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Dienstag, 11. September 2007, Langenhagen
ОглавлениеSibylle Häcking wollte den Brief gerade in Sörens Zimmer bringen, da fiel ihr Blick auf den Absender: Sabine Mahnke, Oskar-Wolff-Straße, 29664 Walsrode. Sie war wie elektrisiert. Mathias’ Schwester. Bisher hatte sich die frühere Schwägerin an die Absprache gehalten und keinerlei Kontaktversuche unternommen, um Sören in Ruhe, abgeschirmt von seinem leiblichen Vater und dessen Familie, aufwachsen zu lassen. Was veranlasste diese Frau, Sören jetzt plötzlich nach all den vielen Jahren zu schreiben? In dieser Situation!
Sibylle Häcking war unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Konnte sie Sören diesen Brief zumuten?
Boahh! Was war das für ein hässlicher Vogel, der ihn da im Spiegel angrinste: Adlernase, abstehende Ohren, rotblonde Haare und Pickelgesicht! Furchtbar! Sören hasste es, seine Aknesalbe aufzutragen. Schon das Kämmen war eine Qual. Denn das hieß unweigerlich, dass er sich im Spiegel betrachten musste. Und er hasste sein Spiegelbild, fand sich hässlich mit seiner stets geröteten Gesichtshaut, dem langen Hals und den wuchtigen Wangenknochen. Ekelhaft! Aber so hässlich wie in diesem Moment hatte er sich schon lange nicht mehr gefunden. Er schämte sich, mit diesem Monstergesicht weiter zur Schule gehen zu müssen, war sich hundertprozentig sicher, dass bald alle Welt in seinen widerlichen Gesichtszügen den Mörderbubi erkennen würde, der er ja auch in Wirklichkeit war.
Wenn ich meine dämliche Visage wenigstens hinter einem Bart verstecken könnte, ging es ihm durch den Kopf. Aber außer diesen paar Härchen am Ohr konnte von Bartwuchs noch keine Rede sein. Das Einzige, was in meinem Gesicht wächst, sind die Pickel.
Als er sich erneut im Spiegel betrachtete, stellte er mit Entsetzen fest, dass einer dieser Auswüchse zu allem Überfluss auch noch stark vereitert war und die linke Wange regelrecht entstellte. Kurzentschlossen suchte er sich seine spitze Nadel. Er stach auf den Pickel ein, dass der Eiter herausplatzte. Als er das gelbliche Zeug mit einem Papiertaschentuch abtupfte, stellte er fest, dass Blut aus der Wunde sickerte. »Scheiße. Das ist doch alles bloß noch zum Kotzen.«
Die Enthüllungen über seinen Vater hatten ihn schwer getroffen, er war seit jenem Sonntagabend nicht mehr derselbe, hatte sich am darauffolgenden Tag in seinem Zimmer eingeschlossen und die Schule geschwänzt.
Er machte seiner Mutter Vorhaltungen:
»Du hast mich in einem fort belogen, die ganze Zeit hast du mir nur Scheiße erzählt«, klagte er. »Was hast du dir eigentlich dabei gedacht? Hast du etwa gemeint, du könntest die Wahrheit bis in alle Ewigkeit vor mir verbergen, oder was?«
»Ich …, ich habe mir gedacht, dass du erst mal erwachsen werden musst, um damit fertig zu werden. Das war es wohl«, sagte seine Mutter. »Aber ich weiß, dass …«
»Dass was? Dass es nicht leicht ist, ein …« Er zog das Wort in die Länge. »Mörderkind zu sein, willst du sagen? Das meinst du doch, oder?«
»Sören, bitte.«
»Lass mich. Lass mich bloß in Ruhe, du Lügnerin.«
Und dann hatte er seine Mutter aus seinem Zimmer gedrängt und die Tür von innen abgeschlossen.
Seither hatte Sibylle Häcking praktisch kein Wort mehr mit ihrem Sohn gesprochen. Sie fürchtete, dass er sich etwas antun könnte in seinem Zimmer; immer wieder an die Tür geklopft hatte sie, gebettelt: »Lass uns reden, Sören, bitte, bitte lass uns reden, ich kann doch auch nichts dafür.« Doch er antwortete nicht, hatte irgendwann nur die Anlage eingeschaltet und seine harten, lauten Rap-Gesänge laufen lassen. Immerhin ein Lebenszeichen.
