie hatte eine andächtige Miene. „Hier ist es kühler,“ bemerkte sie, „wenn man aus der Hölle nebenan kommt. Die Frauen hier können froh sein.“ – „Die?“ erwiderte Diederich. „Die haben es wie im Paradies!“ Er führte Guste zu dem Tisch: eine der Frauen sortierte die Bogen, eine zweite prüfte nach, und die dritte zählte immerfort bis fünfhundert. Alles ging mit unerklärlicher Schnelligkeit; die Bogen flogen ununterbrochen einander nach, wie von selbst und ohne Widerstand gegen die arbeitenden Hände, die im endlos über sie hingehenden Papier sich aufzulösen schienen: Hände und Arme, die Frau selbst, ihre Augen, ihr Gehirn, [pg 266]ihr Herz. Das alles war da und lebte, damit die Bogen flogen ... Guste gähnte – indes Diederich erklärte, daß diese Weiber, die im Akkord arbeiteten, sich schändliche Nachlässigkeiten zuschulden kommen ließen. Er wollte schon dazwischenfahren, weil ein Bogen mitflog, woran eine Ecke fehlte. Aber Guste sagte plötzlich mit einer Art von Trotz: „Sie brauchen sich übrigens nicht einzubilden, daß Käthchen Zillich sich für Sie besonders interessiert ... Wenigstens nicht mehr als für gewisse andere Leute“, setzte sie hinzu; und auf seine verwirrte Frage, was sie denn meine, lächelte sie bloß anzüglich. „Ich muß Sie doch bitten“, wiederholte er. Darauf nahm Guste ihre gönnerhafte Miene an. „Ich sage es nur zu Ihrem Besten. Denn Sie scheinen nichts zu merken? Mit Assessor Jadassohn zum Beispiel? Aber Käthchen ist überhaupt so eine.“ Jetzt lachte Guste laut, so begossen sah Diederich aus. Sie ging weiter, und er folgte. „Mit Jadassohn?“ forschte er angstvoll. Da hörte der Lärm der Maschine auf, die Glocke ging, die den Schluß der Arbeit anzeigte, und über den Hof entfernten sich schon Arbeiter. Diederich zuckte die Achseln. „Was Fräulein Zillich macht, läßt mich kalt“, erklärte er. „Höchstens um den alten Pastor tut es mir leid, wenn sie wirklich so eine ist. Wissen Sie das denn genauer?“ Guste sah weg. „Überzeugen Sie sich doch selbst!“ Worauf Diederich geschmeichelt lachte.

„Lassen Sie das Gas brennen!“ rief er dem Maschinenmeister zu, der vorbeiging. „Ich drehe selbst ab.“ Gerade ward der Lumpensaal weit geöffnet für die Fortgehenden. „Oh!“ rief Guste, „dort drinnen ist es aber romantisch!“ Denn sie erblickte dahinten in der Dämmerung lauter bunte Flecken aus grauen Hügeln und darüber einen Wald von Ästen. „Ach“, sagte sie im Nähertreten. [pg 267]„Ich dachte, weil es hier schon so dunkel ist ... Das sind ja bloß Lumpensäcke und Heizungsrohre.“ Und sie verzog das Gesicht. Diederich jagte die Arbeiterinnen empor, die trotz der Betriebsordnung sich auf den Säcken ausruhten. Mehrere, kaum, daß die Arbeit fortgelegt war, strickten schon, andere aßen. „Das könnte euch passen“, schnaubte er. „Wärme schinden auf meine Kosten! Raus!“ Sie standen langsam auf, ohne ein Wort, ohne Widerstand in der Miene; und vorbei an der fremden Dame, nach der alle dumpf neugierig den Kopf wandten, trabten sie in ihren Männerschuhen hinaus, schwerfällig wie eine Herde und umgeben von dem Dunst, worin sie lebten. Diederich behielt jede scharf im Auge, bis sie draußen war. „Fischer!“ schrie er plötzlich. „Was hat die Dicke da unterm Tuch?“ Der Maschinenmeister erklärte mit seinem zweideutigen Grinsen: „Das ist nur, weil sie was erwartet“, – worauf Diederich unzufrieden den Rücken wandte. Er belehrte Guste. „Ich glaubte, ich hätte eine erwischt. Sie stehlen nämlich Lumpen. Jawohl. Sie machen Kinderkleider draus.“ Und da Guste die Nase rümpfte: „Das ist doch zu gut für die Proletenkinder!“

