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5. Der Durchbruch

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Tage später, längst hatte der Hilfskreuzer „Chamäleon“ seinen Geleitschutz entlassen und nachdem problemlos durch Skagerrak und Kattegat in die Nordsee eingelaufen wurde, befand sich der Hilfskreuzer nunmehr auf Durchbruchkurs in den Atlantik. Der eingeschiffte Bordmeteorologe hatte Sturm und Regen, evtl. auch Hagel und Schnee für die nächsten Tage vorausgesagt. Ideales Durchbruchwetter. Vertrauend auf die Voraussagen des Meteorologen ging „Chamäleon“ auf Durchbruchkurs. Der Kommandant befahl nordwestlichen Kurs und später westlichen Kurs Richtung Grönland, um den Durchbruch in der folgenden Nacht zu versuchen. Fast auf die Stunde genau, wie vom hervorragenden Bordmeteorologen, Dr. Steinhusen, vorausgesagt, begann es in den Nachmittagsstunden aus Nordwest zu wehen. Mit Hagel durchsetzter Schneeregen prasselte aus grauen, sehr tief hängenden Wolken, auf die See herab. In den frühen Abendstunden brauste der Sturm über Deck des Schiffes. Schwer arbeitete „Chamäleon“ in der See. Der Kommandant stand in der rechten Steuerbordbrückennock, das schwere Marineglas vor der Brust hängend, und grinste den neben ihm stehenden IO an. „Na, Terra, unser Laubfrosch (Spitzname für den Bordmeteorologen) behält wohl Recht.”

„Jawohl, Herr Kaptän, hoffen wir das Beste“, versetzte der Freund und rechte Hand an Bord. Selbstverständlich wurde auch unter Freunden, die Kommandant und IO seit Jahren waren, an Bord, zumindest in Gegenwart Untergebener, die Disziplin durch förmliche Anrede gewahrt.

Der Sturm nahm zu und in der kochenden und brodelnden See rollte und stampfte das Schiff schwer. Es braute sich ein Polarorkan zusammen. Unter Deck im vorderen Mannschaftslogis meinte ein von der Handelsschifffahrt zur grauen Dampferkompanie, wie die Kriegsmarine im Jargon genannt wurde, eingezogener Seemann zu seinen Kameraden: „Ihr werdet Euch noch wundern, Jungs, ich als alter Kap-Horn Fahrer kann dazu nur sagen, dass dieses gegen die brüllenden Vierziger noch gar nichts ist. Aber die wird von Euch in diesem Kriege wohl kaum jemand zu sehen bekommen.“

Ein junger Matrosengefreiter entgegnete, „weiß man’s? Vielleicht doch.“ Ein Dritter mischte sich in das Gespräch ein, „Reiz mich doch nicht zum Lachen, du Süßwasserseemann. Mit diesem Dampfer in den Südatlantik, in Englands ureigenes Meer? Das kann ich mir beim Teufel nicht vorstellen.“ Ähnlich sprachen sich die meisten der Besatzungsmitglieder aus, die eigentlich alle zu diesem Zeitpunkt davon ausgingen, dass die Reise allenfalls in den Nordatlantik ging.

Der Hilfskreuzer lief weiter mit Marschfahrt von 10 Meilen durch die hochgehende Quersee. Immer wieder überspülten gewaltige Wogen das geräumige Oberdeck, dessen Betreten nur angeseilt, das heißt mit einem Palstek um den Bauch, gestattet war.