Auch mit seinem Stiefvater sprach er nicht. Das Verhältnis der beiden war nie gut gewesen. Schon als Kind hatte Sören das Gefühl gehabt, dass Gerd, so nannte er seinen Stiefvater, ihn ablehnte. Ein Gefühl, dass noch stärker wurde, als Tobias zur Welt gekommen war, Sörens kleiner Bruder Tobi. Nein, es war kein Wunder, dass er sich jetzt weigerte, mit Gerd zu sprechen.
Als stundenlang nur diese Musik in seinem Zimmer zu hören war, drohte seine Mutter, die Polizei zu rufen, falls er nicht endlich antworte. Das wirkte schließlich. »Lass mich in Ruhe!«, rief Sören. »Hör endlich auf mit der dämlichen Nerverei, verdammt noch mal.«
Seine Mutter atmete auf. »Ich will dich ja in Ruhe lassen«, sagte sie. »Aber du musst mir versprechen, dass du keine Dummheiten machst. Versprichst du mir das? Bitte, Sören! Ich hab doch solche Angst.«
»Lass mich!«
Dann war Gerd gekommen, der als Anästhesist in der Medizinischen Hochschule Hannover tätig war und mal wieder einen anstrengenden Nachtdienst hinter sich hatte. Der etwas untersetzte Mann in den abgewetzten Jeans legte fürsorglich den Arm um sie und führte sie ins Wohnzimmer wie eine Patientin, der er eine schlimme Nachricht zu übermitteln hatte.
»Hat doch keinen Sinn, dass du hier die ganze Nacht vor seiner Tür rumstehst«, sagte er. »Vielleicht muss er wirklich erst mal zur Ruhe kommen. Morgen rufen wir den sozialpsychiatrischen Dienst an, vielleicht können die ja helfen. Aber du musst auch an dich denken – und an Tobi. Der macht sich bestimmt auch Sorgen.«
Sibylle Häcking verstand die Bemerkung als Befehl. Leise öffnete sie die Zimmertür ihres Jüngsten. Als sie sah, dass Tobias sie mit großen Augen anstarrte, beschloss sie, ihm eine Erklärung für die verworrene Situation zu geben. Es musste einfach sein. Sie teilte dem Jungen mit, dass Sörens Vater aus Amerika zurückgekehrt sei und schon bald wieder fortwolle … Eine neue Lüge. Aber was hätte sie sonst sagen sollen? Etwa die Wahrheit? Zum Glück war Tobias zu müde und verwirrt, um Fragen zu stellen.
Sibylle Häcking machte kein Auge zu in dieser Nacht, stand immer wieder vor Sörens Tür, horchte darauf, dass sein Bett knarrte, dass Schlafgeräusche herausdrangen. Irgendwas.
Sören blieb der Schule nur einen Tag fern. Am Dienstag stand er plötzlich auf, aß, ohne ein Wort zu sagen, zwei Toast, packte Apfel, Banane und Müsliriegel ein und huschte schweigend aus dem Haus.
Wie ihr Mann ihr geraten hatte, rief Sibylle Häcking gleich am Montagmorgen bei der Beratungsstelle an. Dort empfahl man ihr einen Psychologen. Doch Sören weigerte sich, mit einem »Seelendoktor« zu reden, und so legte sie den Plan zunächst auf Eis.
Sie kam auf die Idee, bei dem empfohlenen Psychologen anzurufen, um sich wegen des Briefs den Rat eines Profis zu holen. Erleichtert, endlich eine Entscheidung getroffen zu haben, wählte sie die Nummer. Nach beharrlichem Drängen bekam sie die erhoffte Empfehlung: »Ich denke, es hat jetzt keinen Sinn mehr, die Wirklichkeit länger von Sören fernzuhalten«, sagte der freundliche Mann am anderen Ende der Leitung. »Sören sollte die Gelegenheit erhalten, sich Stück für Stück an seinen Vater heranzuarbeiten. Es ist besser, dass er seinen Vater kennenlernt, als wenn er weiter mit einem Phantomvater leben muss – und dem Gefühl, ein Mörderkind zu sein.«
Damit war die Sache für Sibylle Häcking klar. Schweren Herzens legte sie den Brief auf Sörens Schreibtisch.