Mit den Spitzen ihrer Handschuhe hob Guste einen der Fetzen vom Boden. Plötzlich hatte Diederich ihr Handgelenk gefangen und küßte es gierig, im Spalt des Handschuhs. Erschreckt sah sie sich um. „Ach so, alle Leute sind schon fort.“ Sie lachte selbstsicher. „Ich hab’ mir doch gleich gedacht, was Sie jetzt noch in der Fabrik zu tun haben.“ Diederich machte ein herausforderndes Gesicht. „Na und Sie? Warum sind Sie überhaupt gekommen heute? Sie haben wohl gemerkt, daß ich doch nicht so ohne bin? Freilich Ihr Wolfgang –. Jeder kann sich nicht so blamieren wie er, neulich vor Gericht.“ Darauf [pg 268]sagte Guste entrüstet: „Seien Sie nur ganz still, Sie werden doch nie so ein feiner Mann wie er.“ Aber ihre Augen sagten etwas anderes. Diederich sah es; erregt lachte er auf. „Wie der es eilig hat mit Ihnen! Wissen Sie auch, wofür er Sie ansieht? Für einen Kochtopf mit Wurst und Kohl, und ich soll ihn umrühren!“ – „Jetzt lügen Sie“, sagte Guste vernichtend; aber Diederich war im Zuge. „Ihm ist nämlich nicht genug Wurst und Kohl drin. – Anfangs hat er natürlich auch gedacht, Sie hätten eine Million geerbt. Aber für fünfzigtausend Mark ist solch ein feiner Mann nicht zu haben.“ Da kochte Guste auf. Diederich fuhr zurück, so gefährlich sah es aus. „Fünfzigtausend! Ihnen ist gewiß nicht wohl? Wie komme ich dazu, daß ich mir das muß sagen lassen! Wo ich bare dreihundertfünfzigtausend auf der Bank zu liegen hab’, in richtiggehenden Papieren! Fünfzigtausend! Wer so etwas Ehrenrühriges von mir herumerzählt, den kann ich überhaupt belangen!“ Sie hatte Tränen in den Augen; Diederich stammelte Entschuldigungen. „Lassen Sie nur“ – und Guste benutzte ihr Taschentuch. „Wolfgang weiß genau, woran er bei mir ist. Aber Sie selbst, Sie haben den Schwindel geglaubt. Darum waren Sie auch so frech!“ rief sie. Ihre rosigen Fettpolster zitterten vor Zorn, und die kleine eingedrückte Nase war ganz weiß geworden. Er sammelte sich. „Daran sehen Sie doch, daß Sie mir auch ohne Geld gefallen“, gab er zu bedenken. Sie biß sich auf die Lippen. „Wer weiß“, sagte sie mit einem Blick von unten, schmollend und unsicher. „Für Leute, wie Sie, sind fünfzigtausend auch schon Geld.“