Das Unwetter hatte seinen Höhepunkt noch nicht erreicht. In Anbetracht der gewaltigen Elemente, die immer stärker wüteten, gab der Kommandant seine Absicht, das Nord-Kap vor Island schon gegen Morgen zu runden, auf. Die derzeitige Marschfahrt von 10 Meilen konnte nicht beibehalten werden und so gab Waldau Anweisung, auf Umdrehungen für 7 Meilen zurückzugehen. Die Sicht wurde immer schlechter und auch nach dem Hellwerden würde die Sicht nur wenige 100 Meter betragen. Ideales Durchbruchwetter. Gegen 2.00 Uhr morgens war aus dem Sturm ein wilder alles verschlingender Orkan geworden, der langsam auf Nordost zu drehen begann. Alles an Bord war gezurrt. Die Besatzungsmitglieder, denen noch keine Seebeine gewachsen waren, erhielten nun einen Vorgeschmack auf das, was noch kommen sollte. Die ersten Verletzten, meistens Platzwunden durch Stürze – auch ein Unterschenkelbruch –, wurden im Bordlazarett versorgt. Freistehend vermochte sich niemand mehr an Deck zu halten. Das ganze Schiff war mit einer glatten Eisschicht überzogen.

Immer wieder wälzten sich schwere, schräg von vorn anlaufende Brecher über Bord.

Gegen Vormittag des folgenden Tages steuerte „Chamäleon“ auf die Enge der Dänemark-Straße zu. In den Sommermonaten ist die Dänemark-Straße zwar eisfrei und in dieser Zeit auch ca. 300 Kilometer breit, in dieser Zeit der Stürme allerdings sind Wellenhöhen von bis zu 15 Metern nicht selten. Hinzu kommt, dass der natürliche Stau in der engen Dänemark-Straße, die sich auf Land zu wälzenden Wassermassen aufstaut, wodurch – wie auch jetzt zum Durchbruch der „Chamäleon“ Kreuzseen mit wirr durcheinanderlaufenden systemlosen Wellen erzeugt wurden, in denen das mehr als seetüchtige zum Kriegsschiff umgebaute Frachtschiff wie ein Spielball in den Wellen hin und her geworfen wurde. Das Schiff arbeitete einfach fürchterlich, torkelte hin und her, wie ein weit unterlegener Boxer unter den Hieben eines Schwergewichtsmeisters wie Max Schmeling. Die Besatzung wurde über Gebühr beansprucht. Dieses galt selbstverständlich auch für die Schiffsführung, die, ob Kommandant oder erster Offizier, keine Minute die Brücke verließ. Die Freiwache verkeilte sich mit Knien, Füßen und Ellenbogen in den Kojen bzw. Hängematten, wobei nur altgediente Seeleute auch noch etwas Schlaf fanden.

Angestrengt spähten Ausgucks und Offiziere auf der Brücke durch die schweren Marinegläser in die Dunkelheit. Besorgt schaute der Kommandant auf das Wüten der Elemente. Mit leichtem Grinsen sah er den 2. Offizier an und meinte aufmunternd, „ Na, Semmler, noch nicht ganz seefest?“

„Nein, Herr Kaptän“, versetzte der II.O, dessen Gesicht mit leicht grünlicher Farbe überzogen war, „wer dieses Wetter erlebt, kann sich über den Feind nur noch freuen.“ Der Kommandant grinste, „na, na, mein Lieber, seien Sie froh, dass Sie dieses Wetter nicht auf einem Kreuzer abreiten müssen.“ „Nein, Herr Kaptän“, entgegnete der II O, dem man ansah, wie schlecht es ihm ging, mit Galgenhumor, „aber auf einem getauchten U-Boot auf 40 bis 50 Meter Wassertiefe, wäre mir bestimmt wohler.“ Der Kommandant freute sich, die Stimmung an Bord war nach wie vor gut und das schlechte Wetter geradezu ein Himmelsgeschenk, bestand schließlich kaum Gefahr, von einem der Überwachungskreuzer des Feindes gesichtet zu werden.

Ständig drehte sich die Haube des Dete-Gerätes im Vormars, Der Kommandant ließ bis zur äußersten Sicherheitsgrenze auf den Eisrand zudrehen und das Schiff setzte seinen Durchbruchkurs fort. Gegen Mittag hatte die Sicht noch weiter abgenommen, der Orkan schwächte sich aber ab. Das Schiff lag jetzt bei genau achterlichem Wind etwas ruhiger in der See. Im Schiffsinneren wurde aufgeklart und Ordnung geschafft.

