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Zur rechten Zeit erinnerte die Herzogin sich einer Summe von dreihunderttausend Franken, die ihr verstorbener Gemahl, der Herzog, als Reisepfennig für alle Fälle bei der Bank von England liegen zu lassen pflegte. Sie erhob das Geld und verteilte es unter Tamburini und Pavic. Dem Tribunen diente es zur Ermunterung seiner Söldner in Dalmatiens Presse, Beamtenschaft und Volk, dem Priester als Vergütung für die ersten schüchternen Hilfeleistungen der Geistlichkeit. Es reichte nicht weit; darauf verblieben ihr die Einkünfte aus ihren sizilianischen Besitzungen, um Caltanissetta und bei Trapari.

Pavic hatte die Rechnungen zu führen, aber das Exil machte ihn faul und genußsüchtig. Er fühlte sich als Erster Minister einer entthronten Königin – und war er nicht von Rechts wegen sogar ihr Geliebter? Mißhandelt als Liebhaber und als Staatsmann, aus Reich und Schlafzimmer verbannt, konnte er seine schmerzliche Größe unmöglich schlecht nähren und billig kleiden. Aus Achtung vor seinem Seelenleiden schonte er seinen Körper und schaffte ihm ein wattiertes Dasein. Sein tragisches Geschick war etwas ausgesucht Vornehmes, er hüllte sich weich darin ein, wie in die teuren englischen Stoffe, deren Gebrauch er von Piselli erlernte. Seufzend setzte er sich auf die Sammetpolster der feinsten Speisehäuser und verzehrte, trübe und geringschätzig, die köstlichsten Diners. Er ließ sich in den Cercle des Prinzen Maffa einführen und verlor beim Baccara ansehnliche Summen, nicht so sehr aus Prahlerei wie aus Nichtachtung für alles, was nicht in seiner Psyche vor sich ging. Seines Kindes beraubt, büßte er viel von der sittlichen Festigkeit des Familienvaters ein; bald kannte man ihn allgemein unter Damen mit heiteren Sitten. Sein Gemüt befriedigten sie nicht, es sehnte sich oft nach edlerem Austausch. Dann lud er die Fürstin Cucuru und ihre Töchter an den mit Damast gedeckten Tisch irgend eines roten Hotelsalons. Beim Dessert hatte Vinon zu viel Champagner im Kopf. Pavic fing das junge Mädchen gerührt in seinen Armen auf. Bei diesem Anblick berechnete die Cucuru, ein wie segensreicher Gebrauch unter Umständen von der herzoglichen Kasse gemacht werden könne. Doch empört mischte Lilian sich ein. Sie nahm alles von oben herab, die Gerichte, die Weine und den Gastgeber. Die Mutter bemühte sich ganz vergeblich, sie zu entfernen. Schließlich erheuchelte sie einen Erstickungsanfall und fiel vom Stuhl. Lilian ließ sie einfach liegen; sie behauptete, nüchtern und weiß, ihren Posten zwischen ihrem erhitzten Schwesterchen und dem reichen Herrn.

Es kamen Pavic manchmal unklare Bedenken, als ob seine neue Lebensführung in keinem richtigen Verhältnis stehe zu der Höhe des Gehaltes, das seine Herrin ihm aussetzte. Doch wich er peinlichen Entdeckungen aus, und es ward ihm leicht, denn seine persönlichen Ausgaben waren seit langem mit seinen amtlichen hoffnungslos verwirrt. Sogar die Herzogin wunderte sich einmal über den Betrag seiner Forderungen.

»Sie streuen unsere Saat noch dorthin aus, wohin keine Sonne und kein Regen fällt. Wozu?«

»Ich bin ein slavisches Gemüt«, erklärte er. »Ich weiß wohl, ich kann nicht rechnen. Bin viel zu träumerisch und zu nachgiebig.«

»Ach ja, Sie sind ein Romantiker.«

»Die Kasse muß in festeren Händen sein«, sagte er, und überzeugte dadurch sich selbst von seiner Uneigennützigkeit. Gleich darauf gab er dem undeutlich gefühlten Wunsch nach, sie in Freundeshänden zu wissen.

»Wenn Hoheit sie einer praktischen Persönlichkeit übergaben … zum Beispiel der Fürstin Cucuru …«

»Praktisch ist sie … Ich will sie lieber der Contessa Blà geben.«

Piselli stand dabei, als die Blà die Verwaltung des Geldes übernahm. Er zählte die Banknoten, mit geübten Fingern. Es war nicht mehr viel. Die Briefe und Belegstücke stimmten nicht zusammen. Piselli erklärte kurzer Hand alles für ordnungsgemäß, ohne Pavic anzublicken, der errötend wegsah. Zum Schluß trat er, noch in Anwesenheit der Herzogin, frei und ritterlich auf den gewesenen Geschäftsführer zu.

»Lieber Freund, wenn Sie etwa noch Forderungen an die Kasse haben … Sie wissen, wir erledigen das freundschaftlich.«

Das unbekümmerte Gebahren eines bedeutenden Finanzmannes stand Piselli zum Entzücken. Die Herzogin verzieh seiner Anmut die Leerheit der Kasse. Die Blà hatte nichts zu verzeihen; sie fühlte sich in seiner Schuld, weil er da war.

Kurz darauf erschien Pavic mit einer rettenden Nachricht. Ein dalmatinischer Flüchtling in Rom, ein Schuster, hatte einen Brief erhalten von seinem Vetter, einem Viehhändler, dem ein jüdischer Wucherer in Ragusa gesagt hatte, er wolle der Herzogin so viel leihen, als sie gebrauche. Der Zinsfuß war nicht einmal hoch. Niemand nahm den Zwischenfall ernst; da kam ein Checque auf die römische Bank und ward ausbezahlt. Monsignor Tamburini, äußerst wißbegierig in Geldsachen, zog Erkundigungen ein. Eines Tages, im Zimmer der Herzogin, sagte er:

»Nur Baron Rustschuk kann der Geber sein. Was für ein bedeutender Mann!«

Pavic wußte es längst und verschwieg es aus Eifersucht auf den Finanzmann.

»Dieser Verräter!« rief er sofort. »Dieser doppelte Verräter! Er hat uns verleugnet, so oft unser Glück ins Schwanken kam. Hoheit erinnern sich, wie er Sie laut verleugnete, damals als …«

»Als der Bauer gespießt wurde«, so ergänzte die Herzogin.

Er schnappte nach Luft.

»Wer war der erste, der uns nach unserer Niederlage verließ? Rustschuk! Sofort hat er sich den Koburg angeboten, vollständig ohne Gewissen. Ich begreife es nicht, wie man ohne Gewissen leben kann: ich bin ein Christ …«

Piselli bezeugte es ihm.

»Gewiß, das sind Sie.«

»Nun nennt man ihn den kommenden Mann, den Retter der schiffbrüchigen Dynastie. Er ist auf dem Wege zum Finanzminister!«

Aller wunde Ehrgeiz des Tribunen kreischte auf in diesem Wort.

»Und in eben diesem Augenblick erfrecht er sich zu einem zweiten Verrat! Er bietet uns Geld an! Er verkauft uns diejenigen, an die er uns eben noch verraten hat!«

»Wir zahlen ihm Zinsen«, meinte begütigend die Blà. »Das entschuldigt ihn.«

»Ein hoch bedeutender Mann!« wiederholte Tamburini. Pavic geriet vollends außer sich.

»Sie finden ihn bedeutend, einen Abtrünnigen und einen Käuflichen – Sie, Monsignore, der Priester der Wahrheit?«

Tamburini hob die Schultern, gemächlich und stark. »In der Politik gibt es keine Wahrheit, es gibt nur Erfolge.«

Pavic, der Erfolglose, senkte den Kopf. Er sehnte sich nach Freunden, in denen das gleiche halb erstickte Rachegefühl gegen die Glücklichen schwelte, wie in ihm selbst. Nun trafen ihn lauter fremde Blicke. Die Herzogin erklärte ihm:

»Sie müssen doch zugeben, Herr Doktor, daß mein Hausjud gescheit ist. Er richtet sich so ein, daß er auf alle Fälle Finanzminister werden kann. Sollte es wider Erwarten mit den Koburg schief gehen, dann wird er meiner. Ja, ich glaube fast, ich mache ihm die Freude.«

»Hoheit könnten es tun?«

»Er beweist mir ja täglich seine Talente … Ganz abgesehen davon, daß ich ihn ungewöhnlich grotesk finde.«

»Grotesk! Ja ja, grotesk!«

Pavic lachte laut auf. Er vollführte eine jähe Willensanstrengung und setzte sich, mit einer Gelassenheit, die noch fieberte.

»Sie nehmen ihn als lustige Person. Wenn Sie erst wüßten, wie weit er’s darin gebracht hat. Kürzlich hat er den königlichen Hausorden bekommen.«

»Worin liegt die Komik?« fragte Tamburini befremdet.

»Warten Sie nur.«

Pavic kicherte erregt.

»In den Verdiensten, die die Auszeichnung begründen. Er verdankt sie seinen Dummheiten, die ja am Scheitern unserer Revolution schuld sind. Die Herrschaften erinnern sich der Pächterunruhen. Rustschuk war albern genug, unser bewährtes Pachtsystem abschaffen zu wollen. Sie kennen auch die Geschichte mit dem Schauspieler, den er als geisteskrank einsperren ließ. Seit alle diese Dummheiten ihm einen Orden eingetragen haben, spricht er davon wie von Intriguen. Er hält sich allen Ernstes für einen verräterischen Ränkeschmied und ist seitdem in seinen Augen unermeßlich gewachsen.«

»Auch in meinen«, sagte lächelnd die Herzogin. Alle lächelten mit. Aber Pavic preßte sich die Seiten, unsäglich erleichtert. Rustschuk war glücklich, daran war nichts zu ändern. Aber er war auch lächerlich, und das machte vieles gut. Die Blà versetzte:

»Und er baut vor sich her einen Wall von Viehhändlern, Wucherern und Schustern. Durch ein Labyrinth geheimnisvoller, nicht sehr sauberer Hände sickert sein Geld, unsichtbar und geräuschlos, bis …«

»Bis es endlich zu uns gelangt«, so vollendete Piselli, sichtlich befriedigt.