Bis kurz nach drei hatte Sören Unterricht. »Also dann bis heute Abend«, rief ihm sein Mitschüler und Fußballkumpel Simon zu, als er auf sein Fahrrad zustrebte. »Du kommst doch heut zum Training, oder?«
»Eher nicht. Geht mir noch nicht so gut.«
Er spürte, dass Simon ihm argwöhnisch nachblickte. Die Erklärung mit der Magen-Darm-Verstimmung war offenbar nicht besonders überzeugend. Doch schon gleich, als er aufs Rad stieg, krampfte sich sein Magen tatsächlich zusammen und dieses Gefühl der Ausweglosigkeit kam wieder über ihn. Wie sollte es weitergehen? Wie sollte er mit dem Kerl umgehen, der plötzlich als sein Vater in sein Leben getreten war? Wie würde man ihn anstarren, wenn sich erst herumgesprochen hatte, dass er der Sohn eines Verbrechers, eines Mörders war? Wie sollte er sich gegenüber seiner Mutter verhalten?
Je näher er seinem Elternhaus kam, desto unüberwindlicher erschienen ihm die Probleme. In der Schule war alles noch leichter gewesen. Da war einigermaßen klar, was er zu tun hatte, da wurden ihm keine großen Entscheidungen abverlangt. Aber zu Hause: Alles Scheiße!
»Möchtest du noch was essen?«, fragte seine Mutter, als er zur Tür hereinkam.
»Hab ich schon.«
»Ich, äh, hab dir einen Brief auf deinen Schreibtisch gelegt. Wenn du willst, können wir gern darüber reden.«
Er spürte die Unsicherheit, die sich in der brüchigen Stimme ausdrückte, fragte sich, was es wohl mit dem Brief auf sich hatte, sah aber keinen Grund, auf den Vorschlag einzugehen.
Schweigend ging er in sein Zimmer und schloss die Tür hinter sich zu. Dann sah er auch schon den Brief. Er riss ihn auf und las:
»Lieber Sören,
ich kann mir vorstellen, dass zurzeit viel auf Dich einstürmt, das Dir Sorgen macht und Dein bisheriges Leben durcheinanderwirbelt. Ich hoffe, dass ich Deine Lage mit meinem Brief nicht noch komplizierter mache, sondern Dir helfen kann. Aber bevor ich zu den Einzelheiten komme, will ich mich erst einmal kurz vorstellen. Denn wir haben uns ja bisher noch gar nicht kennengelernt.
Also, ich bin Sabine, die Schwester Deines Vaters, und ich lebe immer noch in Walsrode. Gern hätte ich Dich einmal eingeladen oder in Langenhagen besucht, aber Deine Mutter wollte nicht, dass Du mit der Familie Deines Papas zu tun hast. Ich habe das bedauert, aber schließlich akzeptiert. Natürlich habe ich Verständnis für Deine Mutter. Es muss furchtbar für sie gewesen sein – wie für uns alle.
Aber ich glaube, dass sich Deine Mutter in einem entscheidenden Punkt irrt, und dies ist der eigentliche Grund, warum ich Dir schreibe: Aus meiner Sicht ist Dein Vater damals zu Unrecht verurteilt worden. Ich glaube ihm, wenn er sagt, dass er Annika nicht getötet hat. Und es gibt manche Ungereimtheiten in diesem Fall, die seine Sicht der Dinge stützen.