Er hielt es für angezeigt, eine Pause zu machen. Sie zog aus ihrem goldenen Beutel den Puderquast, und sie setzte sich. „Ich bin wirklich ganz echauffiert von Ihrem [pg 269]Betragen!“ Aber sie lachte wieder. „Haben Sie mir vielleicht sonst noch etwas zu zeigen in Ihrer sogenannten Fabrik?“ Er nickte bedeutsam. „Wissen Sie wohl, wo Sie jetzt sitzen?“ – „Na, auf einem Lumpensack.“ – „Aber auf was für einem! In dieser Ecke, hinter den Säcken hier hab’ ich mal einen Arbeiter und ein Mädchen ertappt, wie sie gerade: Sie verstehen. Natürlich sind beide geflogen; und am Abend, jawohl, am selben Abend –“ er hob den Zeigefinger, in seinen Augen entstand ein Schauder höherer Dinge – „haben sie den Kerl totgeschossen, und das Mädchen ist verrückt geworden.“ Guste sprang auf. „War das –? Ach Gott, das war der Arbeiter, der den Wachtposten gereizt hat ...? Also hinter den Säcken haben sie –?“ Ihre Augen gingen über die Säcke, als suchte sie Blut darauf. Sie hatte sich nahe zu Diederich geflüchtet. Plötzlich sahen sie einander in die Augen: darin bewegten sich die gleichen abgründigen Schauder, des Lasters oder des Übersinnlichen. Sie atmeten hörbar einander an. Guste schloß, eine Sekunde lang, die Lider: da plumpsten sie auch schon beide auf die Säcke, rollten, ineinander verwickelt, hinab und durch den dunkeln Raum dahinter, schlugen um sich, keuchten und prusteten, als seien sie dort unten am Ertrinken.

Guste zuerst erreichte wieder das Licht. Den Fuß, an dem er sie festhalten wollte, stieß sie ihm ins Gesicht und sprang heraus, daß es krachte. Als Diederich sich glücklich ihr nachgearbeitet hatte, standen sie da und schnauften. Gustes Busen, Diederichs Bauch gingen beide im Sturm. Sie erlangte vor ihm die Sprache zurück. „Das müssen Sie mit ’ner andern versuchen! Wie komm’ ich überhaupt dazu!“ Immer erbitterter: „Ich hab’ Ihnen doch gesagt, daß es dreihundertfünfzigtausend sind!“ Diederich be[pg 270]wegte die Hand, um auszudrücken, daß er seinen Mißgriff zugebe. Aber Guste schrie auf: „Und wie ich aussehe! Soll ich so vielleicht durch die Stadt gehen?“ Er erschrak aufs neue und lachte ratlos. Sie stampfte auf. „Haben Sie denn keine Bürste?“ Gehorsam machte er sich auf den Weg; Guste rief ihm nach: „Daß gefälligst Ihre Schwestern nichts merken! Sonst reden morgen die Leute von mir!“ Er ging nur bis an das Kontor. Wie er zurückkehrte, saß Guste wieder auf dem Sack, das Gesicht in den Händen, und durch ihre lieben, dicken Finger rannen Tränen. Diederich blieb stehen, hörte ihrem Wimmern zu, und auf einmal begann er auch zu weinen. Mit tröstender Hand bürstete er sie ab. „Es ist doch nichts geschehen“, wiederholte er. Guste stand auf. „Das wäre auch noch schöner“, – und sie musterte ihn mit Ironie. Da faßte auch Diederich Mut. „Ihr Herr Bräutigam braucht es ja nicht zu wissen“, bemerkte er. Und Guste: „Wenn schon!“ – wobei sie sich auf die Lippen biß.

Betroffen durch dies Wort bürstete er schweigend weiter, zuerst sie, dann sich, indes Guste ihre Kleider glättete. „Nun los!“ sagte sie. „Eine Papierfabrik sehe ich mir so bald nicht wieder an.“ Er spähte ihr unter den Hut. „Wer weiß“, sagte er. „Denn daß Sie Ihren Buck lieben, das glaub’ ich Ihnen seit fünf Minuten nicht mehr.“ Schnell rief Guste: „O doch!“ Und ohne Pause fragte sie: „Was bedeutet denn das Zeug hier?“