»Eine offizielle Persönlichkeit! Spielt doppeltes Spiel und fürchtet sich zu kompromittieren«, flüsterte die Herzogin vor sich hin, und durchkostete den Sinn der Tatsache.

»Was aus einem Hausjuden alles werden kann!«

»Mehr als aus dir, du Arme«, dachte Monsignor Tamburini, auf sie herabblickend.

· · ·

Öfter als die andern zeigte sich die Blà in dem weißen Häuschen auf dem Caelius. Sie trat unangemeldet zu der Herzogin in die hängende Vigne, wo das Weinlaub sich färbte. Die jungen Frauen waren beide weiß gekleidet, die schwarzen Flechten der Herzogin von Assy hoben und senkten sich im Nacken auf einer Veilchenstickerei, die aschblonden ihrer Freundin über einem Kragen von Rosen, und ohne einander zu berühren, gingen sie hin und her im Schatten ihres biegsamen Daches: kleine blattförmige Himmelsausschnitte durchleuchteten ihn blau. Am Ende des Ganges, bei den Pfeilern, blieben sie manchmal stehen und lehnten die leichten Schultern zusammen, um gemeinsam hindurchzuspähen durch die Spalten des verführerisch roten Vorhanges, den die Reben herabließen. Die Blà sah drunten im Garten einen Strauch, oder vielleicht nur eine seiner Blüten, die eben einen Falter trug. Der Blick der Herzogin fand alsbald in der Ferne das Forum, er tauchte dort in Gewölbe und erstieg Säulen, ohne daß es ihm schauerte oder schwindelte. Es war ihr Traum, den sie entsandte, ihr Traum von Freiheit und irdischem Glück. In eine Toga geworfen, feierlich und stumm, bewegte er sich zwischen jenen leeren Sockeln, über jene vom Moose gesprengten Fliesen, auf denen er – so fühlte sie – zu Hause gewesen war, ehe sie versanken und zerbrachen.

Nach mehreren solchen Stunden, als einige Male der weinrote Vorhang der Träumerei sich vor ihren beiden Seelen geöffnet hatte, waren sie Schwestern und nannten sich Du. Die Herzogin meinte jetzt mit ihrer Beatrice schon lange Hand in Hand gegangen zu sein, nämlich nahe dem Meeresstrande, in jener kleinen Kirche voller Engel, wo zwei Frauen in Lichtgelb und Blaßgrün einem Knaben nachfolgten mit goldenen Locken und langem, pfirsichrotem Gewande. Die Stunde, die sie damals an das Ende des Laubganges führte, vor ein weißes Haus, unter ein sich öffnendes Fenster und zu einer befreundeten Stimme, die Stunde jener flüchtigen und seltsam bewegten Mondnacht war prophetisch gewesen. »Gewiß«, dachte die Herzogin, »Beatrice ist jene andere im Schein der silbernen Ampel.« Doch sprach sie der Blà niemals davon, aus einer lächelnden Scham, aus Selbstverspottung und beinahe auch aus Aberglauben.

Die Freundschaft der Blà war sanft und duftig; ein feiner, flinker Geist trat oft unerwartet aus ihrem Herzen hervor. So stand in ihrem Arbeitszimmer unter Garben von Orchideen und Rosen, in reinem Marmor der schmallendige, beschwingte Hermes aus dem Sockel von Cellinis Perseus, einen magern Fuß erhoben zum Aufflattern. Schon auf der Treppe wehten Blumengerüche der Herzogin entgegen. Sie erstieg bald täglich die fünf Stockwerke in dem Eckhause der Via Sistina. Es saß sich gut auf den schlanken Möbeln, vor den hell lackierten Tischchen, wo von geraden Vasen herunter Blüten rot und weiß auf zerblätterte Bücher tropften. Zu dem weiten Atelierfenster strömte ein Meer von Blau herein. Drunten blitzte das Leben auf der spanischen Treppe.

Piselli war immer zugegen. Er rückte Stühle, beschaffte Tee und Gebäck und betätigte sich dazwischen im schmeichlerischen Wiegen hoher Worte.

»Wollen Sie sich nicht an den Kamin stellen, Herr Piselli?« bat die Herzogin, als er einmal lange von Freiheit geredet hatte.

»Lehnen Sie sich ganz bequem dagegen und verhalten Sie sich ruhig. Sie sind schön.«

»Danke sehr«, sagte er aufrichtig.

Seine Hüften waren gerade so viel enger als die Brust wie bei dem Hermes hinter ihm. Piselli stand da, durchtrieben spannkräftig, gleich dem Gotte. Jeder Muskel an ihm wußte, daß Frauenaugen ihm zusahen. Die Blà hatte rosige Wangen und feuchte Augen; sie versetzte:

»So, er hat aufgehört. Nun darfst du mir sagen, Violante, was du meinst, wenn du die Freiheit nennst. Denn jeder denkt sich bei solchem Wort, das alle lieben, sein liebstes.«

Die Herzogin antwortete:

»Ich, Bice, ich denke an einige Dutzend Hirten, Bauern, Banditen, Schiffer, und an hagere, feine Leiber, die zwischen den Steinen meiner Heimatserde vor meinen Blicken aufwuchsen. Sie waren dunkel, starr, ihr Schweigen war wild, Fell und Glieder bildeten eine einzige Linie aus Bronze. Ich will, daß Luft und Land so stark werden wie sie: das nenne ich Freiheit.«

»Und ich«, erklärte die Blà, »ich bin frei, wenn ich leiden darf. Das Volk, für das ich mich in Gefahren stürzte, sollte es mir so übel lohnen wie dir, Violante – denn es läßt deine Verbannung geschehen – und ich wäre schon beseligt.«

»Du bist bescheiden, Bice.«

»Bescheiden?«

Sie lächelte.

»Ich verlange sehr viel Leiden, weißt du … und wenn zufällig ein Martyrium daraus würde, vielleicht …«

»Das darf niemand hören«, sagte die Herzogin.

Doch Piselli verstand, seinem teilnahmsvollen Mienenspiel zum Trotz, von ihrer Unterhaltung kein Wort; denn sie sprachen französisch.

Die Blà begann wieder:

»Ganz im Ernst, ich bin nicht uneigennützig. Das bist nur du, Violante, nur du willst von der Freiheit nichts für dich. Pavic will von ihr Beifall, Ruhm und das Hochgefühl, das klatschende, stöhnende Volksmassen ihm verschaffen. San Bacco will um sich hauen, und das Wort Freiheit hat ihm dazu gedient, sein Leben lang in Bewegung zu bleiben. Alles Selbstsüchtige!«

»Und dein Orfeo?«

»Ach, Orfeo! Er spricht von der Freiheit so verhalten wohllautend und so feurig stolz. Aber ich habe ihn im Verdacht, seine Freiheit ist die Möglichkeit, jede Nacht mit vollen Taschen lumpen zu gehen.«

Piselli rollte große, süße Augen. Er hörte seinen Namen fallen und horchte argwöhnisch und vergeblich auf den Zusammenhang, in dem es geschah. Allmählich fühlte er sich gereizt durch die leichten, raschelnden Geschöpfe, die dort vor seinen Augen plapperten, lauter nicht zu überwachende Dinge und vielleicht sogar anzügliche. Er war ein Mann und hätte es in der Ordnung gefunden, sie zur Ruhe und Unterwürfigkeit zurückzutreiben, mit einigen kräftigen Griffen seiner mattweißen Hand, die Übung besaß im Anfassen von Weibern, oder auch durch eine Zote. Und je böser sein Sinn ward, desto glücklicher und anmutiger seine Haltung. Blos seine Miene wurde ratlos hin und hergezerrt von Gefallsucht und von Wut. Sein Körper allein hatte Manieren gelernt. In sein Gesicht aber traten, naiv und tierisch ungezügelt, alle seine Gefühle. Die Herzogin bemerkte es gar nicht; Piselli war für sie eine bewundernswerte Form ohne Inhalt. Nur die Blà lächelte ängstlich. Die Herzogin sah, beim Sprechen und beim Träumen, an seinen Gliedern entlang, wie an denen des Hermes hinter ihm. Er hätte nackt dort stehen dürfen, so gut wie der andere, und hätte sie nicht verwundert, sondern nur erfreut.

Die Herzogin fragte langsam:

»Und dabei liebst du ihn?«

»Ja doch, mein Mitleid liebt den Armen.«

»Mitleid mit … dem da! Wenn er das Wort verstünde, er würde dich auslachen. Er ist ja gesund, begehrt und selbstgewiß über die Maßen. Vielleicht würde er auch sehr böse werden.«

»Niemals. Es wäre ihm ganz gleich. Erbittert durch Mitleid werden nur Kranke; glaube einer barmherzigen Schwester … Er fühlt sich stark und überlegen – und ich bemitleide gerade seine Schönheit und seine Ungebrochenheit und seine Erfolge und die Ruhe und die Wucht, mit der er sie genießt. Wir andern, wir Schwachen, nicht wahr, wir bändigen unser Geschick durch ein wenig Geist. Für ihn aber gibt es nur Zufall, Spielerglück und -unglück. Er wappnet sich gegen das Leben mit Fetischgläubigkeit und Vertrauen auf gute Karten. Er ist von Geblüt ein Campagnole, der nicht ahnt, woher er kommt, und von Natur ein Spieler und weiß von keiner Zukunft. Er ist nur das Abenteuer eines Augenblicks, der Arme. Wenn ich hinabsehe in den wunderbaren, dunkeln Brunnen seiner Augen – was schläft alles da drunten, ihm selber unbekannt und bestimmt, eines Tages emporgewühlt zu werden. Instinkte! Dunkel und trüb wie die namenlosen Reihen der Bauern, die hinter seiner Geburt entschwinden. Schicksale! Vielleicht Prunk und Triumph, vielleicht Elend … vielleicht … Blut.«

»Du bist eine Dichterin, Bice! Und in den Stunden der Nüchternheit? Denn natürlich liebst du ihn nur auf Augenblicke.«

»Nein … immer!«

»Immer? Was für ein Wort! Immer, Bice, werden doch nur wir Frauen geliebt. Wenn wir nämlich in uns selbst ruhen, recht hübsch still sitzen, die Hände zusammenlegen, ins Kerzenlicht blicken und lächeln. So ersehnen uns die Männer: Einer in Paris, der sich beobachtet hatte, hat es mir gesagt; übrigens wußte ich es … Aber der Mann! Der gilt nicht seine Taille und sein Grübchen, sondern seine Taten und seinen Geist. Mit ihnen steigt und fällt er. Er kann es nur in sehr glücklichen Augenblicken bis zum Geliebtwerden bringen.«

Sie zögerte, und Pavic’ Name blieb ungenannt, aus jener zärtlichen Scham, die der Herzogin erst bekannt war, seit sie eine Freundin hatte.