Es ist natürlich unmöglich, Dir in einem Brief all die Dinge zu schildern, die so lange zurückliegen. Zu Deinem Verständnis aber in aller Kürze die damalige Situation: Dein Vater, der mit mir zusammen in Walsrode aufgewachsen ist, war seit fünf Jahren am Gymnasium Walsrode Lehrer für Deutsch und Politik – ein sehr beliebter Lehrer, was auch nach diesem, entschuldige das blasse Wort, ›Fall‹, von niemandem bestritten wurde. Vielleicht war er bei manchen Schülerinnen allzu beliebt und wahrscheinlich ist ihm das letztlich sogar zum Verhängnis geworden. Denn fest steht, dass Dein Vater mit Annika ein ›Verhältnis‹ hatte, wie man so sagt. Das hat er auch nie bestritten. Er hat es von vornherein bereut und alle Schuld auf sich genommen. Dabei hat eine Mitschülerin Annikas vor Gericht ausgesagt, dass auch Annika nicht ganz unschuldig war. Sie hat für Deinen Vater geschwärmt, wie man nur für einen Lehrer schwärmen kann, sie hat ihm schöne Augen gemacht und ihn vielleicht sogar verführt. Trotzdem hat Dein Vater nie den Versuch unternommen, die Schuld auf Annika abzuwälzen. ›Ich habe mich total vergessen, total versagt, das hätte ich nie tun dürfen‹, hat er mir immer wieder gesagt. ›Ich verstehe, dass ich damit auch Sibylle etwas Schlimmes angetan habe und dass es ihr schwerfällt, mir zu verzeihen. Ich akzeptiere es, dass ich dafür büßen muss, aber ich kann es nicht akzeptieren, dass mir ein Mord angehängt wird.‹
Dein Vater hat lange gebraucht, um wieder an sich zu glauben. Als er nach Annikas Tod als Mörder dastand und Deine Mutter sich von ihm getrennt hat, war er so geschockt, so am Boden zerstört, dass er keine Kraft mehr hatte, sich zu verteidigen. Aber irgendwann während seiner Zeit im Gefängnis ist sein Lebensmut zurückgekehrt. Und er hat auch an Dich gedacht. ›Sören soll später nicht mit dem Gefühl leben, dass sein Vater ein Mörder ist‹, hat er mir gesagt. ›Von dieser Schande muss ich ihn befreien.‹
Aber er wollte mit seiner Rehabilitierung warten, bis er aus dem Gefängnis entlassen war. ›Ich will nicht, dass andere in der Sache rumstochern, während ich hier in meiner Zelle eingesperrt bin‹, hat er gesagt. Außerdem, und das war vielleicht noch entscheidender, wollte er vermeiden, dass Du wie aus heiterem Himmel in diesen Strudel hineingerätst.
Ja, Sören, Dein Vater hatte immer großes Interesse an Dir. Ich habe ihn über Deine Entwicklung auf dem Laufenden gehalten, er war unglaublich stolz auf Dich, und es ist ihm wahnsinnig schwergefallen, Dir das niemals schreiben oder gar sagen zu können. Darum war es ihm so wichtig, gleich nach der Entlassung behutsam mit Dir in Kontakt zu treten. Wohlbemerkt: behutsam. Dass es jetzt zu diesem Eklat gekommen ist, bedauert er zutiefst.
Aber ich komme von meinem eigentlichen Thema ab. Also, es sieht so aus, als ob Annika Deinen Vater erpresst hat, um bessere Noten zu bekommen. Deshalb hat sie ihn damals wahrscheinlich auch zum Grundlosen See bestellt. Der Zettel mit ihrer Handschrift lag der Polizei vor. Leider ist der Zettel verloren gegangen, auf dem Dein Vater Annika mitgeteilt hat, dass er erst eine Stunde später zu diesem Moorsee kommen kann. Vielleicht hat Annika ihn auch nie erhalten. Er hat ihr den Brief, wie er sagt, in der Schule in die Jackentasche gesteckt. Heimlich. Vielleicht hat das jemand beobachtet und ihn sich herausgefischt. Vielleicht derselbe, der Annika später umgebracht hat.
Auf jeden Fall gab es am Grundlosen See nicht nur die Fußabdrücke von Annika und Deinem Vater. Aber nachdem sie Deinen Vater als anonymen Anrufer identifiziert hatten und die Affäre ans Licht gekommen war, da haben sie sich gar keine Mühe mehr gemacht, andere Spuren zu verfolgen. Dabei gab es im Umkreis von Annika schon manchen, der verdächtig war. Aber weil Dein Vater so schnell resigniert hat, haben sie den Aktendeckel einfach zugeklappt.