In den Nachmittagsstunden war die See jetzt unwirklich langgestreckt. Der Intervall zwischen Wellental und Wellenberg betrug über 200 Meter. Die schweren, das Schiff überflutenden Brecher, hatten abgenommen, dennoch bestand weiter Lebensgefahr die mit einer spiegelglatten tückischen Eisschicht überzogenen Decks zu betreten.

Unablässig arbeitete das Echolot, um die Wassertiefen zu kontrollieren. Der Navigationsoffizier verglich die angezeigten Tiefen mit den in den Seekarten eingetragenen Angaben. Nach wie vor war es unmöglich eine warme Mahlzeit in der Kombüse zu bereiten. Der Kommandant wanderte ruhelos in seiner Brückennock auf und ab und befahl schließlich: „Smutje auf die Brücke!“ Kurz darauf erschien der für das leibliche Wohl der Besatzung wichtigste Mann, der Kochobermaat Sven Pagelsdorf und baute sein Männchen. „Mein lieber Pagelsdorf“, versetzte der Kommandant, „ich habe volles Verständnis für Ihre Probleme, aber ich erwarte einfach, dass die Männer etwas warmes in den Magen bekommen. Das haben wir alle verdient.“

„Jawohl, Herr Kaptän“, versetzte Kochobermaat Pagelsdorf, „eventuell ließe sich ja eine heiße Erbsensuppe, natürlich nur aus Dosen, mit Wursteinlage, bereiten.“

„Gut, mein Lieber“, zeigte sich der Kommandant befriedigt, „dann mal los, ich verlasse mich auf Sie.“ Mit einem Grinsen und den Worten: „Mir knurrt nämlich auch der Magen“ verabschiedete der Kommandant den von ihm sehr geschätzten Küchenmeister.

Und tatsächlich, 2 Stunden später, war es Wirklichkeit geworden und alle Mann an Bord löffelten mit Behagen die hervorragend bereitete kräftige Eintopfmahlzeit.

Gegen Abend betrug die Sicht knapp 200 Meter. Die engste Stelle der Dänemark-Straße war bereits passiert, als das Dete-Gerät aus 5.000 Meter Steuerbord querab ein Ziel ortete. Der Hilfskreuzer wich aus, vergrößerte damit den Abstand und bald wanderte das Ziel aus. Wahrscheinlich ein britischer Kontrollkreuzer, der zur Bewachungskette des Gegners für die Dänemark-Straße gehörte. Glücklicherweise verfügte der Gegner noch über kein gleichartiges Funkmessgerät, so dass eine Meldung, die die ganze englische Flotte alarmiert hätte, nicht zu befürchten war.

„Ein Glück, Herr Kaptän“, versetzte der IO, Graf Terra, der ebenso wie der Kommandant seit mehr als 24 Stunden auf den Beinen war, „dass der Gegner nicht über unsere technischen Möglichkeiten verfügt.“

Getarnt als norwegischer Frachter Olav V stand der Hilfskreuzer „Chamäleon“, Schiff 66 der deutschen Kriegsmarine, gegen 6.00 Uhr am Morgen des darauffolgenden Tages bereits hinter der engsten Stelle der Dänemark-Straße mit Marschfahrt von 15 Seemeilen. Man sah an Bord den Durchbruch schon fast als erfolgreich abgeschlossen. Der Kommandant, Korvettenkapitän Waldau, hatte sich im an die Brücke angrenzenden Kartenraum in voller Montur zur Ruhe begeben.

„Meldung von Dete-Gerät“, meldete der Befehlsübermittler, Matrosengefreiter Müller II. Der wachhabende IO, Graf Terra, zuckte zusammen und griff den ihm entgegengereichten Hörer der Bordsprechanlage. „IO, was liegt an?“

„Dete-Gerät fasst Ziel rechtweisend 30 °, Entfernung 55 hm (Hektometer) auf“, folgte sofort die Meldung des wachhabenden Funkmess-Gasten.