»Der Mann, den ich einmal liebte, war zuweilen groß und Held. Die übrige Zeit kannte ich ihn gar nicht.«

Die Blà versetzte:

»Arme Violante. Ich halte Orfeo immer für groß – in der Liebe. Braucht ein Mann, den ich liebe, sonst in etwas groß zu sein? Er besorgt alle Gänge für mich, er holt meine Gelder von den Redaktionen. Vielleicht will er wissen, wie viel ich verdiene. Ich aber glaube, er erspart mir jeden Schritt in die Prosa, er breitet Blumen unter meine Füße und füllt damit mein Zimmer.«

Beim Weggehen drückte die Herzogin Pisellis Hand, zur Belohnung, weil er so schön gestanden und ihr Gesichtsfeld geschmückt hatte. Sie verspürte Lust, ihm etwas Süßes in den Mund zu stecken.

Piselli reckte sich und rief aus:

»Welch Glück! Wir sind allein!«

Er umschlang die Blà und trat mit ihr, in der Versunkenheit eines Bühnenglücks, vor das weit und blau klaffende Fenster.

Sie sah bittend nach seinen gefalteten Brauen.

»Du biegst deinen Kopf so liebevoll, und er sieht doch wild aus.«

Zum Erschrecken plötzlich brach seine üble Laune los.

»Diese Frau mag der Teufel holen!«

»Aber Orfeo!«

»Welch ein Hochmut!« so knirschte er und warf die Arme in die Luft.

»Welch ein Hochmut! Aber er wird gestraft! Sie soll nur warten, solch ein Hochmut wird gestraft!«

»Mein Gott! Was hat sie dir getan?«

»Mir? Gar nichts. Und was sollte sie mir tun? Will ich denn etwas von ihr? Für so viel Hochmut ist sie überhaupt nicht schön genug!«

»Aber … Sie ist ja so schön! So wunderschön!«

»Ach was, ich kenne hundert schönere … dich zum Beispiel«, setzte er herablassend hinzu.

»Und erstens ist sie kalt, abscheulich kalt. Das schließt schon jede Schönheit aus. Ich verlange ganz etwas anderes. Aber ganz etwas anderes. Die rechte Frau … Da haben wir’s!«

Er beruhigte sich.

»Sie ist keine rechte Frau!«

»Orfeo, sie ist meine Freundin.«

»Das ist gleich. Ich verkehre nicht gern mit ihr. Solch eine Frau … überhaupt, wer anders ist als die andern, bringt Unglück, das weiß man. Ich will dir etwas sagen, du solltest dich vor ihr hüten, denn sie ist keine gute Christin!«

»Wie kommst du darauf?«

»Ich merke das schon. Seit ich sie kenne, bin ich im Verlieren.«

Er murmelte noch:

»Dabei muß etwas geschehen.«

»Was denn, ich bitte dich«, fragte sie ängstlich.

»Du wirst sehen.«

Er aß einige Kuchen, nahm einen Schluck Likör und zündete eine Zigarette an. Darauf fühlte er sich wiederhergestellt, und sie gingen aus. Im ersten Laden, an dem sie vorbeikamen, kaufte Piselli ein dickes Bündel hörnerner Breloques und hängte sie sich vor den Magen.

»So, jetzt mag sie mir wieder begegnen.«

Die Blà lächelte gerührt. Sie ermunterte ihn.

»Recht so. Vergiß nur niemals deinen Talisman. Wer sollte dir jetzt noch Unglück bringen.«

In eine Kirche am Korso drängte Volk. Piselli zog seine Freundin hinterher. Die Priester des Tempels beendeten eben die Zurüstungen für das Fest ihres Heiligen; in einer Kapelle im Hintergrunde befestigten sie die letzten Kränze. Der Boden des schmalen Gelasses stand voll von Körben mit Papierblumen, daraus erhoben sich brennende Kerzen. Sie erklommen, in gedrängtem Zuge, und fortwährend anschwellend in Höhe und Umfang, den Altar. Zu Seiten des Kreuzes flammten zwei wächserne Türme. Und über dem von roten Lichtern durchirrten Gewoge falscher Blüten schaukelte sich an Ketten der Silberschatz: Ampeln, Kessel und Krüge, matt und alt schimmernd oder mit aufdringlichem Geglitzer, köstlich gebogenes Prunkgerät, belebt von schwellenden Bildern, neben Tand aus dem nächsten Bazar. Die Pupillen, die in all’ diesen Zauber hineinstarrten, erweiterten sich und wurden fromm.

Piselli breitete sein Schnupftuch über die staubigen Fliesen und kniete darauf hin. Er zog aus der Tasche seinen um ein Spiel Karten gewickelten Rosenkranz. Die Blà neigte sich neben ihm über einen Betstuhl. Sie atmete leise den süßen Rauch ein, der ihr aus lautlos geschwungenem Becken zuwehte, und durchkostete den reizvollen Schmerz des Kreuzes, nach dem sie sich sehnte, ohne daran zu glauben. Piselli bekreuzigte sich ein über das andere Mal; er roch nach Chypre, aber seine Furcht und seine Brunst erhöhten sich vor seinem Gotte zu eben so dumpfer Ehrfurcht und Inbrunst, wie bei den Gläubigen vor und hinter ihm, die nach Knoblauch stanken. Den Geist der Blà durchkreisten feine und schwache Erinnerungen eines Mystizismus, der eine Gemeinde geschmackvoller und müder Lateiner verlockte, und fielen endlich, wehmütige Blätter im Treiben des Herbstwindes, zu einem Kranze zusammen, der ein welk und süßlich duftendes Gedicht war. Piselli verschlang mit Augen, die vor Gier verblödeten, den buntstrotzenden Heiligen aus Wachs hinter dem Gitter seiner Krypta. Seine Finger und Lippen überhasteten die Gebete; er fühlte sie erhört und sah bereits die Karten vor sich, mit denen er gewinnen sollte. Darauf standen die Liebenden auf und gingen weiter, Seite an Seite, wie in ganz derselben Welt.

Der Heilige täuschte Pisellis Vertrauen. Am folgenden Tage sah die Blà es ihrem Orfeo an, er habe verloren. Es war eine ungewöhnliche Summe, und er schuldete sie dem Prinzen Maffa auf Ehrenwort. Sie raffte ihr Ersparnisse und allen ihren Kredit bei ihren Verlegern zusammen, um ihn zu retten. Er nahm das Geld ohne Ziererei. Es war für die Blà ein freudiger Augenblick. Schon nach achtundvierzig Stunden hatte er alles zurückgewonnen und übergab es ihr in einer Börse aus Atlas, bestickt mit echten Perlen. Aber bald durfte sie ihm wieder, und im Laufe der Zeit immer häufiger, mit kleinen und großen Beträgen aushelfen. Sie lernte jetzt kühle Gesichter bei sonst ritterlichen männlichen Kollegen kennen, wenn sie Artikel bezahlt haben wollte, die noch nicht geschrieben waren. Die kleinen Blätter gaben ihr Manuskripte zurück, um keine Vorschüsse erlegen zu müssen. Sie aber trottete, elegant und rosig, mit ihrem besonnenen, frauenhaften Schritt unermüdlich über den Asphalt, hin und her zwischen den Zeitungen, den Litteraturmaklern, kleinen Wucherern und wohlhabenden Freunden. Und Piselli trat unter seine Klubgenossen nie anders als mit ebenbürtig gefüllten Taschen. Sie begann ihre Entbehrungen zu spüren, ihr Leiden hub an, und wo sie erschien, ging es hold von ihr aus wie das Glück eines geliebten Schicksals. Im Frühling veröffentlichte man die Verse, die sie ihrer Bekanntschaft mit Orfeo verdankte. Sie hatten einen lauten, schwärmerischen Erfolg bei Frauen und jungen Leuten. Die Blà rechnete aus, daß das kleine Buch ihr einige tausend Franken eingebracht haben würde. Sie hatte es, als Piselli sich einmal in einer angstvollen Verlustkrise befand, für zweihundert Lire verschleudert.

· · ·

Freitags versammelte man sich noch immer beim Kardinal. Monsignor Tamburini fühlte die Verpflichtung, der Herzogin für die starken Summen, die sie den revolutionären Umtrieben der dalmatinischen Geistlichkeit widmete, hie und da eine Genugtuung zu gönnen. In langen Zwischenräumen zeigte sich im Palast an der Lungara irgend ein hagerer Bettelmönch, der mit großen Gebärden, phantastisch in flatternden Ärmeln, beim spärlichen Lampenlicht in der Mitte eines übermäßig hohen, an allen Wänden von Dunkel umlagerten Saales, eine seiner Predigten wiederholte. Sie war unglaublich fanatisch, mystisch und mordgierig. Er wollte sie auf offener Kanzel, in einer gefüllten Dorfkirche gehalten haben, und der Kardinal, der mit Wohlwollen zuhörte, sagte sich, daß die Machthaber, die einen so unverblümten Redner noch heute frei umherlaufen ließen, verrückt sein müßten. Die Cucuru stemmte, weit vorgebeugt, die Arme auf die Knie und klappte schallend das Gebiß zu. Die Blà träumte vor sich hin, und Monsignor Tamburini beaufsichtigte die Vorstellung als ein strenger Regisseur, reglos und ohne Anerkennung. Tags darauf gedachten nur noch er und die Herzogin der schnell verflüchtigten Erscheinung. Wenn weiter nichts vorgefallen war, ließ man Pavic sprechen; er erzählte von seinem politischen Klub.

