Читать книгу Sieben Stunden Licht - Heinrich-Stefan Noelke - Страница 7

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Sie saß mit Paul und Holdin an einem grob gehauenen Tisch und schaute neugierig herüber. Die Möbel waren aus massivem Birkenholz gefertigt, ebenso die Täfelung des gesamten Raumes. Hinten hingen zwei dunkle Fenster in der Wand. Rechts und links trennten mehrere Türen die Schlafkammern ab.

„Mein Vater“, sagte Paul frech grinsend zu der Frau mit den schwarzen Haaren. Sie erhob sich.

In der Mitte des Raumes stand ein Kanonenofen, um den herum an drei Seiten ein mannshohes Holzgestell gebaut war. Max roch das brennende Holz und hörte das Bullern des Ofens und sofort wurde ihm warm. An dem Gestell hingen Socken, Unterwäsche, Handschuhe, Mützen, Jacken und Hosen zum Trocknen. Handtücher. Die Filzeinsätze für die dicken Winterstiefel hatte man mit Wäscheklammern an Leinen aufgehängt. In den Geruch des Rauches mischte sich der sehr intime nach Schweiß. Drei Tische mit den zugehörigen Bänken umlagerten den Ofen.

Sie hatte grüne Augen und war ganz in Schwarz gekleidet. Strumpfhosen, die mehr verrieten, als sie verhüllten. An den Füßen warme Puschen, ein weiter Wollpullover mit V-Ausschnitt. Darunter trug sie einen weißen BH. Vollschlank. Auf der Gesichtshaut und am Halsansatz hatten Sonnenstudios erste Spuren hinterlassen. Unter der Bräune waren Sommersprossen zu erkennen. Sie roch nach Creme und ihr Gesicht glänzte leicht.

„Sarah“, sagte Holdin, „das ist Maximilian von Achnitz. Max, das ist Sarah Schmitt.“

Ihre ernsten Augen hatten ihn blitzschnell gemustert. Das fiel auf. Ihr Händedruck war so fest, wie sein eigener. Dann lächelte Sarah und Max fühlte sich geborgen. Er hätte ihr auf der Stelle das ganze Leben erzählt, wenn sie es nur verlangen würde. Paul war sitzen geblieben und schaute ihnen zu. Sein Parka trocknete auf dem Holzgestell.

Kurt kam die Treppe hoch und grüßte kaum. Seine Winterkleidung hatte er unten gelassen und trug stattdessen eine dunkelgrüne Hose mit Taschen an den Beinen. Er zog den Kopf zwischen die mageren Schultern, zwängte sich an Max’ Koffern und an Sarah vorbei, die sich kaum Mühe machte, ihm Platz zu lassen, nahm sich ein Buch, das auf dem Tisch lag und setzte sich in eine hintere Ecke des Raumes. Niemand stellte ihn vor.

Max und Holdin umarmten sich zur Begrüßung, wie Jungen es tun, denen etwas gut gelungen ist. Sie klopften sich auf die Schultern, während Sarah sich setzte.

„Komm“, sagte Holdin, „mach es dir bequem. Ich hole uns ein Bier.“

Max zog wie alle anderen die Schuhe aus und brachte die Taschen in eine der Kammern, die Paul ihm zeigte. Zwei Etagenbetten mit vier Schlafplätzen standen dort drin. Keine weiteren Möbel. Auf den Betten ausgebreitet lag die Ausrüstung, die Holdin gekauft hatte.

Max setzte sich zu den anderen. „Kurt dort ...“, sagte er und wies mit dem Kopf in die Ecke, „habe ich schon kennengelernt. Er hat mir das Leben gerettet. Mein Gott, ich bin fast erfroren! Ich wollte einen Blick hinter das Haus werfen. Der Wind hat mich umgeworfen. Dich, Sarah …“ er prostete ihr zu, „habe ich kurz oben am Fenster gesehen. Kurt hat mir aufgeholfen.“ Er nickte ihm in seiner Ecke zu und spürte eine deutliche Spannung im Raum. „Ich danke dir!“

Kurt brummte irgendetwas, vergrub sich tiefer in sein Buch und erschrak jäh. Unten ging die Tür auf und schlug wieder zu. Der Wind stieß einen Schwall kalter Luft nach oben. Grete kam die Stufen hochgestiegen und Kurt senkte den Blick. Sie trug eine der Styroporboxen aus dem Bulli. Max und Holdin sprangen auf, um ihr zu helfen. Neben der Treppe befand sich eine Kochnische.

