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England verwandelt

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Seither hat die Insel mit ihrem Reiche den Krieg nicht nur geführt wie jeden vorigen. Er begleitet keineswegs ihre Existenz von außen: sie fühlt ihn zentral; er ist die unausweichliche Bedingung ihres Daseins. Da alles, was uns erhält, zum Genuß wird, nimmt Großbritannien nunmehr Vergeltung und liebt sie. Als in Deutschland zwei lebenswichtige Dämme einstürzten und das Ruhrgebiet ersoff, haben die Deutschen, gemäß ihrer stumpfsinnigen Übung, Juden geschlachtet – diesmal unter dem Vorwand, jüdische Emigranten hätten die Briten auf die Dämme hingewiesen. Da meldete England aber laut und entschieden seinen Anspruch auf die Idee. Es hatte sie ganz allein gefunden und hält auf dieses Verdienst.

Britannien ist nunmehr die große Luftmacht, die über Deutschland gebietet: welche Stadt noch stehen bleibt, welche untergeht. Im gleichen Atemzug, ein mächtiger Atem, wurde aus der Insel eine Landmacht. Der britisch-amerikanische Sieg in Afrika, wahrhaftig ist er kein kolonialer Kleinkrieg mehr. Die Befreiung Ägyptens von dem Feind, der schon Alexandrien bedrohte, hat die äußerste Anstrengung verlangt, sie war eine weitaus echtere Tat als der Einmarsch der sechs deutschen Divisionen in Frankreich. Die Eroberung von Italien bedingte bisher die kühnsten Landungen. Noch härter werden andere sein. Britannien zögert, von seinem Bestand an Menschen mehr, als es erträgt, zu opfern.

Tunis und Bizerta waren Schlachten europäischen Stils, – aber der deutschen Niederlage folgte kein Dunkerque, kein vollendeter Rückzug zur See, nicht einmal ein angedeuteter. Sondern die Deutschen, die nicht gefallen waren, gaben sich gefangen, mit ihnen der ehrenhafte General von Arnim. Schon in Sicherheit, war er zu seinen Truppen zurückgekehrt, in Erwartung der deutschen Schiffe, die nicht kamen. Seinem Gesicht war die Tragödie taghell abzulesen, als er in London das Flugzeug verließ. (Der Rückzugsstratege der Landschlachten, Rommel, blüht glücklicher mit jedem Rückzug; das Bild einer Wiederbegegnung mit Hitler zeigt ihn flott und fühllos wie je.)

Mehrere hunderttausend Achsentruppen verlorengegangen: was sollte einen Mißerfolg in Deutschland hiervon noch unterscheiden. Die Voraussetzung ist, daß Deutschland verteidigt wird, wie Tunis. Die Landmacht Britannien glaubt sehr lange, daß die Vorzeichen der Invasion eine solche selbst hinfällig machen werden. Die Deutschen haben tatsächlich den Krieg im Lande, das ist ein böses Gesicht, das einzige, das sie nicht sehen wollen. Immer noch lieber ihre ganze Ostfront aufgehoben.

Dort brennen fremde Städte, und in den Häusern verkohlen die Bewohner, die man einschließt, bevor man flüchtet. Hier und jetzt wird aus der wohlbehüteten Heimat Reißaus genommen, um nicht – o unvorhergesehene Wendung! – selbst durch Feuer umzukommen. Außerdem ist sie eher unbehütet, der britische Wüstling der Lüfte verliert fünf Prozent seines Bestandes. So hatten wir nicht gewettet. Das ist nicht der »totale Krieg«, den Deutschland erdacht und ins Werk gesetzt hat.

Er umfaßt allerdings die Vernichtung nationaler Gesamtheiten mit ihren Städten, ihren Kindern. Aber gemeint waren gefälligst andere, keine deutschen Nichtkämpfer, deutschen Wohnstätten. Sie sollten dem humanitären Gegner heilig bleiben. Das Ganze muß ein Irrtum sein, sein Ausgang wäre verhängnisvoll.

Gerade dieses Mißverständnis, das in den Vorgängen nunmehr waltet, beunruhigt die Deutschen. Gerade mit ihrer Verstörtheit infolge fehlgegangener Berechnungen machen die Briten ihre Rechnung. Ihr Kriegsministerium unterhält wohl kein »psychologisches Laboratorium« wie die Wehrmacht. Die deutsche Seelenkunde indessen bietet in einem Punkt kaum Schwierigkeiten: geht ihnen etwas schief, dann winseln sie. Nach Versailles hat ihre Wehleidigkeit alle gerührt, die sie nicht anwiderte.