Seit ihm mit der Verwaltung der Kasse auch die Möglichkeit eines vornehm genährten Seelenleidens fortgenommen war, wurde er immer fetter und trübsinniger. Sein Fett stammte aus schlechten Garküchen, ranzig wie sein Trübsinn, und sein erstickter Haß auf seine Herrin vermehrte sich um den vollen Betrag der Schulden, die ihn jetzt drückten. Der Tribun schlich umher auf Promenaden und in Kaffeehäusern wie ein frühzeitig abgedankter Opernsänger, mit verbundenem Hals, planlos, nörgelnd und nicht mehr ganz sauber. An Tagen, wo er keine Aussicht hatte, sich irgend einem Zuhörer vorführen zu können, ging er an allem vorüber, auch an seinem Waschtisch; denn es ekelte ihn vor den Verrichtungen des täglichen Lebens, das auf keine Tribüne mehr mündete. »Was wollen Sie, ich brauche den Erfolg«, so seufzte Pavic, so oft er im Blicke eines Bekannten die Verwunderung über seinen Verfall las.

Und den Erfolg, der ihm in heller Öffentlichkeit versagt blieb, er ergatterte ihn nun in Hinterstuben. Es war in dem Keller eines Neubaues, weit draußen vor Porta Sant’ Agnese, wo ein paar geflüchtete Landsleute zusammenkamen, Handwerker, Lastträger und Straßenverkäufer. Sie trockneten sich zweimal die Woche den Schweiß der schweren Arbeit, zu der die Fremde sie verdammte, von den Händen und reckten sie zu ihrem Apostel empor – und mit den Händen die Seelen, die so übervoll waren von Selbstmitleiden, Beklemmung und der Sucht nach Wiedervergeltung, Befreiung, Herrschaft, Rachegelagen. In diesem Keller, der an Katakomben grenzte und fast schon dazugehörte, unter den gequälten Schatten der Armen, von qualmenden Tonlampen auf triefende Mauern geworfen – hier in der Konventikelluft erster Christen war Pavic nochmals Held. So gut versteckt, fröhnte er den Ausschweifungen des Gefühls und starb zum hundertsten Male, mit ausgebreiteten Armen, röchelnd an einem nicht vorhandenen Kreuz, das alle sahen. Darauf stieg er wieder ans Licht, rotfleckig im Gesicht, unheimlich ermuntert und zu täppischen Scherzen aufgelegt: ein heimlicher Trinker, der sich kaum noch darauf besann, daß er einst bei Bacchanalen unter blauem Himmel ein großartiger Genießer gewesen war.

Am Freitag berichtete er dann:

»Wie diese Menschen mich lieben! Ah! Nichts erwärmt ein Leben so, wie die Liebe eines Volkes. Ich darf sagen, für sie bin ich ein Halbgott!«

»Ein Halbgott zum Weinen«, dachte die Blà. Die Cucuru platzte einfach aus.

»Und ich kenne einen jeden nach Namen, Herkunft und Geschichte! Alle werden wegen lauterer Gesinnung verfolgt, wie ich, und wie Sie selber, Herzogin. Einer hat gestohlen.«

»Mir zu gefallen?« fragte sie.

»Seinem Ideale folgend. Denn der Eigentumsbegriff ist dem einfachen Gemüte nicht natürlich. Und als die Revolution losbrechen sollte, da hielt er die Stunde für gekommen und … stahl. Ein anderer bringt eine Puppe in Generalsuniform mit, die auf einem Pfahl steckt. Er dreht sie sehr rasch um den Pfahl, und ehe man sich dessen versieht, sitzt sein Messer ihr im Herzen. Er gibt mit rührender Andacht alle seine freie Zeit her, um sich diese Sicherheit des Stoßes einzuüben. Er wird eines Tages den König Nikolaus richten …«

Vinon Cucuru kreischte auf.

»Dreht Nikolaus sich immerfort um einen Pfahl?«

Pavic sagte unbeirrt:

»Dieser Jüngling ist reinen Herzens, mit seelenvollen, blauen Augen, und hat noch nie ein Weib berührt.«

Die Damen betrachteten ihn, erheitert und leicht angewidert, sie wußten nicht, ob durch ihn oder durch seinen Jüngling. Hinter seinem Rücken krümmte sich lautlos der Kardinal.

»Welch redlicher, empörter Patriotismus in allen ihren Handlungen und in jeder Herzensregung! Das unglückliche Dalmatien ist, wie Sie wissen, von seinen Tyrannen so herabgewirtschaftet, daß es nur noch Papiergeld besitzt. Im gerechten Zorn darüber hat einer meiner Verehrer sein neugeborenes Töchterchen Papiria genannt.«

»Allerdings habe ich ihn darauf gebracht«, setzte er hinzu, da er die Wirkung auf den Gesichtern sah. Er trank mit krankhafter Begierde die Teilnahme von den Mienen, ohne es zu beachten, wenn sie höhnisch war. Und er jagte eine Anekdote der andern nach, aus Furcht, man möge ihn unterbrechen.

»Alle beten Euere Hoheit an!« rief er, da die Herzogin ihm unaufmerksam schien; und mit verzweifelter Selbstüberwindung:

»Beinahe noch mehr als mich! Die Gestalt der Herzogin von Assy ragt diesen Armen, die für sie leiden, bereits in eine Sagenwelt hinein. Sie meinen, sie sitze irgendwo in Rom in einem Turm gefangen. Ihr schwarzes Haar hänge aus dem Gitterfenster bis auf die Straße. Wenn der Papst vorbeigehe, so speie er darauf.«

»Oh!« machte die Blà, ängstlich fast vor Entzücken. Lilian richtete ihr blasses Antlitz schnell auf die Herzogin, in das frische ihrer kleinen Schwester trat zum erstenmal etwas wie Nachdenklichkeit, und ihre Mutter glotzte gänzlich verdummt darein. San Bacco ging, geärgert durch all das nutzlose Gerede, im Hintergrunde auf und ab; er blieb plötzlich stehen und bemerkte:

»Das, was Sie da sagen, ist einmal schön.«

»Man könnte das Bild in einen Stein schneiden«, meinte der Kardinal. »Es ist recht kurios; ich will Seiner Heiligkeit davon erzählen.«

»Ich möchte die Leute sehen«, sagte unerwartet die Herzogin.

»Pavic, von wem haben Sie diese … Sage? Hoffentlich nicht von Ihrem reinen Jüngling?«

»Dem mit dem Pfahl und … ohne Weiber?« fragte die Blà.

»Nein, von zwei Bauern«, berichtete Pavic. »Sie haben daheim einen Gendarmen blutig geschlagen. Sie sind über das Meer geflohen – gleich uns, und sie verlangen sehr danach, Euerer Hoheit zu Füßen zu fallen.«

Tamburini hegte Bedenken gegen eine zu nahe Berührung der Herzogin mit den Ihrigen.

»Was wird denn aber aus dem Märchen vom Turm, wenn Sie sich den beiden am hellen Tage, in einem behaglichen Zimmer zeigen.«

»Es könnte draußen geschehen, und bei Nacht«, meinte die Blà, verliebt in eine romantische Vorstellung. Die Cucuru kicherte, kurzluftig vor Bosheit.

»Jawohl, in finsterer Nacht! Huhu! Und an einem Orte, wo es keine Polizei gibt. Da schleicht eine vornehme Dame zu zwei verdächtigen Individuen. Alle drei sind vermummt und erzählen sich gräßliche Geschichten. Man hört in der Ferne jemand umbringen, und es blitzt. So ist es doch auf dem Theater, nicht?«

»Herzogin, ich begleite Sie!« rief San Bacco.

»Zögere ich?« dachte sie. »Habe ich denn Furcht?« Sie sagte laut:

»Ganz so, Fürstin. Aus Ihrer Vision wird Wirklichkeit, und es gehört nicht viel dazu. Ich gehe allein zu der Zusammenkunft, ich danke Ihnen, Marquis. Ein abgelegener, möglichst dunkler Ort, wo finden wir ihn? In der Tibergegend, denke ich; vielleicht beim Wechslerbogen. Herr Doktor, bestellen Sie mir die Männer.«

»Frau Herzogin …« stotterte Pavic. Die Cucuru verlor zum zweiten Male das Verständnis.

»Tu’ es nicht!« bat leise die Blà. Eindringlich wiederholte San Bacco:

»Herzogin, ich begleite Sie.«

»Gehen Sie hin, Herzogin!« so verlangte Lilian Cucuru, »und gehen Sie allein! Auch ich würde ganz allein hingehen!«

Sie sprang auf, sie dachte mit Leidenschaft an Nacht, Gefahr und Ende. Jener Mensch zu sein, der in der Ferne umgebracht ward, während es blitzte – sie hätte das für ein Glück gehalten. Tamburini belästigte sie empfindlicher als sonst. Es wurde Frühling, und seine Säfte machten ihm zu schaffen. Tragisch gestimmt in gewitterschwerer Sciroccoluft, empfand Lilian vorübergehend als tötende Lasten die Gemeinheit, auf Kosten der Herzogin von ihrer Mutter ausgeübt, und die Unkeuschheit des eigenen Lebens. Sie wurde von Neid zerrissen beim Anblick der Blà, die mit gutem Gewissen dieser Frau die Hand hinstrecken konnte. Die ihrige zuckte, und wenn die Herzogin sie ergriffen hätte, vielleicht hätte Lilian, von einem Krampf erlöst, schluchzend vor Dankbarkeit und besinnungslos eine Menge störender Geständnisse gemacht.

Doch nahm die Herzogin raschen Abschied.