„Verstanden, Schiff dreht Backbord zwanzig, alle Veränderungen sofort melden!“, Terra legte auf und wies den Rudergänger an, 20 ° nach Backbord abzudrehen. „Backbord 20 liegt an, Herr Kaleu“! Die Bestätigung erfolgte postwendend. „BÜ, Kommandant wecken!“, befahl der IO. Knapp zwei Minuten später war der Kommandant auf der Brücke.

„Dete-Gerät hat Ziel an Steuerbord, Entfernung 5500 aufgefasst, Herr Kaptän. Ich habe 20 ° nach Backbord abdrehen lassen“, meldete der IO seinem Freund und Kommandanten.

„Danke, Terra“, versetzte dieser. In diesem Moment schrillte erneut das Bordtelefon. Der Kommandant nahm selbst ab.

„Zweites großes Ziel Backbord 30 °, Entfernung 60 hm“, meldete der diensthabende Funkmess-Gast.

„Verstanden.“ Der Kommandant legte auf und befahl, „klar Schiff zum Gefecht!“ Sekunden später gellten die Alarmglocken durch das Schiff und ein jeder Mann an Bord hastete auf seine Gefechtsstation.

„Vermutlich britischer Kontrollkreuzer“, versetzte der Kommandant, Ausgucks verdoppeln!“ Nach wie vor umfing glücklicherweise fast absolute Dunkelheit das Schiff. Lediglich das Kielwasser sowie der Schnauzbart am Bug des Schiffes leuchteten silbern auf. Waldau überlegte fieberhaft, was zu tun sei? Sollte er die Geschwindigkeit erhöhen und versuchen, zwischen beiden Zielen durchzustoßen, trotz der Gefahr, dass das dann heller aufwirbelnde Kielwasser evtl. bei noch weiterer Annäherung der Gegner zum Verräter werden würde oder sollte er die Fahrt aus dem Schiff nehmen in der Hoffnung, dass der Gegner an ihm vorbeistoßen möge? Das erneute Summen des Bordtelefons unterbrach seine Überlegungen. „Ziel an Steuerbord wandert aus“, kam die Meldung vom Dete-Gerät. „Ziel an Backbord aufkommend, Entfernung jetzt 4000.“

„Steuerbord 20, Maschinen Umdrehen 14 Meilen! Feuererlaubnis nur auf mein ausdrückliches Kommando!“, kamen die nächsten Befehle der Kommandanten. Alle Ausgucks einschließlich der Offiziere auf der Brücke starrten angestrengt durch die schweren Marinenachtgläser in Richtung der Gegnerpeilung. In Anbetracht der Unsichtigkeit allerdings noch ein vergebliches Unterfangen.

„Ziel an Steuerbord ist ausgewandert, keine Peilung mehr – Ziel Backbord weiter aufkommend, Entfernung 3000, Gegner-Peilung nunmehr Backbord 90 °.“

Alle Augen auf der Brücke richteten sich auf den Kommandanten. Dieser reagierte sofort, „Maschine Umdrehungen auf sieben Meilen reduzieren, Steuerbord 20 °!“ Der Kommandant verringerte die Fahrt weiter, um sich dem nunmehr auf gleicher Höhe befindlichen Gegner nicht durch das aufwirbelnde Kielwasser zu verraten. Die Sekunden strichen dahin, endlich kam die befreiende Meldung des Dete-Gerätes „Gegner wandert aus, Entfernung jetzt 4000.“ Kurz darauf „Entfernung 5000.“ Wieder einige Minuten später: „Keine Peilung mehr.“

Der Kommandant ließ den Kurs noch 30 Minuten beibehalten, um dann auf den ursprünglichen Auslaufkurs zurückzugehen. „Chamäleon“ strebte dem Nord-Atlantik zu. Der Durchbruch war gelungen.

Hilfskreuzer „Chamäleon“ auf Kaperfahrt in ferne Meere

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