Aus der Luft herab gehemmt, schließlich vielleicht außer Aktion gesetzt zu werden, ist wirklich ein besonders peinliches Erlebnis – schon wegen seiner Neuheit, seiner Unheimlichkeit. Diese erklärt auch, daß man nur dulden, nur hinnehmen und sich ducken kann. Gegenwehr auf gleichem Fuß gibt es bis jetzt nicht. Um so weniger für eine Luftmacht, die sich in vier Jahren verbraucht hat und den britisch-amerikanischen Vorsprung nie mehr einholen wird. Welches Volk hält, ohne an seiner Seele Schaden zu nehmen, den Verwüstungen von oben stand? Den Ängsten aus dem Gewölk?

Mr. Churchill hat schon früher prophezeit, den Deutschen wäre es eintretenden Falles nicht gegeben. Britisch allein sei die Ausdauer im Widerstand, der nichts ist als Erleiden. So war es auch, es war allzulange wahr; die Befürchtung regte sich, der passive Mut werde der einzige bleiben, den ein dergestalt mitgenommenes Volk hinüberrette. Sie würden nichts mehr tun, nach ihrer furchtbaren Schulung im Aushalten.

Heute: die klare, überzeugte Forderung an den – keineswegs erledigten – Gegner, sich bedingungslos zu ergeben. Einst – wie stand es einst, das faßt man nicht mehr. Keine drei Jahre, aber die Verwandlung Britanniens ist das ausgesprochen phantastische Ereignis des Zeitalters. Schritt für Schritt hat man ihr beigewohnt, betrachtet aber das Ergebnis, als wäre es gehext.

Die Energie, nach der einstigen Wohlerzogenheit. Das Wagnis, anstatt des Sichergehens. Der Zufall und das Imponderable als zugelassene Faktoren. Mißerfolge sind kein Hindernis, sie versprechen nur das künftige Gelingen. Das Reich trägt Verluste, die immer unerlaubt erschienen wären. Es wird getroffen an seinen Points névralgiques, und schreit nicht auf. Es bleibt still während einer indischen Revolution, der gefährlichsten, die verzeichnet wird. Jeder andere hätte die Nerven verloren. Das Reich läßt kommen und gehen, beharrt auf seinem Posten, so zähe, still – und wird Indien erhalten.

Wavell, ein großer General des Reiches, macht von Ägypten durch die halbe Länge Nordafrikas einen Gewaltmarsch, für den es damals durchaus nicht an der Zeit ist. Er hat weder Nachschub noch Stützpunkte. Eingetroffen, wird er, es kann nicht anders sein, den Weg zurück antreten. Als ob er dies nicht gewußt hätte, sagt er von sich: »Ich muß ein Stück Abenteurer sein«. Sein Briefwechsel mit dem Premierminister lautet anders. »Klopfet an, so wird euch aufgetan!« sagen die beiden Briten mit Worten der Schrift.

Denn ihr Vorsatz ist nicht, in diesem Augenblick ein sieghaftes Ziel zu erreichen, vielmehr es anzumelden, noch eher, sichtbar zu machen, was sie wollen, bis die Stunde schlägt, da sie es auch können. Das Jahr, als Britannien allein, völlig allein stand gegen den glücklichen Hitler und sein unbesiegtes Heer, das Jahr, bevor die Sowjetunion antrat und die Erlösung Europas mächtig begann, dieses großartige britische Jahr ist rein angefüllt mit Donquichotterien, die Sinn und Nachdruck haben.

Das oftmals angeführte »perfide Albion« läßt sich glatt hereinlegen von der »nordischen List«, ihre authentischen Inhaber sind der Schlawiner Hitler und der Rheindampfer-Admiral Darlan: dieser seither dahingerafft, nil nisi bene. Die Kumpane verlocken die britische Mittelmeerflotte, sich auf einige italienische Schlachtschiffe zu stürzen, sie to the bottom zu senden – für einen einzigen Zweck, der dem unschuldigen Albion später aufgeht.