Eine halbe Woche später fuhr sie zu ihrem ungewöhnlichen Stelldichein. Es schlug ein Uhr, die Stunde war schwarz und regnerisch. Sie verließ ihren Wagen bei Piazza Bocca della Verita, am Flußufer. Der Tiber spülte trübe, langsame Fluten unter der einzigen Wölbung der zerbrochenen Brücke hinweg, wie durch einen versunkenen Triumphbogen. Die Herzogin stieg drei Stufen hinab, der Platz war weit und leer, verwahrlost und schlecht beleuchtet. Sie überschritt ihn mit einem Entschluß; im wankenden Geplätscher seines Brunnens lag er seltsam dumpf, wie verbannt aus dem Leben, in eigener Luft, der ihre Schritte erstickte. Die Gebäude umstanden ihn als Märchen einer Nacht, und höchst geheimnisvoll. Warum schimmerte der Vestatempel so schlank und still? Niedrig wie für den Besuch alter Zwerge hockte die Kirche neben ihrem langen, greisenhaften Glockenturm. Das Haus des Rienzi spreizte sich, abenteuerlich geziert. Um seine Schwelle huschte es; Pavic, der noch lärmte, begab sich zu einem Bruder mit längst verhalltem Geschrei. Vor dem Kirchenportal und höher als sein Dach, reckte sich Tamburini; er lugte nach dem heidnischen Tempel aus, wo die Cucuru mit Lilian, der Blà und Vinon sich zwischen den zersprungenen Säulen erging.

»Meine Vestalinnen! Vestalinnen, Priester und Tribunen, ich kann hier alles auferstehen machen und alles bevölkern. Nur den Triumphbogen, den muß ich noch ein wenig unter dem Wasser lassen.«

Sie war drüben und sah sich nicht um. Sie betrat rasch die verlassene Via de’ Cerchi. Es führten wieder drei Stufen hinab; dann hielt sie unter dem Wechslerbogen und erschrak. Im Nu, und ohne Ankündigung ihres Erscheinens, erhoben sich vor ihr zwei Gestalten.

»Der erste Theatereffekt«, dachte sie. »Er ist gelungen. Übrigens sind diese beiden schwarz und verstecken die Köpfe unter ihren Fellen. Ich selbst trage einen sehr weiten Mantel, die Maske habe ich vergessen.«

Die beiden Geschöpfe starrten ohne einen Laut, unter gierigem Rücken ihrer Köpfe, in den tiefen Schatten, der ihnen die Frau verbarg. Die Laterne an der Mauer warf vier Lichtstrahlen in ihre vier Augen; sie suchten, scheu zuckend und leuchtend gleich Tierblicken. Plötzlich fanden sie; und die zwei Fremdartigen lagen am Boden, die Lippen im Staub.

»Steht auf«, sagte sie, und ungeduldig, da keiner sich rührte: »Richtet euch auf und antwortet! Ihr habt den Gendarmen blutig geschlagen?«

»Mütterchen, wir lieben dich«, erklärte der eine.

»Und du?« fragte sie den andern. Er stotterte:

»Mütterchen, wir lieben dich.«

Der Erste stampfte wild und schlug sich mit den Fäusten vor die Brust; unter dem Fell klirrte etwas.

»Hätten wir nur alle deine Feinde unter unsern Flintenkolben!«

»Und du?«

Der Zweite sagte nichts mehr. Er war eine jener strengen Bildsäulen in den epischen Feldern ihres Traumes, ein junger Hirt, schwarze Locken in der niedrigen, blassen Stirn, die Arme über dem Stabe gekreuzt, unbeweglich inmitten eines sich drehenden Kreises von Ziegen und Schafen. Sie dachte: »Ein sehr wohlgebildetes Tier, ich halte es gern für einen Halbgott. Der andere gebärdet sich menschlicher, aber ich habe nie von ihm geträumt.« Er war erdfarben und starkknochig, mit dünnem Bart und äffischen Gebärden. Er fuchtelte mit langen, knotigen Armen.

»Ihr sollt das nicht wieder tun«, befahl sie. »Hört ihr? Ihr sollt den Tag abwarten, an dem ich euch das Zeichen gebe. Was nützt es, daß ihr einen armen Kerl prügelt, der gerade so viel wert ist wie ihr selbst.«

»Du irrst, Mütterchen. Thimko war ein Hund und dein Feind.«

»So? Du hast recht.«

Sie bedachte: »Ich darf nicht in den alten Fehler verfallen, der mich das erstemal so viel gekostet hat, und wieder fragen, was ein Mörder für seine Tat könne. Das Exil hätte mich geschickter machen sollen. Der königliche Gendarm im Heimatsdorf meiner beiden Freunde ist ein Hund und mein persönlicher Feind. Ich hasse ihn.«

»Erzählt nun«, äußerte sie, »was ihr für mich tatet.«

»Mütterchen, deinetwegen sind wir Räuber geworden und von den Bergen herabgestiegen.«

»Waret ihr sehr unglücklich?«

»Es war ein freies Leben, an unserm roten Sonntagsrock saßen als Knöpfe lauter Taler, die haben wir auf der Reise nach dem Auslande alle hergeben müssen.«

»Es ist schön, daß es euch gut ging.«

»Herrlich war es! Wie vielen habe ich den Bauch aufgeschlitzt, wenn wir herabstiegen! Die Höfe, die wir verbrannten, rauchen gewiß noch jetzt. Die Kühe, die wir hinaufholten in die Berge, werden sich nun wohl verlaufen haben. Wir konnten nicht alle essen.«

Der Wohlgebildete machte eine Bemerkung:

»Das schmerzt uns sehr.«

»Ihr mußtet also fliehen?« fragte sie. Der Erdfarbene antwortete:

»Der Hund Thimko, den wir prügelten, hat die andern Hunde auf uns gehetzt. Sie trennten uns von unsern Genossen, und diese kamen um, die Armen. Da gingen wir in ein Boot. Der Sturm warf uns weit fort von der Heimat, und fast wären auch wir umgekommen, wir Armen. Wir sind elend, Mütterchen, sei so gut und reiche uns eine Unterstützung!«

Sie warf ihnen Goldstücke zu. Sie schossen, eines nach dem andern, blitzend aus dem Schatten des Torbogens, Flammen, die an den Gliedern der Fremden hinauf und bis in ihre Augen züngelten. Sie wälzten sich übereinander, unheimlich zusammen scherzend, unter Messergeklirr und rauhen Kehllauten. Der Häßliche schien stärker, aber der Schöne kämpfte unbedenklicher und erraffte das meiste.

»Ein Halbgott«, meinte die Herzogin, »so lange er Statue bleibt. Er zeigt nur selten, daß er lebt, und zwar als Tier.«

Dann zählte jeder seinen Raub, geduckt und schweigend. Der Tiber gurgelte. Aus der Ferne kam ein Pfiff, drei kurze Noten, die sich wiederholten. Plötzlich jagten ein paar unkenntliche Gestalten droben in der Circusstraße hinter einander her. Die Herzogin versuchte zu lachen, sie zitterte ein wenig.

»Es stimmt alles. Jetzt wird jemand umgebracht. In den Fluß mit ihm! Wie ist es schwül, ich atme kaum noch!«

Drüben in der schwarzen Höhe zuckte es wild und rot, mehrmals rasch nacheinander.

»Auch das war vorhergesehen! Übrigens – diese Räuber, die vom Bauchaufschlitzen reden wie vom Wassertrinken, sie verhalten sich gegen mich recht achtungsvoll. Vielleicht noch mehr als das? Werden sie bald fertig gezählt haben? Ich habe hoffentlich Mut?« Sie fragte schroff:

»Ihr wollt also für mich in den Krieg ziehen?«

»Wir lieben dich, Mütterchen, wir sterben für dich. Gieb mehr Gold! Ein Trinkgeld, Mütterchen!«

Sie gab, ungeduldig und enttäuscht.

»Kein Grund zur Furcht; es handelt sich immer nur um Geld.«

Die beiden standen schließlich, von verwirrendem Glück beregnet, fast davon erweicht, mit gehobenen, entzückten Sinnen.

»Wie bist du schön, Mütterchen!«

»Wie bist du groß, dein Haupt entschwindet weiß und hoch unter dem Turm, worin du gefangen sitzest. Wir wußten ja, es sei ein Turm. Anfangs sah es aus, wie ein Bogen, doch nun sehen wir wohl, daß es ein Turm ist. Merke dir das, Lazise, wir sagen es daheim.«

Der Wohlgebildete grunzte. Er stieß gewaltsam aus:

»Mütterchen, wo ist dein Haar?«

Der andere fuhr auf:

»Dein Haar! Gieb es, wo ist es?«

Sie fühlte, sie werde ihre Haltung verlieren, und dachte an die Bestien, die ihren Bändiger erblassen sehen.

»Nun geht heim!« befahl sie, und setzte gleich hinzu, unsicherer und schwächer:

»Geht ihr heim?«

Die beiden Wilden rutschten auf den Knien, tastend und schnaubend.

»Ja ja. Alle sollen kommen und dich befreien. Aber gib dein Haar!«

Sie streckten die Hände aus und wagten doch nicht unter den Bogen zu greifen. Ohne Mauer und Gitter war er ihnen verschlossen durch einen magischen Strich.

Die Herzogin nahm sich zusammen. Sie rief zornig und mit Gewalt:

»Ihr geht auf der Stelle!«

Sie richteten sich auf, sahen einander an, bezwungen und traurig, und schlichen zur Seite. Einer wandte sich.

»Es ist gut, Mütterchen, wir gehorchen.«

Und sie tauchten langsam in das Dunkel.

Sie sah ihnen nach. Plötzlich, ohne Nachdenken, sagte sie:

»Kommt zurück!«

Sie löste ihr Haar, mit zwei tapferen Griffen. Sie hielt es in den Händen, es entfloß ihr, lang und schwer. Da fiel ihr die Cucuru ein. »Das ist der Schlußeffekt«, dachte sie. »Was für ein Theater!«

Ich nächsten Augenblick sagte sie: »Trotzdem«, und sie warf den beiden Seltsamen ihre schwarzen Flechten zu, wie vorher ihr Gold. Sie stürzten sich darauf, mit Lippen und Zähnen. Die Herzogin sah auf sie herab, erbleicht, den Kopf zurückgelehnt, wie aus der starren Höhe des Turmes, von dem nach dem Glauben dieser Geschöpfe ihr Haar herunterhing.