„Danke“, sagte Grete. Sie schien ständig wütend zu sein und kümmerte sich nicht um ihre Gäste. Max setzte sich, während sie Lebensmittel aus der Box in Schränken verstaute. Links neben der Küche sah er zwei Türen mit den Aufschriften „Badezimmer“ und „Toilette“. Alles war in Deutsch beschriftet. Ein Wandregal hielt deutsche Bücher und Zeitschriften bereit.

Sarah beugte sich zu Max herüber, während Grete in der Küche lärmte. „Sie ist wütend, weil sie allein zurückbleiben muss“, flüsterte sie. „Es ist sehr einsam hier.“

„Sie könnte mitfahren“, schlug Max vor. Sarah zuckte mit den Schultern.

Der blonde Kurt legte jetzt das Buch auf den Tisch. Er trug dicke Ringe aus Silber an beiden kleinen Fingern. Die glatten Haare hingen ihm ins Gesicht. Seine hellen Augen lagen im Schatten tiefer Höhlen und um den Hals hatte er sich einen dunkelroten Seidenschal geschlungen. Er rieb sich die dünnen Hände und wirkte rastlos. Wie quer im Leben stehend.

Jetzt erhob er sich aus seiner Ecke und ging zur Küche.

„Schau!”, sagte Sarah mit Blick auf Kurt. „Pentti hat ihn gestern von der Abendmaschine abgeholt. Er spricht kaum und ist den ganzen Tag draußen.“

Grete schien ihn nicht zu bemerken. Kurt war vor der Kochnische stehen geblieben.

Dann drehte sie sich um. Sie tat das sehr langsam und wie mit dunkler Ahnung. Die stolze Wut verschwand, sie wurde bleich vor Schreck.

„Oh mein Gott!”, sagte sie und ließ ein Messer in die Spüle fallen.

„Hallo Grete“, sagte Kurt.

„Was willst du hier?“ Das Blut schoss ihr ins Gesicht zurück. Die anderen schauten in ihre Gläser und taten uninteressiert. Wohin hätten sie sich verkriechen sollen? Es gab nur diesen einen Raum, in dem jeder seine Wäsche an den Ofen hing.

„Reg dich nicht auf“, sagte Kurt. Er hob die leeren Hände, um zu zeigen, dass er nichts Böses wolle. „Ich will nur mit ihm reden, hörst du? Ich will helfen.“

Grete hielt sich an der Arbeitsplatte fest, wich dann tiefer in die Nische zurück. Schließlich fuhr sie fort, die Lebensmittel einzuräumen, so fasste sie sich. Kurt trat zu ihr und nahm das Messer aus der Spüle, um es in einem Block in Sicherheit zu bringen. Er steckte seine Hände in die Hosentaschen, ließ jedoch die beringten kleinen Finger außen aufliegen.

„Ich brauche keine Hilfe“, sagte Grete. „Es hat sich alles geregelt. Wir haben uns zusammengerauft. Du hast mir schon geholfen.“

„Ich kann mehr für dich tun“, sagte Kurt. „Ich will nur reden mit ihm.“

„Das ist nicht nötig, verdammt. Wirst du mit ihm auf Tour gehen?“

„Da kann er nicht weglaufen“, bestätigte Kurt.

„Aber ich will bei ihm bleiben.“

„Er hat dich geschlagen.“

„Das geht niemanden etwas an. Was fabulierst du da?“ Grete schien jetzt ihre Gäste zu bemerken, die gespannt lauschten. „Er ist gut zu mir! Es geht mir gut!“

„Man darf das nicht hinnehmen“, sagte Kurt.