Während die Briten sich heldenhaft abarbeiten und die armen Italiener tapfer bezahlen, schmuggelt Darlan, von niemand beaufsichtigt, ein deutsches Korps nach Afrika hinein. Dies ist die besonders ehrenhafte Geburt des »Afrikakorps«. Eine verbündete Flotte ist dafür aufgeopfert worden, bis endlich das Afrikakorps selbst, ohne den kleinsten Ansatz eines Rettungsversuches, ad acta gelegt wird.

Die Insel Kreta kommt vor, wie die britische selbst. England verteidigt sie gegen die deutsche Übermacht in der Luft und kann sie nicht halten. Die Anspielung hierin begreift sich. Die Ausdauer einer Insel, auch unserer, ist unverbürgt. Wir haben uns durchgebracht, aber wenn nicht? Wir wären in Kanada. Wir wären zur See. Auch hier sind wir! Immer bleiben wir von dieser Welt – mehr als ihr, die ihr nicht wißt, wo die Entscheidung liegt. Auf dem Atlantik.

Versucht es noch einmal mit der Einnahme unseres Landes! Wir werden mehr tun, als uns nicht ergeben. Wir sind nicht länger die Dulder. Eher ihr. Zu erdulden steht euch, so oder so, bevor. Greift Länder an, je mehr, je besser für uns. Wir werden euch überall – noch nicht das Ende bereiten, aber im Weg sein. Euer Blitz wird nächstens nicht mehr blitzen. Man muß kühn werden durch bestandene Lebensgefahr, aber nicht jeder wird es, – dann folgt der Gewaltmarsch von Wavell, folgen Salerno, Anzio, noch Kühneres.

Zu jener Zeit, und das ganze kritische Jahr blieb Britannien von der Invasion bedroht. Sie konnte kommen, man hat es nie gewußt. Die Insel und ihr Reich lebten von Tag zu Tag. Die Invasion wurde nicht mehr unternommen, denn die deutsche Strategie und die deutsche Politik, beide waren unbegabt. Sie waren kenntnislos, waren so albern wie roh. Kein alter Preuße hat leichtsinnig Krieg geführt, außer Friedrich dem Großen, aber ihn bewahrte sein verdientes Glück. Dies Umspringen von Front zu Front, – nachdem am Anfang der Zweifrontenkrieg abgeschworen war; dieser falsche Stil 18. Jahrhundert, ohne alle Rechtfertigung durch die Gegebenheiten des Zeitalters: warum, was ist darin zu suchen? Gar nichts.

Europa ist von diesen Deutschen im Umherspringen zusammenerobert worden, l'incohérence complète, eine Oberflächlichkeit wie in Ägypten, von wo sie noch etwas schneller wieder herausflogen. Der alte Preuße Ludendorff, ein Wahnsinniger, nur als Stratege noch immer nüchtern, hatte vorausgesagt: in Afrika wird es hapern. Er hätte ergänzen können: zuerst in Afrika, dann überall.

Ein Verein boshafter Dilettanten, haben sie »sich das Gericht gegessen«, als sie daran gingen, die Sowjetunion in sechs Wochen niederzuwerfen. Auf dem Boden des überrannten, nicht wirklich besiegten Frankreich hätten sie höchstens sechs Wochen bleiben dürfen.

Die gesunde Wahrheit ist ihnen lange vorenthalten worden, die »unbesiegbaren deutschen Heere« wurden von allen Nichtbeteiligten, oder die sich dafür ansahen, mit aufgerissenen Mäulern bestaunt. Das erste Wort fand ein Brite: der General der berühmten 8. Armee, – die Landmacht Großbritannien hat berühmte Armeen. Die militärischen Gegner pflegen einander hochzuachten, wenigstens tun sie so. Das Verdienst des Siegers mißt sich an den Talenten des Unterlegenen.

Sir Montgomery nannte mit britischer Einfalt seinen geschlagenen Rommel eine krasse Mittelmäßigkeit. Das hätte man ihnen längst versetzen sollen – nicht dem einen Bürschchen, sondern dem Quark insgesamt. Sie würden es gehört, ihre Sicherheit würde gelitten haben. Im Grunde wissen sie: Hochmut kommt vor den Fall. Der Satz sagt mehr als eine ganze Rassenlehre.

Ein Zeitalter wird besichtig

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