»Geht nun!«

Ihre Stimme drang matt in die mit Dämpfen von Sinnlichkeit erfüllten Köpfe. Sie fand sich überwältigt von einem Auftritt, den sie nicht überlegt hatte. Sie durchsuchte das Dunkel, ratlos und fast blind vor jäher Angst. Sie war nahe daran um Hilfe zu rufen. »Warum?« fragte sie, und gestand sich: »Weil ich mich schäme.« Und dabei fühlte sie, daß sie diese sonderbare Feierlichkeit nicht hätte missen wollen.

Sie stampfte auf:

»Geht!«

Die beiden taumelten, erschraken und verschwanden. Sie wartete, abgewendet, bis sie allein war. Endlich erreichte sie, fast flüchtend und unterwegs ihr Haar zusammenraffend, ihren Wagen. Sie warf sich in eine Ecke und schloß die Augen, voll wilder Bilder, die sie schwindeln machten. Nach einer Weile fand ihr Finger im Winkel des Lides eine Träne.

Beim Kardinal erzählte sie alles, kühl und anschaulich. Dabei formte sich ihr erst der Vorgang; sie ergänzte ihn durch Züge, die nicht hätten fehlen dürfen. Sie waren grausam, und die Herzogin lächelte dabei nur noch zurückhaltender. Ehe sie die Hingabe ihres Haares eingestand, ward es ihr heiß zu Mute. Sie fügte rasch hinzu, die beiden Wilden hätten ihr mit den Zähnen große Stücke herausgerissen. Da sie gleichzeitig vor wütendem Eifer sich selbst in die Hände gebissen hätten, so sei das Blut ihr über die Haare geronnen. Man fand ihre Stimme vollkommen gefühllos. Die Blà zweifelte vorübergehend an ihr, die Cucuru fühlte sich unbehaglich.

Zu Hause in ihrer Vigne, über der duftenden Stille des Frühlingsgartens, bebte sie bei der Erinnerung an jene Nacht.

»Wer waren die beiden Seltsamen? Menschen und Freunde, die zu mir den Weg fanden und keine andere Bedeutung hatten als andere Menschen und andere Freunde?«

»O nein, was ich damals sah, es muß ein Stück meiner eigenen Seele gewesen sein, mir unversehens entsprungen, rot, warm und pochend. Vor meinen Augen hat es sich geregt und gespielt, ein wunderbares Spiel, eine Maskerade, beängstigend und bezaubernd.«

Sie blieb stehen und lächelte sich zu.

»Das hätte ich ihnen am Mittwoch sagen sollen! Aber du bleibst immer das Kind auf dem Felsenriff im Meer – dein Leben lang, kleine Violante. Mit Monsieur Henry verspottest du Gott und die Weltgeschichte, und dann legst du dich an das Ufer deines Sees und träumst mit Farren und mit Eidechsen.«

· · ·

Man ließ sie träumen.

Am Abend nach ihrer erstaunlichen Erzählung blieb Monsignor Tamburini länger als sonst beim Kardinal. Seine Eminenz war angeregt und wißbegierig, er näherte einige Münzen dem Lichte der dreiarmigen Ampel und sah darüber weg.

»Mit der Gesellschaft, die wir uns für unseren Mittwoch geschaffen haben, bin ich recht zufrieden. Was wir soeben wieder gehört haben, war durchaus merkwürdig und unterhaltend. Aber nun sagt mir einmal, lieber Sohn, was ihr mit diesen so liebenswürdigen Versammlungen für eine Absicht verfolgt. Ich gestehe, daß ich mich noch gar nicht darum bekümmert habe, warum Ihr eigentlich mit der schönen Herzogin Politik treibt. Mir selbst – Ihr wißt, wie ich genügsam bin – ist sehr an den schönen, alten Geldstücken gelegen, die sie mir verehrt. Aber Ihr, ein so wirklichkeitsliebender Mann …«

»Eminenz, das Ganze ist ein Zufall, und mein Verdienst beschränkt sich darauf, daß ich ihn nicht ungenützt gelassen habe. Ich fand die Herzogin von Assy im Klostergarten zu Palestrina …«

»Wie ein Blümchen! Und Ihr brachet es mir, Ihr Guter!«

»Ich nahm sie mit – ursprünglich nur aus Spekulation, weil eine Herzogin von Assy der Kirche stets nützen kann. Ich dachte an eine Bekehrung der allzuweltlichen Frau, an ihr großes Vermögen, auch an eine interessante und nutzbringende Verbindung mit ihrem Geschäftsmann, dem Baron Rustschuk …«

»Ein großes Licht unter euch praktischen Leuten, nicht wahr?«

»Ein hoch bedeutender Mann. All das Geld! All das Geld! … Leider ist die Bekehrung der Herzogin unmöglich; ich mußte mich davon überzeugen. Diese Heidin verschließt sich der Gnade. Auch wurden ihre Besitzungen eingezogen. Ich gestehe, daß mich das anfangs gegen sie einnahm.«

»Ich begreife Euch, mein Sohn.«

»Dann aber erkannte ich, daß uns gerade die Konfiskation ihrer Güter die erfreulichste Aussicht eröffne, nämlich sie ihr wiederzugewinnen und dafür belohnt zu werden.«

»Sie ihr wiedergewinnen? Ihr müßt mir das Kunststück zeigen. Ich habe nicht genug Genie, es selbst zu finden, doch reizt es mich gewissermaßen.«

»Sehr einfach. Die dalmatinische Regierung ist erzürnt wegen der revolutionären Umtriebe, die im Namen der Herzogin von Assy stattfinden. Wir verhandeln also mit der Regierung wegen Unterdrückung der Revolten. Alles kommt auf den Preis an, den sie uns bietet. Nach Beruhigung des Landes muß man das Assysche Vermögen freigeben, es wird keinesfalls möglich sein, die Konfiskation aufrecht zu erhalten. Die Herzogin hat zu mächtige Verbindungen, ihr Kredit bei den Höfen ist größer als der des Königs Nikolaus … Sie erhält alles zurück und zeigt sich natürlich gleichfalls gegen uns erkenntlich.«

»Belohnung von zwei Seiten! Ihr seid stärker als ich dachte, Tamburini. Nur möchte ich noch wissen, weil ich’s ganz kurios finde – wie Ihr’s anstellen wollt, daß die Revolten aufhören.«

»Aber mir scheint … da wir sie anzetteln, können wir sie auch aufhören lassen.«

»Das ist … Das übersteigt, ich gestehe es, meine Voraussicht. Also man erregt Aufstände; die dalmatinischen Bischöfe, die Kirche – sagen wir: wir …«

»Jawohl, sagen wir: wir.«

»Wir erregen in jenem Lande Aufstände, dann gehen wir zu den Machthabern und sagen: Gebt uns Geld, so hört es auf. Das ist gut erdacht, mein Sohn. Und sollte es fehlschlagen, so war es darum doch eine höchst sinnreiche Sache.«

Der Kardinal kehrte bereits zu seinen Altertümern zurück. Eine Frage machte ihm noch zu schaffen.

»Solch ein gelungenes Spiel, wie nennt man es nur? Erpressung, vielleicht? Mir scheint, ja, Erpressung.«

Und er nahm die Lupe zur Hand. Tamburini entrüstete sich ehrlich.

»Es ist eine der heiligen Kirche durchaus würdige Angelegenheit, einer unglücklichen Verbannten ihr irdisches Gut zurückzugewinnen.«

»Um dafür belohnt zu werden.«

»Das ist nicht unmoralisch.«

»Ich sage ja nichts, lieber Sohn.«

· · ·

Die Cucuru fragte ebensowenig nach den Träumereien der Herzogin. Vinon mußte ihr Schreibgerät ordnen und über die nächtliche Zusammenkunft beim Wechslerbogen einen reinlichen Bericht aufsetzen für den dalmatinischen Gesandten.

»Stets auf französisch, meine Vinon. Es ist die Diplomatensprache.«

»Und, Maman, wenn wir nicht so gut französisch schrieben, dann würden sie vielleicht noch weniger dafür geben.«

»Noch weniger! Die Schufte! Eine saubere Regierung, die einer armen, alten Frau für ihre mühsame Arbeit solche Hungerlöhne zahlt. Ihr könntet sticken für Geschäfte und würdet noch ebensoviel verdienen.«

Man warf rasch eine Handarbeit über das angefangene Schriftstück; Lilian betrat das Zimmer.

»Gebt euch keine Mühe«, sagte sie. »Ich habe es vorausgewußt, ihr würdet euch heute wieder mit eurem schmutzigen Gelderwerb befassen.«

»Schmutziger Gelderwerb? Vinon, hat sie schmutziger Gelderwerb gesagt? Aber das Geldausgeben, wenn man keines auszugeben hat, das ist wohl sauberer, mein Töchterchen? Da seht mir einmal die hochmütige, weiße Jungfrau an! Diesen Winter hat sie vier Promenadenkostüme angeschafft und keines bezahlt!«

»Ich wohne in einem Stall, und ich würde, wenn es sein müßte, Käse essen und nichts weiter. Aber ich muß beim Korso in seidenen Kissen liegen und trage auf der Straße ein Kleid keinen Monat lang. Ich kann es nicht, ich bin eine Dame.«

»Sie ist eine Dame! Hörst du’s wohl, Vinon? Aber sorgt sie wohl dafür, daß ihr Schatz die Schneiderin bezahlt? Und wenn ihre Mutter ihr sagt, wir brauchen in der Familie einen zweiten Mann, für die Schneiderin und den Konditor, dann vergißt sie sich fast und läßt es an Ehrerbietung fehlen gegen ihre alte Mutter.«

»Jetzt kommt Raphael Kalender! O mein Gott, erfinde etwas neues. Es ist langweilig, auch die Schande wird langweilig.«

Lilian warf sich in ein Sofa; es ächzte schwach.