Er erklärte: „Das ist der Sandfang, durch die Rinne schwemmen wir die Lumpen; Knöpfe und so weiter bleiben zurück, wie Sie sehen. Die Leute haben natürlich wieder nicht aufgeräumt.“ Mit der Schirmspitze stocherte sie in dem Haufen; er setzte hinzu: „Im Jahr behalten wir mehrere Säcke Überbleibsel!“ – „Und was ist das da?“ [pg 271]fragte Guste und griff rasch hin, nach etwas, das glänzte. Diederich riß die Augen auf. „Ein Brillantknopf!“ Sie ließ ihn funkeln. „Echt sogar! Wenn Sie öfter so was finden, ist Ihr Geschäft nicht so übel.“ Diederich sagte zweifelnd: „Den muß ich natürlich abliefern.“ Sie lachte. „An wen denn? Die Abfälle gehören doch Ihnen!“ Er lachte auch. „Na, nicht gerade die Brillanten. Wir werden schon noch ausfindig machen, wer uns das geliefert hat.“ Guste sah ihn von unten an. „Sie sind schön dumm“, sagte sie. Er erwiderte mit Überzeugung: „Nein! Sondern ich bin ein Ehrenmann!“ Darauf hob sie nur die Schultern. Langsam zog sie den linken Handschuh aus und legte sich den Brillanten auf den kleinen Finger. „Er muß als Ring gefaßt werden!“ rief sie aus, wie erleuchtet, betrachtete versunken ihre Hand und seufzte. „Na, sollen ihn andere Leute finden!“ – und unvermutet warf sie den Knopf zurück in die Lumpen. „Sind Sie verrückt?“ Diederich bückte sich, sah ihn nicht gleich und ließ sich schnaufend auf die Knie. In der Hast warf er alles durcheinander. „Gott sei Dank!“ Er hielt ihr den Brillanten hin; aber Guste nahm ihn nicht. „Ich gönne ihn dem Arbeiter, der ihn morgen zuerst sieht. Der steckt ihn ein, darauf können Sie sich verlassen, der ist nicht so dumm.“ – „Ich auch nicht“, erklärte Diederich. „Denn wahrscheinlich wäre der Stein doch weggeworfen worden. Unter solchen Umständen brauche ich es nicht für inkorrekt zu halten –.“ Er legte den Brillanten wieder auf ihren Finger. „Und wenn es auch inkorrekt wäre, er steht Ihnen so gut.“ Guste sagte überrascht: „Wieso? Wollen Sie ihn mir denn schenken?“ Er stammelte: „Sie haben ihn ja gefunden, da muß ich wohl.“ Da jubelte Guste. „Das wird mein schönster Ring!“ – „Warum?“ fragte Diederich, [pg 272]voll banger Hoffnung. Guste sagte ausweichend: „Überhaupt ...“ Und mit einem plötzlichen Blick: „Weil er nichts kostet, wissen Sie.“ Hierüber errötete Diederich, und sie sahen einander blinzelnd in die Augen.

„Ach Herr Gott!“ rief Guste plötzlich. „Es muß schrecklich spät sein. Schon sieben? Was sag’ ich nur meiner Mutter?... Ich weiß, ich sag’ ihr, ich hab’ bei einem Trödler den Brillanten entdeckt, und er hat gedacht, er ist unecht, und hat bloß fünfzig Pfennig verlangt!“ Sie öffnete ihren goldenen Sack und ließ den Knopf hineinfallen. „Also adieu ... Aber Sie sehen aus! Wenigstens müssen Sie sich die Krawatte binden.“ Im Sprechen tat sie es schon selbst. Er fühlte ihre warmen Hände unter seinem Kinn; ihre feuchten, dicken Lippen bewegten sich ganz nahe. Ihm ward heiß, er hielt den Atem zurück. „So“, machte Guste und brach ernstlich auf. „Ich drehe nur das Gas ab“, rief er ihr nach. „Warten Sie doch!“ – „Ich warte schon“, antwortete sie von draußen; – aber als er auf den Hof trat, war sie fort. Verdutzt sperrte er die Fabrik zu und redete laut dabei vor sich hin. „Nun sag’ mir einer, ist das Instinkt oder Berechnung?“ Er schüttelte sorgenvoll den Kopf über das ewige Rätsel der Weiblichkeit, das in Guste verkörpert war.

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