Für die Polizei besteht angeblich immer noch kein Grund, die Angelegenheit wieder aufzurollen, und für ein Wiederaufnahmeverfahren ist die Beweislage noch zu dünn. Gemeinsam mit Deinem Vater habe ich aber eine befreundete Journalistin gewonnen, die großes Interesse an dem Fall hat und mit unserer Hilfe recherchieren will. Auch sie meint, dass es da zahlreiche Ungereimtheiten gibt und schlampig ermittelt wurde. Und ich bin sehr zuversichtlich, dass wir das bald auch beweisen können – und herausfinden, was am 18. Mai 1990 am Grundlosen See wirklich geschehen ist.
Wahrscheinlich schwirrt Dir längst der Kopf von den vielen Fragezeichen. Viel schöner wäre es, wenn wir mal ausführlich darüber sprechen könnten und Du auch Gelegenheit zum Nachfragen hättest. Ich würde mich freuen, wenn Du mich in Walsrode besuchen würdest. Sprich doch bitte mit Deiner Mutter darüber. Jetzt, wo Du sowieso schon in diese Sache hineingeraten bist, müsste sie doch auch an einer Aufklärung interessiert sein. Selbstverständlich würde sich auch Dein Vater freuen, Dich bald einmal wiederzusehen.
Ich soll Dir übrigens von ihm herzliche Grüße bestellen.
Auch von mir alles erdenklich Gute.
Deine Tante Sabine.«
Sibille Häcking füllte gerade Auberginen und gekochte Kartoffelscheiben in ihre Auflaufform, als Sören aus seinem Zimmer kam und auf das schnurlose Telefon im Flur zusteuerte. Sie ließ alles stehen und liegen und schnitt ihm den Weg ab.
»Was schreibt sie denn?« Die Frage klang ängstlich.
»Einiges.« Sören nahm das Telefon aus dem Akkuständer.
»Geht’s vielleicht ein bisschen genauer?«
»Wozu?«
»Wozu? Also bitte, Sören! Ich, ich will dir doch nur helfen. Ich kann mir schon vorstellen, wie dich das alles aufwühlt. Das ist zu viel für einen allein. Glaub mir, ich meine es …«
»Lass mich.«
»Bitte, Sören, ich mache mir Sorgen um dich.«
Doch Sören ging schweigend an ihr vorbei, das Telefon in der Hand wie eine Waffe.
»Was hast du denn jetzt vor?«
»Ich ruf Sabine an, Tante Sabine.«
»Wie? Aber warum das denn? Was, äh, was willst du denn von der?«
»Das ist zwar eigentlich meine Sache, aber wenn du schon so direkt fragst: Ich will sie besuchen, mit ihr sprechen.«
Seine Mutter schüttelte irritiert den Kopf. »Sören, bitte, pass auf. Lass dich da nicht reinziehen.«
Sören atmete tief durch. »Mama, falls du es noch nicht kapiert hast: Ich bin schon mittendrin. Und es bringt gar nichts, wenn du weiter so tust, als wenn mein Vater gestorben wäre.«
Sibylle Häcking starrte eine kleine Ewigkeit lang wie benommen auf ihre Knie, bevor sie erneut ihre Frage stellte: »Was hat Sabine denn geschrieben?«
»Sie schreibt, dass mein …«
In diesem Moment kam Tobias zur Tür herein. »Hallo, Sören.«
»Hallo, Tobi.« Mit diesen Worten verschwand Sören in seinem Zimmer.
Sofort wählte er die Nummer seiner Tante in Walsrode. Er hatte Glück. Schon nach dem zweiten Klingelzeichen nahm sie ab. Sie sprach mit ihrem Neffen, als würde sie ihn schon lange kennen, und selbstverständlich hatte sie keine Einwände, als er sie fragte, ob er am nächsten Tag gegen vier bei ihr vorbeikommen könne. Er hatte sich die Zugverbindung schon aus dem Internet gesucht.