»Herr Raphael Kalender, was hat sie denn gegen ihn? Vinon, Töchterchen, kannst du dir denken, warum sie ihn nicht will? Herr Kalender ist ein Fremder aus Berlin, ein steinreicher Herr. Er ist hergekommen, um Geschäfte zu machen, weil die Römer dazu zu dumm sind. Jetzt gründet er ein riesiges Variété-Theater, ein anständiges, in das auch Familien gehen können. Darauf war hier noch niemand verfallen, Geld zu verdienen mit Anständigkeit. Welch kluger Mann!«

»Ein Jude mit einer Glatze, der mir bis an die Brust reicht. Ich werde ihn und den Priester sich abwechseln lassen und der eine wird mich absolvieren von den Sünden, die ich mit dem andern begehe.«

»Jetzt scherzt sie schon! Sie wird schon noch Vernunft annehmen!«

»O ja, Maman, sei unbesorgt, schließlich nehme ich doch immer Vernunft an. Du bewegst mich auch noch zu der allerschmutzigsten Sache. Du hast dafür ein so einfaches Geheimnis: du wiederholst sie mir hundertmal. Beim erstenmal halte ich sie für vollständig unmöglich, bin noch guter Dinge und lache. Beim fünfzigsten Male weine ich. Ich will in den Tiber laufen – vor Ekel. Und beim hundertsten tue ich, was du verlangst – vor Ekel.«

Vinon hatte vor sich hingekichert. Plötzlich sah sie auf, ihre Brauen, dunkler als das Haar, grenzten aneinander. Aufmerksam und trotzig betrachtete sie ihre Schwester. Sie sagte:

»Jawohl, Lilian, so bist du

Darauf machte sie sich wieder an ihre Schreibarbeit.

· · ·

Die Blà hätte wohl mit ihrer Freundin geträumt; doch beschäftigte ihr Geliebter jeden ihrer Augenblicke. Er war häufig übler Laune.

»Ich verliere, verliere, verliere. Das war nicht immer so.«

»Und warum ist es jetzt so, mein Orfeo?«

»Mir bringt jemand Unglück.«

»Wie kann sie denn noch, die arme Herzogin! Du faßt, sobald du sie siehst, an deine Hornbreloques und streckst zwei Finger gegen sie aus. Was soll sie dir also anhaben?«

»Nichts. Sie ist es gar nicht, es ist eine andere.«

»Wer denn, ich bitte dich.«

»Du selbst. Denn du liebst mich zu sehr, das bringt Unglück.«

»O Himmel!«

Sie war bestürzt bis zur Sprachlosigkeit. Also ihre Liebe kostete ihn Opfer! Wenigstens glaubte er es.

»Wie tief bin ich in seiner Schuld!«

Sie entäußerte sich ihres bescheidenen Schmucks. Als eine sicher erwartete Einnahme ausblieb, hatte sie einen Augenblick der Schwäche und der Auflehnung gegen alle ihre Mühsal. Piselli entnahm die Summe, deren er bedurfte, der herzoglichen Kasse.

»Sind wir denn Pedanten?« meinte er. »Du hättest das tun sollen, ehe du deine armen Kolliers drangabst. Versteht es sich etwa nicht von selbst, daß du von deiner Freundin stillschweigend ein Darlehen entnehmen darfst? Mußt du ihr davon erst sprechen? Dann ist es mit euerer Freundschaft nicht weit her.«

Sie hatte nicht nötig, der Herzogin davon zu sprechen. Denn schon Tags darauf war das Geld zurückerstattet; Piselli hatte gewonnen. Er gewann immer. Täglich griff er in die Schatulle, und täglich brachte er den dreifachen Betrag nach Hause. Er war stets überaus gnädig und großherrlich heiter. Sie zitterte vor der Zukunft und liebte sie. Es war eine Zeit des schönen Einklanges. Orfeo gab ihr prächtige Diamanten, wie sie nie welche besessen hatte. »Da hast du deine Juwelen zurück. Ich könnte es nicht ertragen, daß du meinetwegen etwas entbehrst.«

Sie verkaufte sie heimlich und bereicherte mit dem Erlös den dalmatinischen Agitationsfonds. Es war eine schwere Viertelstunde, als sie sich gestand, das sei eine Sühne.

»Du verlierst überhaupt nie mehr«, sagte sie. »Jetzt wirst du nicht wieder behaupten, meine Liebe bringe dir Unglück.«

»Sie würde es tun, wenn sie könnte. Aber etwas anderes wirkt dagegen«, erklärte er geheimnisvoll. »Und zwar viel stärker.«

»Was denn, mein Orfeo?«

Sie fragte leise. Es erregte sie süß und angstvoll, in die Tiefe seiner abenteuerlichen Seele hinabzublicken. Dort war alles voller Wunder.

Er ließ sich bitten. Endlich verriet er etwas:

»Wir sind ja keine Pedanten. Aber es ist nun einmal Tatsache, daß der Einsatz, womit ich spiele, nicht uns gehört. Und die Eigentümerin weiß nichts davon! Das ist von höchster Wichtigkeit, du magst mir glauben oder nicht. Ich habe in den Spielhäusern oftmals die Bekanntschaft von Leuten gemacht, denen ich zutraute – wenn ich’s nicht sogar wußte – daß sie mit fremden Gelde spielten. Du verstehst: Muttersöhne, die den Schreibtisch des Papas erbrachen, oder Bankiers, die das Depot eines Kunden wagten. Nun …«

Er stellte sich vornehm vor einen lackierten Paravent und erhob belehrend den Zeigefinger.

»Nun, diese gemeinen Schufte gewannen immer – ausnahmslos immer.«

Da bemerkte er, daß sie mit geschlossenen Augen dunkel errötete. Die Unehre stand vor ihr und sie hatte nicht den Mut, ihr ins Gesicht zu sehen. Piselli lachte herzlich und umarmte sie.

»Bin ich etwa ein diebischer Bankier? Kleine Närrin! So lange ich keinen Orden bekomme, darfst du ruhig sein.«

Sie wagte eine Bitte.

»Wenigstens solltest du sparen. Du bist so leichtsinnig, mein armer Geliebter.«

»Ich verdiene, nicht wahr? Wer verdient, hat auch das Recht, Ausgaben zu machen.«

Er saß auf dem Korso vor den reichen Caféhäusern, den linken Fuß auf den rechten Schenkel gestützt und den Torso leicht und fein darübergeneigt in der Haltung des Dornausziehers. Eine Schar eleganter Damen und Herren umringte ihn, und er bewirtete alle. Er war glücklich und versagte sich keine Laune. Zwei Schwestern aus England, die abenteuernd das Festland durchzogen und manchem Millionär zu teuer waren – Piselli gönnte sie sich. Nächsten Tages gab er seiner Freundin einen ausführlichen Bericht, zu Ungunsten der Inselbewohnerinnen.

»Man fällt auf ihre gelben Schöpfe hinein und auf ihre Länge, und weil sie englisch sprechen. Wie sind wir Männer dumm!«

So oft er sie warten ließ, benutzte sie es als Vorwand, um, bei ihrer Arbeit die Nacht zu durchwachen. Er kam in der Dämmerung, schwankend und aufschluckend, doch marmorschön. Sie legte ihn hin, bettete seinen Kopf in ihrem Schoße und behütete, zärtlich und weihevoll, den Schlaf eines Gottes. Das Lampenlicht ward gelb und erlosch. Die Sonne sprenkelte die beschriebenen Blätter, die den Tisch bedeckten. Die Blà berechnete, erschöpft und sorgenvoll, was sie für das Werk dieser langen, fiebernden Stunden bekommen werde. Piselli reckte sich, er sprang auf, gut ausgeruht. In seinen Taschen klimperte der Gewinn der Nacht, er rief fröhlich:

»Was für ein Frühlingstag! Heute habe ich wieder Glück!«

· · ·

Pavic genoß auf Pisellis Kosten manches gute Frühstück, aber er genoß es, in der Menge der Gäste versteckt, als namenloser Mitläufer. Auf die Frage nach dem dicken Herrn in abgetragenem Anzug und schwärzlichem Hemd erklärte Piselli, der Name sei ihm entfallen. Pavic war in seinen Schmerz vertieft, er merkte es nicht, wenn junge Gecken, die ihn gestreift hatten, sich mit dem Schnupftuch den Ärmel betupften, oder wenn ein feines Fräulein, dessen Vater den Rinnstein kehrte, ihm unter angewiderten Fratzen mit Maiglöckchensträußen vor dem Gesicht umherwedelte.

Eines Abends befand er sich in der Gesellschaft der Pariser Diva Blanche de Coquelicot. Raphael Kalender hatte sie für seine Bühne gewonnen; ihre Bewunderer gaben ihr ein Souper. Auf dem Absatz der flachen Treppe, die zum Speisesaal emporleitete, erhob sich ein Prachtstück von einem Spiegel, wundervoll geschliffen, in gemeißeltem Rahmen, den schwebende Putten umkränzten. Kerzenlicht und Farben glühten höher in diesem Spiegel, als in der Wirklichkeit. Er war wie ein Haus der Wonnen, das sich weit auftat, strahlend und lockend: man mußte hineinsehen. Jeder der vorbeikam, zögerte und unterdrückte ein Lächeln der Befriedigung; denn der Spiegel zeigte ihm nur das, was er an sich liebte.

Der Tribun näherte sich dem Spiegel zwischen zwei Klubleuten. Der eine bewunderte sich hauptsächlich wegen seiner Favoris und seiner schmalen Lackschuhe, der andere wegen seines neuen Fracks. Pavic erkannte dies mit einem plötzlich grell erleuchteten Blick.

»Warum bin ich denn zerknittert von Falten, als ob ich jede Nacht auf dem Sofa schliefe? Sind meine Stiefel heute gewichst? Wann war ich zum letzten Male beim Coiffeur?«

»Er kann sich nicht losreißen«, sagte hinter ihm eine Dame. Pavic merkte, daß er stehen geblieben war. Er zog seine Hose hinauf, doch sie rutschte gleich wieder; und er enteilte errötend.

Er aß verzweifelt und stumm. Gegen Ende des Festes benahm Blanche de Coquelicot sich gegen ihn ausgelassen. Sie behauptete, den inneren Rand seines Hutes bedecke eine Schicht Schweinefett. Sie versuchte sogar, ihn zu reinigen, indem sie Champagner daraufgoß.