„Aber ... er war doch betrunken.“

„Lass mich dir helfen“, sagte er. „Ich weiß, dass ihr den Laden aufgeben müsst. Torben hat es mir erzählt.“

„Du informierst dich?“ Grete schaute zum Tisch herüber. „Mein Gott“, rief sie, wischte sich die Hände trocken und floh dann die Treppe hinunter aus dem Haus.

„Wir waren mal verheiratet, Grete und ich“, sagte Kurt in das folgende Schweigen hinein, ohne sich zu setzen. Er zündete sich eine selbst gedrehte Zigarette an, die hinter seinem rechten Ohr gesteckt hatte.

„Wo kommst du her?“, wollte Max wissen.

„Schwarzwald“, sagte Kurt. „Kirchzarten im Breisgau. Grete und ich waren seit der Schulzeit zusammen.“

„Ich gehe auf ein Internat im Schwarzwald“, sagte Paul.

„In Kirchzarten kenne ich einen Oliver Risto“, sagte Max. „Er führt Skitouren und hat selbst Hunde. Er hat mich hierher vermittelt.“

„Das ist ein Freund von uns“, sagte Kurt und meinte damit Grete und sich selbst. „Er arbeitet mit Torben zusammen.“

„Könntest du draußen rauchen?“, bat Sarah.

Die beiden starrten sich einen Augenblick lang an, dann ließ Kurt nach und erhob sich vom Tisch.

„He!“, rief Sarah ihm hinterher. „Weiß Pentti, was da läuft?“

„Nein“, sagte Kurt und blieb stehen, ohne sich umzudrehen. „Er weiß es nicht.“

„Aber wir wissen es jetzt“, sagte Sarah mit ruhiger Stimme. „Und ich mag nicht dein Komplize sein.“ Damit schickte sie ihn zum Rauchen vor die Tür. Paul und Holdin lachten in ihre Gläser. Mächtige Sarah!, dachte Max.

„Wo kommst du her?“, wollte er wissen.

„Datteln“, sagte sie. „Ruhrgebiet. Ich betreibe Sprachschulen. Und ihr?“

„Emsland“, sagte Max. „Großbeesen.“

„Was macht ihr dort?“

Darauf wusste Max nicht zu antworten. Was tat er? Kaufmann, der kein Geld mehr hat. Geschäftsführer, der keine Geschäfte führt. Sohn, der dem alten Achnitz die Rente nicht zahlt und Vater des jungen Achnitz, dessen Erbe er verspielt.

„Max und ich“, sagte Holdin, „wir brennen Schnaps.“ Er war kleiner als Max. Er war auch schlanker und weniger grob gebaut. Er lief gern und war gut in Form.

Sarah lachte. „Getrunken wird immer.“

„Holdin“, sagte Paul so leise, dass Max ihn kaum hören konnte, „er sagt, ich soll vom Internat runter.“

„Das erkläre ich dir später“, erwiderte Holdin.

„Ich bin gekommen“, sagte Sarah und lachte kehlig, „weil ich zu dick werde. Zu viele Süßigkeiten den ganzen Tag. Das macht mir Sorgen. Damit muss ich aufhören.“

„Es steht dir gut“, sagte Max voll ehrlicher Bewunderung.

„Unsinn“, lachte sie. „Ich brauche Zuschauer beim Fasten, das ist alles. Man soll mich bewundern, wenn ich hungere.“

Damit ging sie zur Küche hinüber, um aus Gretes Vorräten das Abendessen zu kochen.

„Sie isst fast nichts“, sagte Holdin.

Max stand auf und betrachtete ein Thermometer am Fenster, das über ein Kabel die Außentemperatur maß. Es zeigte zwanzig Grad unter null an. Holdin kam zu ihm herüber und deutete auf das Thermometer.

„Du musst den Wind dazurechnen“, sagte er. „Pentti hat uns erklärt, dass der Windchill bei minus neunundfünfzig Grad liegt. Das ist zu kalt, um Morgen zu starten.“ Das Fenster schien ein paar Schattierungen dunkler zu werden.

„Pentti glaubt, dass der Wind sich legt. Wir sollen gleich die Hunde mit ihm füttern.“ Es war genau achtzehn Uhr.

Sieben Stunden Licht

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