Pavic war weit entfernt von den Gänsen, die ihn bewitzelten. Er dachte an seine Photographie, die ehemals in den Schaufenstern zu Zara aushing. Wer weiß, vielleicht hing sie noch dort. Die Frauen schwärmten noch immer vor dem Bildnis des edelgeformten Freiheitshelden. »Und ich sitze hier!« Plötzlich fiel ihm, mit leidenschaftlicher Deutlichkeit, ein perlgraues Beinkleid ein. Er war einmal mit ihm im Triumph spazieren gefahren, im Wagen der Herzogin von Assy.

Er ging erst, als die Rechnung bezahlt war und ihm kein Wein mehr gereicht wurde. Darauf besuchte er eine Weiberkneipe. Gegen Morgen erreichte er sein Zimmer, es lag im vierten Stockwerke eines von Handlungsreisenden benutzten Hôtel meublé. Er hielt sich für todmüde, aber als er an dem gelben Stück Glas vorbeikam, vor dem er sich zu kämmen pflegte, begann er unversehens vor Wut zu zittern. Er wandte sich drohend um nach einer unsichtbaren Person.

»So hast du mich aussehen gemacht! Ruchlose! Die Hölle erwartet dich, das glaube nur! Du Vornehme! Eine Herzogin gehört in die Hölle! Sie hat ja nie gelitten!«

»Du! Spielt man so mit Menschenleben?« schrie er, und sein Haß und seine Gier quollen auf in Tränen. Eine Sucht quälte ihn, nach der Herzogin und der perlgrauen Hose, beide auf immer verloren. Wären beide vor ihm gelegen, so wäre Pavic in ohnmächtigem Verlangen an ihnen zerflossen.

Er begab sich nicht zu Bette, er redete bis an den Morgen mit der Herzogin.

»Du bist nun vogelfrei, denn du bist zu böse! Dir darf man antun, was man will! Schlecht? Nein, schlecht ist nichts, wenn es zu deinem Schaden geschieht!«

Nachmittags traf er Piselli im Café Venezia. Er winkte ihn in die Ecke und überreichte ihm eine um ein halbes Jahr zurückdatierte Schuldverschreibung der Herzogin von Assy. Pisellis Haut verlor ihren Glanz, sie ward fahl.

»Dieser Mensch bringt mir Unglück«, dachte er. Er zahlte sofort aus seiner Tasche und begann dabei schon nachzusinnen, wie Pavic, falls er sein Stückchen wiederholte, zu beseitigen sei.

Doch hatte er von Pavic nichts mehr zu befürchten. Der Tribun ließ sich die Hose anfertigen, aber als sie über seinem Stuhl hing, verkroch er sich ins Bett. Ihn schauderte vor ihr und vor seiner Tat. Die Bettwärme erweichte endlich seine grausame Reue und er durfte weinen. Er schluchzte dermaßen, daß sein Bauch umherkollerte und das Tuch, das ihn bedeckte, Wellen schlug. Das Morgenrot fand Pavic auf den Steinfliesen im Gebet.

· · ·

San Bacco ging oft im Zimmer der Herzogin auf und nieder. Unter Fechterbewegungen und mit hoher Kommandostimme erklärte er:

»Diesen Tamburini liebe ich nicht, er ist ein Wolf. Und gar die Fürstin Cucuru und ihre Tochter – ha! Was für Wölfinnen.«

»Die armen Frauen!« meinte die Herzogin.

»Arm? O, ich glaube, daß es für jede weibliche Schande Verzeihung gibt, nur nicht für die Wölfinnen von Priestern.«

»Die Familie Cucuru ist also verdammt?«

»Ich glaube es. Dann die Contessa Blà, sie ist mir viel zu witzig. Der Doktor Pavic, ich weiß nicht, warum er ganz verblödet.«

»Der eine hat zu wenig Geist, der andere zu viel. Lieber Freund, Sie sind grämlich.«

San Bacco verstand seine Gefühle nicht zu deuten, doch wurde ihm im Verkehr mit allen diesen Leuten nicht wohl. Sie berührten ihn gerade so unheimlich, wie manche unter seinen Kollegen im Parlament: beträchtliche, weltkundige Herren, deren zahlreiche Ordensbänder als Fahnen aufgepflanzt waren auf einem Wall von Diebereien und Gesinnungslosigkeiten. Er konnte ihnen nichts davon nachweisen, und wenn der alte Garibaldiner, unterstützt von den geraden Draufgängern und den ahnungslosen Philosophen seiner Partei, einmal losbrach gegen die gewandten Regierungsfreunde, dann hatte er sie zum Schluß verleumdet, sich lächerlich gemacht und vom Präsidenten drei Rügen erhalten.

Gerade jetzt forderte er mit Ungestüm von Land und Volksvertretung, man solle den Bulgaren im Kampfe um ihre Unabhängigkeit zu Hilfe kommen, und zwar nicht bloß gegen ihre Unterdrücker, die Türken, sondern erst recht gegen die Russen, ihre Freunde, die schlimmer seien. Er ging in besonders kriegerischer Stimmung umher, zu höhnischen Reden aufgelegt und zu Revolte.

»Taten! Woher kommt nur die allgemeine Angst vor Taten? Ich verlange nicht, daß man sie tun soll – wie dürfte ich denn? Aber sie zuzugeben und mit anzusehen, auch dazu findet niemand den Mut: Herzogin, nicht einmal Sie! Hätten Sie sonst meinen Plan verworfen, als ich mit tausend Tapferen Ihr Land befreien wollte?«

Sie vertröstete ihn jedesmal.

»Ihre Stunde kommt, Marquis – vielleicht kommt sie. Vorläufig tragen meine Soldaten keine roten Hemden, sondern schwarze Soutanen. Aber ich bitte Sie, bleiben Sie der Meinige!«

»Ich könnte ja doch nicht anders, wenn ich auch wollte«, sagte er zum Schluß, besänftigt, schüchtern fast, und mit einem Handkuß.

Es geschahen Umwälzungen in San Bacco, die ihn tief erregten, ohne daß er wußte warum. Eines Morgens ward es ihm dennoch klar, und in einer der Wallungen, aus denen sich sein Leben zusammensetzte, schrieb er seiner Freundin einen Brief.

»Frau Herzogin! Ich habe die Ehre, Sie um Ihre Hand zu bitten.

Sie werden sagen, daß Sie darauf nicht vorbereitet waren. Ich kann nur erwidern, daß auch ich bis heute früh es nicht vorausgesehen habe.

Mir ist zu Mute, als kämpfte ich wie ehemals, auf einem der Riesenflüsse Südamerikas, als Pirat im Dienste der Republik von La Plata gegen den Kaiser von Brasilien. Mein Schiff fährt vor einer grünen Insel vorbei, es steht ein einsames Blockhaus darauf, und in den klaren Morgen hinaus tritt ein junges Weib. Ich lehne am Mast und erblicke sie. Ich lasse die Segel reffen und steige ans Land. Ich bitte das junge Weib in schwarzen Haaren, die meinige zu sein, und führe sie auf mein Schiff, und wir kämpfen fortan Seite an Seite. Die Erde, die ich erobere, gehört ihr.

So, Frau Herzogin, wie eine Unbekannte, und ohne mich zu besinnen, möchte ich Sie auf mein Schiff geleiten. Unsere Segel schwellen, wir dringen gemeinsam in das Reich der Freiheit ein, das Sie erträumen; unsere Degenspitzen uns voran.

Warum ich Ihnen meine Werbung nicht selbst überbringe? Ich schäme mich – und ich sage Ihnen warum. Ich lasse die Sache der Bulgaren im Stich, für die ich so viel geworben habe, und werfe mich ganz auf diejenige Dalmatiens. Sie ist mir wichtiger, weil sie Ihnen wichtiger ist. Und ich erwarte meinen Lohn nicht mehr, wie bisher noch stets, von der Göttin der Freiheit, sondern, Herzogin, von Ihnen.

Die Freiheitsgöttin hat mir mit Ehre gelohnt. Ich, der ich den Völkern so viel freie Erde gewonnen habe, bewohne mit fünfzig Jahren ein Gasthauszimmer. Kein Gärtchen ist mein, aber ich dachte noch nie daran.

Alle meine Taten tat ich ohne das Verlangen nach irdischem Gewinn. Für eine einzige und vielleicht letzte begehre ich nun auf einmal alles, und das Allerherrlichste: das Weib, das ein klarer Morgen vor meinen Blick auf eine Insel hingezaubert hat, und ohne das ich meine nicht mehr weiterfahren zu können. Ich bin selbstsüchtig geworden und gesunken; aber nun habe ich es Ihnen wenigstens gestanden: richten Sie nun.

Sagen Sie mir, ob ich bleiben darf und für Sie rüsten, zum Zuge in Ihr Land! Wenn nicht, dann breche ich unverzüglich, mit den Selbstlosesten meiner Landsleute, auf nach Bulgarien. Und gehöre trotzdem immer Ihnen. San Bacco.«

Sie antwortete:

»Mein lieber Marquis! Sie dürfen reisen und – der Meinige bleiben. Ihnen folgen, darf ich nicht. Wir sind uns zu ähnlich, merken Sie nicht, daß wir alle beide mutige Phantasten sind? Wie Sie sich meine Revolution denken, so habe ich sie ja schon zu machen versucht: sanguinisch, offen und mit Gewalt. Jetzt bescheide ich mich und lasse die Priester gewähren. Sie tun es, wie sie’s verstehen, nämlich unterirdisch, langsam und mit Mißtrauen nach allen Seiten. Das erste Mal mußte ich flüchten. Jetzt will ich aushalten; überreden Sie mich nicht zum Wankelmut. Wie meine Sache jetzt geführt wird, sieht sie viel weniger schön aus. Aber, nicht wahr, Marquis, unter uns kommt es auf Gesinnungen an; nicht auf Werke.

Sie gehören trotzdem immer mir: ich nehme Ihr Wort an, in tiefem Ernst. Wann immer ich Sie rufen mag – und ich weiß jetzt nicht einmal, wann und wozu ich einen Ritter und einen braven Mann nötig haben werde – dann werden Sie ohne Zögern kommen. Ich entlasse Sie nicht, ich beurlaube Sie nur nach Bulgarien. Sie dürfen reisen. Ihre Violante von Assy.«

Darauf reiste San Bacco.

Heinrich Mann - Gesammelte Werke

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